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Seit er als Fünfjähriger das erste Mal auf einer Bühne stand und das Publikum dadurch zum Lachen brachte, dass er nach einem unabsichtlichen Stolpern eine Scheinwerferlampe zerstörte, war für Jerry Lewis sein weiterer Lebensweg vorgezeichnet: „Da wusste ich, was ich für den Rest meines Lebens zu tun hatte: stolpern, ausrutschen, hinfallen.“ Die glückliche Begegnung als 19-Jähriger mit Dean Martin führte zum Durchbruch, in zehnjähriger gemeinsamer Arbeit drehten sie neben ihren Bühnenshows 16 Filme, bevor es zur Trennung kam. Seine ikonisches Image hatte Jerry Lewis damals schon entwickelt: Neben dem gutaussehenden, coolen Dean Martin gab er das kindlich-unschuldige Gemüt, das irr-delirierend nur durch seine bloße Anwesenheit nicht anders kann, als Katastrophen auszulösen. In seinem Performancestil verbinden sich Mimik, Körpersprache und Stimmlage in obsessiver Intensität, in dem Unerwartetes und Unterdrücktes oft explosionsartig hervorbrechen. Den abrupten Änderungen der Stimme und Sprechweise, des Verhaltens und der Körpersprache entsprechen die Vervielfältigungen und Wechsel der Persönlichkeit, die er in seinen Filmen oft durchspielt, indem er in etwa mehrere Personen verkörpert oder sich mithilfe eines Tranks in einen anderen verwandelt. Seine Filme sind aber mehr als eine reine Abfolge von oft absurden Gags: Nicht selten gleiten sie in den schieren Wahnsinn ab, weisen satirische Beobachtungen vor allem des Showbusiness und Starkultes auf und entlarven den eigenen Illusionscharakter. Der so eigenwillige wie originelle Umgang mit Ton, Farbe und Dekors brachte Jerry Lewis Bewunderung vor allem der französischen Filmkritik ein. Ab 1960 inszenierte sich Jerry Lewis selbst, hielt als Drehbuchautor, Produzent, Regisseur und Schauspieler in Personalunion die künstlerische Kontrolle in eigenen Händen – der „total filmmaker“ war geboren. Wir zeigen vor und nach der Berlinale eine kleine Auswahl von acht Filmen mit und teils von Jerry Lewis.

THE ERRAND BOY (Jerry Lewis, USA 1961, 4. & 26.2.) Die Paramutual Studios in Hollywood schreiben Verluste. Um die Ursache herauszufinden, muss ein möglichst unwissender Spion gefunden werden – die Wahl fällt auf den Plakatkleber Morty S. Tashman (Jerry Lewis), der als Laufbursche engagiert wird, um sich in allen Studioabteilungen umhören zu können. Die selbstreflexive Innensicht auf die Mechanismen eines Filmstudios ist Satire auf das Gebaren von Studiobossen, fast ein Dokumentarfilm über die gut geölte Maschinerie Hollywood und nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Traumfabrik.

WHICH WAY TO THE FRONT? (Jerry Lewis, USA 1970, 5. & 22.2.) Brendan Byers III ist der reichste Mann der Welt und nicht gewohnt, dass man ihm etwas abschlägt. So kann er seine Ablehnung bei der Musterung zum Kriegsdienst – wir schreiben das Jahr 1943 – nicht akzeptieren und stellt sich aus weiteren für untauglich Erklärten seine eigene kleine Privatarmee zusammen, um den Kriegsverlauf in Italien endlich zugunsten der Alliierten zu wenden. An der Front besiegt er den Feind vor allem durch eine ausgeklügelte, den Gegner in den Wahnsinn treibende Verwirrung, nicht zuletzt durch beherzte Verballhornung des deutschen Akzents – geübt anhand der Schallplatte „Music To Mein Kampf“ –, dank derer er sich als deutscher Generalfeldmarschall Kesselring ausgeben kann. Der Film kam weder beim Publikum noch bei der Kritik an, ganz zu Unrecht. Die Parodie ist vor allem in der Begegnung von Kesselring und Hitler eine gelungene Reverenz an Chaplins The Great Dictator.

THE DISORDERLY ORDERLY (Frank Tashlin, USA 1964, 6. & 21.2.) Arztsohn Jerome Littlefield (Jerry Lewis) würde gerne in die Fußstapfen seines Vaters treten, doch seine „neurotische Identifikationsempathie“, die ihn alle Schmerzen und Beschwerden von Patienten am eigenen Leib spüren lässt, macht dies unmöglich. Stattdessen ist er Krankenpfleger im exklusiven Sanatorium Whitestone, kann es aber nicht vermeiden, im übereifrigen Kampf mit Verbandsmaterial, Zwangsjacken und Wäschesäcken regelmäßig Schaden anzurichten. In einer Patientin, die nach einem Suizidversuch eingeliefert wird, erkennt Jerome seine große Liebe und unternimmt alles, um ihren Aufenthalt zu ermöglichen, denn der von Profitgier getriebene Klinikvorstand gibt die Parole „no money, no bed“ aus. Seine Selbstheilung tritt in Gang, als er realisiert, dass er seine Liebe der Falschen schenkte, nicht aber ohne vorher eine Kettenreaktion auszulösen, deren Wahnsinn selbst im Lewis’schen Universum ihresgleichen sucht.

ARTISTS AND MODELS (Frank Tashlin, USA 1955, 6. & 23.2.) Das Gespann Dean Martin und Jerry Lewis träumt in New York den Traum vom Leben als Künstler – wobei Jerry Lewis als Comic-Besessener, der sich tagsüber in den Aben-teuern der Bat Lady verliert und diese des Nachts in Alpträume über Vincent the Vulture verwandelt, sich eher den Untiefen der bildenden Kunst widmet. Davon wird nicht nur die -gesamte Nachbarschaft wach, sondern auch Spione und das FBI, die darin kommunistische Geheimbotschaften zu erkennen glauben. Und da ist auch noch die „echte“ Bat Lady, die Jerry in seiner Unfähigkeit, die Fantasie von der Realität zu unterscheiden, lange nicht erkennen kann – bis es zum Kuss kommt, bei dem vor lauter Leidenschaft sogar ein Wasserspender zu kochen beginnt.

THE NUTTY PROFESSOR (Jerry Lewis, USA 1963, 7. & 27.2.) Der schrullige Chemie-Professor Julius Kelp ist ein verschrecktes Neurosenbündel, verliebt in seine Studentin Stella, die ihn als einzige verteidigt, wenn ihm forsch-freche Studenten die letzten Reste seiner pädagogischen Autorität absprechen. Zufällig erfindet er ein superpotentes Serum, mit dessen Hilfe er sich in den unwiderstehlichen, aber auch arroganten Playboy Buddy Love verwandelt, dessen aal-glattes Äußeres seine innere Monstrosität nur kaschiert. Solcherart zwischen zwei Extremen hin- und herpendelnd findet Lewis’ Verwandlungskunst in dieser Variante auf Dr. Jekyll und Mr. Hyde ihren Zenit, nur noch getoppt vom Technicolor-Farbspektakel.

ROCK-A-BYE BABY (Frank Tashlin, USA 1958, 23. & 25.2.) Nach der Zerstörungsorgie gleich zu Beginn des Films – Clayton Poole (Jerry Lewis) wird als Fernsehtechniker just in dem Moment abgelenkt, in dem er auf dem Kamin von Mrs. Van Cleeve den Empfang einstellen soll und löst ein Fiasko ungeahnten Ausmaßes aus – ist der Weg frei für die sorgende und liebende Seite der Lewis-Persona. Unvermittelt zu Drillingen gekommen, erweist sich Clayton als perfekter, aufopferungsvoller Ersatzvater, dessen Leben sich nur um die Bedürfnisse der Kleinen dreht. Verkompliziert wird das Familienidyll eigentlich nur durch die Bestrebungen des Gerichts, ihm die Babys wegzunehmen, und durch das beharrliche Werben der in ihn verliebten Sandy, die wiederum die Schwester des umjubelten Filmstars Clara Naples ist, aus deren für die öffentliche Moral zu kurzen Ehe mit einem mexikanischen Stierkämpfer die Kinder entstammen.

THE LADIES MAN (Jerry Lewis, USA 1961, 24. & 28.2.) Seiner (sich durch alle Filme ziehenden) Angst vor Frauen stellt sich Jerry Lewis, wenn auch unwissentlich, indem sein Herbert H. Heebert sich als Mädchen für alles in einem luxuriösen Pensionat für junge Frauen engagieren lässt. Im eigentlichen Zentrum aber steht die überwältigende Architektur des mehrstöckigen Puppenhauses mit seinen zahlreichen Treppen, Aufgängen, Durch- und Einblicken, das Raum für spektakuläre Choreografien, Missgeschicke und verunglückte Begegnungen bietet und dessen Illusionscharakter offengelegt wird. Jean-Luc Godard und Jean-Pierre Gorin waren davon so beeindruckt, dass sie diese Anordnung 1972 für Tout va bien übernahmen.

THE FAMILY JEWELS (Jerry Lewis, USA 1965, 22. & 28.2.) Die kleine Donna, schwerreiches Mädchen ohne Eltern, soll unter ihren sechs Onkeln einen Vormund aussuchen. Von ihrem Chauffeur Willard, der viel mehr ist als das – von ihm kriegt sie Wärme, Zuneigung und Gutenachtküsse – wird sie zu den Onkels gefahren, die einer verschrobener als der andere sind. Donna lässt sich nichts vormachen: Der ideale Ersatzvater ist und bleibt Willard mit seinem großen Herzen. Nie spielte Jerry Lewis in seinen Filmen mehr Rollen als hier, verkörpert er nicht nur Willard, sondern in einer Tour de force gleich alle sechs Onkels, weshalb ein Plakat den Film auch mit „Seven Times Nuttier!“ bewarb. (al)

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