LIANG SHAN BO YU ZHU YING TAI (The Love Eterne, Li Han Hsiang, Hongkong 1963, 1.3., Einführung: The Canine Condition & 6.3.) Zwei junge Studenten, beide gerade erst dem familiären Nest entschlüpft, freunden sich beim gemeinsamen Lernen an und schließen bald Blutsbrüderschaft. Nur ist das mit den „Brüdern“ so eine Sache: Der eine ist eigentlich eine junge Frau und wird von Betty Loh Ti gespielt, einer der bekanntesten Schauspielerinnen im Hongkong-Kino der 60er; der andere ist im Film zwar tatsächlich männlichen Geschlechts, wird aber ebenfalls von einer Frau verkörpert: von der legendären Ivy Ling Po, der Königin des Huangmei-Opernfilms. THE LOVE ETERNE ist eines der großen Meisterwerke dieses bildgewaltigen, für die Geschichte des gesamten chinesischen Kinos außerordentlich wichtigen Genres: ein leichtfüßiges, hintersinniges, genderfluid-erotisches Kostümspektakel, dessen erst komödiantischer Tonfall im Finale in einen welterschütternden Gefühlsexzess umschlägt, wie ihn so nur das Hongkong-Kino hinbekommt.
DA ZUI XIA (Come Drink With Me, King Hu, Hongkong 1966, 2. & 12.3.) Als Neuen Wuxia-Film bezeichnet man eine Reihe auf Mandarin gedrehter Shaw-Brothers-Produktionen, die den klassischen Plot der fahrenden Ritter im archaischen China mit Elementen des Western und japanischer Samuraifilme verbinden. Zugleich beharren diese Filme auf dem Moment des Fantastischen in der Wuxia-Tradition. COME DRINK WITH ME ist ein Meisterwerk aus dieser goldenen Epoche des Hongkong-Kinos, das im Unterschied zu den späteren Arbeiten des Formalisten King Hu keine Hommage an das sowjetische Montagekino ist, sondern eher an die Tradition der Peking-Oper anschließt: Der geschlossene Raum einer Herberge wird zur Theaterbühne und die martialischen Schritte der Schwertkämpferin Golden Swallow (Cheng Pei Pei) werden zur tänzerischen Choreografie.
JIN YAN ZI (Golden Swallow, Chang Cheh, Hongkong 1968, 2. & 13.3.) Filmgeschichtlich wird Chang Cheh oft als der Gegenpol von King Hu betrachtet: auf der einen Seite die formale Perfektion von Hus Schwertkampfchoreografien, oft von weiblichen Schwertkämpferinnen ausgeführt, auf der anderen die exhibitionistischen Gewaltexzesse in Chang Chehs kommerziellen Heldenepen, die den männlichen Körper statuarisch in den Mittelpunkt stellen. Bei allen Unterschieden ist den Urvätern des chinesischen Martial-Arts-Kinos eines gemein: Beide haben sie das Genre revolutioniert. So ist die Inszenierung des Heldentodes als theatralische Ekstase in Changs Meisterwerk GOLDEN SWALLOW ein absolutes Novum im kantonesischen Kino, genau wie die fatale Verschränkung von Eros und Thanatos um die weibliche Protagonistin – die gelbe Schwalbe (Cheng Pei Pei), die wir schon in Hus COME DRINK WITH ME bewundern konnten.
TIN JOEK JAU CHING (A Moment of Romance, Benny Chan, Hongkong 1990, 3.3., Einführung: Fabian Tietke) Der Überfall auf einen Juwelierladen schlägt schnell in ein Desaster um: Zwei Polizisten, die sich einen Kaffee holen, machen Fluchtfahrer Wah Dee (Andy Lau) nervös. Statt zu warten, zieht er die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich und liefert sich eine wilde Verfolgungsjagd. Auf der Flucht nimmt er die junge Jojo Huen (Jacklyn Wu) als Geisel. Benny Chan drehte mit A MOMENT OF ROMANCE unter den Auspizien von Koproduzent Johnnie To sein Regiedebüt und landete prompt einen Kassenhit. Das Porträt einer kriminellen Subkultur, die genau gesetzten Popsongs und das Driften zwischen urbanen Settings und Brachland außerhalb der Stadt trafen den Nerv der Zeit. Die Produktionsfirma Paka Hill schob weitere Filme mit dem Filmpaar Andy Lau und Jacklyn Wu nach, die hier ihren ersten Kinoauftritt hatte. Die -Actionromanze ist eine perfekte Symbiose von Gegenwart und Vergangenheit des Hongkong-Kinos: Sängerin Sandra Lang tritt ebenso in einer kleinen Rolle auf wie Regieveteran Ng Wui als Wah Dees Großvater, und Dauernebenrollendarsteller Ng Man Tat brilliert als Wah Dees Freund Rambo.
XIA DAO GAO FEI (Full Contact, Ringo Lam, Hongkong 1992, 3. & 17.3.) Nachdem die Freunde Ko Lei (Chow Yun Fat) und Sam Sei (Anthony Wong) überstürzt vor der Rache eines Geldverleihers aus Bangkok fliehen mussten, brauchen sie Geld. Ein Überfall soll ihr Problem lösen. Die beiden tun sich mit Sams Cousin Judge (Simon Yam) zusammen, ohne zu wissen, dass dieser vom Geldverleiher bezahlt wurde, sie während des Überfalls zu töten. In Kooperation mit Genreprofi Nam Yin als Drehbuchautor drehte Ringo Lam nach einer Reihe von Filmen mit politischen Untertönen mit FULL CONTACT einen straighten Actionthriller. Die Wechsel zwischen Nachtclubs, Außenszenen und bevorzugt unterbeleuchteten Nachtaufnahmen machen den Film zu einer Perle des Lichtdesigns. Für Lam war es ein Neuanfang: „Ich wollte mir die Hände säubern und reinen Tisch machen.“
DO MA DAAN (Peking Opera Blues, Tsui Hark, Hongkong 1986, 4. & 23.3.) China, Anfang des 20. Jahrhunderts: Eine Kiste mit Schmuck, in den Wirren der Flucht eines Warlords gestohlen, bringt die Handlung von Tsui Harks PEKING OPERA BLUES ins Laufen und Musikerin Sheung Hung (Cherie Cheung) mit der Rebellin und Generalstochter Tsao Wan (Brigitte Lin) und der Schauspielerin Bai Niu (Sally Yeh) zusammen. Wie die Anspielung auf eine von Männern gespielte Frauenfigur der klassischen Peking-Oper im Originaltitel verrät, ist Crossdressing das zentrale Thema des Films: Tsao Wan trägt Männerkleidung und Bai Niu möchte wie die männlichen Schauspieler als Frau im Theater auftreten dürfen. In PEKING OPERA BLUES treffen drei der größten Hongkong-Stars der Zeit mit Tsui Hark auf einen der größten Filmkünstler des späten 20. Jahrhunderts.
SIEN NUI YAU WAN (A Chinese Ghost Story, Ching Siu Tung, Hongkong 1983, 4. & 23.3.) Das Steuerregister ist vom Regen durchnässt, die Einträge verwaschen. In einem Dorf am Rande des chinesischen Kaiserreichs hat der gerade eingetroffene tollpatschige Staatsbeamte Ning (Leslie Cheung) durch dieses Missgeschick jede Autorität verloren. Nings delikate Züge und seine verträumten Augen verraten gleich, dass er sich nicht der Welt der Bürokratie zugehörig fühlt, sondern einer anderen, die ihren Ort im benachbarten verlassenen Tempel hat, wo nachts weibliche Gespenster spuken und verführen. Von Tsui Hark, Meister des Spektakelkinos, produziert, ist A CHINESE GHOST STORY ein legendärer Fantasyfilm der Hongkonger Neuen Welle, in dem melodramatische Zeitstrukturen des Sich-Verpassens das Thema der unmöglichen Liebe zwischen Menschen und Gespenstern ins Unendliche überführen.
YONG ZHE WU JU (Dreadnaught, Yuen Woo Ping, Hongkong 198, 5. & 10.3.) steht in der Tradition eines volkstümlich-karnevalistischen Martial-Arts-Kinos, das auf die Schnittmenge zwischen krudem Humor und schonungslosem Körpereinsatz zielt, also direkt unter die Gürtellinie. Wong Fei Hung, kantonesischer Volksheld und Protagonist unzähliger Filme, ist hier eine Nebenfigur, im Zentrum steht der bedröppelte Mousy (gespielt von Milchgesicht Yuen Biao), der eher zufällig hineingezogen wird in eine Welt der spektakulären Gewalt. DREADNAUGHT bedient sich frei am Hongkong-Genre-Fundus, ist Komödie, Kampfkunst-Komplott und murder mystery in einem; an der Kippe zur Parodie, aber jederzeit imstande, in blutigen Ernst oder erhabenes Körperkino umzuschlagen – nicht umsonst gilt Regisseur Yuen Woo Ping als einer der einflussreichsten Martial-Arts-Choreografen überhaupt.
BAI GA JAI (The Prodigal Son, Sammo Hung, Hongkong 1981, 5. & 10.3.) Als neunjähriges Kind lernte Sammo Hung an der Peking Opera School akrobatische Kampfkunst, Singen und Tanzen – „I was never good at school and was always fighting in the streets“, erzählt Hung der New York Times, „so they sent me to learn to fight“. Er hat die Arena seitdem nicht mehr verlassen: Als Regisseur, Choreograf und Schauspieler hat Hung sowohl das neue wuxia der 70er Jahre als auch die Hongkonger Neue Welle und das globalisierte Kung-Fu-Kino der Gegenwart entscheidend geprägt. In THE PRODIGAL SON ist er zuerst nur hinter der Kamera aktiv – bis zu seinem großartigen Auftritt als linkischer Vater und Meister des südchinesischen Kung-Fu-Stils Wing Chun, der dem verwöhnten und unbegabten Lieblingssohn des Titels die rhythmische Körpersprache der Nahkampfkunst beibringen will.
XUE ER (Cherie, Patrick Tam, Hongkong 1984, 6. & 19.3.) Cherie Chung war der größte weibliche Star des Hongkong-Kinos der 80er Jahre. Ihren vielleicht ultimativen Auftritt hat sie in einem abgründigen Slapstick-Lustspiel, das schon im Titel ganz auf sie zugeschnitten ist: CHERIE ist Cherie Chung ist Cherie: eine Fitnesstrainerin, die den ganzen Film über von zwei Männern umschwirrt wird. Zum einen ist da ein mittelalter, schmieriger Geschäftsmann (gespielt von der Shaw-Brothers-Regielegende Chor Yuen), der sie zu Beginn fast vergewaltigt, zum anderen ein junger Fotograf (Tony Leung Ka Fai), der sie eher fetischisiert als begehrt. Patrick Tam überträgt die ungestüme Energie und die impressionistische Bildsprache seiner frühen Neue-Welle-Filme auf das nur scheinbar konventionelle Genre der Beziehungskomödie. Tatsächlich ist CHERIE ein Film, der nie zum Stillstand kommt, der seiner vermeintlich simplen Ausgangssituation immer wieder neue Facetten abgewinnt. Cherie bleibt ein Geheimnis, das kein Mann zu lüften versteht.
BAI SHE ZHUAN (Madam White Snake, Griffin Yueh Feng, Hongkong 1962, 7.3.) Die Legende der Weißen Schlange gehört zu jenen chinesischen Erzählungen, auf die das Hongkong-Kino immer wieder zurückkommt. Diese Shaw-Brothers-Version aus dem Jahr 1962 ist eine der schönsten Adaptionen. Linda Lin Dai übernimmt die Titelrolle des mystischen Schlangengeists Bai Suzhen, der im Körper einer Frau die Erde besucht und sich dort in den Apotheker Xu Xian verliebt. Die beiden heiraten, aber das Glück hält nicht lang: Xu Xian, vom Dorfklatsch und böswilligen Priestern beeinflusst, droht sich von Bai Suzhen abzuwenden. MADAM WHITE SNAKE ist eine hochemotionale Huangmei-Oper mit Fantasy-Elementen (samt wunderbar-naiver Spezialeffekte). Wie die besten Hollywood-Musicals destilliert der von Yueh Feng stilsicher inszenierte Film aus Studioartifizialität eine Essenz des reinen Gefühls.
LONG YA JIAN (The Deaf and Mute Heroine, Wu Ma, Hongkong 1971, 7.3.) Wenn in Hollywood eine Frau die alleinige Hauptrolle in einem Actionfilm übernimmt, dann ist das selbst heute noch eine Sensation. Im Hongkong-Martial-Arts-Kino dagegen sind weibliche Kämpferinnen seit Jahrzehnten zentral. In THE DEAF AND MUTE HEROINE, einem vergessenen Meisterwerk des wuxia, brilliert in der Titelrolle Helen Ma als taubstumme Schwertkämpferin, die einen Perlenschatz gegen jede Menge zudringlicher bad guys – und eine windige Casinobesitzerin – verteidigen muss. Wu Mas Regie verleiht dem Film eine fiebrige, stellenweise fast psychedelische Energie. Da die Originalfassung dieses (nie auf DVD veröffentlichten) Films nicht auffindbar ist, zeigen wir eine historische Verleihkopie der englischsprachigen Synchronfassung.
BAN JIN BA LIANG (The Private Eyes, Michael Hui, Hongkong 1976, 8.3., Einführung: Lukas Foerster & 15.3.) Michael Huis Komödien sind so nah und ungeschönt an der sozialen Wirklichkeit gebaut, dass man sich wundert, wie Hui – als Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion – vorübergehend zu einer Art Superstar des Hongkong-Kinos aufsteigen konnte. Die typische Hui-Figur zeichnet sich durch maßlose Selbstüberschätzung und eine gewisse Gemeinheit aus. Dennoch verkommt sie nie zur Karikatur, dafür ist sie zu präzise verortet in den Lebens- und Arbeitswelten, aus denen Hui mit der ihm eigenen Sorgfalt seine komischen Situationen ableitet. THE PRIVATE EYES war der Film, der Hui als Komödien-Auteur einem größeren Publikum bekannt machte. Er spielt darin den fiesen wie erfolglosen Chef eines Detektivbüros, kongenial zur Seite steht ihm sein Bruder Sam als ausgebeuteter Nachwuchsdetektiv. Der singt auch den unwiderstehlichen Titelsong, eine Pop-Ode an die Angestellten dieser Welt, die zum Lohn für ihre Plackerei nichts als „Hühnerfutter“ ernten.
SIK SAN (The God of Cookery, Stephen Chow, Hongkong 1996, 8. & 26.3.) ist mo lei tau (wörtl.: „Was soll das?“) im besten Sinn: eine Nonsens-Komödie von Stephen Chow, dem Meister dieses sehr speziellen chinesisch-kantonesischen Genres. Diesmal dreht sich alles um die Kunst des Kochens, ob auf lokalen Street-Food-Märkten oder im medial inszenierten Wettbewerb von Profiköchen. Stephen Chow – ja, so heißt er auch im Film – ist der God of Cookery. Allerdings verliert er seinen Titel, als er von seinem Assistenten vor laufenden Kameras als Schwindler bloßgestellt wird. Noch einmal will er an die Spitze zurückkehren! Der Aufstieg jedoch ist lang und beschwerlich – wer nicht aufgibt, bekommt nicht nur würzig-orgasmische Hackbällchen zur Belohnung, sondern auch einen Kuss. THE GOD OF COOKERY ist eine Parodie auf die damals in Hongkong boomenden TV-Kochshows und zugleich Hommage an die Slapstick-Komödien der Hui-Brüder aus den 70er Jahren.
DONG FU REN (The Arch, Tang Shu Shuen, Hongkong 1970, 9. & 16.3.) Tang Shu Shuen hat in den 70er Jahren vier singuläre Arbeiten realisiert und ist danach als Filmemacherin verstummt. THE ARCH, basierend auf einer Volkssage, war ihr Debütfilm: ein elegisches Melodram vor historischem Hintergrund, gefilmt von Satyajit-Ray-Kameramann Subrata Mitra und geschnitten u.a. vom US-amerikanischen Dokumentarfilmer Les Blank. Die unglückliche Madam Tung (Lisa Lu) muss, ihren Kindern zuliebe und um der herrschenden Sittlichkeit willen, ihr Verlangen nach Captain Yang (Roy Chiao) im Zaum halten. Weil das weibliche Begehren überall von archaischen Normen umstellt ist, verlängert und entlädt es sich in die Umwelt – ein schwelgerischer, verzweifelter Film.
BOON BIN YEN (Ah Ying, Allen Fong, Hongkong 1983, 9.3.) Hui So Ying übernimmt in AH YING die Titelrolle einer jungen Frau, deren Leben sich zwischen zwei Welten abspielt: Einerseits lebt sie gemeinsam mit ihrer Familie in ärmlichen Verhältnissen und arbeitet im Fischgeschäft ihrer Eltern; andererseits möchte sie Schauspielerin werden und schreibt sich dafür, über -Umwege, in einer Filmschule ein. Dort unterrichtet Cheung Chung Pak (Peter Wang), ein ehrgeiziger Filmemacher, dessen Karriere in eine Sackgasse zu geraten droht. Die wechselseitige Faszination, die die beiden aneinanderbindet, vereindeutigt sich nie zu einer klassischen Liebesgeschichte. Allen Fongs zweite Regiearbeit gehört zu den schönsten Filmen der Neuen Welle: ein realistisch grundiertes (insbesondere die soziale und räumliche Enge in Ah Yings Elternhaus glaubt man direkt körperlich nachfühlen zu können) Alltagsdrama, das gleichzeitig die Idee von Kino als einem utopischen, alle Barrieren überwindenden Ort aufrechterhält.
SIP SI 32 DOU (Beyond Hypothermia, Patrick Leung, Hongkong 1996, 10.3.) Die Auftragskillerin Shu Li Han (Jacklyn Wu), eine Kriegswaise, hat von Natur aus eine abgesenkte Körpertemperatur. Unterkühlt wirkt auch das isolierte Leben, das sie inmitten der Großstadt führt, und unterkühlt sehen auch die famosen Bilder aus, in die dieser ungemein stilsichere Film seine Geschichte kleidet. Aber sobald Shu Li Han doch einen Menschen – den Nudelverkäufer Long Shek (Lau Ching Wan) – an sich heran lässt, zeigt sich: Im Herzen der Kälte liegt eine Glut verborgen, die bald die ganze Leinwand in Flammen setzen wird. Patrick Leungs Debüt ist ein Schlüsselfilm des Hongkong-Kultkinos der 90er Jahre: Ein perfekt durchgestlytes Action-Melodram, gleichzeitig ein letzter Triumph der goldenen Ära des Hongkongkinos und der Beginn von etwas Neuem – BEYOND HYPOTHERMIA ist die erste Produktion von Johnnie Tos Milkyway Image, der mit Abstand wichtigsten Produktionsfirma in Hongkong nach 1997.
