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Absent Present: Die erste Phase der Schließzeit geht am 19.4. zu Ende. Eine Wiedereröffnung von arsenal 1 und arsenal 2 ist noch nicht absehbar. arsenal 3 hat nun schon vier Wochen Programm hinter sich. An dieser Stelle ein großer Dank ans Publikum, das derzeit weit über die Welt verstreut ist, an alle Filmemacher*innen, die arsenal 3 entscheidend mittragen, und an alle, die schon gespendet haben! Wir begrüßen die neuen Mitglieder des Arsenal sowie des Arsenal Freundeskreis!

Die Filme, die wir im arsenal 3 zeigen, stammen größtenteils aus unseren eigenen Verleihbeständen. Aus einem Pool an Filmen heraus zu kuratieren, der vor einem liegt, ist eine spannende neue Herausforderung. Denn statt Filme für ein Programm oder eine Ausstellung zusammenzutragen, setzen wir die, die schon da sind, in ein Verhältnis zueinander. Das ermöglicht einen neuen Blick auf unsere Sammlung, übrigens auch hinsichtlich der Frage, was digital vorliegt und was nicht, und wie eingeschränkt digitale Programme ohne Zugriff auf analoge Filme sind.

Aber dennoch ungeheuer reichhaltig: Vielleicht sind es gar nicht wir, die kuratieren. Vielleicht sind es die Filme selbst, die sich mal so und mal anders gruppieren (jetzt eben ohne die analogen) und dabei Neues hervor bringen. Und dann sind es wieder wir, die Narrative bilden. Wie immer aus der Gegenwart heraus, die unseren Blick auf das Kino derzeit allerdings auf besondere Weise vereinnahmt.

Umso wichtiger, dass wir gerade jetzt nicht nur unsere eigene unmittelbare Erfahrungswelt in Szene setzen, sondern versuchen, umzusetzen, was wir von einem widerständigen Kino gelernt haben: sichtbar zu machen, was wir sonst nicht sehen.

Wie immer, wenn wir den Kinoraum verlassen, tun wir das übrigens auch, um ihn neu zu begreifen. Das gilt für den Ausstellungsraum wie für das Internet. Von außen betrachtet gibt es immer wieder gute Gründe, in den Kinosaal zurück zu kehren, aber eben auch einen nachhaltig erweiterten Blick auf das Kino und auf die Gesellschaft.

arsenal 3 ist ein Experiment. Es geht zum Beispiel der Frage nach, ob eine zeitliche Begrenzung einen Kinoraum schaffen kann. Mit einem Anfang und einem Ende, an dem Gespräche mit den Filmemacher*innen stehen. Den Rhythmus müssen wir noch justieren: Deshalb machen wir von jetzt an aus dem wöchentlichen ein zweiwöchiges Programm. Denn nicht nur das Kino, auch unser Konzept von Zeit lernen wir gerade neu.

Begegnungen sind derzeit nur sehr eingeschränkt möglich. In Woche 5 & 6 stellen wir ein paar Persönlichkeiten vor, bekannte wie unbekannte, auf die wir bei der Recherche gestoßen sind.

Es geht um Porträts und um die Schwierigkeiten, die mit dem Porträtieren verbunden sind, insbesondere, wenn das Leben der Porträtierten selbst durch die Auseinandersetzung mit Repräsentations- und Darstellungsfragen geprägt war oder ist. Die Gefilmten stehen also ebenso im Mittelpunkt wie die Filmenden. Wir begegnen der Fotografin Abisag Tüllmann (DIE FRAU MIT DER KAMERA von Claudia von Alemann), dem Filmemacher Harun Farocki (HARUN FAROCKI – ZWEIMAL von Ingo Kratisch und Lothar Schuster), dem Künstler und Musiker Tony Conrad (TONY CONRAD DREAMINIMALIST von Marie Losier), dem Performancekünstler Oskar Dawicki, (THE PERFORMER von Łukasz Ronduda und Maciej Sobieszczański), und dem Architekten Louis Sullivan (SULLIVANS BANKEN von Heinz Emigholz). Wir begegnen den Schauspieler*innen Soad Hosni in THE 3 DISAPPEARANCES OF SOAD HOSNI (von Rania Stephan), Frances Framer in COMMITTED (von Sheila McLaughlin und Lynne Tillman), João Carlos Castanha in CASTANHA (von Davi Pretto), sowie der Telenovela-Darstellerin und politischen Aktivistin Bete Mendes und der Funk-Carioca-Musikerin Deise Tigrona (BETE & DEISE von Wendelien van Oldenborgh). Eine weitere Ebene erfasst Marwa Arsanios in HAVE YOU EVER KILLED A BEAR? OR BECOMING JAMILA, in der es um die Schwierigkeiten einer Schauspielerin geht, die algerische Freiheitskämpferin Jamila Bouhired darzustellen.

ABSENT PRESENT: Aber es geht nicht nur um bekannte Namen. Benji wurde 1979 als kleines Kind aus Namibia in die DDR gebracht und 1990 nach der Wiedervereinigung dorthin zurückgeschickt, wo die Filmemacherin Angelika Levi ihn kennenlernte. Als sie ihn später porträtieren will, ist er verschwunden. SUSPENDED FREEDOM von May El Hossamy folgt einer Haushälterin, die in Kairo von Haus zu Haus geht, Hausarbeiten erledigt und dabei über ihr Privatleben spricht. Und Laura Horelli erzählt in JOKINEN die Geschichte des Finnen August Jokinen, Hausmeister, später Bürgerrechtler und Mitglied der Kommunistischen Partei, als historische Recherche und Detektivgeschichte.

Über seinen Film MEIN BRUDER. WE’LL MEET AGAIN sagt Thomas Heise: „Es geht um meinen Bruder und mich. Das Unausgesprochene zwischen uns. Sonst hätte ich diesen Film nicht gemacht.“

Schließlich, dann doch auch wieder um uns selbst kreisend, zeigen wir drei besondere Versuche der Selbstdarstellung: XÉNOGÉNÈSE von Akihiko Morishita, WITH SOUL, WITH BLOOD von Rabih Mroué und TOSS IT, BABY! von Justin Time.

Frau Dr. Mabuse, Chefin eines Pressekonzerns, porträtiert nicht, sondern erschafft sich gleich einen Menschen: Mit DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE bringen wir Ulrike Ottingers Berlin-Trilogie zum Abschluss.

arsenal 3 ist entstanden, weil wir arsenal 1 und 2 vorübergehend zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus schließen mussten. Leider hat uns kurz vor Programmschluss die traurige Nachricht erreicht, dass Sarah Maldoror, eine nicht nur für uns in herausragender Weise bedeutende Filmemacherin, im Alter von 91 Jahren an der Virus-Erkrankung verstorben ist. MONANGAMBEEE lautete ein Ausruf, mit dem Aktivist*innen des antikolonialen Befreiungskampfs in Angola Dorfversammlungen einberiefen. Ihr gleichnamiger Kurzfilm gehört zu den wichtigsten Werken unserer Sammlung. Wir sind bemüht, ihn zusätzlich in das Programm aufzunehmen.

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DIE FRAU MIT DER KAMERA (Claudia von Alemann, D 2015, OmE, 92 min) Porträt der Fotografin Abisag Tüllmann (1935-1996). Die Fotografien von Abisag Tüllmann haben sich tief in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannt. Die filmische Hommage stellt in mehr als 500 Schwarz-Weiß-Fotografien – ausschließlich aufgenommen von Abisag Tüllmann – Leben und Werk in den Zeitkontext der 1960er bis 1990er Jahre. Claudia von Alemann nähert sich ihrer Freundin über Bilder und Archivdokumente, Ausschnitte aus Filmen von Carola Benninghoven, Helke Sander, Alexander Kluge, Günther Hörmann und Ulrich Schamoni, über die Musik des Komponisten José Luis de Delás und über Briefe und Erinnerungen, wie jene der Fotografin Barbara Klemm, die ihre frühere Frankfurter Kollegin noch lebhaft vor Augen hat.

HARUN FAROCKI – ZWEIMAL (Ingo Kratisch, Lothar Schuster, D 2019, OmE, 36 min) verbindet zwei Perspektiven auf den Filmemacher Harun Farocki. Mitte der 1990er Jahre hat Lothar Schuster für seinen Film "Die Sache mit der Realität. Eine Collage über Dokumentarfilm" (1996) ein ausführliches Gespräch mit Farocki geführt, den er seit den späten 60er Jahren kannte. Farocki spricht über die Idee der Aufklärung, die Kompositionsregeln von Filmen, das Verhältnis von Bild und Text. Ingo Kratisch, zwischen 1977 und Farockis Tod Kameramann bei zahlreichen seiner Filme, hat bei den Dreharbeiten zu "Die Schöpfer der Einkaufswelten" (2001), "Zum Vergleich" (2009), "Ernste Spiele" (2009/10) und anderen Filmen mit Fotoapparat und Videokamera beiläufige Beobachtungen aufgezeichnet. In HARUN FAROCKI – ZWEIMAL wechseln die Aufnahmen von Schuster und Kratisch ab, das Sprechen und die Anschauung alternieren, kommentieren und ergänzen sich. Hier die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, dort das geduldige Warten, die Pausen und Vorbereitungen des Drehs. (Volker Pantenburg)

TONY CONRAD DREAMINIMALIST (Marie Losier, USA 2008, OF, 26 min) ist ein verträumtes Portrait von Tony Conrad, dem Experimentalfilmer, Musiker, Komponisten, Klangkünstler, Lehrer und Schriftsteller. Der Violonist Tony Conrad war einer der Pioniere des New York Minimalism. In diesem Portrait erleben wir Tony beim Spielen in seinem Atelier mit Kostümen und Perücken, beim Geigenunterricht in seiner Heimatstadt Buffalo, beim Kochen in Essig eingelegter Filme und bei Auftritten auf der Tonic und der Whitney Biennale in NYC. Der Film erinnert auch an seine ersten Handpuppenaufführungen mit seiner Mutter, an seine erste Begegnung mit Jack Smith und an sein Engagement bei Flaming Creatures. „DREAMINIMALIST porträtiert einen Künstler, der stets die Grenzen des Mediums inszeniert.“ (Stefanie Schulte Strathaus)

THE PERFORMER (Łukasz Ronduda, Maciej Sobieszczański, Polen 2015, OmE, 65 min) Ein Einblick in die Welt der zeitgenössischen Kunst auf den Spuren des Performancekünstlers Oskar Dawicki, der sich selbst spielt. Zentral für seine Kunst ist die Suche nach der Antwort auf die Frage, ob... Oskar Dawicki überhaupt existiert. Der Film begegnet Dawicki an einem Wendepunkt in seinem Leben, als er erfährt, dass sein Mentor Zbigniew Warpechowski bald sterben wird. Warpechowski war auch der Mentor von Dearest, Dawickis Freund aus Kindertagen, der später zu seinem Rivalen wurde, als er sich der kommerzielleren Kunst verschrieb. Der Film streift weitere Beziehungen in Dawickis Leben, die seine komplexe Persönlichkeit spiegeln. THE PERFORMER ist die erste Kunstausstellung in Form eines Spielfilms: Dawickis Arbeiten sind mit der Leinwand nicht nur durch Zeit und Raum, sondern auch durch Erzählung, Drama und Gefühl verbunden. Der Film führt gleichermaßen Performancekunst und Schauspiel sowie dokumentarische Filmarbeit und Erzählkino zusammen.

SULLIVANS BANKEN (Heinz Emigholz, D 1993-1999, ohne Dialog, 38 min) „Alle Gebäude, die jemals waren und sind, sind das physische Symbol für den psychischen Zustand der Menschen ... Jedes Gebäude steht für eine soziale Aktion“, schreibt Sullivan in dem Essay "What is Architecture" von 1906. „In allem, was die Menschen tun, hinterlassen sie einen unauslöschlichen Abdruck ihres Geistes. Geht man von dieser Voraussetzung aus, wird es in überraschender Weise klar, wie jedes einzelne Gebäude sich den Augen nackt präsentiert; wie jeder seiner Aspekte, bis hin zum kleinsten Detail, bis zur zartesten Bewegung der Hand, die Arbeit des Gehirns des Menschen enthüllt, der es gestaltet hat und uns dafür verantwortlich ist.“ Sullivan war mit 35 Jahren einer der berühmtesten Architekten Amerikas. Seine zusammen mit Dankmar Adler ausgeführte Wolkenkratzer-Trilogie "Wainwright Building", St. Louis 1892, "Guaranty Building", Buffalo 1896, "Bayard Building", NYC 1899, findet sich in jedem Architektur-Lexikon. Ausgangspunkt seiner Gestaltungen war die durch die Stahlgerüstbauweise möglich gewordene Trennung von Konstruktion und Fassade. Vorgehängte Fassaden, die keine tragende Funktion mehr hatten, wurden von ihm konsequent zur freien Gestaltung genutzt. Von Bauwerk zu Bauwerk variierte und perfektionierte er dabei innen wie außen sein modular ornamentales Design aus Backsteinen, Stahl, Gips, Terracotta, Glas, Keramik, Mosaiken, Marmor, Licht, Reliefs, Matritzenmustern, Holz und Metall.

THE 3 DISAPPEARANCES OF SOAD HOSNI (Rania Stephan, Libanon 2011, OmE, 68 min) Die Ägypterin Soad Hosni wurde 1943 geboren und beging 2001 Selbstmord. Als eine der berühmtesten arabischen Schauspielerinnen spielte sie in 82 Spielfilmen mit. Rania Stephan rekonstruiert Hosnis Leben, wobei sie ausschließlich Ausschnitte aus VHS-Kassetten ihrer Filme verwendet, die Hosni als Star zeigen. Der Film gliedert sich in drei Akte, einen Prolog und einen Epilog, und erzählt nicht nur die Lebensgeschichte eines Filmstars, sondern auch die des ägyptischen Kinos sowie der ägyptischen Gesellschaft. Der erste Teil zeigt die Schauspielerin singend und tanzend bei einem fröhlichen Beisammensein mit der Familie. Im zweiten Teil wird Hosni als begehrenswerte Frau in mitunter komplexen Beziehungen gezeigt. Der dritte Akt thematisiert den Stimmungswandel in der Gesellschaft, der mit der Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen einhergeht. Nicht nur der Körper von Soad Hosni ist verschwunden, auch diese Form des Kinos und das Medium VHS – drei Verschwundene.

COMMITTED (Sheila McLaughlin, Lynne Tillman, USA 1983, OmU, 76 min) ist ein Spielfilm über die Schauspielerin Frances Farmer, die in den 40er Jahren in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. Der Film versteht sich nicht als Biografie, sondern als fiktionale Analyse bestimmter Bereiche ihres Lebens: Er behandelt die gestörte Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter, das soziale und politische Klima in den USA der 30er und 40er Jahren, die Rolle der Psychiatrie als zunehmend mächtige Determinante des amerikanischen Lebens und die destruktive Liebesgeschichte zwischen einer Frau und einem Mann. In COMMITTED kommt die Gestalt der Frances Farmer selbst zu Wort und erzählt ihre Version der Geschichte. Ihre Selbstwahrnehmung und Sicht auf die Vergangenheit stehen in Kontrast zu Schilderungen und Wertungen anderer – besonders der Vertreter von gesetzlichen und psychiatrischen Institutionen, mit denen sie zu tun hatte sowie ihrer Mutter. Darüber hinaus betrachtet COMMITTED die Institution Psychiatrie und ihre Entwicklung in den USA seit den 30er Jahren. Im Einklang mit der Regierung versuchten die Psychiater damals festzusetzen, was für die Bürger als normal zu gelten hatte, und trugen damit zur Definition des amerikanischen Lebens bei. (Sheila McLaughlin)

CASTANHA (Davi Pretto, Brasilien 2014, OmU, 96 min) “What have I become? Me, a true 80's creature?“, fragt die von João Carlos Castanha verkörperte Figur in einem Theaterstück und meint damit ebenso gut sich selbst: João, 52, Schauspieler und Transvestit, hat seine besten Jahre hinter sich. Er ist krank, hat Liebhaber und Weggefährten verloren und wirkt müde, setzt seinen Lebenswandel indes unbeirrt fort. Gemeinsam mit seiner Mutter bewohnt er zwei Zimmer in einer abgeriegelten kleinbürgerlichen Wohnanlage, nachts tritt er in kleinen Theatern und Schwulenbars auf. Mindestens genauso viel Zeit wie für Joãos Performances und sein unvergessliches Gesicht nimmt sich der Film für die einsamen Momente in schäbigen Backstage-Räumen und die präzise Erkundung eines – mal zärtlichen, mal unbarmherzigen und brutalen – Milieus, dessen flüchtiger Glanz billige Oberfläche ist. Auf vielschichtige Weise verbinden sich dokumentarische Beobachtung, Inszenierung und fiktive Elemente zu einer Erzählung über Leben und Tod: Während sich João schon mit einem Bein im Grab wähnt und von den Geistern seiner Vergangenheit heimgesucht wird, feiert er hartnäckig das Leben. “I think I might go to hell. Hell is a rave. An eternal rave." (Hanna Keller)

BETE & DEISE (Wendelien van Oldenborgh, Brasilien, Niederlande 2012, OmE, 41 min) zeigt die Begegnung zweier Frauen in Rio de Janeiro, die in ihrer jeweils eigenen Art und Weise der Öffentlichkeit eine Stimme geben. Bete Mendes ist eine Veteranin der Telenovela-Darstellerinnen und politische Aktivistin, Deise-Tigrona eine der stärksten Stimmen des Baile Funk, deren Song "Injeção" Ausgangspunkt für den Song "Bucky Done Gun" der Musikerin M.I.A. war. Der Film entstand im Rahmen von Van Oldenborghs Recherchen zum brasilianischen Kino und ihrer Untersuchung von Gesten im öffentlichen Raum als Ausdruck sozialer Verhältnisse.

ABSENT PRESENT (Angelika Levi, Spanien, Deutschland, Senegal 2010, OmE, 85 min) Benji wurde 1979 als kleines Kind aus Namibia in die DDR gebracht und 1990 nach der Wiedervereinigung dorthin zurückgeschickt. Zwei Jahre später reist er per Anhalter, als Tourist verkleidet, nach Europa zurück. Doch „in diesem Film gibt es keine Hauptdarsteller. Benji, der es hätte sein sollen, ist verschwunden“, heißt es zu Beginn des Films. Auf ihrer Spurensuche verknüpft Levi assoziativ die Geschichte des Geflüchteten mit den Fluchtgeschichten derer, die sie unterwegs trifft. Die Reise führt von Deutschland nach Namibia, aufs spanische Festland und die Kanarischen Inseln, bis in den Senegal. Ohne eine geografische oder politische Landkarte zeichnen zu wollen, entsteht ein essayistischer Dokumentarfilm über verschiedene Formen des Reisens: Urlaub und Migration, gewollte und erzwungene Rückkehr.

SUSPENDED FREEDOM (May El Hossamy, Ägypten 2011, OmE, 11 min) Der Film folgt einer Haushälterin, die in Kairo von Haus zu Haus geht, und dabei über ihr Privatleben spricht. Der Ehemann der Frau war sieben Jahre lang inhaftiert,  bis er während der ägyptischen Januarrevolution mit einer Vielzahl anderer ägyptischen Gefängnisinsassen entlassen wurde.

MEIN BRUDER. WE’LL MEET AGAIN (Thomas Heise, D 2005, OmE, 59 min) Mein Bruder ist Koch. Er hat die Stadt verlassen und seine Stammkneipe in Berlin im Prenzlauer Berg. Er lebt jetzt seit einem Jahr in Frankreich, in den Bergen, unterm Dach der Pension von Micha und Yvonne. Andreas hat gedacht, er stirbt hier, drei Infarkte, eine Operation, das Herz und nichts mehr vor, aber daraus wird nichts. Mein großer Bruder hat sich plötzlich verliebt. In Vanina, die Frau vom Hufschmied mit den drei Söhnen. Micha finanziert die kleine Pension durch seine Arbeit auf Herzstationen in der Schweiz und in Deutschland. Er ist Kardiotechniker, Yvonne ist es gewesen. Sie nimmt sich jetzt Zeit für die Kinder. Mein Bruder arbeitet für Micha und Yvonne. Er kocht für sie und für die paar Sommergäste. Jetzt ist Oktober, mein Besuch ist kurz. Ich möchte mit meinem großen Bruder über Micha reden, seinen Freund. Unsern IM. Hier geht es nicht um Geheimdienste. Es geht um meinen Bruder und mich. Das Unausgesprochene zwischen uns. Sonst hätte ich diesen Film nicht gemacht. (Thomas Heise)

HAVE YOU EVER KILLED A BEAR? OR BECOMING JAMILA (Marwa Arsanios, Libanon 2014, OmE, 25 min) Die Geschichte der ägyptischen Zeitschrift Al-Hilal in den 1950er und 60er Jahren bildet den Ausgangspunkt für ein Porträt der algerischen Freiheitskämpferin Jamila Bouhired. Die Schauspielerin, die Jamila spielen soll, hält die Titelseiten des Magazins in die Kamera. Ausgehend von Jamilas unterschiedlichen Inkarnationen – im Kino und in Zeitschriften – versucht die Performance auf die Geschichte zurückzublicken: Sozialistische Gesellschaftsentwürfe in Ägypten sowie der antikoloniale Befreiungskampf Algeriens werden dahingehend betrachtet, ob sie feministische Vorhaben unterstützt oder marginalisiert haben. Jamila wurde zur Ikone des Algerischen Unabhängigkeitskrieges – die klare Rollenverteilung der Geschlechter, die Frauen aus dem öffentlichen Leben ausschloss, schien für kurze Zeit aufgehoben. Verschiedene Stimmen und Materialien aus Film und Presse werden herangezogen, um dieser Geschichte nachzugehen. Was bedeutet es, die Rolle der Freiheitskämpferin zu spielen? Inwiefern dient die Konstitution des Subjekts zwischen künstlerischer Darstellung und politischem Wirken bestimmten politischen Zielen?

JOKINEN (Laura Horelli, Finnland 2016, OmE, 45 min) Im Jahr 1931 rückte der von der US-amerikanischen Kommunistischen Partei in Harlem, New York organisierte sogenannte Yokinen-Prozess den Finnen August Jokinen ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Jokinen, Hausmeister im Finnischen Arbeiterclub, wurde vorgeworfen, drei afroamerikanische Kommunisten während eines vom Club ausgerichteten Tanzabends nicht gegen rassistische Anfeindungen verteidigt zu haben. Nach seinem Schuldeingeständnis wandelte sich Jokinen zu einem Vorkämpfer für Bürgerrechte und trat in dieser Funktion öffentlich auf, bis er wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei verhaftet und nach Finnland ausgewiesen wurde. Laura Horelli erzählt Jokinens Migrationsgeschichte als historische Recherche und Detektivgeschichte. Sie arrangiert ihre Archivfunde – Zeitungsartikel, Bücher, Fotos – auf einer Tischplatte, positioniert sie zueinander, unterstreicht, schneidet aus, deckt ab und malt aus. Die so entstehende, analoge Desktop-Doku folgt August Jokinens öffentlicher Erzählung bis in die Gegenwart – zu einer Mailboxnachricht auf einem russischen Mobiltelefon.

XÉNOGÉNÈSE (Akihiko Morishita, Japan 1982, ohne Dialog, 7 min) Ein Experimentalfilm über die Dualität seines Mediums: Material und Bild. Ein Mann in Hemd und Krawatte – der Filmemacher selbst – läuft auf einem Schrottplatz im Kreis herum und verwischt diese Dualität zusehends, während mehr und mehr Laufstreifen auf der Oberfläche des Films erscheinen. Der Film nutzt Trompe-l’œil-Effekte, um sich auf humorvolle Weise mit dem Kreislauf des Lebens auseinanderzusetzen und ist, in seiner Funktion als ungewöhnliches Selbstportrait des Künstlers, gleichzeitig eine liebevoll-ironische Hommage an das Home-Movie-Genre.

WITH SOUL, WITH BLOOD (Rabih Mroué, Libanon 2006, OmE, 5 min) zeigt den vergeblichen Versuch Rabih Mroués, durch intensive Betrachtung eines körnigen Zeitungsfotos, das eine riesige protestierende Menge zeigt, Spuren seiner eigenen Anwesenheit bei dem politischen Ereignis zu finden.

TOSS IT, BABY!  (Justin Time, USA 2007, ohne Dialog, 6 min) Eine blonde Frau steht an einer kalifornischen Strandpromenade und schüttelt ihr langes Haar. Die Bewegung ist bekannt stereotyp und wirkt in den ersten Sekunden wie Shampoo-Werbung, entpuppt sich jedoch als roboterhaft endlos wiederholt. Eine scheinbar harmlose Geste wird in ihrer Wiederholung unangenehm schmerzhaft und enthüllt ihre normative Struktur.

Berlin Trilogie: DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE (Ulrike Ottinger, BRD 1984, OmE, 151 min) entlarvt die verführende und verführerische Macht der Medien. Frau Dr. Mabuse, Chefin eines Pressekonzerns, erschafft sich mit dem androgynen Dorian Gray einen Menschen, der vollkommen von ihr abhängig ist. "Der Titel entspricht in der Komplexität seiner Bedeutung dem Film. Die naheliegende Assoziation ist die zu Dorian Gray, also die literarische; zum anderen der Narzissmus, das Dandytum, Fin de Siècle. Im Spiegel der Boulevardpresse – zu Prousts Zeiten bereits als Gesellschaftsnachrichten bekannt – hab' ich als Beispiel genommen, um über eine neue Form von Machtausübung etwas zu sagen im Film, über die spezifischen Möglichkeiten eines Medienkonzerns." (Ulrike Ottinger)

Unser Dank geht diese Woche an die Filmemacher*innen Claudia von Alemann & den Verleiher Jürgen Lütz eK, FilmKinoText, Ingo Kratisch & Lothar Schuster, Marie Losier, Łukasz Ronduda & Maciej Sobieszczański, Heinz Emigholz & Filmgalerie 451, Rania Stephan, Sheila McLaughlin & Lynne Tillman, Davi Pretto, Wendelien van Oldenborgh, Angelika Levi, May El Hossamy, Thomas Heise & Deckert Distribution & Ma.ja.de. Filmproduktions GmbH, Marwa Arsanios, Laura Horelli, Akihiko Morishita, Rabih Mroué, Justin Time und Ulrike Ottinger.

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Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds