Direkt zum Seiteninhalt springen

Im Januar setzen wir die umfangreiche Retrospektive Kenji Mizoguchi mit neun weiteren Filmen fort. Darunter finden sich sowohl einige zu Unrecht weniger bekannte Werke sowie Arbeiten, die während des Zweiten Weltkriegs sowie in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden sind – Zeiten der politischen Einflussnahme und Zensur durch die japanische Regierung bis 1945 bzw. nach dem Krieg durch die amerikanische Besatzungsmacht. Die Auflagen letzterer bestanden u.a. darin, Werte wie „Demokratie“ und „Emanzipation“ filmisch umzusetzen. Jenseits von Vorgaben formulierte Mizoguchi seine zum Teil radikal-scharfe Kritik an den patriarchalen Strukturen Japans, an den rigiden gesellschaftlichen Konventionen und der Unterdrückung der Frau bereits zu Beginn seiner Karriere. Augenfällig indes ist die Härte und Vehemenz einiger Szenen seiner Nachkriegsfilme – beredter Ausdruck einer tief greifenden sozialen Verunsicherung innerhalb der japanischen Gesellschaft.

ZANGIKU MONOGATARI (The Story of the Last Chrysanthemums, Japan 1939, 8.1.) Angesiedelt in der Kabuki-Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, erzählt dieses Hauptwerk des geidomono-Filmgenres vom charakterschwachen jungen Schauspieler Kikunosuke, der auf Kosten seiner Geliebten Otoku zu einem gefeierten onnagata (männlicher Darsteller von Frauenrollen) wird. Die fatale Bedingtheit vom Aufstieg des einen und der Entsagung der anderen zeigt Mizoguchi mittels atemberaubender Kranfahrten und herausragend komponierter langer Einstellungen. „Wenn im Ablauf einer Szene mit sich steigernder Dichte ein psychischer Akkord auftritt, vermag ich nicht, die Szene plötzlich zu schneiden. Ich versuche, den Augenblick zu intensivieren, indem ich die Einstellung so lange wie möglich anhalte. Solcherart ist der Inszenierungsstil entstanden, den man bei mir beobachten kann – weder aus bewusster Überlegung noch aus Sucht zur Neigung.“

JOYU SUMAKO NO KOI (The Love of Sumako the Actress, Japan 1947, 9. & 23.1.) Ein Leben für das Theater, auf und hinter der Bühne führen Schauspielerin Sumako Matsui und Regisseur Hogetsu Shimamura. Nach realen Personen modelliert – Sumako war eine der ersten großen modernen Schauspielerinnen Japans und Shimamura gilt als wesentlicher Modernisierer des japanischen Theaters – brechen Mizoguchis Protagonisten mit gesellschaftlichen Konventionen und verfolgen ihre gemeinsame Leidenschaft für die Idee eines fortschrittlichen Theaters. Sinnfällig aufgespannt zwischen Szenen aus Ibsens „Nora“ und einer Theaterfassung von „Carmen“ entwickelt sich nicht nur die Liebesgeschichte zwischen Matsui und Shimamura, sondern auch ein Mosaik von Erfolgen und Niederlagen, bürgerlicher Moral und menschlicher Aufrichtigkeit, tristen Tournee-Spielorten und der Hoffnung auf eine fulminante Rückkehr nach Tokio. In der Titelrolle brilliert Kinuyo Tanaka als so selbstbewusste wie kämpferische Schauspielerin.

