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Neben der Poesie seiner Landschaftsbeschreibungen und seinen raffinierten Choreografien von Personen und Objekten sind es die Frauenporträts – die Darstellung des oftmals tragischen Lebens von Ehefrauen, Kurtisanen, Schauspielerinnen und immer wieder Geishas –, die sich leitmotivisch durch Mizoguchis Filmografie ziehen. Zwischen Anklage, Mitgefühl, aber zuweilen auch Fatalismus beschreibt Mizoguchi die unerbittliche Härte des Daseins japanischer Frauen, zeigt die Zwänge und Ungerechtigkeit einer starren, frauenfeindlichen Gesellschaftsordnung quer durch die Epochen.

In punkto Stellenwert und Strahlkraft seiner Filme wird Mizoguchi oft in einer Reihe mit seinen Regie-Kollegen Yasujiro Ozu oder Akira Kurosawa genannt. Mizoguchis Filme sind jedoch vergleichsweise selten im Kino zu sehen. Umso mehr freuen wir uns, mit Hilfe einer Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds eine lange überfällige Retrospektive mit 22 Filmen Mizoguchis im Arsenal präsentieren zu können und damit ein Werk von singulärem inszenatorischen, bildlichen und narrativen Reichtum sowie großer emotionaler Tiefe zu erschließen.

UGETSU MONOGATARI (Tales of the Rain and Moon, Japan 1953, 6.12., Einführung: Mark Le Fanu & 13.12.) Im Japan des 16. Jahrhunderts, der Sengoku-Zeit, prägen die Wirren eines schonungslosen Bürgerkriegs das Leben der Menschen. Die Töpfer Genjuro und Tobei wollen die Unruhen nutzen, um ihre Ware auf den Marktplätzen der nächstgrößeren Städte zu verkaufen. Trotz einer warnenden, gleichsam geisterhaften Vision bei einer Flussüberfahrt folgen die beiden Männer ihren Ambitionen, während ihre Frauen Opfer der Kriegsgewalt werden. Mizoguchi verfilmte zwei Geschichten aus einer Sammlung von Gespenstererzählungen des 18. Jahrhunderts und schöpfte für die Inszenierung der lyrisch-fantastischen Elemente aus seiner profunden Kenntnis des No-Theaters. UGETSU MONOGaTARI zelebriert die Möglichkeiten des Schwarzweißfilms und der Kameraführung – eine Quintessenz der hypnotischen Dichte von Mizoguchis Regiekunst.

GION NO KYODAI (Sisters of the Gion, Japan 1936, 7. & 20.12.) In Gion, dem Bezirk der Teehäuser und Etablissements von Kyoto, arbeiten die zwei Schwestern Umekichi und Omocha als Geishas. „Die ältere verkörpert bis in die gehaltene Anmut ihrer Bewegungen den Imperativ der Tradition: die Selbstzurücknahme, das Sich-Fügen, die Beständigkeit, das Mitleid, die Freiheit im Unfreisein. Die jüngere betrachtet Tradition als Last, sieht in ihrem Beruf ein Mittel zum Zweck, ist nüchtern, unabhängig und das, was man, nicht ohne Beiklang von Verachtung, als moga (eine Verballhornung von modern girl) zu nennen pflegt.“ (Harry Tomicek) Bei aller Gegensätzlichkeit der Haltungen geraten beide Schwestern in Konflikt mit ihrer umgebenden Umwelt. Mit GION NO KYODAI (der früher gebräuchliche Titel war GION NO SHIMAI) sowie dem unmittelbar zuvor entstandenen NANIWA EREJI erhielt Mizoguchi nach 13 Jahren intensiver Regiearbeit die Anerkennung als einer der großen Regisseure Japans: Er schafft ein die Handlung extrem konzentrierendes, die soziale Realität klar erfassendes Kino, das seine am Ende in bittereren Worten formulierte Anklage in abstrahierend-atmosphärische Bilder kleidet.

GION BAYASHI (A Geisha / Gion Festival Music, Japan 1953, 7. & 20.12.) Eiko, ein Mädchen vom Lande, möchte eine Ausbildung bei der erfahrenen Geisha Miyoharu beginnen. Diese versucht ihr zu verdeutlichen, dass das Leben einer Geisha nicht nur aus Kunst (gei), Schmuck und Anmut besteht, sondern dass man auch zu einer Person (sha) wird, die den Männern als Objekt ihrer sexuellen Befriedigung zur Verfügung stehen muss. Trotzdem setzt Eiko ihren Willen durch und wird unter dem Namen Miyoei zur meiko, einer Lerngeisha. Ein jahrhundertealtes Genre der japanischen Kunst aufgreifend, reflektierte Mizoguchi im Verlauf seiner Karriere in immer neuen Variationen über die fatale Janusköpfigkeit von Faszination und Grausamkeit des Geishaberufs. Im Gegensatz zu dem thematisch ähnlichen GION NO KYODAI wirkt GION BAYASHI humorvoller, weniger düster, und ist ein spannendes Beispiel für die Entwicklung eines Regisseurs, dessen Filme immer auch hochgradig persönliche Werke waren.

OYU-SAMA (Miss Oyu, Japan 1951, 8. & 16.12.) Die junge Shizu wurde als Braut für Shinnosuke auserkoren. Am Tag der Vorstellung verliebt sich dieser jedoch auf den ersten Blick in Shizus ältere Schwester Oyu. Ihr, einer Witwe mit Kind, untersagt der Brauch der Meiji-Ära eine erneute Heirat. Als Shizu realisiert, dass Shinnosukes Liebe ihrer Schwester gilt, schlägt sie ihm eine so kühne wie selbstentsagende Lösung vor: Sie heiraten zum Schein, damit Shinnosuke Oyu nah bleiben kann. Daraus entwickelt sich ein bewegendes Dreiecksverhältnis, das zwischen unbedingter Liebe und Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen oszilliert. Wie nur wenige andere Regisseure hat Mizoguchi es vermocht, seine Frauenfiguren zumindest klare Worte für die Beschreibung ihrer Lage und ihre Auflehnung finden zu lassen. OYU-SAMA, bislang zu Unrecht im Schatten anderer Filme Mizoguchis stehend,ist wohl der intensivste Liebesfilm seines Werks und endet in einer der poetischsten Einstellungen der Filmgeschichte.

UWASA NO ONNA (The Woman of Rumor, Japan 1954, 9.12., Einführung: Claudia Siefen-Leitich & 13.12.) Im Shimabara-Distrikt in Kyoto, dem historischen Vergnügungsviertel der Stadt, betreibt die verwitwete Hatsuko ein florierendes Geisha-Haus. Dorthin kehrt ihre Tochter Yukiko zurück, die kurz zuvor versucht hat, sich wegen einer unglücklichen Liebe das Leben zu nehmen. Ein junger Arzt, mit dem die Mutter ein heimliches Verhältnis hat, verliebt sich in Yukiko und plant, mit ihr nach Tokio zu ziehen. In der Rolle der zurückgewiesenen Geliebten, die zugleich eine moderne, pragmatische Geschäftsfrau und sorgende Mutter ist, brilliert die Schauspielerin Kinuyo Tanaka. Sie arbeitete in 16 Filmen mit Mizoguchi zusammen und schuf dabei eine Vielzahl unvergleichlicher Frauenporträts. Als sie ins Regiefach wechselte, brach Mizoguchi mit ihr. UWASA NO ONNA ist ihre letzte Zusammenarbeit – ein trotz seiner scheinbaren Leichtigkeit zutiefst melancholischer Solitär des japanischen Kinos.

TAKI NO SHIRAITO (The Water Magician, Japan 1933, 10. & 21.12., am Flügel: Eunice Martins) Unter dem Namen Taki no Shiraito, die Wasserzauberin, tritt eine junge Frau als Hauptattraktion in einer fahrenden Jahrmarktstruppe auf. Eines Tages verliebt sie sich in einen Kutscher. Um dem ambitionierten jungen Mann ein Studium zu ermöglichen, trifft sie eine fatale Entscheidung und wendet sich an einen Geldverleiher. Als Vorlage des Films diente eine Geschichte im sozialkritisch-melodramatischen shinpa-Stil, den das japanische Stummfilmkino vom Theater übernahm. Mizoguchi drehte insgesamt 57 Stummfilme, von denen heute nur noch sechs erhalten sind: TAKI NO SHIRAITO wird oft als überragendes Werk dieser ersten Karrierephase bezeichnet. Wir präsentieren die selten gezeigte 35-mm-Kopie der restaurierten Fassung des National Film Archive of Japan.

SAIKAKU ICHIDAI ONNA (The Life of Oharu, Japan 1952, 14. & 26.12.) Die Geschichte Oharus ereignet sich an der Schwelle des 17. zum 18. Jahrhundert: Schon als Jugendliche erregt Oharu aufgrund ihrer Schönheit das Interesse der Männer, doch ein Verhältnis nach dem anderen stürzt sie tiefer in ihr Unglück. Viele Jahre musste Mizoguchi warten, um die Verfilmung einer klassischen Erzählung der vormodernen japanischen Literatur realisieren zu können. „Jener Film, dem Mizoguchi in seinem Werk den Vorzug gibt – und Kinuyo Tanakas vielleicht größte Darbietung: ein Blick voll gläserner Grausamkeit auf die Genroku-Periode, die Feudalepoche, die japanische Welt überhaupt. Der Realismus, die Genauigkeit sozialer Beobachtung, die Delikatesse der elliptischen Erzählweise erreichen in SAIKAKU ICHIDAI ONNA den Höhepunkt an Beherrschtheit.“ (Harry Tomicek)

SANSHO DAYU (Sansho the Bailiff, Japan 1954, 15.12., Einführung: Kayo Adachi-Rabe & 29.12.) Eine Legende aus dem 11. Jahrhundert: In Japan herrscht ein Feudalsystem, das die Untergebenen versklavt und schikaniert. Der Gouverneur Masauji weigert sich, es den anderen Mächtigen gleichzutun und zeichnet sich durch seine Milde aus. Er fällt daraufhin in Ungnade, seine Frau (Kinuyo Tanaka) und ihre beiden Kinder geraten in die Gewalt des grausamen Landvogts Sansho. SANSHO DAYU schildert sowohl eine Passion wie auch einen tapferen Widerstand gegen die Verhältnisse. Die humanistische Kraft dieses epischen Werks und seine formvollendete Gestaltung prägten Generationen von Filmemacher*innen. „Mizoguchi vermag es, die Grenzen kohärenter Logik zu überschreiten und die tiefe Komplexität und Wahrhaftigkeit der unfühlbaren Verbindungen und versteckten Phänomene des Lebens zu vermitteln.“ (Andrej Tarkowskij)

NANIWA EREJI (Osaka Elegy, Japan 1936, 18. & 27.12.) Die junge Ayako arbeitet als Telefonistin in einem Pharmaunternehmen. Um ihren wegen Veruntreuung von Firmengeldern beschuldigten Vater zu retten, lässt sie sich auf ein Verhältnis mit ihrem Chef ein und wird daraufhin von ihrer Familie verstoßen. Mizoguchi bezeichnete diesen Film als sein erstes Werk, in dem er zu seiner eigenen Filmsprache fand. NANIWA EREJI ist zudem seine erste Zusammenarbeit mit Yoshikata Yoda, der in der Folge Drehbuchautor aller seiner zentralen Werke wurde.

AIEN KYO (The Straits of Love and Hate, Japan 1937, 19. & 27.12.) Der junge Kenkichi, Eigentümer eines Hotels in der japanischen Provinz, hat eine Affäre mit dem Dienstmädchen Ofumi. Sie reisen zusammen nach Tokio, wo er müßiggängerisch von ihren Ersparnissen lebt. Als seine Eltern ihn zur Rückkehr zwingen, lässt er die schwangere Ofumi allein zurück. Lose inspiriert von Lew Tolstois Roman „Auferstehung“ schicken Mizoguchi und sein Drehbuchautor Yoda die weibliche Hauptfigur durch eine lange Reihe von Prüfungen, um sie schließlich so kraftvoll über die patriarchale Welt triumphieren zu lassen wie in fast keinem anderen ihrer späteren Filme.

FURUSATO NO UTA (Song of Home, Japan 1925, 21.12., am Flügel: Eunice Martins) Der früheste erhaltene Film Mizoguchis erzählt von den Konflikten zwischen Tradition und Moderne in einem Dorf: Während viele seiner Altersgenossen zum Studium nach Tokio gehen, bleibt der junge Naotaro zurück und soll Bauer werden. Als Auftragswerk für das Erziehungsministerium entstanden, bietet FURUSATO NO UTA einen faszinierenden Einblick in Mizoguchis filmische Anfänge: Statt langen Einstellungen dominieren eine avantgardistische Montage und expressive Großaufnahmen. Wir zeigen eine restaurierte 35-mm-Kopie des National Film Archive of Japan.

FUJIWARA YOSHIE NO FURUSATO (Hometown, Japan 1930, 22.12.) Ein armer Sänger wird nach langen Bemühungen mit dem Lied „Furusato“ endlich berühmt. Auf der Höhe seines Erfolgs verlässt er seine Ehefrau für die Frau eines anderen. Nach einem schweren Unfall, bei dem er seine Stimme verliert, will er zu seiner Frau zurückkehren. Der erste Tonfilm Mizoguchis und des Nikkatsu-Studios war zugleich ein Starvehikel für den damals aufstrebenden Tenorsänger Yoshie Fujiwara. Die wenigen stummen Szenen bestechen durch die losgelösten Kamerabewegungen, die Tongestaltung wiederum durch eine große Experimentierfreude und ihre gleichzeitig dokumentarische Qualität.

ZANGIKU MONOGATARI (The Story of the Last Chrysanthemums, Japan 1939, 28.12. & 8.1.) Angesiedelt in der Kabuki-Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, erzählt dieses Hauptwerk des geidomono-Filmgenres vom charakterschwachen jungen Schauspieler Kikunosuke, der auf Kosten seiner Geliebten Otoku zu einem gefeierten onnagatawird. Die fatale Bedingtheit vom Aufstieg des einen und der Entsagung der anderen zeigt Mizoguchi mittels atemberaubender Kranfahrten und herausragend komponierter langer Einstellungen. „Wenn im Ablauf einer Szene mit sich steigernder Dichte ein psychischer Akkord auftritt, vermag ich nicht, die Szene plötzlich zu schneiden. Ich versuche, den Augenblick zu intensivieren, indem ich die Einstellung so lange wie möglich anhalte. Solcherart ist der Inszenierungsstil entstanden, den man bei mir beobachten kann – weder aus bewusster Überlegung noch aus Sucht zur Neigung.“ (Kenji Mizoguchi). (mg/gv)

Die Retrospektive wurde ermöglicht durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds. Wir danken der Japan Foundation in Tokio und dem National Film Archive of Japan/Tokyo sowie dem Japanischen Kulturinstitut in Köln für die umfassende Unterstützung.

Gefördert durch:

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Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds