FORGETTING VIETNAM ist eine meditative Erkundung von Geschichte im Prozess der Wiedergutmachung. Durch visuelle Interpretationen des Nationalgedichts Vietnams entsteht ein affektives Bild von Nation. Zum 40. Jubiläum des Endes des Vietnamkriegs nutzt Trinh in ihren Verweisen auf verschiedene Legenden der Wasserwege die Motive ‚Wasser‘ und ‚Boot‘. Der Film fragt mutig: „Kann man einen Krieg einfach ins Museum stellen?“ und „Können die Überlebenden eines Kriegstraumas vergessen?“ Zwei Fragen, die in Deutschland und dessen Hauptstadt Berlin besondere Bedeutung annehmen. Wortfragmente fallen wie Regen auf die Bilder, langsame Zooms führen aus Interaktionen mit dem Meer heraus und in Ereignisse in der Metropole hinein. Der pastellfarbene Text bewegt sich, gleitet, verblasst, und läuft über die Leinwand. Er besteht aus Zitaten, Notizen zur genutzten Aufnahmetechnik (Hi8-Video im Jahr 1995 und HD im Jahr 2012) und rhetorischen Fragen. Er ist eine omnipräsente Stimme, selbstbewusst, doch nicht über Selbstkritik erhaben. „Kamera-Gedächtnis für menschliche Vergesslichkeit… oder ist es umgekehrt?“ Trinhs Montage ist aktiv und präsent: Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Konstruktion des filmischen Texts. Videoeffekte wie Bild-im-Bild, weiche Blenden sowie Wisch-, Schiebe-, Iris- und Kastenblenden sind die verbindenden Elemente des Bewegtbild-Tagebuchs. Umkehrungen und Wiederholungen warnen davor, Zeit in diesem Video-Essay über Fortgang und Rückkehr als chronologisch zu verstehen.
Für die Geflüchtete Lillian, die zur Aktivistin wurde, erscheint Wiedergutmachung in Christa Joo D‘Angelos empathischem Porträt PROTEST AND DESIRE in Form einer europäischen medizinischen Behandlung. Geduldig zerstreut Lillian Annahmen über das Leben als HIV-positive Migrantin in Deutschland und formuliert die Erfahrung von „Europa als Therapie.“ D‘Angelo schafft mit Pastelltönen eine harmonische und ruhige Atmosphäre, während Lillians mutige und selbstsichere Statements einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen, der stark genug ist, Vorurteile in sich zusammenfallen zu lassen. Eine bewegende Geschichte darüber, wie Migration Leben rettet und wie couragierte Migrant*innen jeden Tag daran arbeiten, neokoloniale Denkmuster zu verändern.
Muster spielen eine andere Rolle in den Animationsfilmen PORTRAIT OF MARIELLE FRANCO und HOMMAGE TO WANGARI MAATHAI. Diese eklektischen, handgemalten transatlantischen Porträts entstanden kollektiv und kollaborativ im Rahmen von Workshops in Nairobi und Salvador de Bahia. Eines ist eine farbenfrohe und erfrischende Feier der verstorbenen kenianischen Aktivistin Wangarī Maathai, einer Umweltschützerin, die in den späten 1960er Jahren an der Universität Gießen und der Universität München Recherchen für ihre Doktorarbeit betrieb, nach ihrer Rückkehr nach Nairobi 1977 das Green Belt Movement gründete und später ins Parlament gewählt wurde. Der Film feiert ihre Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis.
Der zweite Film ist eine ebenso handgezeichnete Hommage an die brasilianische Aktivistin Marielle Franco, eine Politikerin und Aktivistin, die 2018 ermordet wurde. Franco kämpfte als Abgeordnete im Stadtrat Rio de Janeiros für Reproduktionsrechte und für ein Ende geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Regisseurin Ng’endo Mukii verbindet Bilder von Menschen, die gegen die Ermordung der Politikerin protestieren mit Aufnahmen der durch die Favelas laufenden Franco – eine Kombination, die die Zeit aushebelt und eine lebendige Erinnerung in Bewegung setzt. Die zwei kurzen Animationen feiern Frauen aus dem Globalen Süden und machen die Energien spürbar, die durch das Teilen von Geschichten über Schwarze Frauen und Widerstand in Zirkulation geraten.
Geduldig porträtiert LA JAVANAISE die Zirkulation von Waren und die affektive Beziehung von Mode und Nationalität. Der niederländische Tuchhersteller Vlisco stellt seit den 1830er Jahren Stoffe für den westafrikanischen Markt her. Die umgangssprachlich als Java Holland Wax bekannten Muster und deren Herstellungsprozess entstanden aus Versuchen, indonesische Batik nachzuahmen, die schließlich in Westafrika Abnehmer*innen fanden. Auf einem gemächlichen Spaziergang durch das ehemalige Kolonialmuseum in Amsterdam setzen sich das Fashion-Model Sonja Wanda und der Künstler Charl Landvreugd (der früher ebenfalls als Model arbeitete) mit dem Raum in Beziehung und tauschen sich über ihre Erfahrungen mit der Arbeit für die niederländische Firma aus, die afrikanische Stoffe herstellt. Während ihres Streifzugs durch das Museum betreten die beiden die nicht-öffentlichen Räume der Institution und enthüllen die Fetische des Archivs. Die Stimme des Theoretikers David Dibosa unterfüttert die Unterhaltung mit einer Kontextualisierung der Beziehung zu javanischer Batik, während Landvreugd und Wanda Geschichten über Stoffmuster als subversive Botschaften und die Übermittlung von Zeichen durch bestimmte Arten, einen Stoff zu tragen, erzählen.
Das Land trägt die Zeichen von Heimat im queeren indigenen Roadmovie HOMELANDS. Thirza Cuthand nimmt uns mit an die Orte, die ihre Großeltern, deren Vorfahren Iren und Cree waren, ihr zu Hause nannten. Die Regisseurin begleitet die Geschichten ihrer Vorfahren mit zärtlicher Do-it-Yourself-Aufmerksamkeit für Videodokumentation und Archivmaterial, gepaart mit ironischem Witz. Cuthands Urgroßvater wurde während der Nordwest-Rebellion von 1885 im Kampf gegen die kanadische Regierung gemeinsam mit anderen First Nations Cree und Assiniboine aus dem Distrikt Saskatchewan verwundet. Ihre Urgroßmutter kam 1916, während des Ersten Weltkriegs, in einem Geleitzug per Schiff von Schottland nach Kanada. Der Film verwebt Geschichten vom Überleben mit Home Videos und Interviews und porträtiert die Beständigkeit von Familie und Erinnerung.
Erinnerung ist greifbar in Jessica Lauren Elizabeth Taylors zartem Film MUTTERERDE. Die Erde als Mutter und die oberste, fruchtbare Schicht des Erdreichs, die den Pflanzen Leben schenkt: Der Film spielt mit der Doppeldeutigkeit seines Titels und verknüpft die Geschichten von transnationalen Schwarzen Femmes und ihren Müttern. Er ist ein fruchtbarer Safe Space für feministische Erzählungen von Geschichten des Widerstands und eine Hommage an Gärten von Frauen*. Über Erfahrungen aus fünf Ländern hinweg zeichnen die Frauen* das matriarchale Wissen ihrer Familien nach, weisen auf die durch Trauma und neokoloniale Strukturen bedingten Unterbrechungen in dessen kultureller Archivierung hin und feiern die Frauen*, die sie groß gemacht haben.
Die Idee der Mutter als „Heimat“ setzt sich in MOTHER, I AM SUFFOCATING. THIS IS MY LAST FILM ABOUT YOU fort. Schwarz-weiß, nachdenklich und leidenschaftlich in seiner Artikulation von Leid, ist der Essayfilm von Lemohang Jeremiah Mosese ein intimer, akribisch verfasster, aber nie abgeschickter Abschiedsbrief. Wie kann man seinem Heimatland Lebewohl sagen? Eine fahrige Stimme teilt, europäische Filme und deren Kino-Abschiede zitierend, Bruchstücke intimer Erinnerungen gepaart mit popkulturellen Referenzen. Das wiederhallende und knisternden Lamento des vorgetragenen Briefes fühlt sich dreifach entfremdet an – eine akustische Repräsentation von im Exil vergegenwärtigten Erinnerungen. Schweißgetränkt, ein Holzkreuz hinter sich herziehend, durchquert Moseses barfüßige*r Protagonist*in das heutige Lesotho. Bisweilen erwidern sie unseren Blick und den der unbeeindruckten Zuschauer*innen in den Straßen. Sie werden von einer weiteren Figur begleitet, einer wunderschönen Fee mit durchscheinenden Flügeln, die tanzt und in die Kamera lächelt. Diese beiden Charaktere, einer schwer beladen, ein anderer federleicht, führen uns durch die Stadt. Der Film spricht in Bildern leerer Märkte, karger Landschaften und intimer Blicke; Porträts, die in der Gegenüberstellung mit dem elegischen Voice-Over in Schwingung geraten. Die Kamera zeichnet ihre Erinnerungen auf: in schwelgenden, langen Einstellung, vereinzelten aus der Hand gedrehten Sequenzen, lebendigen Standbildern und gezielten extremen Nahaufnahmen. Moseses Lesotho ist modern, pittoresk und komplex.
Die menschliche Vergesslichkeit, die von dieser Auswahl filmischer Aufzeichnungen in Erinnerung gerufen wird, zeigt sich in je eigenen Syntaxen des diaristischen, collagierten Erzählens. Die persönlichen und zärtlichen Herangehensweisen der Filme gehen unter die Haut und greifen nach Erinnerungen, die mit unseren Sinnen verschaltet sind. Sie sind sanft und sensibel in ihrer Übermittlung von Erfahrungsberichten. Die Filme gehen über die Diskussion politischer, sozialer und ökonomischer Ungleichheiten hinaus und fragen, wie das bewegte Bild die affektive Tiefe vergangener und gegenwärtiger Gräuel festhalten kann.
(Karina Griffith)