STELLET LICHT (Carlos Reygadas, Mexiko/F/NL/D 2007, 1. & 3.6.) Das titelgebende, leitmotivische „stille Licht“ steht gleich am Anfang dieser gleichnishaften Dreiecksgeschichte. Die erste Szene zeigt den langsamen Anbruch des Tages, das einsetzende Sonnenlicht, welches eine Farbsymphonie von schwarzgrau bis goldgelb-weiß auslöst. Doch in das „stille Licht“ drängt sich eine urwüchsige Tonwelle von Natur- und Tiergeräuschen – atmosphärische Grundstimmung der unglücklichen Liebesgeschichte zwischen Marianne, dem verheirateten Johan und seiner Ehefrau Esther, allesamt Mitglieder einer tiefreligiösen, mennonitischen Gemeinde in Mexiko. Mit Laiendarstellern der deutschstämmigen Glaubensgemeinschaft und auf Plautdietsch gedreht, entwirft Reygadas eine der Zeit enthobene Tragödie um Schuld, Sühne und Erlösung.
OUT OF THE PAST (Jacques Tourneur, USA 1947, 2. & 7.3.) Film noir – kaum ein Genre ist derart mit Licht- und vor allem Schattensetzung verbunden wie die amerikanische Stilrichtung der 40er und 50er Jahre. „Die besten Künstler des Film noir machten die ganze Welt zu einem Studio, indem sie unnatürliches und expressionistisches Licht auf realistische Sets lenkten.“ (Paul Schrader) Kameramann Nicholas Musuraca macht aus Tourneurs Noir-Klassiker mit Robert Mitchum und Kirk Douglas sequenzweise eine veritable Licht-Studie: flächiges Schwarz, einzelne Lichtquellen, harte Schatten und Silhouetten. In diesem Setting bewegen sich der einstmalige Privatdetektiv Jeff (Mitchum), der mittlerweile eine Tankstelle betreibt, einer seiner ehemaligen Auftraggeber, der Gangster Sterling (Douglas) sowie dessen Geliebte (Jane Greer).
IN THE MOOD FOR LOVE (Wong Kar-wai, HK 2000, 5. & 9.6.) Die vergangene Welt des Hongkongs der 60er Jahre ist in gelbe, rote, grüne Schatten gehüllt. Wongs und Kameramann Doyles Abgesang auf eine Ära grundiert die Geschichte einer versagten Liebe zwischen zwei Nachbarn (grandios: Maggie Cheung und Tony Leung), die erkennen, dass ihre Ehepartner sie betrügen. In ihrer Verzweiflung beginnen sie eine zaghafte Beziehung. So zögerlich die Protagonisten, so zurückhaltend die narrative Entwicklung, in deren Vordergrund zeitweilig die überbordende Ausstattung, die komplexen Bildkompositionen und die meisterliche Lichtgestaltung des Films treten.
PLEIN SOLEIL (Nur die Sonne war Zeuge, René Clément, F/I 1960, 8. & 12.6.) Der junge, mittellose Amerikaner Tom Ripley (Alain Delon) fährt nach Italien, um den Millionärssohn Philippe Greenleaf im Auftrag seines Vaters in die USA zurückzuholen. Er freundet sich mit Philippe an und findet Gefallen an dessen luxuriösen und sorglosen Lebensstil. Nach einem ausgeklügelten Plan tötet er Philippe, um dessen Identität anzunehmen. Das strahlend helle Sonnenlicht des Mittelmeers steht dabei in starkem Kontrast zur kalten Skrupellosigkeit und Abgründigkeit Tom Ripleys.
YEELEN (Souleymane Cissé, Mali 1987, 10. & 25.6.) „Das Licht“ ist der deutsche Titel von YEELEN, einem der wichtigsten Filme des afrikanischen Kinos, dessen vorherrschende Farbe der gleißende Glanz der Sonne ist. Das Licht steht denn auch auf unterschiedlichen Ebenen im Zentrum des Films. Angesiedelt in der vorkolonialen Bambara-Kultur in Mali, erzählt der Film ein Initiationsdrama und einen Vater-Sohn-Konflikt. Der junge Nianankoro steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden und soll das Wissen der Bambara erlernen, um es zu bewahren und weiterzugeben. Sein Vater ist ein mächtiger Magier, der aber verhindern will, dass sein Sohn ihm ebenbürtig wird, will ihn sogar töten. Die Mutter flieht deswegen mit ihm und ermöglicht ihm, die Fähigkeiten zu erlernen, die es ihm erlauben, seinem Vater gegenüberzutreten.
DUNKIRK (Christopher Nolan, GB/NL/F/USA 2017, 12. & 15.6.) 400.000 britische und französische Soldaten wurden im Mai 1940 von den deutschen Truppen an der Küste von Dunkerque eingekesselt. DUNKIRK schildert die großangelegte Evakuierung und zerlegt die Rettungsak-tion in drei Handlungsstränge – Land, Wasser, Luft – die je ihre eigene Zeitlichkeit – eine Stunde, ein Tag, eine Woche – besitzen. Die Erfahrung des Überlebenskampf und der unaufhörlich tickenden Zeit vermitteln sich dem Zuschauer in fast körperlicher Art, was auch an der Wahl des 70-mm-Filmformats liegt, das dem Bild eine „immersive Qualität“ (Christopher Nolan) verleiht.
DAYS OF HEAVEN (Terrence Malick, USA 1978, 14. & 20.6.) Violett-, Rot- und Orangetöne bilden die Eckpunkte des farblichen Spektrums der kurzen Phase vor und nach Sonnenauf- bzw. Sonnenuntergang, der „magic hour“ oder „golden hour“, auf deutsch deutlich profaner „blaue Stunde“ genannt. Malick und seine Kameramänner Nestor Almendros und Haskell Wexler verzichteten in DAYS OF HEAVEN weitgehend auf künstliches Licht und drehten umso ausführlicher während der magic hours. Die außergewöhnlichen Lichtstimmungen tragen zur beeindruckenden visuellen Qualität des Films bei, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt. Auf der Flucht vor der Polizei kommen Bill, seine Schwester Linda und seine Geliebte Abby auf einer weitläufigen Farm in Texas unter. Der angeblich sterbenskranke Farmer verliebt sich in Abby, die einer Ehe in Hinblick auf sein baldiges Ableben nicht abgeneigt ist. Doch der Farmer erweist sich als langlebiger als erwartet.
THE GRAPES OF WRATH (Früchte des Zorns, John Ford, USA 1940, 15., 23. & 28.6.) Die Farmerfamilie Joad wird von Großgrundbesitzern von ihrem Land vertrieben und verliert ihre Existenzgrundlage in Oklahoma. Voller Erwartung ziehen der frisch aus dem Gefängnis entlassene Tom, seine Eltern, Großeltern und Geschwister nach Kalifornien, um auf den dortigen Obstplantagen Arbeit zu finden. Doch die erhoffte neue Heimat entpuppt sich als ein Ort der Ausbeutung und Ungerechtigkeit. In der Adaption von John Steinbecks sozialkritischem Roman über die „Große Depression“ übersetzt John Ford die Verzweiflung und Not der Zeit in dokumentarisch-realistisch anmutende Szenen mit stark stilisierten Hell/Dunkel-Passagen. Der Regisseur über seinen Kameramann: „Gregg Toland hat da großartige Kameraarbeit geleistet – absolut nichts, wirklich rein gar nichts zu filmen, nicht eine einzige schöne Sache darin – einfach bloß gute Filmbilder. Ich sagte zu ihm: ‚Zum Teil wird es ganz in Schwärze getaucht sein, aber lass es uns filmen. Lass uns die Sache anpacken und etwas Eigenes ausprobieren.‘“
LE JOUR SE LÈVE (Der Tag bricht an, Marcel Carné, F 1939, 16. & 27.6.) Ein Film der Gegenströmungen: Mit dem zu Beginn des Films anbrechenden Tag wird das unausweichlich düstere Ende vorgeklappt, die fortschreitende Handlung entfaltet sich in drei umfangreichen Rückwärtsbewegungen, ein Zimmer wird zum Zentrum der explosiven Fliehkräfte der Liebe. Durchwirkt von einer komplexen Struktur von Licht und Schatten und unzähligen Grau-Schattierungen dreht sich die Geschichte um den Arbeiter François (Jean Gabin), seine unglückliche Liebe zu Françoise, seine zwischenzeitliche Affäre mit Clara (Arletty), sein Abrechnen mit dem überheblich-schmierigen Valentin (Jules Berry). Entstanden kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs erzeugt der Film ein Klima von Verzweiflung, Desillu-sionierung und Enttäuschung.
BARRY LYNDON (Stanley Kubrick, GB 1976, 17. & 30.6.) Ein im 18. Jahrhundert angesiedelter Historienfilm über den in die höchsten Gesellschaftsschichten aufgestiegenen Barry Lyndon und seinen späteren Abstieg in die Armut und Bedeutungslosigkeit. Kubrick rekonstruiert das ferne Zeitalter mit einer umfassenden Akribie, die darin gipfelt, dass Innenaufnahmen ausschließlich mit Kerzenlicht beleuchtet werden. Dies führt aber nicht zur Annäherung an eine fremde Lebenswelt, sondern macht die Distanz, die den heutigen Zuschauer vom 18. Jahrhundert trennt, sichtbar und stattet sie mit einer unüberbrückbaren Fremdheit aus. „Überraschenderweise ist das Ergebnis dieser Bemühung um Authentizität jedoch nicht Realismus, sondern eine seltsam irreale, schwebende Lichtstimmung, die ähnlich wie die Patina auf einem alten Ölgemälde zu einem ‚objektiven Korrelat‘ der zeitlichen Distanz wird, die uns von den gefilmten Szenen trennt.“ (Thomas Allen Nelson)
FONTANE EFFI BRIEST (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1974, 24. & 29.6.) Keine der zahlreichen Effi-Briest-Verfilmungen hält sich strenger an die literarische Vorlage, stellt die Adaption für ein anderes Medium deutlicher heraus als Fassbinders filmische Bearbeitung des Gesellschaftsromans. Trotz aller Originaltreue in Text- und Ausstattungsbelangen ist es dennoch „ein Film über eine vergangene Zeit aus unserer Sicht“, Fassbinders persönliche Lesart des Romans und gleichzeitig ein Film über „Fontane, über die Haltung eines Dichters zu seiner Gesellschaft. Es ist die Haltung von einem, der die Fehler und Schwächen seiner Gesellschaft durchschaut und sie auch kritisiert, aber dennoch diese Gesellschaft als die für ihn gültige anerkennt.“ (RWF) Gerahmt und unterteilt von gleißenden Weißblenden, die gleichsam Erstarrung und Auflösung anzudeuten scheinen, folgt der Film dem Schicksal der jungen Effi Briest (Hanna Schygulla), die den 20 Jahre älteren Baron von Instetten (Wolfgang Schenk) heiratet, in ihrer Ehe keine Liebe findet und sich in eine Affäre flüchtet.
HÖHENFEUER (Fredi M. Murer, Schweiz 1985, 26. & 30.6.) Ein entlegener Bergbauernhof in den Urner Bergen, Vater, Mutter, zwei Kinder: Belli, die gerne Lehrerin geworden wäre, was ihr die Eltern untersagt haben, und der nur „Bub“ genannte, von Geburt an taube Bruder verbindet ein inniges Verhältnis. Jugendlicher Übermut und Auflehnung gegen die Eltern führen in der Abgeschiedenheit und Enge der Berge zur Katastrophe, aus der es keinen Ausweg gibt. Die Kamera von Pio Corrado passt sich den kargen Verhältnissen vor großartiger Bergkulisse an, nutzt natürliches Licht bei den Außenaufnahmen und künstliches Licht in den oft spärlich beleuchteten Innenräumen. Fernab eines vermeintlichen Alpenidylls schafft Fredi Murer eine universelle Geschichte von archaischer Wucht, die „sich zwischen Island und Japan überall ereignen könnte“ (F.M.).