SHOCK CORRIDOR (Samuel Fuller, USA 1963, 2. & 10.8.) Ein B-Movie-Psychodrama um den ehrgeizigen Zeitungsreporter Johnny Barrett, der unbedingt den Pulitzer-Preis gewinnen möchte und sich selbst in eine psychiatrische Anstalt einweist, um dort einen Mord aufzuklären. Es folgt eine wahre Tour de Force durch die Niederungen des Klinikalltags, wobei Fuller klarmacht, dass die Anstalt für ein gesamtgesellschaftliches Phänomen steht: Das Land ist krank. Eine Schockbehandlung wird mit der stakkatoartigen Montage visuell erfahrbar gemacht, die Gedanken der Patienten werden in diesem Schwarzweißfilm zu farbigen Traumlandschaften.
À BOUT DE SOUFFLE (Außer Atem, Jean-Luc Godard, F 1960, 3. & 15.8.) Der paradigmatische Nouvelle-Vague-Film wirft alle filmischen Konventionen radikal über Bord: Mit Handkamera und ohne künstliches Licht gedreht, prägen ruppige Schnittfolgen, Jump Cuts und rasante Schwenks Godards Debüt um den Autodieb Michel (Jean-Paul Belmondo), der, nachdem er unterwegs einen Polizisten erschossen hat, in Paris versucht, sowohl Geld aufzutreiben als auch Zeit mit seiner Freundin Patricia (Jean Seberg) zu verbringen, die als amerikanische Studentin auf den Champs Élysées die New York Herald Tribune verkauft.
NORTH BY NORTHWEST (Der unsichtbare Dritte, Alfred Hitchcock, USA 1959, 4. & 9.8.) „Die Filmmontage ist die einzige neue Kunstform, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat“, bemerkte Hitchcock gegenüber François Truffaut. Den Prinzipien des klassischen narrativen Kinos folgend, stellte er die Montage in den Dienst der Handlung, die hier um den nichtsahnenden New Yorker Werbefachmann (Cary Grant) kreist, der nacheinander und von unterschiedlichen Seiten für einen Spion, Alkoholiker bzw. Mörder gehalten wird. Eine atemlose Verfolgungsjagd quer durch die USA beginnt, an dessen Ende einer der berühmtesten „Match Cuts“ steht.
MEIN LANGSAMES LEBEN (Angela Schanelec, D 2001, 5. & 16.8.) Distanziert und zugleich wirklichkeitsgetreu betrachtet Schanelec eine Handvoll Menschen um die 30 in einem Berliner Sommer und Herbst. Die Aufmerksamkeit liegt auf dem Alltäglichen, Banalen, auf offenen Situa-tionen, denen Schanelec auf der formalen Ebene mit einer großen Sorgfalt und Geschlossenheit begegnet. Das Verharren und Beharren auf den Bildern, eine Verzögerung im Schnitt (Bettina Böhler) macht das Verstreichen der Zeit erfahr- und wahrnehmbar.
W.R. – MISTERIJE ORGANIZMA (WR-Mysterien des Organismus, Dušan Makavejev, Jugoslawien 1971, 7. & 17.8.) „Nicht nur ein Dokumentarfilm über Wilhelm Reich, den umstrittenen Psychoanalytiker und Sexualforscher, den die sexuelle Revolution als Adoptivvater wählte, sondern vor allem eine brillante, unterhaltsame, assoziative Montage aus dokumentarischem Material, inszenierten Passagen und Filmzitaten, in der Makavejev ungestüm die These durchleuchtet, dass eine freie (kommunistische) Gesellschaft und freie Liebe untrennbar zusammengehören.“ (Anna Hoffmann)
DER FALL GLEIWITZ (Gerhard Klein, DDR 1961,| 8. & 12.8.) Mit kühn rhythmisierenden Schnittfolgen beginnt Kleins sachlich-präzise Inszenierung des fingierten Überfalls auf den Reichssender Gleiwitz durch SS-Männer in polnischen Uniformen am 31.8.1939. Für die Montage dieses „Versuchs einer Dokumentation mit künstlerischen Mitteln“ (Kohlhaase) betraute Klein u.a. die Schnittmeisterin Evelyn Carow, die zu den renommiertesten Filmeditor*innen der DEFA gehört. Die stilisierte, experimentelle Form des Films veranlasste den SED-Parteiapparat, den gefürchteten „Formalismus“-Vorwurf zu erheben und die Zirkulation des Films erheblich zu beschränken.
