KARLA (Herrmann Zschoche, DDR 1965/90, 1. & 12.2.) Nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 wurde ein ganzer Jahrgang der DEFA-Spielfilmproduktion verboten – insgesamt zwölf Filme, darunter KARLA, dem in der Folge „ideologische Mängel“ sowie „ein verzerrtes Bild sozialistischer Schulpolitik“ vorgeworfen wurde. Seine Uraufführung erlebte der Film erst 1990. Die leidenschaftliche Titelheldin (Jutta Hoffmann) ist eine junge, frisch von der Uni kommende Lehrerin, die am Gymnasium einer Kleinstadt eine 12. Klasse in Deutsch und Geschichte unterrichten soll. Mit ihrem idealistischen Anspruch, die Jugendlichen zum eigenständigen Denken zu bewegen, gerät sie in Konflikt mit der Schulleitung und deren Sicht auf die Wirklichkeit. Anpassen wird sie sich nicht – und einen Preis dafür bezahlen.
ORG (Fernando Birri, Italien/Argentinien 1967–78, 2.2.) hatte 1979 bei den Filmfestspielen von Venedig seine Uraufführung und geriet danach in Vergessenheit. In den folgenden Jahren zirkulierte der Film nur noch in einer stark gekürzten Fassung und wurde höchst selten vorgeführt. Nach einer Aufführung im Arsenal 1991 ließ der Regisseur eine Kopie in unserer Sammlung, wo sie 2012 im Rahmen von Living Archive wiederentdeckt, digitalisiert und neu herausgebracht -wurde. ORG, produziert vom Hauptdarsteller -Terence Hill, ist ein exzessiv auswucherndes Wahrnehmungsexperiment, ein "Nicht-Film" (Fernando Birri), ein Kompendium der ästhetischen und politischen Strömungen der 68er-Bewegung.
BABY FACE (Alfred E. Green, USA 1933, 3. & 6.2.) Mit dem 1934 in Hollywood eingeführten "Hays-Code" fand eine Ära außergewöhnlicher Freiheit und Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Wirklichkeiten ein jähes Ende. Viele der in den frühen 30er Jahren entstandenen Pre-Code-Filme durften nicht mehr aufgeführt werden und gerieten in Vergessenheit. Eine exemplarische Pre-Code-Heldin ist die grandios von Barbara Stanwyck verkörperte Lily Powers. Lily wächst in der zwielichtigen Spelunke ihres Vaters auf, für den sie sich prostituieren muss. Als er stirbt, nimmt sie sich den Rat des einzigen Mannes zu Herzen, der es gut mit ihr meint: Männer zu benutzen, statt sich von ihnen benutzen zu lassen. Sie ergreift die Gelegenheit und springt auf einen Güterzug nach New York, wo sie sich zielsicher einen Job in einem großen Bankgebäude in Manhattan angelt ("Have any experience?" – "Plenty!"). Skrupellos und völlig unsentimental setzt Lily ihre sexuelle Verführungskraft ein, um zu Macht und Geld zu kommen. Wir zeigen die von der Library of Congress 2004 entdeckte unzensierte und restaurierte Fassung.
KOMISSAR (Die Kommissarin, Alexander Askoldow, UdSSR 1967/87, 4. & 13.2.) Direkt nach der Fertigstellung verboten, wurde KOMISSAR erst 1987 in Moskau uraufgeführt und erlebte in der Folge auch internationalen Erfolg. Angesiedelt ist das bildgewaltige Spielfilmdebüt Askoldows zur Zeit des Bürgerkriegs 1922. Eine Politkommissarin der Roten Armee wird hochschwanger bei einer jüdischen Familie einquartiert. Die stets den Vorgaben der Partei folgende Kommissarin erfährt durch die Konfrontation mit der nach Prinzipien der Menschlichkeit lebenden Familie eine allmähliche Wandlung. Traumsequenzen mit Schreckensvisionen von russischen und ukrainischen Pogromen bis zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nazis überlagern die realistische Erzählung und führten wohl mit dazu, den Film als „antisowjetisch“ zu verunglimpfen.
A TOLONC (The Undesirables, Michael Curtiz, Ungarn 1914, 7. & 11.2.) Bevor Michael Curtiz in Hollywood unter anderem mit Casablanca Karriere machte, drehte er ab 1912 unter seinem ursprünglichen Namen Mihály Kertész seine ersten Filme in seinem Geburtsland Ungarn. Der verloren geglaubte A TOLONC wurde vor einigen Jahren im Keller des Hungarian House in New York gefunden. Vom Hungarian National Film Archive wurde er digital restauriert und mit einem neuen Soundtrack von Attila Pacsay versehen. Im Mittelpunkt des in einem pittoresk-ländlichen Setting in den Karpaten angesiedelten Melodrams steht eine junge Frau, deren Vater ihr am Sterbebett verrät, dass er eigentlich ihr Onkel ist und ihre Mutter sich wegen Mordes an ihrem Ehemann im Gefängnis befindet. Nach seinem Tod wird sie Hausmädchen in der Stadt, wo sie sich in den Sohn der Familie verliebt, gleichzeitig aber von dessen Mutter des Diebstahls bezichtigt und entlassen wird. In einer Parallelhandlung ist die tot geglaubte Mutter ihrerseits auf der Suche nach der jungen Frau.
LYRISCH NITRAAT (Lyrisches Nitrat, Peter Delpeut, Niederlande 1991, 9. & 14.2.) ist eine Zusammenstellung von Filmausschnitten aus den Jahren 1905 bis 1915. Dass die Filme überliefert sind, verdankt sich einem glücklichen Zufall: Nach dem Tod des niederländischen Filmverleihers Jean Desmet (1875 – 1956) wurden sie auf dem Dachboden eines Amsterdamer Kinos gefunden. LYRISCH NITRAAT lenkt den Blick auf das fragile und vergängliche Material des Nitratfilms. Befreit von einer durchgehenden Narration, ist der Film eine Hommage auf die Ästhetik des frühen Films und die visuelle Überzeugungskraft der meist monochrom eingefärbten Bilder. Ungefiltert werden reine Emotionen evoziert – Filmgeschichte als Empfindung, nicht als Belehrung.
TOUCH OF EVIL (Orson Welles, USA 1958, 10. & 15.2.) 58 Seiten umfasste das Memorandum, das Welles an Universal Pictures schickte, nachdem er den von ihm nicht autorisierten Umschnitt seines Films samt Kürzungen gesehen hatte. Universal sah indes keinen Anlass, den Einspruch des Regisseurs zu berücksichtigen und brachte TOUCH OF EVIL in der von Welles scharf kritisierten Form in die Kinos. Diese Fassung war bis in die 90er Jahre im Einsatz, bis Cutter Walter Murch sich auf der Basis des Welles’schen Memos an die Rekonstruktion des legendären späten Film noir machte. Mittelpunkt des komplexen Thrillers ist ein Mordfall in einer Kleinstadt an der mexikanischen Grenze, der zu einem tödlichen Duell zwischen einem jungen mexikanischen Rauschgiftfahnder und einem alten US-amerikanischen Polizeichef wird.
METROPOLIS (Fritz Lang, D 1927, mit der Musik von Gottfried Huppertz, 15. & 27.2.) Jahrzehntelang existierte Langs früher Science-Fiction nur als Torso: Bereits kurz nach der Uraufführung wurde der Film rabiat getrimmt, die gekürzten Szenen verschwanden. Über 80 Jahre später tauchte im Archiv des argentinischen Filmmuseums in Buenos Aires eine Fassung von METROPOLIS auf, die der Urfassung sehr nahe kommt und eine neue Betrachtung des Klassikers um die Zukunftsstadt Metropolis erlaubt, in der Arbeitermassen in einer lichtlosen Unterstadt von einer sich in Luxus ergehenden Gesellschaft in der Oberstadt versklavt werden. Ein Aufstand unter den Arbeitern, ausgelöst durch einen künstlich erschaffenen Menschen, droht die Stadt zu zerstören, kann aber, auch durch die Liebe über Klassengrenzen hinweg, abgewandt werden. (mg/al)