Obwohl Erika Richter als Ostberlinerin erst nach dem Fall der Mauer und nach der „Wende“ wirklich zu uns stoßen konnte, kannten wir sie und ihren Mann Rolf Richter schon seit den 70er Jahren und begegneten ihnen auf unseren filmischen Erkundungen in Ostberlin. Wir trafen uns auf Festivals wie Leipzig, Karthago oder Moskau, entdeckten eine gemeinsame Sprache, gemeinsames Interesse für Filme. Wir luden beide als Journalisten zum Forum der Berlinale ein, was nicht immer leicht war und bis 1975 auf Verbote und Einschränkungen stieß (mal durfte nur der eine, dann die andere kommen).
1990, als das nunmehr möglich wurde, baten wir Erika Richter ins Auswahlkomitee des Forums. Endlich hatten wir mit ihr eine authentische Stimme des Ostens, die uns bislang fehlte. Erika vermittelte uns den Kontakt zu Filmemachern der DDR, gab uns Empfehlungen für neue Filme, immer aus ihrer persönlichen Perspektive. Ihre Stimme war ebenso wichtig beim Umgang mit anderen Filmen aus Osteuropa, aus der UdSSR, Ungarn oder Polen. Unvergesslich waren ihre Beiträge für die Informationsblätter des Forums. Wenn wieder ein Film von Winfried und Barbara Junge aus ihrer Serie „Die Kinder von Golzow“ lief, dann machte Erika Richter unweigerlich ein Interview mit den Junges von epischer Länge, das den Rahmen sprengte, aber trotzdem gedruckt wurde.
Zu ihren zahlreichen Texten und Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften gehört auch ihre Eloge auf das Arsenal, die sie 2013 für „Kinema Kommunal“ verfasste, ein wunderschöner Text voller Enthusiasmus und Bewunderung für unsere Arbeit. Sie nannte das Arsenal den „Leuchtturm der Filmkunst“ und „die Heimstatt der Gleichgesinnten“.
Erika Richter war als Dramaturgin an vielen Filmen der DEFA beteiligt, als Kritikerin war ihr Horizont aber weitgespannt, so galt ihr Interesse insbesondere den außereuropäischen Filmen und den Filmen von Frauen. Sie schätzte und liebte die Filme des italienischen Neorealismus, setzte sich aber auch für Filme ganz anderer ästhetischer Handschrift ein. Sie bewunderte das Werk von Helma Sanders-Brahms und Fred Kelemen, für dessen Filme sie sich unermüdlich engagierte. Gemeinsam mit Fred Kelemen kuratierte sie eine Retrospektive des armenischen Films im Arsenal, in deren Rahmen unvergessliche Filme (so Wir von Artavazd Peleshian) zur Aufführung kamen.
Zu Erika Richters großen Leistungen gehört auch die Herausgabe der Zeitschrift „Film und Fernsehen“, die sie nach dem Tod von Rolf Richter allein weiterführte, mit heroischer Anstrengung von Nummer zu Nummer, von 1993 bis 1997. Diese Zeitschrift gehörte zu den besten deutschsprachigen Filmzeitschriften, höchst interessant und neuartig ihr Ansatz, eine fortdauernde osteuropäische Perspektive und Überlegungen zu neuen Filmformen aus westlichen Ländern in einen gemeinsamen Diskurs zusammenzuführen.
Erika Richters Filmarbeit war getragen von einer Liebe für alle neuartigen Filmformen und filmischen Befreiungsbewegungen, vom Bedürfnis nach Kommunikation und der Verpflichtung zur Unterstützung solcher Bewegungen, was unter den Bedingungen des realen Sozialismus in der DDR zu manchen Konflikten, Verboten und – auch in Erika Richters eigener Arbeit – zu nicht zuendegeführten Projekten führte.
Erika Richter starb im August im Alter von 82 Jahren. Als Hommage auf sie und als Ausschnitt aus ihrer Arbeit zeigen wir den Film RÜCKWÄRTSLAUFEN KANN ICH AUCH von Karl Heinz Lotz aus dem Jahr 1989. (Erika und Ulrich Gregor) (26.10.)