Helma Sanders-Brahms war eine der bedeutendsten deutschen Filmemacherinnen der Nach-kriegszeit. Eine Werkschau mit sieben ausgewählten Filmen aus dem umfangreichen Schaffen der Regisseurin würdigt überblickshaft ihr Werk. Sie war sowohl im Spiel- wie im Dokumentarfilmgenre zuhause, drehte Historisches ebenso wie Gegenwartsthemen, unter die Haut gehende Dramen sowie politische Satiren. Eigenwillige Biografien über Künstlerpersönlichkeiten ziehen sich ebenso durch das Werk wie fiktive Frauenporträts, die wie im Brennglas gesellschaftliche und politische Missstände sichtbar machen. So persönlich motiviert viele ihrer Filme sind, so subjektiv und emotionalisierend der Zugriff, so sind sie doch allesamt genuin politisch. Nicht selten trafen sie geradezu schmerzhaft den Nerv der Zeit, was immer auch Ablehnung hervorrief.
SHIRINS HOCHZEIT (BRD 1976, 22.11.) Shirin, eine junge Türkin aus Anatolien, flieht vor der arrangierten Hochzeit mit einem reichen Mann nach Köln, um dort Mahmud zu suchen, den sie liebt und den sie als ihren Verlobten betrachtet. Doch in Deutschland erwartet sie ein auswegloser Abstieg von harter Fabrikarbeit über Arbeitslosigkeit bis hin zur Prostitution, der mit ihrem Tod endet. Mit SHIRINS HOCHZEIT setzte sich Helma Sanders-Brahms als eine der ersten Frauen filmisch mit den Lebensbedingungen von Migrantinnen auseinander. Die ausweglose Tragik, das neorealistische Schwarzweiß sowie der diesen Passionsweg begleitende Kommentar der Autorin, der einen höchst subjektiven Gegenpol zu den dokumentarisch anmutenden Bildern setzt, provozieren in ihrer Radikalität bis heute.
HEINRICH (BRD 1977, 23.11.) Das Porträt des von der Regisseurin verehrten Dichters Heinrich von Kleist zeigt eine zerrissene Persönlichkeit, einen einsam Verzweifelten, der zwischen romantischem Liebes- und Dichterideal, preußischer Lebensrealität sowie den kriegerischen und revolutionären Zeitläufen zerrieben wird. Nicht um eine historisch authentische Darstellung geht es ihr, als vielmehr um ein Puzzle, das sich aus unglücklichen Beziehungen, dichterischer Arbeit, Kriegserfahrung und Todessehnsucht zusammensetzt, und das Wesen eines Dichters spiegelt, der sich selbst ein Rätsel geworden ist.
DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER (BRD 1980, 24.11.) erinnert an die vernachlässigte Geschichte der Frauen, die sich während des Zweiten Weltkriegs an der „Heimatfront“ tatkräftig durchschlugen und ihre Familien durchbrachten: Hans und Lene heiraten im Sommer 1939. Als die gemeinsame Tochter Anna zur Welt kommt, ist Hans bereits Soldat im besetzten Frankreich und Deutschland das Ziel der alliierten Bombenangriffe. Lene bringt das Kind alleine durch den Krieg. Im Frieden aber, nach der Rückkehr ihres Mannes, lähmt das Familienleben sie nicht allein im übertragenen Sinn. Nach seiner Erstaufführung 1980 wurde der Film in Reaktion auf teilweise sehr negative Besprechungen deutscher Kritiker für die Kinoauswertung gekürzt. Die restaurierte Fassung enthält die rund 30 fehlenden Minuten.
LAPUTA (BRD 1986, 25.11.) Paul, ein französischer Architekt, trifft sich in Berlin zwischen zwei Flügen für eine Nacht oder einen Tag mit seiner Geliebten, Margoszata, einer polnischen Fotografin. Für ihn ist Berlin ‚Laputa‘, die fliegende Insel aus Gullivers Reisen. Dieses Mal kann Margoszata ihm nur eineinhalb Stunden widmen. Die Situation zwischen Erwartung und Enttäuschung erzeugt eine immer leidenschaftlichere und immer aggressivere Atmosphäre. Erzählzeit und erzählte Zeit sind hier identisch: Die Handlung umfasst die eineinhalb Stunden, die Margoszata in Berlin ist. Das Geschehen spielt sich überwiegend in einer Wohnung ab und besteht fast ausschließlich aus den Gesprächen der beiden, den harten Auseinandersetzungen und den Versuchen, Nähe wiederherzustellen.
MANÖVER (BRD 1988, 26.11.) ist eine satirische Komödie über das geteilte Deutschland der 50er Jahre im Klima der Wiederbewaffnung und des Kalten Krieges: In der DDR wird Max Klett, Leutnant der NVA, im Tango-Tanzen ausgebildet, um als Romeo die Sekretärin des westdeutschen Verteidigungsministeriums, Elly Wackernagel, zu verführen und so an eine Geheimwaffe des Klassenfeindes zu gelangen. Obwohl oder gerade weil Elly ein Verhältnis mit ihrem verheirateten Chef, dem Ministerialdirigenten Dinklage, hat, ist sie bereit, dem attraktiven Ost-Spion bei einem Manöver behilflich zu sein. 50er-Jahre-Flair, Wochenschau-Ausschnitte und die Schauspielerriege um Alfred Edel und Adriana Altaras transformieren die Spionagestory in eine skurrile Kalte-Kriegs-Komödie.
HERMANN MEIN VATER (F/BRD 1987, 26.11.) ist ein sehr persönlicher Dokumentarfilm: Helma Sanders-Brahms unternimmt mit ihrem Vater eine Reise nach Frankreich, sucht mit ihm die Stätten auf, wo er 1940 als deutscher Besatzer war, verfolgt die neuerliche Begegnung mit Menschen, die er damals kennengelernt hatte. Den Aufnahmen wird Dokumentarmaterial gegenübergestellt, das die Grausamkeit und Wucht des deutschen Überfalls auf Frankreich nachempfinden lässt. Die Regisseurin möchte ihren Vater mit der historischen Wahrheit konfrontieren und ein Schuldbekenntnis hören, dieser aber folgt eher seinen persönlichen Erinnerungen und entzieht sich der Konfrontation. Einerseits ist diese Vater-Tochter-Reise als Gegenstück zu DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER gedacht, der Geschichte über die Mutter der Regisseurin, andererseits ergänzt dieser Dokumentarfilm zusammen mit MANÖVER die Nachkriegs-Trilogie.
MEIN HERZ – NIEMANDEM! (D 1997, 27.11.) ist eine weitere Künstlerbiografie bzw. -doppelbiografie. Die jüdische Lyrikerin Else Laske-Schüler und der Schriftsteller Gottfried Benn, der den Nazis anhing, waren sich in leidenschaftlicher Liebe zugetan. Zahlreiche, als Dialog zu verstehende Gedichte legen davon ein beredtes Zeugnis ab. Diese Liebeslyrik steht im Zentrum des collagehaften Films, der Spielszenen, Dokumente und Musiksequenzen miteinander verwebt. (ah)
Eine Veranstaltung der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Weitere Filme von Helma Sanders-Brahms sind zwischen dem 21.11. und 13.12. im Bundesplatzkino zu sehen.