LA CIÉNAGA (Der Morast, Argentinien/F/E/Japan 2001, 4. & 5.7.) Eine Großfamilie verbringt den Sommer in ihrer maroden Villa auf dem Land. Die Atmosphäre ist schwül und drückend. Die Kinder rennen mit Gewehren herum, die Teenager baden im trüben, fauligen Wasser des Pools. Mecha, die stets alkoholisierte Matriarchin, beschimpft die indigenen Hausangestellten, verachtet ihren Mann und verfolgt TV-Berichte über eine Marienerscheinung. Meistens hängen alle schläfrig herum, eine Trägheit, die mit unterschwelligem sexuellem Begehren aufgeladen ist. In ästhetisch ungemein faszinierender Weise seziert Martels Debütfilm die Lethargie der privilegierten, weißen argentinischen Mittelschicht. Durch genau rhythmisierte, angeschnittene Bilder und hervorgehobene Geräusche – das Klirren von Eis im Glas, das Kratzen von Liegestühlen auf Beton – wird der Stillstand, mit dem sich alle arrangiert haben, zu einer körperlich spürbaren Erfahrung.
LA NIÑA SANTA (Das heilige Mädchen, Argentinien/I/E/NL 2004, 6. & 11.7.) Die 16-jährige Amalia lebt mit ihrer geschiedenen Mutter in einem alten Hotel, das diese mit ihrem Bruder führt. Im katholischen Religionsunterricht geht es um das Thema Berufung – was sie und ihre Freundin Josefina jedoch nicht davon abhält, Zungenküsse zu imaginieren. Als im Hotel ein Mediziner-Kongress stattfindet, nähert sich der Ohrenarzt Dr. Jano Amalia mit sexuellem Interesse ungebührlich an. Daraufhin stellt ihm das „heilige Mädchen“ ihrerseits in einer Mischung aus sexueller und religiöser Erweckung nach, um ihn von der Sünde zu erlösen. Doch auch ihre attraktive Mutter, eine einstige Taucherin mit Hörproblemen, hat ein Auge auf den Arzt geworfen. Von Martel gekonnt verdichtet herrscht im Thermalbad, den Zimmern und der Küche des Hotels eine fatale Atmosphäre aus religiöser Inbrunst, gläubiger Andacht und sexuellem Verlangen.
LA MUJER SIN CABEZA (The Headless Woman, Argentinien/F/I/E 2008, 7.7., in Anwesenheit von Lucrecia Martel & 13.7.) Verónica, eine Frau aus der oberen Mittelschicht mit wasserstoffblond gefärbtem Haar, fährt mit dem Auto von einem Familientreffen nach Hause. Vom Handy abgelenkt verursacht sie einen Unfall. Hat sie einen Hund überfahren? Oder einen der Indio-Jungen, die gerade noch im Kanal gespielt haben? Ohne auszusteigen fährt sie weiter. Betäubt, verwirrt und wie in Trance bewegt sie sich fortan durch ihren Alltag – wobei das niemand merken will und alle den Vorfall herunterspielen. Als sie sich von ihren Angehörigen schon fast hat überzeugen lassen, dass nichts passiert ist, wird die Leiche eines Kindes gefunden. Feine Störgeräusche auf der Tonspur, Unschärfen und Detailaufnahmen vermitteln das Gefühl von Desorientierung und Diffusität. Deutlich zutage treten hingegen eine bourgeoise Gleichgültigkeit, in der für Schuldgefühle kein Platz ist, sowie die sozialen Hierarchien der argentinischen Gesellschaft.
ZAMA (Argentinien/BR/E 2017, 10.7., in Anwesenheit von Lucrecia Martel) Ramponierte Perücken über den schweißnassen Gesichtern der Eroberer, Lasten tragende Sklaven und Luft fächernde Diener, Vogelstrauß und Lama – eine spanische Kolonie in Lateinamerika, Ende des 18. Jahrhunderts. Don Diego de Zama, ein in Südamerika geborener Beamter der spanischen Krone, ist an einem entlegenen Posten in der Provinz stationiert. Er wartet sehnlich auf seine Versetzung, doch der Bescheid des Königs bleibt aus. Auch die verführerische spanische Gräfin lässt ihn abblitzen. Nach Jahren des vergeblichen Wartens beschließt er, mit einer Gruppe Soldaten einen Banditen zu jagen und begibt sich ins Herz der Finsternis – eine in umwerfenden Totalen gefilmte Sumpflandschaft. Basierend auf dem 1956 erschienenen Roman von Antonio de Benedetto erzählt Martel mit komplex gestalteten Bildern und Tönen von Lust, Natur und Gewalt, von Stillstand, Wahn, Delirium und den Strukturen von Kolonialismus und Rassismus.
AÑOS LUZ (Light Years, Manuel Abramovich, Argentinien/BR/E 2017, 12.7.) Sie sei Lichtjahre davon entfernt, die Hauptfigur in einem Film zu sein, antwortete Lucrecia Martel auf die Frage, ob Manuel Abramovich sie mit der Kamera bei den Dreharbeiten zu ihrem Film ZAMA begleiten dürfe. Das Projekt kam doch zustande. Rot eingerahmte Szenen aus ZAMA stehen neben Beobachtungen von Lucrecia Martel bei der Arbeit: Sie diskutiert die Auswahl von Requisiten, begutachtet die Maske, korrigiert bei den Proben die Intonation der Schauspieler. Sie hat genaue Vorstellungen, hört und sieht konzentriert zu und bleibt stets ruhig und gelassen. Mit ihrer Cateye-Brille, dem rosafarbenen Kopfhörer und gelegentlich einer Zigarre hat sie außerdem das Zeug zum Star – und die Hauptrolle in diesem Porträt einer charismatischen Filmemacherin und ihres kreativen Prozesses. (bik)