MAGNOLIA (Paul Thomas Anderson, USA 1999, 11. & 24.8.) Überraschende Schnitte, die unterschiedliche Schauplätze miteinander verbinden, sowie rasche Schnittfolgen und dynamische Parallelmontagen gehören zu Andersons Markenzeichen. So auch in seinem episodischen Ensemblefilm, der Vignetten aus dem Leben von neun miteinander in Beziehung stehenden Personen im San Fernando Valley über einen Zeitraum von 24 Stunden erzählt. Zu den Akteuren gehören der an Krebs erkrankte TV-Produzent Earl Partridge, sein „verlorener“ Sohn Frank (Tom Cruise), der Krankenpfleger Phil (Philip Seymour Hoffman), Earls Frau Linda (Julianne Moore), der Moderator Jimmy Gator, dessen Tochter Claudia sowie die Frage nach der Schuld der Väter und die Kraft des Verzeihens ihrer Kinder.
TWENTY CIGARETTES (James Benning, USA 2011, 13. & 30.8.) Bennings Filme beinhalten in der Regel genau das, was die Titel versprechen. TWENTY CIGARETTES zeigt 20 Menschen, die je eine Zigarette rauchen. Jede Zigarette eine Einstellung, nach jeder Zigarette erfolgt ein Schnitt. Wie so oft bei Benning geht es um die Zeit und darum, wie sie verstreicht. „Die einzelnen Porträts sollten so lang sein, wie der jeweils Porträtierte braucht, um eine Zigarette zu rauchen. Jeder der Raucher hat auf diese Weise die Länge der Einstellung, in der er zu sehen ist, selbst bestimmt. Es gefällt mir, wie das Nikotin ihnen allmählich die Befangenheit nimmt.“ (James Benning)
TENGOKU TO JIGOKU (Zwischen Himmel und Hölle, Akira Kurosawa, Japan 1963, 16. & 18.8.) Brillanter Thriller, der die Mechanik des Genres mal in Gang, mal außer Kraft setzt. Die Spannung entspringt dem zu Beginn des Films ausführlich geschilderten inneren Konflikts eines Produktionsleiters, der sich entscheiden muss, ob er den entführten Freund seines Sohnes freikaufen oder seine Karriere retten soll. Im Kontrast von Statik und Hektik, von minutenlangen Plansequenzen und dynamischen Parallel-montagen (Schnitt: Akira Kurosawa) wird das Dilemma zwischen Verantwortung und Korrumpierbarkeit in einer aus den Fugen geratenen modernen Welt deutlich.
THE AGE OF INNOCENCE (Martin Scorsese, USA 1993, 19. & 31.8.) Zwischen brutalen Schnitten und langen, fließenden Überblendungen (Filmeditorin Thelma Schoonmaker), unermesslichem Reichtum und subtiler Unterdrückung, zwischen Leidenschaft und starrer Gesellschaftsordnung: Scorseses opulent ausgestattete Verfilmung des gleichnamigen Romans von Edith Wharton ist in der New Yorker Upper Class der 1870er Jahre angesiedelt. Der Anwalt Newland Archer (Daniel Day-Lewis) ist standesgemäß mit einer jungen Frau aus vornehmer Familie (Winona Ryder) verlobt, verliebt sich jedoch in deren geschiedene Cousine (Michelle Pfeiffer). Seine Sehnsucht und die Konventionen der Gesellschaft stehen sich unvereinbar gegenüber.
SANS SOLEIL (Chris Marker, F 1983, 20. & 26.8.) Eine Flut der Bilder aus Japan, Guinea-Bissau, Island und San Francisco, eine Kaskade von Tönen, Gedanken, Briefen und Gedichten, Reisebeschreibungen und Anekdoten. In einer Tour de Force der Montage fügen sich die Bild- und Tonwelten zu einem komplexen Geflecht von Assoziationen und Reflexionen, zu einem „kühnen Versuch über das Funktionieren von Erinnerung in kinematografischer Form. SANS SOLEIL verblüfft bis heute durch seine virtuosen Perspektivenwechsel und Zeit-Schichtungen – es ist ein Film, der sich zuletzt ‚selbst erinnert‘.“ (Constantin Wulff) Der Film läuft in der vom Regisseur autorisierten deutschen Fassung.
DOM NA TRUBNOJ (Das Haus am Trubnaja-Platz, Boris Barnet, UdSSR 1927, 21. & 25.8., am Klavier: Eunice Martins) Rasant-überdrehte praktische Anwendung von Eisensteins Montage-Theorien im Dienste einer überbordenden Komödie um eine junge Frau, die vom Land in die Stadt kommt und sich im unübersichtlichen Moskau zurechtfinden muss. Nach anfänglichen Schwierigkeiten eine Unterkunft zu finden, wird sie Dienstmädchen bei einem Friseur und bringt ein ganzes Mietshaus durcheinander.
2001 – A SPACE ODYSSEY (Stanley Kubrick, GB/USA 1968, 22. & 27.8.) Wohl einer der berühmtesten Match Cuts der Filmgeschichte: Ein Primat schleudert einen Knochen in die Luft, der sich am Umkehrpunkt des Wurfes in ein knochenformähnliches Raumschiff verwandelt, welches sich zu den Klängen von Johann Strauß’ „Donauwalzer“ um eine kreisförmige Raumstation durch die Weiten des Weltraums bewegt. Ein Schnitt, mit dem vier Millionen Jahre überwunden werden, in dem sich die Welt- und Menschheitsgeschichte zu einem Wimpernschlag verdichtet. Was folgt, ist die Entdeckung eines schwarzen Monolithen auf dem Mond, dessen Herkunft eine Gruppe von Astronauten erforschen soll.
MATERIAL (Thomas Heise, D 2009, 22. & 29.8.) Eine Montage von filmischem Material aus den späten 80er Jahren der DDR bis in die Gegenwart, von Heise selbst gedreht oder im Umfeld seiner Filme entstanden, jedoch nie veröffentlicht. Im Schneideraum sind aus der heterogenen Fülle der historischen Dokumente neue Verbindungen und Beziehungen entstanden. Dabei montiert Heise sein Material nicht zu einem historischen Panorama, sondern macht buchstäblich einen Zeit-Raum auf, einen Resonanzkörper, in dem Sätze, Bilder, Geschichten und Erinnerungen zum Schwingen kommen können.
BRONENOSEZ POTEMKIN (Panzerkreuzer Potemkin, Sergej Eisenstein, UdSSR 1925, 23. & 28.8., mit der Originalmusik von Edmund Meisel) In seinem Revolutionsdrama um den Matrosenaufstand von Odessa 1905 und den Versuch, diesen durch zaristische Truppen zu zerschlagen, wandte Eisenstein die von ihm entwickelte „Montage der Attraktionen“ an, die die Beziehung zwischen zwei Einstellungen eher als Zusammenprall denn als Verknüpfung sieht. „Eine Sinfonie der Massen, in alle Arten der Bewegung, der Ruhe, des Tumults und des Aufeinanderprallens versetzt durch die Ekstase der Montage von Sergej Eisenstein.“ (Harry Tomicek) (al/mg)