GENROKU CHUSHINGURA (The 47 Ronin, Japan 1941, Teil 1, 13.1., Teil 2, 14.1.) Mizoguchis im Krieg gedrehte Variante des populären chambara-Genres, einer Unterkategorie des klassischen jidai-geki (Historienfilm), bürstet das Genre gegen den Strich: Dramatische Kampfszenen weichen kunstvollen Choreografien von Figuren und Räumen, die genreüblichen schnellen Schnittfolgen ersetzt Mizoguchi mit den für ihn charakteristischen Plansequenzen, Rasanz transformiert er in beherrschte Getragenheit bis hin zum punktuellen Stillstand, der indes seiner Druckentladung drängend entgegenstrebt. Propagandistischer Impetus scheint mit der Verhaltenheit des Films zu kollidieren. Ausgangspunkt des epischen Zweiteilers ist das Fehlverhalten des japanischen Fürsten Asano, der in Folge seines impulsiven Angriffs auf einen anderen Fürsten verurteilt wird, rituellen Suizid zu begehen. Asanos Gefolgsleute sind fortan entehrte Ronin, die auf Rache sinnen, um die Ehre ihres Herrn und damit die eigene wiederherzustellen. Doch auch das Üben von Vergeltung unterliegt im Japan des frühen 18. Jahrhunderts einem regelhaften Ehrenkodex.

UTAMARO O MEGURU GONIN NO ONNA (Utamaro and His Five Women, Japan 1946, 17.1.) Trotz strenger Auflagen der US-amerikanischen Besatzungskräfte in Japan vor allem in Hinblick auf die Verfilmung historischer Stoffe widmet sich Mizoguchi in seiner ersten Nachkriegsarbeit der Welt des legendären japanischen Farbholzschnittkünstlers des 18. Jahrhunderts, Kitagawa Utamaro. Im Mittelpunkt steht der Werdegang Utamaros sowie die teilweise tragischen Schicksale seiner Modelle, die der Künstler hauptsächlich in den Tokioter Vergnügungsvierteln findet. Der Film gilt als Mizoguchis autobiografischste Arbeit; sein langjähriger Drehbuchautor Yoda schrieb, dass Utamaros „ästhetischer Perfektionismus, seine persönlichen Schwächen und seine emotionale Distanz der Persönlichkeit Mizoguchis nachgestaltet wurden. So wie Utamaro im Chaos seiner Umgebung beim Gedanken an seine nicht realisierten Bilder Trost -findet, so trotzt auch Mizoguchi den ihm auferlegten künstlerischen Beschränkungen UTAMARO ab, seinen einzigen Film in dieser Periode. Er gewann daraus eine unerschütterliche Entschlossenheit und eine unerreichte technische Reife, die sich bis zu seinem vorzeitigen Tod im Jahr 1956 weiterziehen sollte.“

YORU NO ONNA TACHI (Women of the Night, Japan 1948, 17. & 24.1.) On location in Shinsekai, Osakas berüchtigtem Rotlicht- und Yakuza-Viertel gedreht, zeigt Mizoguchi in geradezu neorealistischer Manier ein von Kriegszerstörung geprägtes Japan und eine so versehrte wie verunsicherte Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen die Kriegswitwe Fusako (Kinuyo Tanaka), ihre Schwester Natsuko, die als Tänzerin in einem Nachtlokal arbeitet und die naive junge Kumiko, die einem Kleinkriminellen und seiner Bande in die Hände fällt. Als sich herausstellt, dass Fusakos Freund auch Natsuko nachstellt, beginnt für alle drei eine dramatische Abwärtsspirale, die unweigerlich in der Prostitution endet. Mizoguchis Romanverfilmung ist eine schonungslose, streckenweise wilde Anklage gegen Unterdrückung und Ausbeutung, der Frauen im Nachkriegsjapan ausgesetzt waren.

WAGA KOI WA MOENU (My Love Has Been Burning, Japan 1949, 18. & 23.1.) Der letzte Teil von Mizoguchis „Women’s Liberation Trilogy“, nach Victory of Women (1946) und The Love of Sumako the Actress (1948), wurde in der zeitgenössischen japanischen Kritik als „Film eines wilden Tiers“ bezeichnet. Mizoguchi selbst spricht von einem „barbarischen Film“. Unerbittlich mit zuweilen brutalen Szenen entlarvt die filmbiografische Annäherung an eine der ersten Frauenrechtlerinnen Japans Fukuda Hideko die Selbstgefällig- und Scheinheiligkeit der vermeintlich liberalen Politik Japans Ende des 19. Jahrhunderts. Die junge Eiko verlässt ihre Familie, um in Tokio an der Seite eines Mannes politisch aktiv zu werden. Als ihr bewusst wird, dass die Rechte für Frauen an der eigenen Haustür aufhören, verlässt sie ihren korrupten Ehemann und gründet eine Schule für Frauen.

CHIKAMATSU MONOGATARI (The Crucified Lovers, Japan 1954, 18. & 24.1.) Kioto im Jahr 1684. Der ungerechtfertigte Verdacht des Ehebruchs fällt auf die junge Osan, die ihren Mann Ishun, einen so reichen wie grobschlächtigen Hoflieferanten, mit dessen Gehilfen Mohee betrogen haben soll. Da eine unerlaubte Liebesbeziehung das rigide Regelwerk der Feudalgesellschaft unterläuft und auf das Strengste bestraft wird, fliehen die Beiden. Erst auf der Flucht gestehen sich Osan und Mohee ihre gegenseitige Liebe. Um die zentrale Liebesgeschichte siedelt Mizoguchi eine Vielzahl von Figuren und Vignetten an – fließend und präzise umkreist von Kameramann Kazuo Miyagawa, einem der regelmäßigen Bildgestalter des Regisseurs.

YOKIHI (Princess Yang Kwei-fei, Japan 1955, 19. & 25.1.) In der Hoffnung auf ein internationales Publikum realisierte Mizoguchi seinen ersten Farbfilm als Koproduktion mit den Hongkonger Produzenten Runrun und Runme Shaw, die wiederum auf Mizoguchis Namen als kulturelles Gütesiegel spekulierten. Beide Erwartungen wurden enttäuscht: Das Publikum zeigte sich vom chinesischen Sujet irritiert, die Shaw Brothers von Mizoguchis aus ihrer Sicht zu poetischen Handschrift. Das Melodram transferiert das klassische Mizoguchi-Thema des Opfergangs einer Frau an den chinesischen Kaiserhof des 8. Jahrhunderts. Der verwitwete Kaiser verliebt sich in eine junge Bedienstete und macht sie zu seiner Geliebten. Die Verbindung führt zu einer politischen Katastrophe.

AKASEN CHITAI (Street of Shame, Japan 1956, 22. & 26.1.) Nach zwei monumentalen Historienfilmen kehrte Mizoguchi mit seiner vermächtnishaften letzten Arbeit zu einem gegenwärtigen Stoff und in das ihm vertraute Rotlichtmilieu zurück. Vergleichsweise kühler und härter im Ton führt Mizoguchi fünf Prostituierte unterschiedlichster Herkunft und Persönlichkeit – nicht zuletzt in Bezug auf ihr Verhältnis zu ihrem Beruf – zusammen. Verbindendes Element der Frauen ist der gemeinsame Arbeitsplatz in einer Tokioter Bar sowie der Umstand, dass ihre unmittelbare Zukunft von einem Gesetzentwurf zum Verbot der Prostitution abhängt, die im japanischen Parlament diskutiert wird. Alternative Lebensentwürfe werden zwischenzeitlich ausprobiert, doch ihr Überlebenskampf in einer von Männern und Geld dominierten Welt geht weiter. Im Gegensatz zum Film, in dem besagtes Gesetz im Parlament scheitert, wird es in Japan im Mai 1956 nach der Uraufführung des Films verabschiedet und tritt ein Jahr später in Kraft. (mg/gv)

Die Retrospektive wurde ermöglicht durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds. Wir danken der Japan Foundation in Tokio und dem National Film Archive of Japan/Tokyo sowie dem Japanischen Kulturinstitut in Köln für die umfassende Unterstützung.

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)

Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds