REBEL WITHOUT A CAUSE (Denn sie wissen nicht, was sie tun, Nicholas Ray, USA 1955, 1. & 6.8.) Zentrales Werk des „Juvenile delinquency“-Genres, des amerikanischen Vorläufers der deutschsprachigen Halbstarken-Filme. Formale Paten sind die Gangsterfilme der 30er Jahre und der Film Noir. Ausgangspunkt des Films waren umfangreiche Recherchen in Archiven von Jugendbehörden und Polizeistationen. Hier treffen eines Nachts die drei jugendlichen Protagonisten Judy, John und Jim (James Dean) zusammen. Gemeinsam geraten sie in das Mahlwerk tödlicher Gangrituale, hilfloser Eltern und desinteressierter Polizisten.
LOS OLVIDADOS (Die Vergessenen, Luis Buñuel, Mexiko 1950, 2. & 5.8.) Völlig desolat sind die Lebensumstände der Jugendbande um den aggressiven und heimtückischen Jaibo sowie den jüngeren Pedro und dessen überforderte Mutter. Ihre Behausungen im tristen Vorstadtbezirk von Mexico City sind heruntergekommen, die menschlichen Beziehungen zerrüttet. Zum (all)täglichen Überlebenskampf gehören Diebstahl und Prügeleien bis hin zum Mord. Schonungslos und unerbittlich zeigt Buñuel die rohe Rebellion der jungen Generation.
SEDMIKRÁSKY (Tausendschönchen, Věra Chytilová, ČSSR 1966, 3. & 8.8.) Zwei gelangweilte, unzertrennliche Mädchen, Marie I und Marie II, beschließen angesichts der moralischen Verdorbenheit der Welt, selbst ein „pervertiertes“ Leben zu führen. Sie lassen sich von Männern zum Essen einladen und machen sich dann aus dem Staub, sie veranstalten ein Festmahl mit aus Illustrierten ausgeschnittenen Bratenstücken, stecken Papiergirlanden in Brand und verwüsten ein in einem Saal aufgebautes üppiges kaltes Büffet: ein anarchistisches, ausschweifendes Zerstörungsfest wider alle Normen.
IKIRU (Einmal richtig leben, Akira Kurosawa, Japan 1952, 4. & 13.8.) Watanabe, ein kleiner Beamter (Takashi Shimura) kurz vor der Pensionierung, erfährt, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist. Aus der Erkenntnis, sein Leben in der Verwaltung vertan zu haben, wirft er sich frontal gegen die Mühlen der Bürokratie, um im Versuch, „einmal richtig zu leben“, einen Sumpf trockenzulegen und dort einen Spielplatz einrichten zu lassen. Am Schluss des Films steht eine visionäres Bild: Singend sitzt der alte Aufrührer auf einer Schaukel im herabrieselnden Schnee.
THE GRADUATE (Die Reifeprüfung, Mike Nichols, USA 1967, 9. & 16.8.) Nach einem glänzenden College-Abschluss versinken Bens (Dustin Hoffman) Karriereaussichten als Geschäftsmann im Bermudadreieck von Lethargie, untergründiger Verweigerungshaltung und Unselbständigkeit. Als er sich in die Tochter seiner mütterlichen Geliebten Mrs. Robinson (Anne Bancroft) verliebt, wird er in die Rolle des „accidental rebels“ katapultiert, inklusive rasantem Showdown sowie mehrdeutigem Ende zu den Tönen von Simon & Garfunkels „The Sound of Silence“.
JEUNE FEMME (Montparnasse Bienvenüe, Léonor Serraille, F/B 2017, 10. & 20.8.) „Paula will mit dem Kopf durch die Wand. Ihre Beziehung mit einem Fotografen ist am Ende, zu ihrer Mutter hat sie keinen Kontakt und sogar die beste Freundin hat genug von ihrer chaotischen Art. Ohne Wohnung und Geld, nur mit ihrer Katze als Gefährtin, schlägt sie sich durch in der großen Stadt. Das elliptisch erzählte Spielfilmdebüt reiht in rasantem Tempo Szene an Szene, im Zentrum stets die furiose Hauptdarstellerin Laetitia Dosch.“ (Birgit Kohler)
LES QUATRE CENTS COUPS (Sie küssten und sie schlugen ihn, François Truffaut, F 1958, 11. & 19.8.) Inspiriert von seiner eigenen Lebensgeschichte, erzählt Truffaut vom zwölfjährigen Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud), der in ärmlichen und lieblosen Verhältnissen aufwächst. Nach einer Reihe von Lügengeschichten und kleinen Räubereien landet er in der Besserungsanstalt. Allerlei Fluchtversuche durchziehen den frühen Nouvelle-Vague-Film, der letzte endet am offenen Meer – Antoines Sehnsuchtsort.
I PUGNI IN TASCA (Mit der Faust in der Tasche, Marco Bellocchio, I 1965, 12. & 28.8.) Ein furioser Debütfilm und nicht weniger als ein Frontalangriff auf die italienische Nachkriegsgesellschaft, der die Familie als Keimzelle sozialer und gesellschaftlicher Missstände seziert. Eine verwitwete Mutter lebt mit ihren vier Kindern in einer großbürgerlichen Villa. Narzissmus, Trägheit und Melancholie bestimmen ihr Leben. Alessandros (Lou Castel) Versuch, die erdrückenden Strukturen aufzubrechen, nimmt grotesk zerstörerische Formen an.
PUTJOWKA W SHISN (Der Weg ins Leben, Nikolai Ekk, UdSSR 1931, 13. & 20.8.) Historischer Hintergrund des Films sind die sog. „Besprisorni“ (zu dt.: Verwahrlosten), sieben Millionen Waisenkinder, die Anfang der 20er Jahre in der Folge von Bürgerkrieg und Hungersnöten durch die Sowjetunion irrten. Eine Gruppe solcher junger Obdachloser – gespielt von Laiendarstellern – zieht räubernd durch Moskau. Der parteitreue Erzieher Sergejew versucht, die Truppe trotz zahlreicher Rückschläge an das Ideal des arbeitsamen, disziplinierten und sportlichen Sowjetmenschen heranzuführen.
DER SUBJEKTIVE FAKTOR (Helke Sander, BRD 1981, 14. & 29.8.) West-Berlin, 1967 bis 1970: In einer Mischung aus Spielfilmszenen und Dokumentarfilmaufnahmen, persönliche Erfahrungen und Beobachtungen einflechtend und damit die Subjektivität des Dargestellten betonend, zeigt Sander die Entwicklung der jungen Anni und ihres Engagements innerhalb der Studentenbewegung und der Neuen Frauenbewegung. „Mich interessierte das Verhältnis zwischen Bewegungen, die sozusagen schon institutionalisiert sind und darum ein Machtfaktor, und den Möglichkeiten von Einzelnen.“ (Helke Sander)
GERTRUD (Carl Theodor Dreyer, Dänemark 1964, 15.8.) Dänemark um die Jahrhundertwende: Die großbürgerliche Gertrud verlässt auf der Suche nach der bedingungslosen Liebe ihren Ehemann, sagt sich von ihrem Jugendfreund los und kehrt zuletzt auch ihrem Liebhaber den Rücken. Sie wählt die Einsamkeit, weil ihre respektiven Männer – den Konventionen folgend – ihr lediglich eine Rolle neben den beruflichen Ambitionen zugestehen. So radikal ihre Entscheidung, so entschieden die Reduktion der ästhetischen Mittel in Dreyers letzter Arbeit.
GESCHICHTEN VOM KÜBELKIND (Ula Stöckl/Edgar Reitz, BRD 1971, 17. & 31.8.) Stets in rotem Kleid und rot bestrumpft, sieht es sich alles neugierig an, fragt immer etwas zu viel und nimmt sich, was es begehrt: das Kübelkind (Kristine de Loup). Eine Serie von 22 Kurzfilmen zeigt den unangepassten Findling – aus einer Plazenta gewachsen und in einer Krankenhausmülltonne entdeckt –, der an Pflegeeltern vermittelt oder in die Gesellschaft integriert werden soll, der in die Schule oder in die Kirche geht. Eine in jeder Beziehung cineastische Revolution.
CHEMI BEDNIERI OJAKHI (My Happy Family, Nana & Simon, Georgien/D 2017, 18. & 29.8.) Ein Befreiungsakt: An ihrem 52. Geburtstag verkündet Manana auszuziehen, den Mehrgenerationenhaushalt bestehend aus Ehemann, Eltern, Geschwistern und Kindern gegen eine Wohnung für sich allein einzutauschen. So unaufgeregt wie nachdrücklich und für georgische Verhältnisse revolutionär, entzieht sich die stille Rebellin den turbulenten, familiären Strukturen, den in Stein gemeißelten traditionellen Rollenverhältnissen, dem vermeintlich ausweglosen „running system“.
JAHRGANG 45 (Jürgen Böttcher, DDR 1966, 19. & 25.8.) Nach kurzer Ehe haben sich die Krankenschwester Li und der Automechaniker Al auseinandergelebt. Die Scheidung läuft. Einem diffusen Freiheitsdrang folgend, driftet Al rastlos durch Ost-Berlin, sitzt in Musikkneipen, trifft seine Motorradkumpel, geht arbeiten, grenzt sich ab, fordert Raum. Eine Rebellion mit kleinem „r“, dabei nicht minder ernst und nachdrücklich. Vorfilm: BARFUSS UND OHNE HUT (Jürgen Böttcher, DDR 1964, 19. & 25.8.) Impressionen von jungen Leuten im Sommer an der Ostsee – ein Film, der in seiner spielerischen Leichtigkeit als Provokation aufgefasst wurde.
NORRTULLSLIGAN (Weibliche Junggesellen, Per Lindberg, Schweden 1923, 21. & 24.8., am Klavier: Eunice Martins) Pegg, Baby, Eva und Emmy sind die vier titelgebenden Junggesellinnen, die in Stockholm eine für die damalige Zeit höchst unkonventionelle Wohngemeinschaft bilden, sich gemeinsam in einer von Männern dominierten Welt zu behaupten versuchen und schließlich zum Streik aufrufen. Basierend auf einem Roman der Schriftstellerin und Journalistin Elin Wägner entwirft Per Lindberg eine emanzipatorisch grundierte, vergnügliche Gesellschaftskomödie.
SEISHUN ZANKOKU MONOGATARI (Naked Youth, Nagisa Oshima, Japan 1960, 22. & 30.8.) In seinem zweiten Film setzt sich Oshima, wichtigster Vertreter und gleichzeitig Enfant terrible der japanischen Nouvelle Vague, radikal, schrill und hart vom etablierten japanischen Kino ab. Gleichermaßen entziehen sich die Protagonisten des Films, der Student Kiyoshi und die Gymnasiastin Miyuki, den Eltern, der Polizei, der Tradition. Das junge Liebespaar verdient sein Geld zunächst mit kleinen Gaunereien, driftet aber bald in die Kriminalität ab.
RUMBLE FISH (Francis Ford Coppola, USA 1983, 23. & 26.8.) Hochstilisierte, dunkel-zeitlose Auseinandersetzung mit der Gefühlswelt entfremdeter und verlorener Jugendlicher: Im Doppelpack mit seinem kurz zuvor entstandenen Film The Outsiders konzipiert, umkreist Coppola in RUMBLE FISH ein Brüderpaar: den jüngeren, aggressiv-naiven Bandenanführer Rusty (Matt Dillon) und den melancholischen Motorcycle Boy (Mickey Rourke), die sich zunehmend selbstzerstörerisch in den Rollenstrukturen der Jugendkultur verfangen.
MALENKAJA VERA (Kleine Vera, Wassili Pitschul, UdSSR 1988, 27. & 30.8.) Graue Industriekomplexe, triste Hochhäuser und verwahrloste Brachen sind das Terrain, auf dem sich die junge Generation kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion in ständiger Konfrontation mit Eltern und Obrigkeit selbst zu finden versucht. Auch die 17-jährige Vera stemmt sich mit aller Kraft und drastischen Maßnahmen gegen die heimische Enge, den vorgezeichneten Weg als Telefonistin, gegen die staatliche Kontrolle. (mg)