LES TOMBEAUX SANS NOMS (Graves Without a Name, Kambodscha/F 2018, 1.11., Einführung: James Burnet & 17.11.) Rithy Panhs jüngste Auseinandersetzung mit der Geschichte Kambodschas verbindet sich mit einer spirituellen und sehr persönlichen Suche nach den Toten seiner Familie, von denen er ohne Begräbnis Abschied nehmen musste. Wie kann Trauer aussehen, wie können die Seelen der Toten, die ohne Grab dazu verdammt sind, richtungslos herumzuirren, ihren Frieden finden? Mittels Fotos, Ritualen und Holzfiguren werden Verbindungen geknüpft und Kontakte in die Totenwelt hergestellt. Rithy Panhs Suche ist Grabungsarbeit: In der Erde lassen sich Knochen, Zähne und Textilien finden, und in den Erzählungen von Überlebenden die immateriellen Überreste des Terrorregimes – Angst und Misstrauen, die nicht vergehen und an Kinder und Enkel weitergegeben werden. Denn die umherirrenden Seelen stehen auch für ein ganzes Land – ein Film als tiefempfundene Trauerarbeit.
UN BARRAGE CONTRE LE PACIFIQUE (The Sea Wall, F 2008, 2.11.) ist eine elegische Literaturverfilmung, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Marguerite Duras, angesiedelt im französischen Indochina der 30er Jahre. Eine lähmende Stimmung liegt über dem Haushalt einer Witwe (Isabelle Huppert) und ihrer zwei an der Schwelle zum Erwachsenenalter stehenden Kinder, die aus dem Gleichklang des Lebens in der Kolonie ausbrechen möchten. Die Mutter kämpft währenddessen ihren eigenen Kampf gegen die Korruption der französischen Kolonialverwaltung. Ihre Reisfelder werden regelmäßig von Meerwasser überflutet und sind somit unbrauchbar. Mit aller Kraft setzt sie sich für ein scheinbar aussichtsloses Projekt ein: einen Damm gegen den Ozean zu erbauen. Gleichzeitig schlägt unter den Einheimischen der Unmut in Gewalt gegen die Kolonialherrschaft um. In opulenten Bildern zeigt Panh die Schönheit der Landschaft und der üppigen Reisfelder, vor denen die Brutalität, aber auch die Sehnsüchte aller Charaktere umso klarer hervortreten.
EXIL (Kambodscha/F 2016, 4. & 23.11.) Ein reduziertes Setting – ein junger Mann allein in einer Holzhütte, in der Tableaus mit verschiedensten Gegenständen auftauchen und wieder verschwinden – dient als Kulisse dieser filmischen Meditation über den Zustand des Exils, der damit einhergehenden Einsamkeit und Isolation und dem anhaltenden Schmerz. Ein poetisch verdichteter Kommentar diskutiert die Wirkung der Roten Khmer auf einen Jugendlichen und die gefährliche Ideologie dieser totalitären Partei. EXIL ist der Versuch, die Vergangenheit zu begreifen, um in der Gegenwart leben zu können, eine Selbstfindung vermittels des Imaginären.
L’IMAGE MANQUANTE (The Missing Picture, Kambodscha/F 2013,| 5. & 21.11.) Zum ersten Mal geht Rithy Panh in seine eigene Geschichte unter den Roten Khmer zurück, als der größte Teil seiner Familie an Hunger und Entkräftigung starb. Mit Hilfe von bemalten Tonfiguren stellt er aus seiner Erinnerung die Szenen nach, von denen er keine Bilder hat – das Leben in Phnom Penh vor dem Einmarsch der Roten Khmer, die blühende kambodschanische Pop- und Filmkultur, später die schwarze Einheitskleidung und kleinste Formen des Widerstands. Kontrastiert mit dokumentarischem Filmmaterial und einem dicht-flirrenden Soundtrack, erzählt er vom Sterben und Überleben und auch von dem, was Kino vermag.
SITE 2 (F 1989, 6.11.) Rithy Panhs erster Film entstand in einem thailändischen Flüchtlingslager gleich hinter der kambodschanischen Grenze. Im Zentrum steht die Erzählung von Yim Om, die, vor Krieg und Elend aus Kambodscha geflohen, mit ihrer Familie im Camp lebt und der Kamera ihre Hütte, ihre wenigen Besitztümer, ihre von der UNO verteilte Nahrungsmittelration zeigt. Wie sie selbst verlässt der Film das Lager nicht, und berichtet von einem Leben, das von erzwungener Untätigkeit und zunehmender Hoffnungslosigkeit geprägt ist, von der Sorge um die Kinder, die von ihrer eigenen Kultur entfernt aufwachsen und den Reisanbau nur aus den Erzählungen der Eltern kennen.
UN SOIR APRÈS LA GUERRE (Eine Liebe nach dem Krieg, Kambodscha/F/CH/B 1998, 12.11.) Rithy Panhs zweiter Spielfilm spielt in dem vom Krieg noch verwundeten Phnom Penh der frühen 90er Jahre, in dem ein fragiler Friede ein-gekehrt ist. Der 28-jährige Soldat Savannah versucht sich nach seiner Rückkehr im zivilen Leben zurechtzufinden. Er verliebt sich in die junge Prostituierte Srey Poeuv, die resigniert feststellen muss, dass ihr nichts gehört, „nicht einmal die Liebe“. Wie lässt sich persönliches Glück und ein Stückchen Normalität in einem zerstörten und von Gewalt geprägten Land finden, wie die Verletzungen der Vergangenheit abschütteln? Von einer melancholischen Stimmung durchdrungen, erzählt Rithy Panh von einem verzweifelten Befreiungsversuch. „Für die Kambodschaner bleibt die Angst ein großes Monster. Mein Film soll ein Film des Widerstands gegen dieses Monster sein.“
S 21 – LA MACHINE DE MORT KHMÈRE ROUGE (S 21 – The Khmer Rouge Killing Machine, Kambodscha/F 2002, 13.11., Einführung: Michael Kienzl) Unter dem Namen „S 21“ wurde eine frühere Schule in Phnom Penh zu einem der gefürchtetsten Internierungs- und Folterlager der Roten Khmer. Wer dort eingeliefert wurde, galt per se als schuldig. In erzwungenen Geständnissen mussten die Opfer ihre „Schuld“ eingestehen, bevor sie ermordet wurden. Rithy Panh bringt zwei der wenigen Überlebenden mit ehemaligen Wärtern zusammen. Gemeinsam rekonstruieren sie die Verbrechen und machen die Exklusionsmechanismen sichtbar, mit denen die Opfer entmenschlicht wurden. Im Nachstellen von Gesten und Bewegungen, die früher zur täglichen Arbeit der Täter gehörten, werden sich diese ihrer Rolle in der Mordmaschinerie bewusst. „In meiner Gedächtnisarbeit hat die Geste einen zentralen Platz. Die prägende Szene, in welcher der Henker die Gesten vornimmt, die er damals gegenüber den Häftlingen ausgeführt hatte, ist in dieser Hinsicht emblematisch. Kritiker haben behauptet, er spiele diese nach, doch es geht nicht um eine Inszenierung: Es sind einfach Gesten, die auf unerklärliche Art mechanisch wiederkommen.“ (Rithy Panh)
LA TERRE DES ÂMES ERRANTES (The Land of the Wandering Souls, Kambodscha/F 2000, 14.11.) In ganz Kambodscha, von der thailändischen bis zur vietnamesischen Grenze, finden 1999 Verlegungsarbeiten der ersten Glasfaserkabel in Südostasien statt. Tagelöhner – landlose Bauern, ehemalige Soldaten, mittellose Familien – finden hier die Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen, auch wenn die mit einfachsten Werkzeugen ausgeführte Arbeit an der modernen Telekommunikation höchst prekär bleibt und die oft erdrückende Armut der Menschen kaum lindern kann. Zudem wird buchstäblich die jüngere Geschichte Kambodschas ausgegraben, wenn bei der Arbeit auf Knochen sowie Granaten gestoßen wird und die Arbeiter*innen über eigene Ängste und Erinnerungen nachdenken.
LES ARTISTES DU THÉÂTRE BRÛLÉ (Das Theater in den Ruinen, Kambodscha/F 2005, 15.11.) Das Nationaltheater von Phnom Penh hat wie durch ein Wunder der destruktiven Gewaltherrschaft der Roten Khmer standgehalten und wurde erst 1994 durch einen Brand zerstört. Heute steht es wie eine offene Wunde in der Stadt, während rundherum gebaut und Phnom Penh in eine moderne Stadt verwandelt wird. In einer Mischung aus Fiktion und Realität zeigt Rithy Panh die Versuche einiger Schauspieler, den Glauben an die Kunst aufrechtzuerhalten und an verlorene Traditionen anzuknüpfen.
DUCH, LE MAÎTRE DES FORGES DE L’ENFER (Duch, Master of the Forges of Hell,Kambodscha/F 2011, 16.11.) Kaing Guek Eav, auch Duch genannt, war von 1976 bis 1979 Leiter des Gefängnisses von S 21 und als solcher verantwortlich für etwa 15.000 Tote. 2009 musste er sich als erster aus der Führungsriege der Roten Khmer vor einem internationalen Gericht verantworten. In einem langen Gespräch, gefilmt in einer einfachen Gefängniszelle, ist Duch bemüht, von sich das Bild des Intellektuellen zu zeichnen, der bloß der Sache der Partei dienen wollte. Ein Film mit und über Worte: Während Duch sich hinter Floskeln versteckt, konfrontiert Panh ihn mit den mörderischen Slogans der Roten Khmer. „Duch weicht aus. Wirft mir kleine Brocken Wahrheit hin. Ich versuche nie, ihn in die Enge zu treiben. Aber er verplappert sich, zwangsläufig. Dank des Kinos kommt die Wahrheit ans Licht: der Schnitt gegen die Lüge.“ (Rithy Panh) (al)
Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des Institut français.