Der Streamingbereich www.arsenal-3-berlin.de präsentiert im Februar eine Werkschau mit den Filmen von Birgit Hein. Experimentell, politisch und privat: Rückblickend beschreiben diese Begriffe vielleicht das ganze Spektrum eines „unabhängigen“ Kinos. Welche Reibungsprozesse jedoch hinter diesen Begriffen stecken, welche Momente der Ausdifferenzierung notwendig waren, um Positionen auszuloten, die heute gänzlich verschwunden zu sein scheinen, zeigt das filmische Werk Birgit Heins, das bis zu ihrer Trennung im Jahre 1989 auch das ihres früheren Ehemannes Wilhelm Hein ist.
Durch ihre Bücher und Texte hat Birgit Hein notwendige Verbindungen zwischen Theorie und Praxis, Geschichte und Gegenwart hergestellt. Ihre Bewegung von der bildenden Kunst zum Materialfilm, das Zeigen von Filmen und der fließende Übergang zur Performance, das autobiographische Projekt, das den Körper mit einbezieht, all dies sind Stationen ein und desselben Diskurses: Wie hängen Innen und Außen zusammen, wo genau liegt die Grenze, und aus was besteht sie, was sind die Vermittlungsformen, wie wird all das erfahrbar?
Birgit Hein wurde 1942 in Berlin geboren. Sie studierte von 1962-68 Kunstgeschichte in Köln, Wilhelm Hein Soziologie. Birgt und Wilhelm Hein kauften sich eine gebrauchte Bolex-Kamera. Es kam ihnen gerade nicht auf die technischen Möglichkeiten des Abbildes an, sondern auf die andere, neue Art und Weise, das Bild selbst zu thematisieren. Die Forderung "Film als Kunst" lautete also eigentlich "Film als Film und deshalb als Kunst" zu bewerten. Es ging nicht um weitere, sondern um andere Bilder, und dazu musste das Filmbild zunächst zerstört werden. Experimentalfilm wurde als Politikum verstanden. Dazu gehörte notwendigerweise auch die Präsentation, umgesetzt durch die von ihr 1968 mitbegründete Initiative XSCREEN – Kölner Studio für den unabhängigen Film.
1971 veröffentlichte Birgit Hein die erste deutsche Publikation zum Avantgardefilm "Film im Underground". 1977 leiten Birgit und Wilhelm Hein gemeinsam die Abteilung Experimentalfilm auf der Documenta 6. Ihre Filme wurden auf zahlreichen Festivals und Retrospektiven weltweit gezeigt. Von 1990 bis 2008 war Birgit Hein Professorin für Film und Video an der HBK Braunschweig.
Im Rahmen der Werkschau bei arsenal 3 findet am 14. Februar um 18 Uhr eine von Marc Siegel moderierte Online-Diskussion mit Birgit Hein statt (der Link wird auf der Arsenal-Website angekündigt).
ROHFILM (Birgit und Wilhelm Hein, BRD 1968, 20 min)
ROHFILM ist ein reiner Materialfilm, für den ein Filmstreifen mit Teilen von Bildern, Filmperforationen, Asche und anderen Abfällen beklebt und zerkratzt wurde. Das Ergebnis wurde durch einen Projektor gezogen, wobei zusätzlich Stellen des Filmmaterials verbrannten, und von der Leinwand abgefilmt. Die Empörung, die dieser Film hervorrief, ist heute kaum noch vorstellbar und lässt sich wohl vor allem dadurch erklären, dass der Film nur eine subjektive Erfahrung als Erinnerung zurücklässt und keinerlei objektivierbaren Bilder. Die Materialfilme von Birgit und Wilhelm Hein gehören zu den Pionierwerken des europäischen Avantgarde-Films zum Ende der 60er Jahre. In ihnen geht es um Film als bildnerisches Medium, dessen Ästhetik auf den Eigenschaften des Filmmaterials und den Wahrnehmungsgesetzen beruht.
