GHAZL AL-BANAT/UNE VIE SUSPENDUE (Samars erste Liebe, Libanon/Frankreich/Kanada 1985, 4.10., zu Gast: Volker Schlöndorff & 9.10.) Die 14-jährige Samar, ein Kind des Krieges, lebt in einem Beirut, dessen Straßen vom Bürgerkrieg und einer allumfassenden Melancholie gezeichnet sind. Eines Tages begegnet sie dem älteren Maler Karim, der sich, vom Leben desillusioniert, ganz seiner kalligrafischen Kunst verschrieben hat. „Eine Konfrontation zweier Welten in surrealen Bildern. Samars träumerische Verliebtheit zu dem zynisch gewordenen Karim erscheint zeitlos und irrational wie die Stadt, die sie umgibt.“ (Blickpilotin e.V.) Jocelyne Saabs Spielfilmdebüt, das sie zusammen mit dem berühmten Drehbuchautor Gérard Brach entwickelte, wurde bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt und zählt zu den Meilensteinen des arabischen Kinoschaffens. Ausschlaggebend für Saabs Hinwendung zur Spielfilmregie war ihre Begegnung und der langjährige Austausch mit Volker Schlöndorff. 1981 war sie Regieassistentin und Produktionshelferin bei den Dreharbeiten zu seinem in Beirut gedrehten Film Die Fälschung. Schlöndorff und seine Cutterin Suzanne Baron berieten Saab auch beim Schnitt von GHAZL AL-BANAT/UNE VIE SUSPENDUE.
KANYA YA MA KAN, BEYROUTH / IL ÉTAIT UNE FOIS BEYROUTH (HISTOIRE D’UNE STAR) (Es war einmal Beirut [Geschichte eines Stars], Libanon/Frankreich/Deutschland 1995, 5.10., zu Gast: Myrna Maakaron & 10.10.) Saab war zeitlebens eine leidenschaftliche Cineastin und initiierte Anfang der 90er Jahre ein Projekt zum Wiederaufbau des libanesischen Filmarchivs. In diesem Zuge sammelte sie über mehrere Jahre hinweg Kopien und Fragmente von Werken der libanesischen Filmgeschichte, die sich durch den Bürgerkrieg in einem desolaten archivarischen Zustand befand. Aus diesem Projekt ging Saabs zweiter Langfilm hervor, der in einzigartiger Weise Spielfilmhandlung und Archivmaterial verwebt und wohl eine der schönsten Liebeserklärungen an das Kino als Medium des Träumens ist. Die zwei jungen Frauen Yasmine (Michèle Tyan) und Leïla (Myrna Maakaron), Muslimin die eine, Christin die andere, möchten die legendäre einstige Schönheit ihrer Heimatstadt Beirut nachempfinden. Zufällig gelangen sie in den Besitz zweier Filmrollen, die sie sich von dem alten Kinobetreiber Farouk vorführen lassen. In einem wunderschönen, halb zerfallenen Filmtheater entführt er sie mit seinen Erzählungen und den projizierten Bildern in eine Zeit, als Beirut ein „Filmstar“ war, Schauplatz für französische Kolonialromantik und Agentenfilme sowie Dreharbeiten von Werner Schroeter, Gordon Hessler und Henry Barakat.
Ein Dokumentarfilmprogramm mit Essayfilmen über Beirut (6.10.) versammelt drei von Saabs eindrucksvollen Reflexionen über den Krieg und seine immerwährende Wiederholung. Nachdem sie sich in den Jahren zuvor einen für das Fernsehen typischen nüchternen Stil der Berichterstattung angeeignet hatte, entwickelte Saab sukzessive eine eigene Filmsprache. Sie zeichnet sich durch die virtuose Vermischung von schonungslosen (Kriegs-)Bildern mit einem lyrischen Off-Kommentar und persönlichen Eindrücken aus. In BEYROUTH, JAMAIS PLUS (Nie wieder Beirut, Libanon 1976) streift sie durch die zerbombte Geisterstadt Beirut, nur ein Jahr nach Beginn des Bürgerkriegs, dem „absurdesten aller Kriege“. LES ENFANTS DE LA GUERRE (Kinder des Krieges, Libanon 1976) mischt sich unter Mädchen und Jungen in Beirut, die kindlich-sorglos mit Spielzeugwaffen die grausamen Kriegshandlungen von morgen simulieren. Zu Beginn von BEYROUTH, MA VILLE (Beirut, meine Stadt, Libanon 1982) steht Saab selbst vor ihrem abgebrannten Elternhaus und versucht, den Tränen nah, den Verlust mit einer gleichsam journalistischen Objektivität zu beschreiben. Es folgt eine Bestandsaufnahme der conditio humana in Beirut während der Belagerung durch die israelische Armee im Juli 1982 sowie nach sieben Jahren Bürgerkrieg.
DUNIA – KISS ME NOT ON THE EYES (Ägypten/Libanon 2006, 7. & 11.10.) Nach Abschluss ihres Literaturstudiums in Kairo möchte die 23-jährige Dunia, dem Vorbild ihrer Mutter folgend, Tänzerin werden. Gleichzeitig ist die lebenshungrige Frau fasziniert vom Sufismus und seiner Poesie. Mit dem Schriftsteller Beshir (Mohamed Mounir) erfährt sie die Freuden der Sinnlichkeit, wobei sie zugleich lernt, mit einer aus ihrer Kindheit stammenden Verletzung umzugehen. Saabs Film konnte wegen seiner brisanten Themen, vor allem wegen der Thematisierung der in Ägypten seit 1997 eigentlich untersagten Mädchenbeschneidung, nur mit Mühen finanziert werden. Gerade in der leidenschaftlichen Darstellung weiblicher Sexualität und Emanzipation wollte Saab ein bewusstes Zeichen gegen die schon damals fühlbaren konservativen Tendenzen in der muslimischen Welt setzen. Kurz vor dem geplanten Kinostart in Ägypten wurde DUNIA – KISS ME NOT ON THE EYES von den Behörden verboten und Saab erhielt Todesdrohungen von Fundamentalisten. Indessen war der rauschhafte, auch musikalisch reiche Film weltweit auf Festivals zu sehen und machte Saabs Namen einem breiteren Publikum bekannt.
Ein weiteres Dokumentarfilmprogramm (8.10., Einführung: Viola Shafik) versammelt zwei von Saabs jenseits ihrer Heimat entstandenen dokumentarischen Arbeiten, und untermauert, wie grenzüberschreitend ihr Blick auf Menschen und Gesellschaften war. Ob im Iran, in Algerien, Ägypten oder der Sahara – sie erblickt die Ähnlichkeiten zwischen den Schicksalen und Hoffnungen der Völker. In ÉGYPTE, CITÉ DES MORTS (Ägypten, Totenstadt, Ägypten 1977) porträtiert sie Kultur und Gesellschaft Ägyptens, der „Mutter der Welt“, zwei Jahre nach Einführung von Sadats Infitah-Politik und unmittelbar nach den sogenannten Brotunruhen. Der Reichtum der Oberschicht kontrastiert mit dem Leben jener Million Einwohner, die inmitten eines riesigen Friedhofs leben. Der berühmte blinde Sänger Sheikh Imam fungiert dazwischen wie ein Orakel. LE SAHARA N’EST PAS À VENDRE (Die Sahara wird nicht verkauft, Frankreich/Marokko/Algerien 1977) dokumentiert das Wüstenleben der Sahrauis und den Kampf der Frente Polisario in der Westsahara. Trotz aller offensichtlichen Sympathie für sie gelingt Saab eine beeindruckend umfassende Darstellung des Konflikts, die auch die Gegner der Frente zu Wort kommen lässt. (gv)
Mit Dank an die Association des Amis de Jocelyne Saab und LSP Medien, Uelzen.