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LA NOTTE (Die Nacht, Michelangelo Antonioni, I/F 1961, 1. & 7.7.) Langsam gleitet ein Fahrstuhl an einer Außenfassade hinab: Auf der einen Seite blickdichte Fenster, auf der anderen Seite öffnet sich eine moderne (Baustellen-)Stadtlandschaft, in die der Film gleich zu Beginn Zentimeter um Zentimeter abtaucht. Antonioni entwirft eine präzise, in gestochen scharfen, klaren Schwarzweißbildern kadrierte Topografie zwischen Ödnis und Bauwut, in der sich die Ehe von Giovanni (Marcello Mastroianni) und Lidia (Jeanne Moreau) aufzulösen scheint. Auf ihren Streifzügen durch verfallene Hinterhöfe und über staubige Brachflächen durchmisst Lidia gleichzeitig eine hinter glänzenden Fassaden ausgehöhlte Stadt wie die Untiefen ihres eigenen Lebens.

SHIVREI TMUNOT JERUSHALAIM (Fragments*Jerusalem, Ron Havilio, Israel 1986–1997, 1.7.: Teil 1; 8.7.: Teil 2) Private Aufnahmen und historische Fotografien, Erinnerungen von Familienmit-gliedern und offizielles Archivmaterial, städtebauliche und sozialgeschichtliche, religiöse und ethnische Überlegungen fügen sich zum künstlerischen Mosaik einer Stadt, einer Epoche, eines Lebens und einer Familie. Havilios Opus Magnum ist sechs Stunden lang, in sieben Kapitel gegliedert und in elf Jahren Arbeit entstanden – entsprechend dehnt Havilio den Begriff des Flanierens und wird zum Wanderer durch Raum und Zeit.

MNJE DWADZAT LJET (I Am Twenty, Marlen Chuzijew, UdSSR 1962/65, 2. & 6.7.) Meilenstein des sowjetischen Kinos, Schlüsselwerk des Tauwetter-Kinos und nicht zuletzt einzigartiges Zeit-dokument der Stadt Moskau und ihrer jungen Bewohner. Im Mittelpunkt stehen Serjoscha, Nikolaj und Slava (jeweils 20 Jahre alt und Freunde seit der Kindheit), ihre Suche nach Sinn und Selbstbestimmung sowie die Auseinandersetzung mit der Elterngeneration. Chuzijew entwirft ein Moskau, wie man es selten gesehen hat: abwechselnd poetisch, romantisch, dynamisch, unmittelbar – und zeigt eine junge Generation, die, die Stadt durchstreifend, nicht nur diese, sondern auch ihr Leben in Besitz nimmt.

BERLIN. DIE SINFONIE DER GROSSSTADT (Walther Ruttmann, D 1927, 3.7., am Flügel: Eunice Martins & 23.7., Originalmusik von Edmund Meisel) Emblematisch leuchtet Ruttmann in diesem klassischen Stadtsinfonie-Film den Lebensraum des Flaneurs aus: die schillernde Metropole Berlin Mitte der 20er Jahre. In abwechselnd rasantem, dann wieder ruhigerem Tempo verschmelzen Aufnahmen des städtischen Lebens, von Häuserschluchten, Zügen, Straßen, Menschenmassen, Maschinen, Leuchtreklamen und Abendvergnügungen zu einem visuellen Rhythmus, einem pulsierenden Bilderfluss.

BILDNIS EINER TRINKERIN (Ulrike Ottinger, BRD 1979, 3. & 15.7.) Dem drängenden Impuls folgend, die Vergangenheit zu vergessen, löst „Sie“ (Tabea Blumenschein) – eine Mischung aus Medea, Madonna, Beatrice, Iphigenie und Aspasia – ein One-Way-Ticket nach Berlin, um sich auf einem grotesken Streifzug durch Westberliner Kneipen, Hotels, Casinos und Bars zu Tode zu trinken. Entfremdet und unnahbar taucht sie ein in ein stilisiertes Berlin der späten 70er Jahre und trifft auf ihren nächtlichen Wanderungen auf Protagonisten des Insel-Undergrounds: Trinker, Rocksänger (spektakulär: Nina Hagen), Schriftsteller, Künstler und Taxifahrer. Ein Melodram.

BEFORE SUNSET (Richard Linklater, USA 2004, 4. & 9.7.) Zehn Jahre nach einem Zufallstreffen in Wien begegnen sich Céline (Julie Delpy) und Jesse (Ethan Hawke) wieder, als Jesse, mittlerweile Schriftsteller, auf Lesereise nach Paris kommt. Wiederum werden die wenigen gemeinsamen Stunden mit langen Spaziergängen durch die Stadt und ausführlichen Gesprächen über die großen Themen des Lebens genutzt. Nach Linklaters Before Sunrise (1994) verleiht Paris dem Sequel eine melancholische Note und das Bewusstsein um die Vergänglichkeit allen Glücks.

MENSCHEN AM SONNTAG (Robert Siodmak, Rochus Gliese, Edgar G. Ulmer, D 1930, 5. & 15.7., am Klavier: Eunice Martins) Präzise Beschreibung – Typ: neusachlicher „Wirklichkeitsfilm“ – eines Wochenendes im Leben von fünf jungen Berliner*innen – vier umtriebigen Berlin- und Wannsee-Wandler*innen sowie einer Stubenhockerin. Die spielerisch-leichte Collage beginnt mit dokumentarischen Aufnahmen und improvisiertem Müßiggang, verpassten Chancen und Zufallsbekanntschaften, bevor Letztere im zweiten Teil den Tag am sommerfrischen Wannsee verleben. Eine hoch-bewegliche, geradezu „flanierende“ Kamera (Eugen Schüfftan) oszilliert zwischen Nähe und Distanz, Sympathie und Ironie, Detail und Masse.

CLÉO DE 5 À 7 (Mittwoch zwischen 5 und 7, Agnès Varda, F/I 1962, 16. & 29.7.) 90 Minuten Paris in Echtzeit, 90 Minuten, die die titelgebende Cléo (Chanteuse, Charmeuse, Flaneuse: Corinne Marchand) rastlos durch die französische Hauptstadt läuft, in Cafés sitzt, ein Hutgeschäft aufsucht, sich mit ihrem Geliebten trifft, eine Probe mit ihrer Band absolviert, ins Kino geht, einer möglichen neuen Liebe begegnet. All das, um die Zeit zu überbrücken, bis ihr das Ergebnis einer Krebsuntersuchung mitgeteilt wird. 90 Minuten, die nicht im Zeichen der Dramatisierung, des Bezwingens eines Schicksals stehen, sondern die Erfahrung der Stadt, das Erleben von Zeit und der eigenen Person vermitteln.

ALICE IN DEN STÄDTEN (Wim Wenders, BRD 1974, 22. & 25.7.) Forschungs- und Suchbewegungen durch die USA und das Ruhrgebiet: Aus einer Auftrags-Reisereportage über die amerikanische (Stadt-)Landschaft, an der der deutsche Journalist Philip Winter (Rüdiger Vogler) zu scheitern und sich selbst zu verlieren droht, entwickelt sich unvermittelt eine Spurensuche in der deutschen Provinz nach der Großmutter der neunjährigen Alice, die Winter in New York anvertraut wurde. Dort die menschenleeren Weiten, Raststätten, Straßenschluchten und Neonreklamen, Markierungen der Entfremdung und der Abwesenheit, hier eine Reise quer durch Westdeutschland, mal uniform, mal labyrinthisch, mal kleinbürgerlich eng, mal sommerlich frei. Die poetische Geschichte einer Rückkehr zweier entwurzelter, zunächst gleichgültiger Wanderer ist gleichzeitig eine Meditation über das Schauen und Wahrnehmen, eine kleine Anleitung des Flaneurseins.

NEWS FROM HOME (Briefe von Zuhaus, Chantal Akerman, B/F/BRD 1976, 23. & 28.7.) Straßenfluchten und -szenen bei Tag oder Nacht, U-Bahnstationen und -fahrten, Schwenks über Häuserfronten oder Skylines: In langen, sorgfältig kadrierten Einstellungen vom New York der 70er Jahre und einem Soundtrack aus Geräuschen der Stadt sowie Akermans Stimme aus dem Off – die Briefe ihrer Mutter aus dem heimatlichen Belgien verlesend – vermisst die Regisseurin die Stadt, in der sie Anfang der 70er einige Jahre gelebt hatte. Ein distanzierter wie ruheloser Blick auf eine fremde Stadt verschränkt sich mit einem mal besorgten, mal bedrängenden Tonraum der mütterlichen Nachrichten zu einer Meditation über Ton und Bild, urbane Entfremdung und familiäre Gefüge.

CENTRAL PARK (Frederick Wiseman, USA 1989, 24. & 26.7.) Sommer in New York: In vergleichsweise leichtem, heiterem Tonfall porträtiert Wiseman den Central Park als einladenden Schauplatz urbaner Vitalität. Scheinbar beiläufig -beschreibt er das breite Spektrum der großstädtischen Parkbenutzer, zeigt Erholung suchende Menschen, Sonntagsmaler, Tanzgruppen, Freizeit-Ornithologen und Dinosaurier-Imitatoren, Musiker und Tanzende genauso wie Gärtner und das Verwaltungspersonal des Parks. Eine Reverenz an das grüne Herz der Stadt, gleichzeitig Anziehungspunkt für klassische Flaneure wie Ausgangspunkt einer filmischen Flanerie.

LE FRANC (Der Aufrechte, Djibril Diop Mambéty, Senegal 1994, 27. & 31.7.) & LA PETITE VENDEUSE DE SOLEIL(Das kleine Mädchen, das die Sonne verkaufte, Djibril Diop Mambéty, Senegal 1999, 27. & 31.7.) Die Filme von Djibril Diop Mambéty sind unauflöslich mit Dakar, der Hauptstadt des Senegal verbunden, durch die sich die Protagonisten seiner Filme als rastlose Wanderer bewegen. Mambétys Kamera bleibt ihnen dabei zumeist dicht auf den Fersen, schlägt Haken für Szenen des Alltagslebens der Stadt, für Besonderheiten des urbanen Raums. Sili in LA PETITE VENDEUSE … versucht, sich über alle Vorbehalte hinwegzusetzen und sich als Zeitungsverkäuferin zu behaupten. LE FRANC, im Sinne des deutschen Titels „Der Aufrechte“, ist Marigo, der im Lotto gewonnen hat, den Preis jedoch nur abholen kann, wenn er seine Eingangstür, auf der das Los aufgeklebt ist, durch halb Dakar trägt. Silis und Marigos Streifzüge durch Dakar sind eingebettet in ein komplexes Gewebe von kleinen Vignetten, Szenerien, Nebenlinien, die nicht nur den Rhythmus des Films prägen, sondern auch Dakar für uns erschließen. (mg)

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