WALDHEIMS WALZER (Österreich 2018, 19.4., in Anwesenheit von Ruth Beckermann) Als der ehemalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim 1986 für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten kandidierte, kam die Affäre um seine verleugnete NS-Vergangenheit ins Rollen. Anhand von klug ausgewähltem, internationalem TV-Archivmaterial rekonstruiert dieser Kompilationsfilm deren Verlauf. Zu den Positionen der verschiedenen Akteure – Ausschnitte aus Pressekonferenzen des Jüdischen Weltkongresses, Debatten in der UN-Generalversammlung, Anhörungen im US-Kongress sowie Verlautbarungen der Österreichischen Volkspartei und ihres Kandidaten – gesellt sich der subjektiv-analytische Kommentar von Ruth Beckermann. Darüber hinaus ist sie auch mit selbst gedrehten Videoaufnahmen präsent, Dokumente der Gegenöffentlichkeit, die Anti-Waldheim-Aktionen und Streitgespräche mit antisemitisch auftretenden, ressentimentgeladenen Passanten zeigen. Hetze, Verleumdung, Medienschelte und Populismus brechen sich hier Bahn. All das ist lange her, aber noch nicht vorbei.
DIE PAPIERENE BRÜCKE (Österreich 1987, 20.4., in Anwesenheit von Ruth Beckermann & 28.4.) Ein Rabbi beim Schächten von Hähnen, ein Kürschner mit seinen Fellen, Bäuerinnen im Dampfbad, eine Hebräischlehrerin, ein jüdischer Friedhof, eine Chanukka-Feier – Reste des einst blühenden jüdischen Lebens im Osten Europas. Auf ihren Reisen in die Bukowina und den Norden Rumäniens, nach Tel Aviv und zum Set eines TV-Drehs in Jugoslawien, bei dem sie Komparsen im nachgebauten Ghetto Theresienstadt zuhört, stellt Ruth Beckermann die Frage: Wer sind wir, die Kinder der Überlebenden? Ausgehend von Spuren ihrer eigenen Familiengeschichte und von Wien, wo ihre Großmutter den Krieg überlebte, indem sie sich stumm stellte und untertauchte, wohin ihre Mutter aus Israel zurückkehrte, und wo ihr Vater nach dem Krieg im Textilviertel Fuß fasste, kehrt sie dorthin auch wieder zurück: ins Wien des Jahres 1986, wo Sympathisanten von Kurt Waldheim Antisemitismus und Faschismus am Werk zeigen.
THOSE WHO GO THOSE WHO STAY (Österreich 2013, 20.4., in Anwesenheit von Ruth Beckermann & 23.4.) Fußballbegeisterte nigerianische Asylbewerber in Süditalien, Emigranten in Paris, Mädchen beim Minigolf, ein Koffer mit alten Puppen, eine Menschenschlange, die sich einen Bergpfad hinaufwindet, Gespräche über das Prinzip Zufall und über den Satan, eine Passage mit Herrn Zwilling, dem jüdischen Lehrer aus Czernowitz, die Erinnerung der betagten Mutter an ihre Flucht aus Österreich im Jahr 1938 – dieser skizzenhafte Film erzählt in radikal persönlicher Form vom Unterwegssein, in Europa, rund ums Mittelmeer und im eigenen Lebenslauf. Er spinnt eine Assoziationskette um die Themen Flucht, Exil, Migration mit vielen losen Enden, integriert auch Aufnahmen und Motive aus Beckermanns Archiv oder früheren Arbeiten und ist Ausdruck einer Denkbewegung zwischen eigener Identität und ihren geschichtlichen und sozialen Bezügen.
DIE GETRÄUMTEN (Österreich 2016, 21.4., in Anwesenheit von Ruth Beckermann & 28.4.) Eine junge Frau (Anja Plaschg) und ein junger Mann (Laurence Rupp) lesen in einem Studio des Wiener Funkhauses aus dem fast 20 Jahre währenden Briefwechsel (1948–1967) des Liebespaars Ingeborg Bachmann und Paul Celan, bedeutende Vertreter der deutschsprachigen Lyrik nach 1945. Man hört Sehnsucht, Vorwürfe, Zweifel, von Nähe und Fremdheit, Trennungen und langen Perioden des Schweigens. Man spürt das Ringen um die Worte. Was sie auslösen, sieht man den Gesichtern der Vortragenden an. Nicht nur der Text, auch seine Wirkung wird aufgeführt – und bisweilen diskutiert. Die Intensität des Beziehungsdramas zwischen der Österreicherin und dem Juden aus Czernowitz stellt sich über die faszinierende Sprache, die Präsenz der Akteure und durch Kamera und Montage her, die den Dialog mit wechselnden Perspektiven und Einstellungsgrößen auflösen. Pausengespräche beim Rauchen, in Treppenhaus und Kantine, weisen in die Gegenwart. Die Geschichte, die stärker war als die Liebe, gerät dabei nicht aus dem Blick.
JENSEITS DES KRIEGES (Österreich 1996, 22.4., Einführung: Bert Rebhandl & 26.4.) 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gastierte die vom Hamburger Institut für Sozialforschung organisierte Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ in Wien. Ohne deren Räume je zu verlassen und ohne Bilder der Ausstellung zu zeigen, beobachtet und befragt Ruth Beckermann die Besucher, und zwar ausschließlich jene, die potentiell Zeitzeugen, Kriegsveteranen von der Ostfront bzw. ehemalige Wehrmachtsoldaten sind. Deren seriell montierte Aussagen reichen von Ausreden, Rechtfertigungen, Opportunismus, Unverständnis bis hin zu offener Ablehnung. Scham und Bedauern kommt gelegentlich auch vor. Die Auseinandersetzungen um Wissen und Nicht-Wissen, Erinnern und Vergessen, um Täterschaft, Schuld und Verantwortung verdichten sich zur Bestandsaufnahme einer ganzen Generation.
NACH JERUSALEM (Österreich 1991, 23.4.) Ein Mosaik aus Impressionen, Begegnungen und Gesprächen entlang der Straße von Tel Aviv nach Jerusalem: ein arabischer Ingenieur, der in Israel nur als Tankwart arbeiten kann, Teigherstellung in einer orthodoxen Bäckerei, Bauarbeiter aus Gaza, ein Nähkurs an einer religiösen Schule, ein Spielwarenhändler, der seine Familie in Auschwitz verloren hat, frisch zugezogene russische Jüdinnen, Äthiopierinnen ohne Fremdsprachenkenntnisse, Moscheen ohne Strom. Aus dem Off künden Schüsse und Radionachrichten von der Intifada. Was ist aus dem Traum von der jüdischen Heimat geworden? Durch die mit Tschaikowskys „Sérénade mélancolique“ als wiederkehrendem Motiv versehenen Momentaufnahmen scheint die alte Sehnsucht auf, für die es keinen realen Ort gibt: Am Ende des dokumentarischen Road Movies steht eine Tankstelle mit Elvis-Devotionalien – und nicht Jerusalem.
AMERICAN PASSAGES (Österreich 2011, 24. & 29.4.) Eine Reise durch die USA. Sie beginnt in New York, am Tag der Wahl Barack Obamas, und endet am Roulettetisch in Las Vegas. Dazwischen liegen zwei Jahre und eine Sammlung von unzähligen Begegnungen und Beobachtungen in elf US-Bundesstaaten: desillusionierte Irak-Veteranen, homosexuelle Adoptivväter, schwarze Richterinnen, weiße Partylöwen, Kinder im Schulunterricht, eine Hochzeit, eine Versammlung von Evangelikalen, weibliche Häftlinge aus einem Anti-Drogen-Programm, Charity Ladies, Privathäuser, deren Pfändung bevorsteht, Universitäten, Supermärkte, Gedenkstätten, Diners, Tankstellen, Highways. Ein episches Panorama aus der Perspektive einer Europäerin – und das vielstimmige Porträt eines Landes, das Streben nach Glück in Zeiten der Krise als Grundrecht in seiner Verfassung verankert hat.
WIEN RETOUR (Ruth Beckermann & Josef Aichholzer, Österreich 1983, 25.4.) Der Sozialist und Jude Franz West (1909–85), der vor der Emigration Weintraub hieß, erinnert sich an seine Jugend in Wien von 1924 bis 1934. Er berichtet von der vielfältigen jüdischen Bevölkerung der „Mazzesinsel“, seiner Fußball-Begeisterung, seinem Engagement in der Arbeiterbewegung des Roten Wien, vom Aufstieg des Austrofaschismus und Nationalsozialismus und seiner Flucht ins Exil. Ergänzt mit damals noch unbekannten fotografischen und filmischen historischen Dokumenten wird aus Wests sorgfältig abwägenden Formulierungen und seiner einprägsamen Stimme eine große Erzählung zwischen Subjektivität und präziser Reflexion. Das Schicksal eines Einzelnen, das, wie er selbst sagt, von Tausenden anderen auch erzählt werden könnte und bei dem das Private und das Politische untrennbar verbunden sind. Eine Zeitreise in die österreichische Zwischenkriegszeit.
EIN FLÜCHTIGER ZUG NACH DEM ORIENT (Österreich 1999, 25.4.) Bilder aus Ägypten: ausgedehnte Kamerafahrten durch die Straßen von Kairo, Cafés, Basare, Hotels und Gärten, Aufnahmen aus der Wüste und vom Meer. Ruth Beckermann ist auf den Spuren der österreichischen Kaiserin Elisabeth („Sissi“) unterwegs, die rastlos durch die Welt reiste und mehr als 100 Jahre vor ihr das Land inkognito besucht hat. Da sich Elisabeth ab ihrem 31. Lebensjahr nicht mehr fotografieren ließ, provoziert sie Projek-tionen und Imaginationen. Mit Auszügen aus Briefen der Kaiserin, ihres Gemahls und ihres Vorlesers sowie dem Kommentar der Filmemacherin aus dem Off versehen, überlagern sich in diesem Essayfilm 19. und 20. Jahrhundert, die subjektive Konfrontation mit dem Fremden – der Kaiserin wie dem Land – und der Versuch, einen orientalistischen Blick zu reflektieren. „Manchmal werden alle Zeitschichten auf wenigen Kilometern sichtbar“, heißt es.
HOMEMAD(E) (Österreich 2001, 27.4.) Vom Sommer 1999 bis zum Frühling 2000 unternahm Ruth Beckermann Ausflüge vor die eigene Haustür und erkundete ihre unmittelbare Nachbarschaft, die Marc-Aurel-Straße im 1. Wiener Bezirk, mit der Kamera. Da ist das Café Salzgries mit seinen Stammgästen. Da ist Adi Doft, der letzte jüdische Großhändler im ehemaligen Textilviertel und da ist der iranische Hotelier. Es ist wie auf dem Dorf, jede/r kennt jede/n. Bei zufälligen Begegnungen spricht man über den Alltag in der Straße – doch auch die Vergangenheit findet ihren Weg in den Film, genauso wie die politische Aktualität: Dass das Land gerade eine schwarz-blaue Regierung unter Beteiligung der rechtspopulistischen FPÖ gewählt hat, wirft einen Schatten auch ins Kaffeehaus.
ZORROS BAR MIZWA (Österreich 2006, 27.4.) Mit der Bar Mizwa wird die Schwelle zur Welt der Erwachsenen überschritten. An der Klagemauer oder im Rampenlicht einer Showbühne, im Zorro-Kostüm oder im Designerkleid – dass das Initiationsritual ganz unterschiedlich gestaltet und inszeniert werden kann, zeigt sich an vier Zwölfjährigen aus Wien mit je unterschiedlichem familiärem Hintergrund, von streng orthodox bis völlig assimiliert. Neben Oberrabbiner und Kantor kommt dabei auch einem Bar-Mizwa-Filmer eine besondere Rolle zu: Er dokumentiert die Feier und dreht Clips mit den Teenagern, in denen diese sich selbst in Szene setzen können. Ruth Beckermann wirft einen ironischen Blick auf die jüdische Tradition und ihre Interpretationen, interessiert sich mehr für Fragen der (Selbst-)Repräsentation als für die Religion und zeigt das Wiener Judentum in seiner religiösen und ethnischen Vielfalt. (bik)
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Österreichischen Kulturforum Berlin.