Direkt zum Seiteninhalt springen

1974 trafen sie sich in Köln. Beide hatte sie Germanistik studiert; Peter Goedel war übers Theater zum Fernsehen gekommen. Wolfgang Höpfner und Thomas Lichte hatten aus Hannover ein Skript mitgebracht, und dank des technischen Know-hows von Peter Goedel entstand GRUSELKRIMIS IN DER HAUPTSCHULE. Alle drei machten zwei Jahre später den Spielfilm WAS ELTERN FORDERN UND KINDER LEISTEN. Danach trennten sich ihre Wege. Peter Goedel wurde als Film- und TV-Regisseur ein Essayist und poetisch Forschender obersten Ranges; Wolfgang Höpfner begann ein Studium an der DFFB. Schon lag der „Deutsche Herbst“ in der Luft; der Prozess gegen Roland Otto und Karl Heinz Roth führte den Filmstudenten Höpfner nach Köln, wo er mit Norbert Weyer zusammen das Material für die beiden Filme zum politischen Untergrund drehte: ZWEI PROTOKOLLE und VOR 4 JAHREN – VOR 2 JAHREN (1977–79). 1983 entstand sein Abschlussfilm: DER EWIGE TAG. Mit ihm hat Wolfgang Höpfner, um mit Godard zu sprechen, „die Zentralregion betreten“: Er erfindet die „Passerelle“, aus dem architektonischen wird ein filmischer Raum, in dem sich musikalische und literarische Welten eröffnen.

Peter Goedels Filme haben dieselbe große Affinität zur Musik und zur Literatur. In seinem weitgespannten Œeuvre, das zwischen Essay, Dokument und Spielfilm changiert, finden wir die besondere Art des Denkens und Fühlens zu Zeiten der alten BRD aufbewahrt, im lebendigen Augenblick: Der Astrophysiker in RÜCKKEHR ZU DEN STERNEN teilt nicht nur sein Wissen mit, sondern er bringt auch Neues hervor durch die Eigentümlichkeit seines konzentrierten Sprechens; und in den stillen Räumen von Rudis neuer Behausung (HINTER DEN ELBBRÜCKEN) wird die Weite des offenen Meeres spürbar.

GRUSELKRIMIS IN DER HAUPTSCHULE (Peter Goedel, Wolfgang Höpfner, Thomas Lichte, BRD 1974, 1.10., in Anwesenheit von Peter Goedel und Wolfgang Höpfner) Ein Neubaugebiet am Rande Hannovers. In der Schule versucht die Lehrerin vergeblich, ihre Schüler für Literatur zu interessieren; aber Wolfgang Borchert, Friedrich Dürrenmatt und Günter Wallraff entlocken ihnen nur ein müdes Lächeln. „Was lest Ihr denn gern?“, fragt die Lehrerin. „Bravo“, sagt ein Mädchen, „Gruselkrimis“, ein Junge. So kommt es denn zu einer bemerkenswerten Deutschstunde, in der jede Geste und Aktion für die Lehrerin zum Signal aus der Welt wird, in der diese Jugendlichen leben.

WAS ELTERN FORDERN UND KINDER LEISTEN (Peter Goedel, Wolfgang Höpfner, Thomas Lichte, BRD 1976, 1.10., in Anwesenheit von Peter Goedel und Wolfgang Höpfner) Was fordern Eltern? Vor allem mehr Hausaufgaben für ihre Kinder, denn jene Eltern, die die Versammlung in einer Kölner Grundschule besuchen, sind allesamt wohlsituiert und machten sich aus schmucken Einfamilienhäusern hierher auf den Weg. Als Prügelknabe dient ihnen ein junger Lehrer, der sich nunmehr zu einer Hochhaussiedlung am Stadtrand begibt, wo er bei den resignierten Eltern seiner lernschwachen Schüler anklopft und so, wie ein Ingenieur, den Hebel neu ansetzt.

HINTER DEN ELBBRÜCKEN (Peter Goedel, BRD 1986, 2.10.) Sobald der ehemalige Fernfahrer die Elbbrücken überquert hatte, wäre er am liebsten sogleich wieder umgekehrt und zurückgefahren nach Hause, in den Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein. Dort baut er seit nunmehr zehn Jahren ein altes Bauernhaus für sich und seine kleine Familie um. Am Ende sieht er sich durch die Schönheit der Wohnräume belohnt. Trotzdem ist er nicht nur zufrieden, sondern auch unzufrieden. Mit Freunden unternimmt er an Bord der „Kehrwieder“ eine Schiffsreise in unruhige dänische Gewässer.

DER EWIGE TAG (Wolfgang Höpfner, BRD 1983, 4.10.) Von morgens bis abends sind in der Passerelle, Hannovers unterirdischer, von Billigläden gesäumter Meile, die den Hauptbahnhof mit dem Geschäftsviertel der City verbindet, Leute unterwegs. Hier gibt sich ein Flaneur, Wolfgang Höpfner, seinen Eindrücken hin. Dabei zieht er Gestaltetes – eine Musik, ein Stück Literatur – in diesen Transitbereich mit hinein. Er selbst rezitiert Passagen aus Büchern, wobei das Protokollarische seines Sprechens den Eindruck einer „Karawane der Wörter“ hervorruft, die, wie die Passanten im Bild, an ihm vorüberzieht.

ZWEI PROTOKOLLE (Wolfgang Höpfner, Norbert Weyer, BRD 1978, 5.10.) Ein Gefängnis, fernab von der nächsten Stadt in die Landschaft gestellt. In die Gegend, wo es steht, fährt keine Bahn und kein Bus. Obwohl es von bewaldeten Flächen umgeben ist, dringt kein Laut von dort zu den dicken Betongittern, zwischen denen hier und da ein sonst unsichtbarer Mensch die Arme hinausstreckt. Die Bewachung erfolgt elektronisch, Karl Heinz Roth, Arzt und Schriftsteller, der in die Geschehnisse von VOR 4 JAHREN – VOR 2 JAHREN involviert war, gibt zu den stummen Bildern eigene Knasterfahrungen zu Protokoll.

DER EINSAME WANDERER (Philip Sauber, BRD 1968, 5.10.) „Ein einsamer Wanderer kommt zu einem herrschaftlichen Anwesen und fragt nach einer Unterkunft für die Nacht …“: Hommage an Carl Theodor Dreyer (1889–1968), an dessen Hell-Dunkel sich der Film orientiert. Bilder, die für das Geistige durchscheinend sind. Als Fährmann wird der Wanderer zum Vorboten des Todes.

VOR 4 JAHREN – VOR 2 JAHREN (Wolfgang Höpfner, Norbert Weyer, BRD 1977–79, 6.10.) Vor vier Jahren: die Schießerei auf einem Kölner Parkplatz, bei der Philip Sauber, der an der DFFB den vielversprechenden Film DER EINSAME WANDERER gemacht hatte, von der Polizei erschossen wurde; vor zwei Jahren: der Prozess gegen Karl Heinz Roth und Roland Otto, die des Mordes an einem der beteiligten Polizisten angeklagt waren. Polizei, Sensationspresse, Justiz: Ein diffiziles Gefüge wird aufgehellt; der punktuell eingesetzte gesprochene Kommentar trägt mit zur Schönheit der frühen, träumerischen Meisterschaft dieses Films bei.

RÜCKKEHR ZU DEN STERNEN. ÜBER SCIENCE UND FICTION (Peter Goedel, BRD 1983, 8.10.) Impressionen aus der Welt der Science-Fiction bilden den Kontrapunkt zu drei großartig in Szene gesetzten Begegnungen mit dem Astrophysiker Reinhard Breuer, der sprechend die Kunst ausübt, das Vielfältige und Ungeheure des Universums in einem guten Ganzen zusammenzudenken. So trifft es sich, dass wir ihn nach einem der Ausflüge des Films ins unwirtliche All in einem idyllischen Biergarten antreffen, wo sich Mutter Erde als schöner Traum darbietet, hingegeben dem Sommertag. (pn)

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)

Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds