ISKINDEREYA … LEH? (Alexandria … Why?, Ägypten/Algerien 1979, 1.3., Einführung: Alia Ayman & 23.3.) Mit diesem Film begann Chahines vierteilige autobiografische Serie an Filmen, die einen einzigartigen Kosmos aus Erinnerungen, Traumzuständen, Sinnlichkeiten und kulturellen Referenzen weben. Angesiedelt ist er in Chahines Geburtsstadt Alexandria während des 2. Weltkriegs, als britische und ägyptische Truppen gegen die heranrückenden Deutschen kämpften. Im Zentrum der Geschichte steht der Schüler Yehia (Chahines Alter Ego), der, für das Kino Hollywoods schwärmend, heimlich davon träumt, Schauspieler zu werden. „Ich habe meine Sicht als ägyptischer Künstler wiedergegeben, meinen Standpunkt gegenüber allen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Erscheinungen der Zeit, in der die erste entscheidende Veränderung in meinem Leben stattfand …“ (Youssef Chahine, 1981) Der Film erhielt 1979 in Berlin den Silbernen Bären – den ersten großen Festivalpreis in Chahines Regiekarriere, 29 Jahre nach ihrem Beginn.
ISKINDEREYA KAMAN WA KAMAN (Alexandria Again and Forever, Ägypten/F 1989, 2.3., Einführung: Marianne Khoury & 24.3.) Der dritte Teil von Chahines Tetralogie setzt abermals Teile seiner eigenen Biografie filmisch neu zusammen. Chahine selbst spielt dieses Mal sein Alter Ego Yehia. Dieser befindet sich nach dem Gewinn eines Hauptpreises bei der Berlinale (gemeint ist der Preis für ISKINDEREYA … LEH? 1979) auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Die Trennung von einem jungen Schauspieler stürzt ihn jedoch in eine persönliche wie künstlerische Krise. Während eines Hungerstreiks gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in der ägyptischen Filmproduktion begegnet er einer aufstrebenden Schauspielerin. „Stilistisch ist der Film voller Brüche und ‚Regelverstöße‘, nur der Freiheit des Filmemachens verpflichtet. Die -Ideenvielfalt und der scheinbar unbekümmerte Umgang mit den Gesetzen des Kinos machen seinen besonderen Reiz aus.“ (Filmdienst)
BAB AL-HADID (Cairo Station, Ägypten 1958, 2.3., Einführung: Viola Shafik & 22.3.) Ein Klassiker des Weltkinos, dessen schonungslose Darstellung von Armut und menschlicher Seelennot zeitlos ist: Youssef Chahine selbst spielt Qenawi, der sich mit seinem Klumpfuß als Zeitungsjunge durch den Bahnhof der Metropole Kairo schleppt. Einsam und ausgestoßen, schenken ihm die Pin-up-Fotos an seinen Zimmerwänden nur augenblicklange Hoffnung auf einen Ausweg aus seinem elenden Dasein. Er entbrennt in geradezu verzweifelter Liebe zu einer verführerischen Getränkeverkäuferin (Hind Rostom), die ihn aber bald zurückweist, woraufhin er beschließt, sie umzubringen. „Alle Elemente sind streng auf-einander bezogen, die spannende Kriminalgeschichte ist organisch mit einer einprägsamen Charakter- und Milieuschilderung verbunden. Die Ökonomie des Handlungsablaufs lässt die Kenntnis der englischen und amerikanischen Kriminalfilmschule spüren (Chahine bewundert Hitchcock), während andererseits die Behandlung der Charaktere neo-realistische Einflüsse erkennen lässt.“ (Erika Richter)
AL KAHERA MENAWARA BE AHLAHA (Cairo As Seen by Chahine, Ägypten/F 1991, 3. & 24.3.) Der in allen Formaten des Kinos versierte Chahine hat im Laufe seiner Karriere sechs Kurzfilme gedreht, einige davon dokumentarischer Natur, während AL KAHERA MENAWARA BE AHLAHA, sein vorletzter, eine atemberaubend dichte und verschmitzte Neuschöpfung der klassischen Stadtsymphonie unternimmt. „Ich habe ein Fax aus Frankreich erhalten, sie wollen, dass ich eine Dokumentation über Kairo drehe. Was glaubt ihr, was sie erwarten?“ fragt Chahine selbst seine jungen Zuhörer. Diesem (selbst-) ironischen Einstieg lässt er indes ein verliebtes, vielschichtiges Porträt Kairos folgen: Überbevölkerung, Armut, aber zugleich Familiengeselligkeit und heimliche Liebkosungen in einem nur vom Fernsehbildschirm erhellten Zimmer. „Ich liebe Kairo. So sehr, so tief, dass, wenn man mich fragt, ich keine Worte dafür finde“, spricht Chahine auf Französisch. „Es sind die Menschen, die ich liebe, nicht die Steine.“ Leben und Lieben werden zu Kinobildern.
AL ASFOUR (The Sparrow, Ägypten 1972, 3.3., Einführung: Alia Ayman & 10.3., Vortrag: Mathilde Rouxel) Der erste durch seine damals neu gegründete Produktionsfirma Misr International realisierte Film Chahines muss zusammen mit Al Ekhtyiar (The Choice, 1970) – der derzeit bedauerlicherweise nicht verfügbar ist – als sein kühnster Versuch im Bereich des politischen Kinos gelten und verdient eine Neubewertung als zentrales Werk in seinem Filmschaffen. Ein junger Polizeioffizier und ein Journalist versuchen, ein Dorf von Korruption und Elend zu -befreien. Wie um die Undurchsichtigkeit der Ausbeutungsstrukturen zu verdeutlichen, überwindet Chahine traditionelle Erzählweisen, schafft mit Rückblenden und Assoziationen einen brillanten Spagat zwischen Film Noir und dem engagierten Autorenkino der 60er und 70er Jahre. „Nach dem 5. Juni [der Beginn des Sechstagekriegs] setzte eine Veränderung ein: Vom bürgerlichen Unterhaltungskino bin ich zunächst dazu übergegangen, im Rahmen dieses Kinos bestimmte Themen anzusprechen und schließlich dazu, Filme zu machen, die den wirklichen Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechen.“ (Youssef Chahine)
BABA AMIN (Daddy Amin, Ägypten 1950, 4.3.) Amin, ein gutmütiger kleiner Angestellter, lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in bescheidenen Verhältnissen. Ein Freund überredet ihn, die Ersparnisse der Familie in ein Vorhaben zu investieren, das sie reich machen soll. Sein plötzliches Verschwinden stürzt die Familie in Verzweiflung und Amin sogar in den Tod. Sein Geist wohnt nun allen weiteren Schicksalsschlägen der Familie bei. Chahines erster Spielfilm, gleichsam eine Essenz aus Dickens’ „Christmas Carol“, Leo McCareys Good Sam (1948) und ägyptischer musikalischer Komödie, war Chahines Regiedebüt im Alter von 24 Jahren – der damals jüngste Regisseur der ägyptischen Filmgeschichte. Diese Rarität gehört zu jenen Filmen Chahines, die ohne das von MIF initiierte Restaurierungsprojekt heutzutage nicht mehr in angemessener Qualität im Kino zu sehen wären.
SAYYIDAT AL-QITAR (Lady on a Train, Ägypten 1953, 5. & 22.3.) Schon mit seinem auf BABA AMIN folgenden zweiten Spielfilm Ibn al-Nil (Nile Boy, 1951; derzeit ebenfalls nicht verfügbar) wurde Chahine zu den Filmfestspielen in Cannes und Venedig eingeladen und erstmals im internationalen Festivalrahmen wahrgenommen. Dennoch kehrte er daraufhin zunächst zurück in die Gefilde des populären ägyptischen Kinos, wo er sein Regiehandwerk vervollkommnete: SAYYIDAT AL-QITAR erzählt mit der einem klas-sischen Filmmelodram eigenen Unerschöpf-lichkeit an tragischen Ereignissen von der berühmten Sängerin Fekreya, die mit einem spielsüchtigen Taugenichts verheiratet ist, der ihr Geld verspielt. Nach einem Zugunfall täuscht er ihren Tod vor, um ihre Lebensversicherung zu kassieren und hat noch weitere Missetaten im Sinn. Die Hauptrolle besetzte Chahine mit Leila Mourad, Sängerin und Schauspielerin, seinerzeit eine der größten Berühmtheiten der arabischen Welt.
SERAA FIL WADI (The Blazing Sun, Ägypten 1954, 6. & 29.3.) Im vorrevolutionären Ägypten träumt der junge Agronom Ahmed (Omar Sharif in seiner ersten Filmrolle) davon, die Arbeitsbedingungen bei der Zuckerrohrernte in seinem rückständigen Heimatdorf zu verbessern. Zugleich unterhält er eine Liebesbeziehung zu Amal (Faten Hamama), der Tochter eines Paschas, mit dem er sich bald einen erbitterten Kampf liefern muss, der in einem furiosen Finale im Karnak-Tempel kulminiert. „Obwohl dieser Film als einer der ersten gilt, der die Situation der Landbevölkerung ernsthaft problematisiert, ist er ohne weiteres der Kategorie des Abenteuerfilms zuzuordnen.“ (Viola Shafik) Die Premiere des Films bei den Filmfestspielen in Cannes festigte Chahines Ruf als begnadetes Talent des populären ägyptischen Kinos und begründete Omar Sharifs Weltkarriere.
AL YOM AL-SADES (The Sixth Day, Ägypten/F 1986, 9.3., Videoessay-Vortrag: Mohamad El-Hadidi & 14.3.) Eine berauschende, kunstvolle Verfilmung des 1960 erschienenen Romans von Andrée Chedid, einer französischen Autorin libanesischer Herkunft. Sie spielt im Kairo des Jahres 1947, während des Ausbruchs der Cholera – am sechsten Tag der Erkrankung fällt die Entscheidung, ob ein Betroffener überlebt oder sterben muss. Eine Wäscherin (gespielt von der französisch-ägyptischen Sängerin Dalida) kümmert sich aufopferungsvoll um ihren gelähmten Mann und ihren Enkel. Eines Tages begegnet sie einem jungen Gaukler, der Cholerakranke an die Obrigkeit verrät, aber bei allem Übel, das er tut, eine große Sensibilität für Kino und Träumereien hat. „Ein eindrucksvolles Filmgedicht des ägyptischen Altmeisters Chahine, das die Träume seiner Protagonisten ebenso thematisiert wie Fragen zu einer Welt nach der Sintflut und dies zu einer ebenso didaktisch-aufklärerischen wie sinnlich einprägsamen Erzählung verdichtet.“ (Filmdienst)
SERAA FIL MINA (Dark Waters, Ägypten 1956, 9.3.) Ein weiterer Film mit dem Traumduo des ägyptischen Kinos der 50er Jahre, Omar Sharif und Faten Hamama: Der Matrose Ragab kehrt nach drei Jahren auf See in seine Heimatstadt Alexandria zurück, um seine Cousine Hamida zu heiraten. Doch sein Jugendfreund hat auch ein Auge auf sie geworfen. Chahine hielt den Film für einen seiner wichtigsten aus jener Zeit, weil er sich darin erstmals für das Arbeitermilieu interessierte.
AL NIL WAL HAYA (Once Upon a Time … The Nile, Ägypten/UdSSR 1969, 11.3., Einführung: Gary Vanisian & 24.3.) Das 70-mm-Großprojekt über den Bau des Assuan-Staudamms war die erste Koproduktion zwischen der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) und der UdSSR. Die von Chahine 1968 fertiggestellte Version wurde von beiden Seiten abgelehnt und konnte erst viel später (in 35 mm) veröffentlicht werden. „Zu Beginn als Verherrlichung ägyptisch-sowjetischer Kooperation gedacht, deren Symbol der Staudamm von Assuan ist, verwandelt sich der Film unter dem Einfluss Chahines zu einer Hymne an den Menschen, an die Freundschaft und Aufrichtigkeit.“ (Magda Wassef) Die Künstlerin Ala Younis hat der bewegten Geschichte dieses Films die herausragende 2-Kanal-Videoinstallation „High Dam“ (2017, Forum Expanded 2018) gewidmet. Anlässlich der Vorführungen von AL NIL WAL HAYA wird sie nochmals aufgebaut. Mittels Dias und Postern gibt sie einen Einblick in die Politik dieser Zeit und Chahines Versuche, die Zensur zu umgehen.
AL ARD (The Land, Ägypten 1970, 12. & 29.3., Einführung: Maria Mohr) Die Verfilmung des 1954 erschienenen berühmten epischen Romans von Abd ar-Rahman Scharkawi spielt in den frühen 30er Jahren, als das ägyptische Land noch fest in feudale Strukturen eingebunden war. Es ist ein leidenschaftliches Porträt der Bauern eines Dorfes, deren Existenz durch einen Erlass, der eine zusätzliche Einschränkung der Bewässerungszeit ihrer Erde vorschreibt, bedroht wird. Einzig der Bauer Mohamed Abou Suwailam bleibt unbeugsam. Eine Szene, in der er, von Schweiß und Blut tropfend, das Land mit seinen nackten Händen bearbeitet, zählt zu den bemerkenswertesten Szenen der ägyptischen Filmgeschichte. Ein Zentralwerk auch in Chahines -Œuvre, befestigte dieser Film Chahines Ruf als einer der wichtigsten Vertreter des realistischen Kinos, das Ende der 60er Jahre eine kurze Zeit lang von der Nationalen Filmorganisation ausdrücklich gefördert wurde.
HADOUTA MASRIYA (An Egyptian Story, Ägypten 1982, 13. & 23.3.) Der zweite Teil von Chahines autobiografischer Alexandria-Tetralogie, dessen Titel wörtlich „Ägyptisches Märchen“ lautet, beginnt mit einem großen Unglück: Chahines Alter Ego Yehia erleidet 1973 auf einem Filmset in London eine Herzattacke und muss sich einer Notoperation unterziehen. Während der Operation sieht er sein bisheriges Leben an sich vorüberziehen – sein Brustkorb verwandelt sich dabei in einen Gerichtssaal, in dem ihm der Prozess wegen seiner Verfehlungen gemacht wird. „Die Geschichte entspricht der von Bob Fosse in All That Jazz (1979) und enthält dieselbe Fragestellung, die der am Herzen operierte Künstler an sein eigenes Leben richtet. Aber dieses Mal mischt der Filmemacher in einer sehr unpuristischen Weise Aktualität mit Fiktion, Politik mit Traumfabrik.“ (Louis Marcorelles)
ISKINDEREYA … NEW YORK (Alexandria … New York, Ägypten/F 2004, 13. & 25.3.) Mit 78 Jahren realisiert Chahine den vierten und letzten Teil seiner Alexandria-Filme und vollendete damit eine der bahnbrechenden Serien der Filmgeschichte. Der Regisseur Yehia trifft in New York nach 40 Jahren seine erste Liebe Ginger wieder und erfährt, dass sie einen Sohn von ihm hat. „Ein stürmisches Epos, in dem die Helden lieben, singen, tanzen, lachen und weinen. Eine wunderschöne Geschichte über die Schwierigkeiten der Liebe – eines Mannes zu einer Frau und zu Amerika.“ (Filmfest Hamburg, 2004)
AWDET AL-IBN AL-DAL (Return of the Prodigal Son, Ägypten 1976, 14. & 31.3.) Ein kleines Erdbeben habe Chahine mit diesem Film im arabischen Kino ausgelöst, sagte der bedeutende ägyptische Dichter Ahmed Fouad Negm einst. Erstmals habe er es gewagt, eine Geschichte aus einer persönlichen Perspektive heraus zu erzählen. Chahine adaptiert darin die gleichnamige, 1907 erschienene Erzählung des französischen Literaturnobelpreisträgers André Gide. „Die Politisierung der biblischen Parabel gelingt mit leichter Hand. Lieder und Tänze aus der arabischen Kultur vermischt mit amerikanisch inspirierten Music-Hall-Elementen verleihen dem Film die mitreißende Frische einer amerikanischen Komödie“, schrieb der Schriftsteller Jean-Louis Bory nach Veröffentlichung des Films, der ebenfalls zu einer der noch zu wenig bekannten Hauptwerke in der Filmografie Chahines gehört.
AL MOHAGER (Der Emigrant, Ägypten/F 1994, 17. & 26.3.) 3.000 Jahre zurück in die Menschheitsgeschichte geht Chahine in seinem ersten Film der 90er Jahre, der die biblische Geschichte Josephs als Inspirationsquelle wählt. Die Hauptfigur Ram träumt davon, sein Leben zu verändern. Er gehört einem armen Stamm an, der auf unfruchtbarem Land lebt. Das Ägypten der Pharaonen ist sein Sehnsuchtsziel und er macht sich auf den beschwerlichen, weiten Weg dorthin. Das melancholisch-kämpferische Werk um die Suche nach Weisheit, in großen, anmutigen Bildern erzählt, war seinerzeit mit immensem Erfolg in den ägyptischen Kinos gestartet, aber auf Druck von islamistischen Fundamentalisten bald darauf gerichtlich verboten worden. Er gewann letztlich den Prozess, doch sah er sich abermals mit einem Verbot konfrontiert, das nunmehr von einem christlichen Fundamentalisten ausging, den die Abweichungen Chahines von der alttestamentarischen Vorlage störten.
AL MASSIR (Destiny, Ägypten/F 1997, 18. & 27.3.) Abermals ein historischer Film von Chahine, der aus der Vergangenheit bedeutende Fragen und Überlegungen für die Gegenwart schöpft: Er -versammelt und bebildert in formelhaften Einstellungen Szenen aus dem Leben des großen maurischen Übersetzers, Rechtsgelehrten und Philosophen Ibn Rushd, der auch unter dem latinisierten Namen Averroes bekannt ist und im ausgehenden 12. Jahrhundert die Blütezeit einer kurzen islamischen Aufklärung verkörperte. Nachdem der Kalif von Córdoba immer mehr unter den Einfluss von Fundamentalisten geriet, ließ er Averroes’ Bücher verbrennen und ihn nach Marrakesch verbannen.
AL NASSER SALAH AL-DIN (Saladin the Victorious, Ägypten 1963, 19.3.) Einer der teuersten ägyptischen Filme überhaupt, finanziert von der legendären Produzentin Assia Dagher: Ein panarabisches Historienepos über den Sultan Saladin (1138–1193), der große Teile der damaligen arabischen Welt unter seiner Herrschaft vereinte und gegen die christlichen Kreuzfahrer kämpfte. „Saladin wurde seinerzeit überall als Film angekündigt, der Nasser und die arabische Einheit verherrlicht. Niemand hörte mich, wenn ich versicherte, dass er vor allen Dingen die Toleranz rühmt. Ich wollte mit der Mischung aus Koranzitaten und Kirchenliedern anlässlich der Geburt Jesu an die Geste des Sultans von Syrien und Ägypten erinnern, der einen Waffenstillstand verkündete, um den belagerten Kreuzrittern das Weihnachtsfest zu ermöglichen. Ist so etwas nicht schön?“ (Youssef Chahine)
FAGR YOM GUEDID (Dawn of a New Day, Ägypten 1964, 21. & 30.3.) Ein weiteres der unterschätzten Werke Chahines, das von seiner Sensibilität für menschliche Befindlichkeiten im Spiegel aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen zeugt und den Drang und die Verve seiner Entstehungszeit auf die Leinwand bannt. Es ist die Geschichte einer der Trägheit verfallenen, verheirateten 40-jährigen Frau, die keinen Zugang zu den revolutionären Vorgängen im Land findet. In der Liebe zu einem aufstrebenden jungen Studenten sucht sie wieder einen Lebenssinn. „1964 habe ich FAGR YOM GUEDID gedreht, den ich zu meinen besten Filmen rechne und hinter dem ich voll und ganz stehe. Er handelt von jener Klasse, deren Vermögen nach der Revolution von 1952 nationalisiert wurde. Ich beschäftige mich mit der Frage, ob diese Klasse noch einen Platz in der ägyptischen Gesellschaft hat.“ (Youssef Chahine)
HEYA FAWDA (Chaos, Youssef Chahine, Khaled Youssef, Ägypten/F 2007, 30.3.) Seinen letzten Film realisierte Chahine in Co-Regie mit Khaled Youssef, der zuvor bei einigen seiner Werke mit ihm das Drehbuch verantwortet hatte. Die Handlung spielt zum Großteil in Choubra, einem Viertel in Kairo, das einst für das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Konfession bekannt war, nun aber von sozialen und politischen Spannungen geprägt ist. Beherrscht wird es von einem korrupten, von allen Bewohnern verhassten Polizeioffizier, der Widerstand einzig von einer Frau bekommt, in die er verliebt ist. In geradezu visionärer Klarheit entwerfen Chahine und Youssef ein Panorama vom Ausbruch der Wut des Volkes auf einen gewalttätigen Polizeistaat, das die Revolution von 2011 vorwegzunehmen scheint. Chahines Abschluss seiner einzigartigen Regiekarriere zeigt ihn als unverbesserlichen Advokaten des Menschlichen. (gv)
Das Programm wird von einer Diskussionsveranstaltung in englischer Sprache über die Gegenwärtigkeit des Kinos von Youssef Chahine begleitet. Es diskutieren Alia Ayman, Marianne Khoury, Viola Shafik, Mohamad El-Hadidi und Mohammad Shawky Hassan. (3.3.)
Anlässlich dieser Retrospektive veröffentlicht das Arsenal eine Begleitpublikation über Chahine, mit eigens verfassten Texten von Alia Ayman, Yasmin Desouki, Nour El Safoury und Mohamad El-Hadidi.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit Misr International Films (MIF). Dank an Marianne Khoury, Gabriel Khoury, Nawara Shoukry und Ahmed Sobky. Ebenfalls danken wir der Cinémathèque française. Die Retrospektive findet im Rahmen des Projekts „Archive außer sich“ statt.