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Fünf Monate nach dem geplanten Termin nimmt das 11. ALFILM-Festival im September endlich wieder Fahrt auf – mit geänderter Route und unter den Bedingungen der fortdauernden Pandemie. Als kondensierte Nomad Edition reist ALFILM mit leichtem Gepäck von einem Spielort zum nächsten und ist wie immer auch im Arsenal zu Gast. Die für diese besondere Ausgabe ausgewählten Filme der „Official Selection“ erzählen Geschichten vom (Über-)Leben, von der Aneignung der eigenen Erzählung und der Magie des bewegten Bildes. Eine besondere Rolle kommt den Frauen zu, deren Situation vor allem in Ausnahmezuständen besondere Verletzlichkeit, aber auch Resilienz offenbart. Ein Schlaglicht auf „Weibliche Perspektiven auf Krieg, Konflikte und andere Ausnahmezustände“ wirft daher 
die diesjährige „Spotlight“-Reihe „Resistance is Female“ mit Filmen unter anderem aus Syrien, Algerien und dem Irak. Einige Vorführungen werden begleitet von Skype-Gesprächen mit den Regisseur*innen.

FOR SAMA (Waad Al-Kateab/Edward Watts, GB/Syrien 2019, 2.9.) Neben einem zutiefst bewegenden filmischen Liebesbrief an die Tochter ist der für einen Oscar nominierte syrische Dokumentarfilm vor allem Vermächtnis und Dokument des Widerstands in Aleppo. Seit 2012 dokumentiert die junge Studentin Waad Al-Kateab die Aufstände in Aleppo gegen das Regime – wie neben ihr viele andere Videoaktivist*innen: Demonstrationen, Bomben, Verletzte, aber auch Überlebende, Freundschaft und Hoffnung. Sie verliebt sich in den Arzt Hamza und wird schwanger. Dennoch filmt sie weiter – trotz Sama und für Sama, ihre Tochter, die 2016 zur Welt kommt. Mit schonungsloser Offenheit und großer Intimität gewährt sie einen Einblick in ihr Leben und ihre Welt zwischen Mut und Verzweiflung.

THE JOURNEY (Mohamed Al-Daradji, Irak/Kanada/GB/F/Katar/NL 2017, 3.9.) Bagdad 2006: Eine neue Bahnstation soll eröffnet werden. Für das feierliche Ereignis haben sich verschiedenste Menschen am Bahnhof eingefunden und warten. Saras (Zahraa Ghandour) sinistre Pläne werden von dem windigen Geschäftsmann Salam durchkreuzt, und unversehens finden sich beide aneinander gebunden mit einer Bombe und einem Baby auf den Gleisen wieder. Aus der Perspektive einer Selbstmordattentäterin erzählt, offenbart der Film das vielschichtige Gesellschaftsgeflecht im Irak nach der US-Invasion.

FREEDOM FIELDS (Naziha Arebi, GB/Libyen 2018, 4.9.) Im Zentrum des Films stehen drei sehr unterschiedliche Freundinnen und ihr Frauenfußballteam in Libyen. Über einen Zeitraum von fünf Jahren begleitete Naziha Arebi die drei Frauen: von der Revolutions-Euphorie 2011 über erste Trainingserfolge bis zum anschließenden soziopolitischen Chaos. Wie lässt sich der Wunsch nach einer Familie mit dem einer Fußballkarriere vereinbaren – noch dazu in einem vom Bürgerkrieg zerfressenen Land ohne Freiraum für die eigene Entwicklung? Arebis mitreißendes Porträt ist eine Feier weiblicher Unbeirrbarkeit und Individualität.

YOU WILL DIE AT TWENTY (Amjad Abu Alala, Sudan/F/Ägypten/D/Norwegen/Katar 2019, 5.9.) Bei seiner Geburt wurde dem jungen Muzamil (Mustafa Shehata) prophezeit, dass er mit 20 Jahren sterben würde. Seither wartet er in einem abgelegenen Dorf an den Ufern des Nils auf den Tod. Nichts vermag den Lebenswillen des Jungen zu wecken – bis er auf Suleiman trifft, der ihm den Zauber des Kinos und der Freiheit -nahebringt. Das atmosphärische Langfilmdebüt basiert auf einer Kurzgeschichte des sudanesischen Schriftstellers Hammour Ziada und wurde auf dem Filmfestival in Venedig als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet.

TALKING ABOUT TREES (Suhaib Gasmelbari, F/Sudan/Tschad/D/Katar 2019, 5.9.) Suliman Elnour und die ebenso betagten drei weiteren Mitglieder der Sudanese Film Group leben und atmen das Kino. In den 60er und 70er Jahren studierten sie an den Filmhochschulen in Kairo, Moskau und Potsdam und träumen heute davon, ein eigenes Kino aufzubauen – vielleicht sogar eines der 30 Jahre zuvor stillgelegten Häuser wieder zu eröffnen. Doch im Dschungel von Behördenwillkür und Staatssicherheit erweist sich das als Sisyphusarbeit. Neben der Darstellung der Freundschaft und dem unerschütterlichen Witz und Optimismus seiner Protagonisten gelingt Gasmelbari in seinem Debüt ein vielschichtiges und intimes Porträt des Sudan, den er in faszinierenden Bildern und wunderbaren Momenten einfängt.

SCREWDRIVER (Bassam Jarbawi, Palästina/USA/Katar 2018, 6.9.) Die Teenager Ziad und Ramzi sind seit Kinderzeiten beste Freunde und die Topspieler des Basketballteams im Al-Amari-Flüchtlingslager nahe Ramallah. Als Ramzi bei einem Schusswechsel erschossen wird, landet Ziad (Ziad Bakri) unschuldig in einem israelischen Gefängnis in Einzelhaft. Nach seiner Entlassung  15 Jahre später wird er als Held des Widerstands gefeiert. Doch in der neuen Realität findet er sich nicht zurecht, fühlt sich als Betrüger. Geplagt von Halluzinationen und Wutausbrüchen verliert er zunehmend die Kontrolle. Regisseur Jarbawi verarbeitete in seinem Langfilmdebüt eigene Erfahrungen als Fotograf in Al-Amari während der Zweiten Intifada.

FERTILE MEMORY (Michel Khleifi, Belgien/BRD/Palästina 1980, 7.9.) Der erste von einem Palästinenser auf beiden Seiten der „Grünen Linie“ gedrehte Langfilm porträtiert zwei sehr unterschiedliche Frauen, die sich beide in komplexen Situationen behaupten müssen: Roumia Farah Hatoum, eine Witwe aus einfachen Verhältnissen in der Nähe von Nazareth sowie die junge Schriftstellerin und Intellektuelle Sahar Khalifeh in Ramallah. Roumia hält an ihrem Stück Land fest, das von Israel enteignet wurde; die alleinerziehende Sahar wird mit ihren feministischen Positionen Teil der Student*innenbewegung an der Universität Bir Zeit. In intimen und poetischen Beobachtungen entfaltet Khleifi ein Bild des weiblich geprägten  Widerstands gegen die Besatzung, aber auch die patriarchalen Strukturen, in denen beide Frauen leben. Von der tunesischen Filmemacherin Moufida Tlatli kunstvoll montiert, gilt FERTILE MEMORY als Initiationswerk des palästinensischen Kinos und wird in der 2019 fertiggestellten restaurierten Version gezeigt.

THE WAY HOME (Wael Kadlo, Syrien/Libanon 2018, 8.9.) Ein Wiedersehen zwischen Mutter und Sohn kippt in einen Streit, da Wael bei einer anderen Frau aufgewachsen ist. Auch seinen Vater trifft er erst mit fünf Jahren. Als Wael sich der leiblichen Mutter nach Jahren wieder annähert, brechen die sorgsam konstruierten Familienverhältnisse zusammen, treten alte Verletzungen und Schuldgefühle zutage. Der intime dokumentarische Blick in das Innere einer Damaszener Familie beeindruckt durch die Feinfühligkeit des Regisseurs und Sohnes, der sich den Geschichten der anderen öffnet, um die eigene zu verstehen. Die Dominanz des familiären Narrativs findet ihr Echo in der Enge des politischen Systems, gegen die Waels Generation schließlich rebelliert.

ALFILM SHORTS (GIVE UP THE GHOST, ROUJOULA, ALL COME FROM DUST, SUNDAY MARKET: TRIPOLI, BROTHERHOOD, 9.9.) Entfremdung sowohl von der Familie, aber auch von der Heimat und der Arbeit prägt die Beziehungen der Protagonisten dieser Kurzfilme. Es sind visuell starke Meditationen über Herausforderungen, Zufälle und Schicksalsgemeinschaften.

UNDERDOWN (Sarah Kaskas, Libanon/Katar/D 2018, 10.9.) Das Radio überschlägt sich mit Negativmeldungen – Beirut ist ein Sumpf, der die am Boden Liegenden noch weiter herunterzieht: den Taxifahrer Abu Hussam, der in seinem Auto lebt, die traurige Samya, die das Augenlicht ihrer Mutter retten will und den obdachlosen syrischen Jungen Ali. Ihre Leben sind von Armut und Drogen geprägt, doch sie kämpfen darum, sich der Ausweglosigkeit zum Trotz einen Funken Hoffnung, Liebe und Freundschaft zu erhalten. Kaskas nähert sich den Protagonist*innen ihres Dokumentarfilms auf Augenhöhe und gibt den von der Gesellschaft Ausgestoßenen eine Stimme. (cj)

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