LOVE STINKS – BILDER DES TÄGLICHEN WAHNSINNS (Birgit und Wilhelm Hein, USA/BRD 1982, 82 min)
„80 Minuten Bilder, Töne, Schockierendes – Momentaufnahmen eines einjährigen Künstlerstipendiums in New York. Hier haben Birgit und Wilhelm Hein ehrliche, schonungslose Bilder gemacht, sich selbst beim Lieben mit der Kamera über die Schulter geguckt. Auch hier kein Filmteam, keine Schauspieler; gleichzeitig vor und hinter der Kamera: nur die Heins. Ein „alter ego“ ist hinfällig. Filmemachen, das heißt für sie, sich selber mit der Kamera erkunden, inszenieren und ausleuchten bis in die letzte Falte fleischlicher Existenz.“ (Jochen Coldewey, taz)
VERBOTENE BILDER (Birgit und Wilhelm Hein, BRD 1985, 87 min)
Ein Zimmer oben im Schlachthof. Während unten die Tiere zerlegt werden, spielt oben ein Erwachsener, mit sich allein, Szenen der frühpubertären Kindheit nach. Die Frau im Schlachthofzimmer schert ihm den Kopf kahl. Der Mann liest eine Geschichte der hemmungslosen Scheherazade vor. Die Kinder kochen munter den Hundekadaver, und der Erwachsene legt entschlossen seine privaten Teile der Öffentlichkeit vor. Auch die Frau spreizt die Schenkel vor der Kamera. Draußen rinnt die rote Farbe über das Kriegerdenkmal – ein ebenso selbstverständliches Bild wie die Graffiti an den ehemals besetzten Häusern der Hafenstraße. „Mein erster Eindruck war, dass ich etwas Großes erlebt hatte und dass die Erinnerungen und Träume, - die Bilder, die im Kino bislang verboten waren, sich auf magische Weise aus den Fesseln der Verbote und aus den Zonen der Tabus befreit hatten. Wilhelm und Birgit Hein, die sich im Film allen möglichen Verletzungen ausgesetzt hatten, schienen eben dadurch unverletzbar. Sie waren integer und geschützt von einem Tabu, das ich nicht begriff, - geschützt auch vor dem Zugriff des gesetzlichen, moralischen oder wie auch immer definierten Kodex, der über die Zulässigkeit von Bildern entschied.“ (Dietrich Kuhlbrodt)
KALI-FRAUENFILM (Birgit und Wilhelm Hein, BRD 1987–88, 10 min)
Die KALI-FILME bestehen aus acht einzelnen Filmen, die im Laufe eines Jahres aus Found Footage von Horror – und Gewaltfilmen zusammengestellt wurden. Sie zeigen Fantasien von Sexualität und Gewalt, die in der offiziellen Kultur tabu sind: In den Niederungen des Trivialfilms finden wir die Bilder für unsere eigenen „niederen“ Instinkte. Kali ist eine Muttergöttin aus der indischen Hindu-Mythologie. Sie ist die gebärende und gleichzeitig die tötende und kastrierende Frau. Seit Urzeiten fürchten sich die Männer vor ihrer Macht. Wir zeigen einen der Filme.
DIE UNHEIMLICHEN FRAUEN (Birgit Hein, D 1991, 63 min)
Vom Anfang der Geschichte an sind Frauen auch Täterinnen. Sie sind so mutig und tapfer wie die Männer, sie können genauso grausam und verbrecherisch sein und natürlich auch so geil. Dennoch existiert bis heute das Idealbild von Weiblichkeit „aggressionslos – friedfertig – asexuell“, mit dem die Frauen über Jahrhunderte unterdrückt wurden.
Der Film zeigt Soldatinnen, Partisaninnen, Aufseherinnen, Verbrecherinnen und gebärende, betrunkene, onanierende, starke Frauen, aber auch die beschnittenen, operierten und zerstückelten Opfer, die zahlen müssen für die Angst, die Frauen bei Männern auslösen. Szenen aus alten und neuen Dokumentarfilmen, aus Trivialfilmen und eigene, inszenierte Sequenzen sind zu einer Bildcollage montiert. Diese wird ergänzt durch eine Geräuschcollage und eine Montage aus Zitaten und eigenen Texten.
BABY I WILL MAKE YOU SWEAT (Birgit Hein, D 1994, 63 min)
BABY I WILL MAKE YOU SWEAT thematisiert das eigene, körperliche Begehren einer Älterwerdenden, die einen Jüngeren liebt. Hinzu kommt das Thema des Sextourismus: Birgit Hein reist nach Jamaika, um dort Sehnsüchte erfüllt zu bekommen, die ihr hier nicht zugestanden werden. Das, was die Bilder dabei nicht mehr zeigen können, übernimmt der Ton: Ein gesprochenes Reisetagebuch begleitet die körnigen Bilder.
“Alle Aufnahmen für den Film sind mit einer Hi-8-Videokamera aufgezeichnet und dann auf 16 mm abgefilmt und bearbeitet worden. Der Realismus dokumentarischer Aufnahmen ist dadurch überwunden. Trotzdem ist das Authentische der Aufnahmen erhalten geblieben. Ich bin immer hinter der Kamera spürbar. Das Persönliche des Films wird durch die hastig formulierten Tagebuchaufzeichnungen unterstützt, die die Erlebnisse schildern und die ich nicht abbilden konnte.” (Birgit Hein)
EINTAGSFLIEGEN (Birgit Hein, D 1997, 24 min)
Kann man die Qualität von Liebe in Zahlengleichnissen ausdrücken? Der Film verbindet Bilder und Texte der Malerin und Schriftstellerin Gabriele Kutz: der Text ist eine Abrechnung mit ihren Lieben in einer Statistik aus Stunden des gemeinsamen Schweigens, gefahrenen Kilometern, getrunkenen Bieren und eingetrocknetem Rotwein. Ihre Gemälde von Bierdeckeln mit Telefonnummern und Namen, von Kalenderblättern mit Terminen, von adressierten Briefumschlägen, Kassenbons und Preisschildern stehen dazu als visueller Kommentar mit leiser Ironie.
LA MODERNA POESIA (Birgit Hein, D 2000, 67 min)
Ein sehr persönlicher Reisebericht aus Kuba. Den roten Faden stellt die zur Alltagsmythologie gewordene Geschichte Kubas dar: Che Guevara ist zum entleerten Bild geworden, zu sehen auf Hauswänden, T-Shirts und Souvenirartikeln. „Aus der Verwunderung, ‚Was ist aus Che geworden?’ wird die Frage ‚Was ist aus uns geworden?’“ (Birgit Hein)
KRIEGSBILDER (Birgit Hein, D 2006, 10 min)
Der Film ist eine Found-Footage-Montage von Kriegsaufnahmen seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie entstammen Fernsehdokumentationen von Arte bis CNN. Die Bilder zeigen ein ästhetisierendes Feuerwerk aus Bränden und Explosionen von Dresden bis Bagdad, in denen die Menschen nur noch als Schatten erscheinen. Der Ton ist ebenfalls eine Collage von Liszts Prelude als pathetische Ankündigung der Nazi-Nachrichten bis zu den Fanfaren von CNN. Erst in den letzten Bildsequenzen wird der Tod real. Sie kommen von Amateurvideos amerikanischer Soldaten, die ihre Aufnahmen von Kampfeinsätzen, begleitet von Rockmusik ins Netz gestellt haben.
ABSTRAKTER FILM (Birgit Hein, D 2013, 9 min)
Der Film besteht aus kurzen Sequenzen, aus „Raw Videos" der Kämpfe in Libyen und Syrien, die von den Betroffenen ins Netz gestellt wurden, um die Welt über die Ereignisse zu informieren. Die Fragmente zeigen einen unkontrollierten Fluss von nahezu abstrakten Bildern, als Ergebnis des Schocks, wenn der Filmmacher unter plötzlichem Beschuss die Kontrolle über seinen Körper verliert und das Handy angeschaltet bleibt, das manchmal sogar den eigenen Tod filmt."
SHANGHAI LIGHT IMPRESSIONS (Birgit Hein, D 2007, 10 min)
Eine kurze Dokumentation über die Lichtervielfalt von Shanghai. Riesige Bildwände an den Hochhäusern beherrschen die Innenstadt von Shanghai. Sie öffnen weite Landschaften oder bedecken die Fassaden mit bunten abstrakten Laufbildern. Um Mitternacht gehen die Lichter aus. Dann leuchtet nur noch der weiße Mond über der dunklen Häuserkulisse
Außerdem wird der Dokumentarfilm IM SPIEGEL DER BILDER. DIE FILMEMACHERIN BIRGIT HEIN (D 2001) von Karin Jurschick gezeigt. Im Mittelpunkt des Films steht Birgit Hein selbst, die anschaulich und lebendig von ihren künstlerischen Anfängen in den späten 60er Jahren, von der Entstehung ihrer Filme und deren Rezeption erzählt, nebst Ausschnitten aus einigen ihrer Filme.
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