THE HOUSE OF MIRTH (GB/USA/F/Belgien 2000, 1. & 7.4.) Scheinbar souverän bewegt sich die junge, unverheiratete Lily Bart (Gillian Anderson) auf dem Parkett der New Yorker High Society zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei befindet sie sich in einer unaufhaltsamen Abwärtsspirale. Anstatt eine Vernunftehe einzugehen, hofft sie auf Liebe und Romantik, und bringt sich durch Spielschulden in fatale Abhängigkeiten. Nach einem Roman von Edith Wharton erzählt Davies die Tragödie einer Frau, deren Kampf um Selbstbestimmtheit in einer Welt, die von sozialen Zwängen, Konventionen und ungeschriebenen Gesetzen bestimmt wird, vergebens ist. „Wie Wharton blickt auch Davies durch ein Mikroskop auf die Feinmechanik der Konventionen und präpariert damit jenes Herrschaftsinstrument der Oberschicht heraus, dem Lily Bart in aller Unschuld zum Opfer fällt. Aus Blicken, Gesten, Worten setzt sich die Mühle zusammen, die stetig und gnadenlos die Seele einer Frau zermalmt, die von der Freiheit sich, sekundenkurz, zu träumen erlaubte.“ (Alexandra Seitz)
THE NEON BIBLE (USA/GB 1995, 2.4.) ist in einem Provinznest in den Südstaaten der USA zur Zeit der Großen Depression angesiedelt. Armut und Gewalt prägen das Leben des jungen David, dessen Eltern sich auf ihrer Farm nur mühsam durchschlagen. Wichtigste Bezugsperson ist seine Tante Mae (Gena Rowlands), die als gescheiterte Sängerin in die Familie zurückkehrt und noch immer einen Hauch von Glamour verströmt. Die Männer in dieser Welt kommunizieren durch Gewalt, Drohungen und religiöse Versprechungen, die Frauen, die sich dagegen auflehnen, zahlen einen hohen Preis. Zwischen träumerischen Bildern und alptraumhaften Geschehnissen situiert Davies seine erste Adaption eines fremden Stoffes, deren Motive denen seiner früheren Filme verblüffend ähneln. Mit dem Bild des im Zug sitzenden David, der seiner Familie und den herrschenden Verhältnissen entflieht, beginnt und endet der Film. Ein Aufbruch, dessen Gelingen im Dunkeln bleibt.
THE DEEP BLUE SEA (GB/USA 2011, 3.4.) Hester Collyer (Rachel Weisz) verlässt ihren langweiligen Mann und ihre komfortable Mittelschichts-existenz, um mit dem jungen Piloten Freddie zusammenzuleben. Ihre Liebe wird jedoch nicht erwidert und so findet sie sich „between the devil and the deep blue sea“ wieder, zwischen zwei Männern, die ihr beide nicht das erhoffte Glück bringen. Das intensive Kammerspiel um Einsamkeit und unerfüllte Liebe, entstanden nach einem von Terence Rattigan geschriebenen Theaterstück, inszenierte Davies in dunklen, gedeckten Farben und beengt wirkenden Räumen, die den Gefühlszustand seiner Protagonistin widerspiegeln.
THE TERENCE DAVIES TRILOGY (GB 1976–1983, 4.4.) entstand als drei unabhängig voneinander gedrehte und thematisch miteinander verbundene mittellange Filme (CHILDREN, MADONNA AND CHILD, DEATH AND TRANSFIGURATION), die in verdichteten Montagen und mit einem so schonungslosen wie mitfühlenden Blick vom Leben Robert Tuckers erzählen. Der Weg vom gequälten Schulkind zum Erwachsenen, der seine Homosexualität nur versteckt und mit Schuldgefühlen ausleben kann, bis zum einsamen Sterben des alten Mannes zeigt keine Reifung, sondern ein lebenslanges Leiden, das Erlösung erst im Tod findet. So radikal wie der Inhalt ist auch die Form, die in stilisierten Schwarz-Weiß-Bildern und mit einer oft statischen Kamera aus Erinnerungsfetzen und Assoziationsketten die Passionsgeschichte eines Mannes nachzeichnet.
DISTANT VOICES, STILL LIVES (GB 1988, 5.4., zu Gast: Terence Davies) Szenen einer Familie, zusammengehalten durch Lieder, die im Pub und im Wohnzimmer gesungen werden: Im kaleidoskopartigen, keiner Chronologie folgenden Porträt einer Liverpooler Arbeiterfamilie mit zwei Töchtern und einem Sohn in den 40er und 50er Jahren drückt Musik das aus, was die Prot-a-gonist*innen nicht in Worte fassen können – unbändige Freude und unermesslichen Schmerz gleichermaßen. Im Wechsel zwischen unbewegten, tableauartigen Bildern und traumgleichen Kamerafahrten scheint die Zeit gleichsam eingefroren, und das Foto des einst gewalttätigen, nun toten Vaters an der Wohnzimmerwand (das Davies’ eigenen Vater zeigt) macht deutlich, dass die Erfahrungen der Kindheit ein Leben lang andauern.
A QUIET PASSION (GB/Belgien 2016, 6.4., zu Gast: Terence Davies) Von ihren insgesamt 1800 Gedichten konnte die amerikanische Lyrikerin Emily Dickinson (1830–1886) bis zu ihrem Tod nur eine Handvoll veröffentlichen. Obwohl sie ein zurückgezogenes Leben im Haus ihrer Familie in Amherst, Massachusetts führte, zeugen ihre Gedichte von einem weiten Blick und einem reichen inneren Erfahrungsschatz. Davies zeichnet in seinem von Ausstattungskitsch gänzlich freien Film über Emily Dickinson deren Entwicklung nach: Aus der jungen Frau, die sich mit Witz und sprühender Intelligenz Wortgefechte über Politik, Religion und die Rolle der Frau liefert, wird aus Mangel an Verbindung und Intimität eine Person, die sich schleichend aus der Welt zurückzieht. Es gelingt ihm das eindringliche Porträt einer Frau, die für ihre Leidenschaften kämpft und mit der Vergeblichkeit dieses Kampfes hadert – gänzlich unpathetisch, zugleich tief berührend. Immer wieder im Off zu hören sind die von Dickinson – grandios verkörpert von Cynthia Nixon – vorgetragenen Gedichte, die somit einen eigenen Raum bekommen.
THE LONG DAY CLOSES (GB 1992, 8.4.) Filmen als Erinnerungsarbeit: Ein letztes Mal kehrt Davies mit THE LONG DAY CLOSES in die Welt seiner Kindheit zurück, das Liverpool der Arbeiterklasse in der Mitte der 50er Jahre. Erzählt wird aus der Perspektive des zehnjährigen Bud, der ganz aufgeht in der Geborgenheit der Familie: der Mutter beim Singen zuhören, die älteren Geschwister mit ihren Freunden beobachten, Kinobesuche mit der Schwester. Tage, die sich ins Endlose dehnen, untermalt von einem Soundtrack mit Musik von Mahler bis Nat King Cole und Doris Day. Nie wieder war er so glücklich wie zu dieser Zeit, nach dem Tod seines Vaters und vor dem Eintritt in die Oberschule, bekannte Terence Davies in Interviews. Ein Gefühl der Melancholie durchzieht denn auch seinen Film: Trotz seines momentanen Glücks ahnt Bud, dass die Vertreibung aus dem Paradies unmittelbar bevorsteht.
SUNSET SONG (GB 2015, 9.4.) Das schmerzhafte Erwachsenwerden einer jungen Frau in Schottland zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Im Zentrum steht Chris (Agyness Deyn), die zum Studium nach Aberdeen ziehen und Lehrerin werden möchte, sich aber gleichermaßen dem ländlichen Leben zugehörig fühlt. Nach dem Tod ihrer Eltern gibt sie ihre Ambitionen auf, um die familiäre Farm weiterzuführen. Zum ersten Mal spielt die Natur in einem Film von Terence Davies eine wichtige Rolle und wird zur Kraftquelle für seine Protagonistin. Die Weite und Offenheit der schottischen Landschaft steht im Gegensatz zu den beengten Wohnräumen und der Gewalt, die in ihnen herrscht. (al)