JIANG SHAN MEI REN (The Kingdom and the Beauty, Li Han Hsiang, Hongkong 1959, 11. & 14.3.) Der aus dem chinesischen Nordosten gebürtige Li Han Hsiang kam 1948 nach Hongkong und mauserte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der meistbeschäftigten und vielseitigsten Regiearbeiter, dessen Karriere – erst bei Shaw und später mit seiner eigenen unabhängigen Produktionsfirma Guolian – parallel zu Aufstieg und Fall des klassischen Hongkong-Studiosystems verlief. Mit THE KINGDOM AND THE BEAUTY legte Li einen Grundstein des Huangmei-Opernfilms und erwies sich zugleich als eminenter Stilist des Genres. Ein Hauch von Letter from an Unknown Woman umweht diese bezaubernde Palast-intrige: Eben noch schwört der kindliche Kaiser (Chao Lei) dem Mädchen aus dem Volk (Shaw-Superstar Linda Lin Dai) seine ewige Liebe, im nächsten Moment schon hat er sie wieder vergessen – und lässt sie unwissentlich mit seinem Kind zurück. Werden sie sich je wiedersehen?
BU LIAO QING (Love Without End, Doe Ching, Hongkong 1961, 11.3.) Die 1964 unter tragischen Umständen im Alter von nur 29 Jahren verstorbene Linda Lin Dai war der größte chinesische Filmstar ihrer Zeit. LOVE WITHOUT END gehört zu ihren bekanntesten Filmen und ist auch deshalb zum Klassiker avanciert, weil sich in der Geschichte um die Nachtclubsängerin Qingqing, die ihr Leben einer alles verschlingenden Liebe zu einem willensschwachen Geschäftsmann verschreibt, das fatale Schicksal der Hauptdarstellerin zu spiegeln scheint. Der Shaw-Brothers-Regisseur Doe Ching inszeniert das als ein hemmungsloses Melodram: Jede Szene, jede Dialogzeile, jede Kamerabewegung treibt die Handlung unerbittlich ihrem tragischen Ende entgegen. Dass der Film dennoch in keinem Moment zynisch wirkt, verdankt er vor allem Linda Lin Dais nuanciertem, psychologisch feinfühligem Schauspiel.
SAANG GONG KEI BING (Long Arm of the Law, Johnny Mak, Hongkong 1984, 12. & 19.3.) Eine festlandchinesische Gang auf Raubzug in Hongkong. Johnny Maks fantastischer heist film -beginnt sozialrealistisch, geerdet in fast dokumentarisch anmutenden Aufnahmen von der illegalen Grenzübertretung. Einmal angekommen, steigert er sich zu einem intensiven, von Blut und Adrenalin getriebenen Gangsterdrama, das den heroic bloodshed im Hongkong-Actionkino der Folgejahre vorwegnimmt, ohne jedoch den Boden unter den Füßen zu verlieren. Selbst im Eifer des frenetischen Showdowns – in der Walled City im Stadtteil Kowloon, die Anfang der 90er Jahre der Gentrifizierung zum Opfer gefallen ist – behauptet sich Maks Auge fürs realistische Detail. Räuberleben wie -sterben: ein dreckiges Geschäft.
BA LIANG JIN (Eight Taels of Gold, Mabel Cheung, Hongkong 1989, 13. & 28.3.) ist eines in einer Serie von Migranten-Melodramen, die Mabel Cheung in den 80er Jahren drehte – eines charmanter und unberechenbarer als das nächste. EIGHT TAELS OF GOLD – soviel braucht man, sagt „Slim“ Cheng (Sammo Hung), um als gemachter Mann gelten zu dürfen – ist die Geschichte einer Rückkehr. Slim, der als Taxifahrer in New York arbeitet, will seiner Familie im ländlichen China nach Jahren der Funkstille Besuch abstatten. Der Film beginnt als Roadmovie: Unterwegs durchs Heartland liest Slim seine widerspenstige Cousine „Odds and Ends“ (Sylvia Chang) auf. Zögerlich entspinnt sich zwischen dem ungleichen Paar eine in goldenes Licht getauchte Landromanze. Aber Cheung lässt sich nie festnageln, ihre Filme gleiten leichtfüßig über die Genre-Klaviatur: Vom Slapstick zum herzzerreißenden Melo ist’s nur ein Katzensprung.
AI NU (Intimate Confessions of a Chinese Courtesan, Chor Yuen, Hongkong 1972, 14.3., Einführung: Cecilia Valenti & 22.3.) Gedreht in den 70er Jahren, im Zuge einer Welle von Wuxia-Filmen mit tapferen Frauen in der Hauptrolle, stellt INTIMATE CONFESSIONS OF A CHINESE COURTESAN einen der skandalösen Höhepunkte des Hongkong-Kinos seiner Zeit dar. Ai Nu (Lily Ho, sexy Starlet der Shaw Brothers) wird entführt und an ein Bordell verkauft. Die Herrin über dieses Haus, Chur Yin (Betty Pei Ti), eine Martial-Arts-Expertin und Femme fatale, die „keine -Männer mag“, verliebt sich in den rebellischen Neuankömmling. Hinter kostbaren Organza-Schleiern erwacht eine Leidenschaft, doch die Meisterin-Schülerin-Beziehung wechselt bald vom Boudoir zum Kampfplatz. So spannt der Film den Bogen von einer modernen Rachefantasie gegen das Patriarchat zum Detektivthriller: ein erotisches wuxia, das den Bechdel-Test ohne Mühe bestehen würde.
DOU SAN (God of Gamblers, Wong Jing, Hongkong 1989, 15.3.) Mit GOD OF GAMBLERS begann 1989 eine Zusammenarbeit zwischen Regisseur Wong Jing und Schauspielstar Chow Yun Fat, die bis in die Gegenwart reicht: Die Figur des bis zur Arroganz selbstsicheren Superspielers Ko Chun schlachten die beiden bis heute – in der From Vegas to Macau-Reihe – aus. Am Anfang steht ein klassisches Duell am Spieltisch, bei dem die Würfel durch die Luft fliegen. Bis Ko Chun bei einem Sturz sein Gedächtnis verliert und vom schokoladenversessenen Superspieler zum schokoladenversessenen Superspieler mit dem Betragen eines Teenagers wird. GOD OF GAMBLERS: die Mutter aller Zockerfilme.
JI DONG QI XIA (The Iceman Cometh, Clarence Fok, Hongkong 1989, 16.3.) China zur Zeit der Ming-Dynastie: Mitten im Kampf stürzen Oberschurke Feng San und Palastgardist Fong Sau Ching in eine Bergschlucht. Jahrhunderte später findet eine Gruppe von Wissenschaftlern aus der Volksrepublik die beiden in einem Eisblock wieder. Eine Gelegenheit witternd, ins Ausland reisen zu können, schaffen sie den Eisblock nach Hongkong, wo er durch ein Missgeschick auftaut. Der Kampf setzt sich nach der jahrhundertelangen Zwangspause fort. Hauptdarsteller in Clarence Foks aberwitziger Fantasy-Zeitreise-Komödie THE ICEMAN COMETH sind die beiden Absolventen der renommierten Peking Opera School Yuen Wah und Yuen Biao, der in einer Schauspielklasse mit Sammo Hung war. Mindestens ebenso wie von der Akrobatik dieser beiden lebt der Film jedoch von Maggie Cheung in der Rolle der Polly, die mit stoischer Gelassenheit versucht, Fong Sau Ching die Finessen der Gegenwart beizubringen.
DAO (The Blade, Tsui Hark, Hongkong 1995, 17.3., Einführung: Lorenzo Berardelli & 25.3.) Während der Leiter einer Schwertschmiede sich anschickt, seinen Nachfolger zu benennen, kultiviert dessen Tochter Ling (Song Lei) die Rivalität zweier junger Arbeiter um sie. Doch während der eine, Iron Head (Moses Chan) nach einem Straßenkampf bei ihrem Vater in Ungnade fällt, verliert der andere, Ding On (Vincent Zhao) in einem Kampf seinen rechten Arm – und findet ein neues Leben. THE BLADE zeigt Tsui Hark auf einem ersten Höhepunkt seiner Bildkunst: Gemeinsam mit Kameramann Venus Keung lässt er die Kamera um die Handlung tanzen.
MO (The Boxer’s Omen, Kuei Chih Hung, Hongkong 1983, 18.3.) Es gibt exzentrische Filme, es gibt durchgeknallte Filme, und dann gibt es THE BOXER’S OMEN. Es beginnt noch vergleichsweise harmlos: Ein Boxer aus Hongkong wird von seinem thailändischen Konkurrenten derart brutal vermöbelt, dass er im Rollstuhl landet. Sein Bruder schwört Rache und bucht einen Flug nach Bangkok. Sobald es dem Film gelungen ist, seinen Helden aus dem halbwegs sicheren Hongkong nach Thailand und dort in einen buddhistischen Tempel zu locken, kennt er kein Halten mehr. Man kann das vielleicht so beschreiben: Sowohl die Hauptfigur als auch der Film fangen sich eine transkulturelle Besessenheit ein, von der sich beide nicht mehr erholen. Hinfort ist dem Film nichts mehr heilig, Menschen, Tiere und Götter sind nur noch Materie, die in grotesken, knallbunten Stop-Motion-Spezialeffekten auseinandergenommen und nach Lust und Laune wieder neu zusammengeschraubt werden.
DI SHI PAN GUAN (Taxi Hunter, Herman Yau, Hongkong 1993, 18.3.) beginnt und endet mit einer fatalen Autoverfolgungsjagd durch Hongkong, einmal tags und einmal nachts. Aber auch in der Zeit dazwischen ist diese Stadt keineswegs sicher – wird sie tyrannisiert von soziopathischen Taxifahrern. Eine schwangere Frau wird brutal überfahren, vor den Augen ihres Mannes – dem bis dahin stets unterwürfigen Versicherungsangestellten und Mitarbeiter des Monats Kin (die CAT III-Legende Anthony Wong). Kin schwört Rache und wird zum vigilante, der die neonbeleuchtete Metropole von Taxifahrern „säubern“ will. Konterkariert wird sein Plan vom Subplot um Kins besten Freund, den Hardboiled-Polizisten Kai Chung Yu (Rongguang Yu), der ebenfalls in den Fall verwickelt wird. Wie viele von Yaus Filmen wirft auch TAXI HUNTER wie beiläufig ein Blick auf den Alltag im Polizeimilieu.
SHU JIA EN CHOU LU (The Romance of Book and Sword, Ann Hui, Hongkong/China 1987, 24.3. in Anwesenheit von Ann Hui) Nach dem Sturz der Ming-Dynastie durch die Mandschustämme im Nordosten Chinas im 16. Jahrhundert kämpft eine Geheimgesellschaft namens Rote Blume gegen die von den Mandschu eingesetzten Qing-Herrscher. Gemeinsam mit Uiguren, denen die Qing-Dynastie eine heilige Koranausgabe geraubt hat, nimmt die Geheimgesellschaft den Kampf auf. Ann Hui und Kameramann Bill Wong Chung Piu (Kamera u.a. auch bei CHERIE und EIGHT TAELS OF GOLD) inszenieren den Zweiteiler THE ROMANCE OF BOOK AND SWORD als epischen Historienfilm, der spielerisch zwischen kammerspielhaft intimen Momenten, überwältigenden Landschaftsaufnahmen und spektakulären Kampfszenen wechselt. (lf/np/ft/cv)
In Kooperation mit der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds und das Hong Kong Economic and Trade Office in Berlin.