Frauen machen Filme. Eigentlich selbstverständlich – aber auch wieder nicht. Zwar stehen Frauen seit Beginn der Filmgeschichte hinter der Kamera. Dass Frauen in der 125-jährigen Geschichte des Films der Zugang zum Filmemachen aber erschwert oder verunmöglicht wurde, dass sie nicht die gleichen Chancen wie Männer hatten, ihre trotz aller Widerstände entstandenen Filme nur selten in den Kanon aufgenommen wurden, dass sie übersehen, marginalisiert, vergessen und ihre Nachlässe vernachlässigt wurden, sie oft aus der Filmgeschichte herausgeschrieben wurden, das steht außer Frage. In einer sich über vier Monate erstreckenden Reihe wollen wir einige Regisseurinnen aus verschiedensten Ländern und Epochen präsentieren, deren Filme zu wenig wahrgenommen wurden und werden und ihnen Sichtbarkeit verschaffen.
Ideengeberin für unsere Reihe ist die 14-stündige Kompilation WOMEN MAKE FILM (GB 2018). Sie besteht aus Filmausschnitten mehrerer hundert Filme von insgesamt 183 Regisseurinnen, „eine Betrachtung von verschiedenen Aspekten des Filmemachens, bei der alle Lehrenden Frauen sind“.
Eine Podiumsdiskussion mit Borjana Gaković, Alexandra Schneider und Pary El-Qalqili am 4.12. widmet sich der Frage nach der Sichtbarkeit von Regisseurinnen im Kino und in der Filmgeschichte.
Julia Solntsewa
1901 in Moskau geboren, war Julia Soltnsewa eine der wichtigsten Schauspielerinnen im sowjetischen Kino der 20er Jahre und spielte unter anderem die Titelrolle in Jakow Protasanows Aelita (1924). 1929 begegnete sie Oleksandr Dowschenko, mit dem sie bis zu seinem Tod 1956 zusammenleben sollte. In Dowschenkos Semlja von 1930 war sie das letzte Mal als Schauspielerin zu sehen, anschließend unterstützte sie ihn als Assistentin in seinen Filmen und stellte sich ganz in den Dienst ihres berühmten Mannes. Bei seinem Tod hinterließ Dowschenko zahlreiche unvollendete Ideen und Drehbücher, darunter die von Julia Solntsewa verfilmte „Ukrainische Trilogie“. Lange wurde Solntsewa die eigene filmische Handschrift abgesprochen, wurden ihre auf Dowschenkos Büchern basierenden Filme gar als seine rezipiert und sie als reine Ausführerin seiner künstlerischen Vision gesehen. Auch selber leistete sie dieser Sichtweise Vorschub, indem sie erklärte, lediglich Regisseurin geworden zu sein, um Dowschenkos Ideen in seinem Geist zu verwirklichen. In der „Ukrainischen Trilogie“ mit ihren überbordenden Bildern und der experimentellen Tongestaltung ist ihre ganz eigene künstlerische Leistung jedoch unbestreitbar. Solntsewas Filme folgten den Konventionen des Sozialistischen Realismus, überführten sie in pathetischer Überhöhung aber gleichzeitig in fantastische, traumgleiche Welten, in denen Logik und narrative Stringenz aufgehoben sind. Neben allem Realitätsbezug sind sie Betrachtungen über die Vergänglichkeit des Lebens und den ewigen Kreislauf der Natur, tief verwurzelt in der ukrainischen Kultur und Landschaft. Gleichzeitig vorwärts- wie rückwärtsgewandt, feiern sie den technischen Fortschritt als verwirklichte Utopie, beinhalten aber immer ein Element der Melancholie über ein unwiderruflich verlorenes Idyll.
Olga Preobraschenskaja
Schon vor der Revolution von 1917 war Olga Preobraschenskaja (1881–1971) eine bekannte Schauspielerin, zunächst am Theater, ab 1913 im Film. Mit ihrem 1916 gedrehten Regiedebüt wurde sie die erste Filmemacherin Russlands. Nach der Oktoberrevolution unterrichtete sie erst mehrere Jahre an der neu eingerichteten – weltweit ersten – Filmhochschule WGIK in Moskau, bevor sie Mitte der 20er Jahre wieder ins Regiefach wechselte. Ab 1927 drehte sie ihre Filme in Co-Regie mit ihrem ehemaligen Schüler Ivan Prawow, wovon der bekannteste BABY RJASANSKIJE (UdSSR 1927) ist. Ihre Blütezeit lag im Stummfilm; auch wenn sie einige Tonfilme drehte, konnte sie an ihre früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen. Ihr letzter Film entstand 1941.
Marva Nabili
Nur zwei Kinofilme hat die in Teheran geborene und in den USA lebende Marva Nabili (*1941) gedreht. Neben Shahla Riahi in den 50er Jahren und der früh verstorbenen Dichterin und Dokumentaristin Forough Farrokhzad in den 60er Jahren war Nabili eine der ganz wenigen Frauen, die im vorrevolutionären Iran Filme realisieren konnten. Ihren ersten Spielfilm THE SEALED SOIL (1976), der mit einer von Brecht inspirierten Distanziertheit von der stillen Rebellion einer jungen Frau erzählt, produzierte und finanzierte sie selbst; um das dafür nötige Geld zu bekommen, arbeitete sie einige Jahre fürs Fernsehen, wo sie kurze Dokumentarfilme und eine Kinderfilmserie drehte. Obwohl THE SEALED SOIL erfolgreich auf einigen internationalen Festivals lief, geriet der Film in Vergessenheit, Marva Nabili konnte anschließend nur noch einen einzigen weiteren Film drehen.
Beide Filme sind äußerst selten zu sehen; von THE SEALED SOIL, der 1977 im Forum der Berlinale lief, befindet sich eine deutsch untertitelte 16-mm-Kopie in der Sammlung des Arsenal, die kaum mehr vorführbar ist. Eine Digitalisierung des Films befindet sich in den USA gerade in Arbeit.
Astrid Henning-Jensen
Astrid Henning-Jensen (1914–2002) gilt als eine der bedeutendsten dänischen Regisseurinnen, und die erste, die internationale Anerkennung erlangte. Ihre Karriere begann sie in den 30er Jahren als Schauspielerin am Theater, bevor sie zum Film wechselte. Ihr Werk ist eng verflochten mit dem ihres Mannes Bjarne Henning-Jensen, den sie am Theater kennenlernte. Gemeinsam schrieben sie Drehbücher, sie war zunächst als seine Assistentin tätig, bevor sie selbst Regie führte. In einer sich von den 40er bis in die 90er Jahre erstreckenden Karriere drehte sie Kurzfilme, Dokumentarfilme, Spielfilme, auch Kinderfilme – oft unter Mitwirkung ihres Sohnes –, die bis heute zu den Klassikern ihres Genres zählen. 1950 ging sie nach Norwegen, wo sie für Norsk Film zwei Romanverfilmungen inszenierte. Frauen und Kinder standen meist im Zentrum ihrer Filme, sie verfilmte mehrere Romane der dänischen Autorin Tove Ditlevsen. Stilistisch war sie dem Sozialrealismus verpflichtet, näherte sich ihren Themen ohne Umschweife, war engagiert, ohne vordergründig politisch zu sein, suchte nach einer Balance zwischen Anspruch und Zugänglichkeit.
Sumitra Peries
Anders als die meisten anderen südasiatischen Filmemacherinnen ihrer Zeit kam Sumitra Peries nicht über das Schauspiel zur Regie, sondern begann ihre Filmlaufbahn als Regieassistentin und Editorin. Zwischen 1978 und 2018 drehte sie zehn Filme. Geboren 1935 in der Nähe von Sri Lankas Hauptstadt Colombo, erlebte sie als Teenager die Unabhängigkeit Sri Lankas von der britischen Kolonialmacht mit. Mit Anfang 20 folgte ein längerer Aufenthalt in Europa, wo sie unter anderem an der London School of Film Technique (heute: London Film School) studierte. In Europa lernte sie ihren späteren Ehemann Lester Peries kennen, einen der wichtigsten Filmemacher Sri Lankas. Noch bevor sie heirateten, war sie Mitarbeiterin bei seinen Filmen und arbeitete später als Editorin, bevor sie 1978 ihren Debütfilm GEHENU LAMAI (The Girls) drehte. Die essentiellen Themen ihrer Filme finden sich schon in THE GIRLS: Ein Fokus auf Frauen und jungen Menschen, die patriarchale Gesellschaft, die Frauen wenig Raum lässt, die Klassengesellschaft und die Gegensätze zwischen Arm und Reich. Gerade ihre frühen Filme sind schwer zu beschaffen und existieren oft nur in schlechten Kopien. (Annette Lingg)
Die Reihe wurde ermöglicht durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds.