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Der vielfach ausgezeichnete Regisseur Idrissou Mora-Kpai hat seine ersten beiden Filme FUGACE (1996) und FAKE SOLDIERS (1999) in Deutschland gedreht, während seines Regie-Studiums an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Später entstanden weitere Filme über afrikanische Migration und Diaspora, unter anderem SI-GUERIKI,THE QUEEN MOTHER (2002), ARLIT: THE SECOND PARIS (2005), INDOCHINA TRACES OF A MOTHER (2011) und AMERICA STREET (2019). Mora-Kpais Filme wurden auf internationalen Festivals in der ganzen Welt gezeigt. Zurzeit lehrt er in Ithaca, New York, als Professor für Medienkunst. Karina Griffith und Enoka Ayemba haben mit Mora-Kpai per Videocall darüber gesprochen, wie es war, nach Europa zu kommen, was er hier erlebt hat, was es mit FAKE SOLDIERS auf sich hat und warum er Deutschland den Rücken kehrte.

Enoka Ayemba & Karina Griffith: FAKE SOLDIERS ist zu einer Zeit fertiggeworden, als Ihr Studium an der Filmuniversität Babelsberg allmählich zu Ende ging. Würden Sie uns erzählen, wie Sie in Benin aufgewachsen sind und wie es dazu kam, dass Sie in Deutschland studiert haben? Das ist eine unglaubliche Geschichte.

Idrissou Mora-Kpai: Und eine lange noch dazu. Ich bin in einem sehr kleinen Ort auf dem Land großgeworden, im Norden von Benin. Als ich dreizehn war, bin ich in die Hauptstadt Cotonou gezogen, um auf die weiterführende Schule zu gehen. Nach der Schule beschloss ich, Benin zu verlassen. Ich wusste zwar nicht, wo es hingehen würde, aber ich wollte aus verschiedenen Gründen nicht in Benin studieren. Ich hatte einen Traum, wusste aber nicht, wie ich ihn in mir in Benin erfüllen konnte.

Meine Familie hatte kein Geld, um mir ein Flugticket nach Europa zu kaufen. Ich wusste, dass ich weder für Frankreich noch für ein anderes Land ein Visum bekommen würde, also beschloss ich, die Sahara zu durchqueren und nach Algerien zu gehen. Dort angekommen musste ich Geld verdienen, um von irgendetwas leben zu können. Ich bin auf dem Bau gelandet. Ich wollte weiter nach Norden, mehr wusste ich nicht. Alles hing davon ab, wohin mein Pass mich bringen würde.

Vielen afrikanischen Migrant*innen von heute dürfte diese Geschichte bekannt vorkommen. Ich habe eine ganze Reihe von Afrikaner*innen kennengelernt, die auf dem Weg nach Europa mit den gleichen, wenn nicht mit noch größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Wenn man sich vor Augen führt, welche Risiken die Menschen auf sich nehmen, um nach Europa zu kommen, wird klar, dass sich die Verhältnisse verschlechtert haben. Ich konnte nur deshalb in Algerien arbeiten und mir ein Flugticket nach Italien kaufen, weil man als Bürger aus Benin kein Visum brauchte.

Wie ging es in Italien weiter?

IMK: In Rom musste ich mir wieder Arbeit suchen, was nicht einfach war. Ich habe einen anderen Afrikaner kennengelernt, der mir den Tipp gab, nach Süditalien zu gehen, in die Region Caserta. Dort habe ich als Obst- und Gemüsepflücker gearbeitet, so lange, bis ich genug Geld hatte, um mir ein Zugticket nach Deutschland zu kaufen. Die Entscheidung nach Deutschland zu gehen, war im Grunde zufällig. Ich hatte noch den Kontakt einer deutschen Studentin, die ich in Benin kennengelernt hatte, wo sie damals forschte.

Ich konnte so lange bei ihr wohnen, bis ich eine eigene Wohnung und einen Job gefunden hatte. Ich absolvierte das Studienkolleg, damit ich mich später für ein Studium einschreiben konnte. Anfangs schrieb ich mich an der Technischen Universität für Mathematik ein, stellte aber bald fest, dass das nicht das richtige für mich war.

Ich interessierte mich für die Erfahrungen, die Schwarze Menschen in Berlin machten

Und wie sind Sie an die Filmhochschule gekommen?

IMK: Ich war ans Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität gewechselt und hatte dort US-amerikanische Filmgeschichte für mich entdeckt. Damit fing es an, das hat meine Leidenschaft fürs Filmemachen ins Rollen gebracht.

Ich fing an, Filme zu machen. Wobei meine ersten Versuche eher „Kameraübungen“ waren. Damals gab es an der Freien Universität und in der Stadt Berlin sogenannte Medienwerkstätten. In der Berliner Medienwerkstätte konnte man zweitägige Kamera- und Schnittkurse belegen. Ich war Stammgast. Ich fing an, eine Art Dokumentation über die Stadt zu drehen, ich interessierte mich für Fragen der Migration und für die Erfahrungen, die Schwarze Menschen in Berlin machten. Ich dokumentierte mit der Kamera alle Veranstaltungen, bei denen es um diese Themen ging. Es gab damals einen afrikanischen Verein, der afrikanische Autor*innen einlud. Ich habe das alles gefilmt.

Und was hat Sie zum Spielfilm gebracht?

IMK: Ich lernte den iranischen Filmemacher Nader Ahmady kennen. Er bot mir eine Stelle als Regieassistent an. Bei ihm lernte ich, wie man inszeniert und Drehbuch schreibt und so weiter. Danach fing ich an, eigene Kurzfilme zu drehen, mit afrikanischen Protagonist*innen. Irgendwann wurde mir klar, dass ich an einer Filmschule studieren sollte. Ich bewarb mich an verschiedenen Schulen und hatte das Glück, in Babelsberg angenommen zu werden. Das war zu einer Zeit, als Leute wie Raoul Peck in Berlin waren. Als ich in die Stadt kam, hatte Peck gerade seine Ausbildung an der DFFB abgeschlossen.

Ich lernte einige andere afrikanische Filmstudent*innen kennen, darunter Wanjiru Kinyanjui oder Tsitsi Dangaremba, die jetzt in Simbabwe lebt, und Auma Obama, Barack Obamas Halbschwester, die auch an der Filmhochschule war. Durch Auma konnte ich an der DFFB schneiden, bevor ich in Babelsberg angenommen wurde.

Es ist interessant, dass Sie Wanjiru Kinyanjui erwähnen. Wir zeigen im Rahmen des Programms „Fiktionsbescheinigung“ einen Film von ihr, Black in the Western World. Der Film ist während ihres Studiums in Berlin entstanden. Offensichtlich gab es zwischen den Schwarzen Student*innen eine Art von Solidarität. Aber haben Sie auch über Ihre Filme gesprochen, über die Darstellung Schwarzer Menschen im Kino? Und haben Sie Raoul Peck damals kennengelernt?

IMK: Wir haben es seltsamerweise nie geschafft, uns zu treffen, während ich noch in Berlin war. Kennengelernt haben wir uns erst, nachdem ich Deutschland verlassen hatte, in Frankreich. Dafür habe ich die anderen Schwarzen Filmstudent*innen in Berlin oft getroffen, Wanjiru Kinyanjui sogar sehr oft. Wir haben über unsere Probleme gesprochen und über unsere Filme. Sie war mit ihrer Arbeit damals schon bekannt geworden. Ich wollte wissen, wie es ihr ergangen war. Ich war jung, naiv und ungeduldig und noch nicht auf der Filmschule, ich hatte keine Ahnung, wie schwierig es sein würde, kreativ zu arbeiten. Ich wollte damals einfach weiter Geschichten erzählen. Ein paar Jahre später wusste ich dann sehr genau, wie schwierig es ist, als Künstler beziehungsweise Filmemacher einer Minderheit anzugehören, noch dazu in einem Land wie Deutschland und in einer Stadt wie Berlin, wo deine Geschichte, deine Geschichten und deine Ansichten keinen Wert haben.

Dem Land geht dadurch etwas verloren.

IMK: Wenn ich mich heute in Deutschland umsehe, fällt mir auf, dass die Bevölkerung vielfältiger geworden ist. Viele der Menschen, die das Land verlassen haben, hätten einen enormen Beitrag leisten können. Sie hätten bestimmte Perspektiven einbringen können, an denen es nach wie vor fehlt. Raoul Peck arbeitet international, Tsitsi Dangaremba ist inzwischen eine renommierte Schriftstellerin, Wanjiru Kinyanjui ist auch erfolgreich. All diese Leute, die jetzt nicht mehr in Deutschland sind, hätten für das Land wichtig werden können.

Ich habe mich damals unverstanden gefühlt. Und angemessen repräsentiert wurden wir auch nicht. Man sah keine Schwarzen Menschen. Es war, als würden wir gar nicht existieren. Aber Schwarze Menschen leben in der Stadt, man sieht sie überall, in der U-Bahn, auf der Straße, in den Cafés, nur in den Medien sind sie nicht präsent, werden sie falsch dargestellt. Das hat gefährliche Folgen, weil die Mainstream-Gesellschaft den falschen Bildern, die man von uns zeichnet, aufsitzt. Das muss sich ändern.

Wir brauchen andere Formen des Erzählens, eine größere Vielfalt an Geschichten.

IMK: In Deutschland fragt man sich oft, warum der deutsche Film so provinziell wirkt. Jedenfalls sind deutsche Filme in den USA und anderswo in der Welt nicht sehr präsent. Einer der Gründe dafür sind die unzeitgemäße Stoffe, die das heutige Deutschland überhaupt nicht mehr abbilden. In den USA, wo ich inzwischen lebe, sind etwa Filme mit einem komplett weißen Cast gar nicht mehr denkbar. Man muss schon beim Cast ansetzen.

Haben Sie an der Filmhochschule über Diversity gesprochen – oder darüber, was es bedeutet nicht weiß zu sein?

IMK: Nein. Für die Deutschen war das damals kein Thema, und mir fehlten die Mittel, solche Dinge anzusprechen.

Ich wollte die Synergien unter uns Schwarzen Kolleg*innen nutzen, um zu zeigen, dass es uns gab.

War es kompliziert, Schwarze Schauspieler*innen zu finden?

IMK: Sichtbarkeit war mir wichtig, und ja, es war kompliziert, einen Schwarzen Cast zu finden, es war eine Herausforderung. Es gab damals viel zu wenig Schwarze professionelle Schauspieler*innen. Es gab auch keine Schwarzen Student*innen an den Schauspielschulen. Wenn sich etwas ändern soll, muss sich alles ändern, jeder einzelne Aspekt der Ausbildung in Deutschland.

Ich habe oft mit Leuten gearbeitet, die kaum Schauspielerfahrung hatten. Was mich aber vor allem beschäftigt hat, war die Tatsache, dass ich in Babelsberg einer der wenigen Schwarzen Studenten war. Die Schule war überwiegend weiß. Ich glaube kaum, dass sich das grundlegend geändert hat. Als ich an die Schule kam, waren da noch Alida Babel, die Montage studierte, und Guillermo, ein Student aus Peru. Wir drei waren die einzigen Schwarzen Student*innen an der Schule. Wie verschafft man sich als Teil einer so kleinen Minderheit Gehör? Diese Frage hat mich beschäftigt. Meine erste Filmübung an der Schule ist mit einem komplett weißen Cast entstanden. Irgendwann wurde mir klar, das bin nicht ich bin. Ich konnte und kann keine Filme mit einem komplett weißen Cast machen. Ich glaube an Vielfalt, ich schließe weiße Menschen auch nicht grundsätzlich aus, aber wenn man gezwungen ist, ausschließlich mit weißen Menschen zu arbeiten, erzählt man irgendwann nicht mehr seine eigene Geschichte. Also habe ich angefangen, selbst zu schreiben. Ich habe sogar versucht, französische Schauspieler*innen zu gewinnen. Aber das erwies sich als schwierig, vor allem wegen der Sprache.

Auf meiner Suche lernte ich John Daley kennen, einen Darsteller und Tänzer am Theater des Westens, der mich später mit Sheri Hagen bekannt machte. Die beiden arbeiteten mit mir an meinen Filmen, dabei konnte ich sie nicht einmal bezahlen. Ich werde den beiden ihre Solidarität nie vergessen. So jedenfalls ist mein erster Kurzfilm Fugace entstanden. Nach dem Dreh wusste ich, dass ich weiter Filme machen wollte, in Deutschland.

Und ich wollte die Synergien unter uns Schwarzen Kolleg*innen nutzen, um zu zeigen, dass es uns gab, dass auch wir uns für Kunst, Filmkunst und Filmproduktion interessierten und dass wir unsere Sache gut machen wollten. Aber es war nicht einfach.

Meine erste negative Erfahrung habe ich nach der Fertigstellung von FAKE SOLDIERS gemacht. Ich wollte eine Version mit englischen Untertiteln machen, um den Film auch international zeigen zu können, aber die Schule war der Ansicht, das sei nicht nötig. Ich war enttäuscht. Mir wurde klar, dass eine Geschichte über Schwarze Menschen nicht wichtig genug war, als dass die Schule noch mehr Geld dafür in die Hand genommen hätte.

Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Nach meinem Abschluss schrieb ich mehrere Drehbücher, die in Berlin spielten. Niemand nahm sie ernst. Ich versuchte, einen Produzenten finden, erfolglos. Ich bekam auch nicht die nötige Filmförderung, es war einfach zu schwierig. Mir wurde klar, dass ich Deutschland verlassen musste, um beruflich weiterzukommen. Ich musste weg aus Deutschland. Wenn ich erfolgreich sein wollte, war Deutschland nicht der richtige Ort für mich.

Am Anfang von FAKE SOLDIERS weiß man als Zuschauer*in nicht genau, wo man sich befindet. Ein Basketballplatz, ein amerikanisches Auto, Hip-Hop-Beats. Die Szene könnte auch in den USA spielen. Erst, wenn man genau hinhört, fällt einem auf, dass da deutscher Hip-Hop spielt.

IMK: Ja, es ging mir darum, ein Bild dafür zu finden, wie globalisiert die Welt ist, in der wir leben. Die Zuschauer*innen sollten verstehen, wie gut man in Berlin leben konnte, auch weil das Leben wirklich so ist. Aber diese Art zu leben wird von denen, die in der Position sind, darüber das zu entscheiden, was vermittelt wird, nicht unterstützt.

Und das ist bedauerlich. Die Menschen aus dem Film gibt es doch nach wie vor, oder etwa nicht? Alle Schwarzen Menschen in dem Film sind Berliner, und das, was der Film zeigt, war ihre Art zu leben. Man kann diese Dinge nicht einfach ignorieren.

Uns gefällt der Humor des Films. Wir haben vorhin Wanjuri Kinyanjuis Dokumentarfilm BLACK IN THE WESTERN WORLD erwähnt, der ebenfalls im Rahmen des Programms „Fiktionsbescheinigung“ gezeigt wird. Der Film erstand 1992, sieben Jahre vor FAKE SOLDIERS, und es geht darin um Rassismus. Könnten Sie ein wenig darüber sprechen, inwiefern Liebe und Zugehörigkeit in Ihren Filmen eine Rolle spielen? Und wie dieser Aspekt ihrer Arbeit mit Ihrer Entscheidung zusammenhängt, Rassismus nicht explizit zu thematisieren?

IMK: Die Beobachtung stimmt, aber hintergründig geht es eben doch um Rassismus: Warum versuchen die Afrikaner in FAKE SOLDIERSwie Amerikaner zu sein? Weil sie das Land, in dem sie leben, nicht anerkennt, nicht respektiert als vollwertige Menschen. Die Schwarzen Amerikaner können sich – weil sie Amerikaner sind – dem Stereotyp ein wenig entziehen. Das ist es, was der Film im Grunde zeigt. Die Entscheidung meiner Figur, sich als Amerikaner auszugeben, liegt darin begründet, dass er von der deutschen Gesellschaft als Afrikaner nicht akzeptiert wird, weil Afrikaner*innen verachtet werden. Was das Bild von Afrikaner*innen angeht, wirkt in Deutschland nach wie vor das das koloniale Erbe nach.

Am Anfang schwebte mir ein Langfilm vor. Ich hätte aus dem Stoff einen zweistündigen Spielfilm machen können, aber wegen der fehlenden Finanzierung habe ich mich für einen Kurzfilm entschieden.

Ich sehe für mich in Deutschland keine beruflichen Perspektive mehr, leider.

Hat die fehlende Unterstützung an der Schule zu Ihrer Entscheidung beigetragen, Deutschland zu verlassen? FAKE SOLDIERS war der letzte Film, den Sie in Deutschland gedreht haben. Sie sind anschließend nach Paris gegangen und haben dort eine internationale Laufbahn eingeschlagen. FAKE SOLDIERS ist ein deutscher Film. Sie erwähnten zuvor, dass viele Schwarze Menschen, die damals in Deutschland waren, inzwischen woanders Karriere machen. Es hätte für diese Menschen doch möglich sein müssen zu bleiben.

IMK: Unbedingt. Aber wie schon gesagt: Die schlechten Erfahrungen, die ich nach meinem Filmhochschulstudium gemacht habe, waren für meine Entscheidung, Deutschland zu verlassen, vermutlich noch ausschlaggebender. Aber ich habe noch immer einen deutschen Pass. Die meisten von uns haben deutsche Pässe. Ich bin jedes Jahr in Deutschland, verbringe dort meine Sommerferien, meine Tochter lebt dort, und meine Kinder, die bei mir in den USA sind, haben auch einen deutschen Pass. Es gibt also noch immer eine Verbindung nach Deutschland, eine sehr enge Verbindung. Aber ich sehe für mich in Deutschland keine beruflichen Perspektive mehr, leider.

Ihre ersten, in Deutschland entstandenen Filme haben kein großes Publikum gefunden. Sind sie auf Filmfestivals gelaufen? Hat man Sie damals oder später darin unterstützt, die Filme zu präsentieren?

IMK: Das einzige Festival, auf dem FAKE SOLDIERS gezeigt wurde, war das panafrikanische Film- und Fernsehfestival FESPACO in Burkina Faso. Stellen Sie sich vor, Sie machen einen deutschsprachigen Film und müssen ihn in Afrika ohne Untertitel zeigen. Genau das ist mir passiert. Als ich mich bei der Schule um Gelder für die Produktion von Untertiteln bewarb, habe ich gesagt, dass das FESPACO für afrikanische Menschen und Menschen mit afrikanischen Wurzeln von großer Bedeutung ist. Aber für die Schule war das FESPACO kein wichtiges Festival. Also habe ich den Film ohne Untertitel eingereicht. Sie können sich ja vorstellen, wie viele Leute bis zum Ende geblieben sind. (lacht) Das war ein großes Problem damals.

[1] Aïcha Diallo & Idrissou Mora-Kpai: „I Walk With My Imaginary Border“, in: The Space Between Us, S. 282-290, Berlin 2013.

Selbst wenn man in Deutschland Fördergelder bekommt, gibt es immer einen Kampf darum, welche Geschichten man erzählen darf.

2013 haben Sie in einem Gespräch mit Aïcha Diallo gesagt, in Deutschland gebe es die Vorstellung, Filme mit Schwarzen Hauptfiguren ließen sich nicht vermarkten. [1] Erzählen Sie uns, wie es ist, in Deutschland Fördermittel zu beantragen?

IMK: Ich war schon in Frankreich, als ich für meine Dokumentarfilme deutsche Koproduktionen auf die Beine zu stellen versuchte, etwa mit dem ZDF, aber ich hatte nie eine echte Chance. Meine einzige deutsche Koproduktion war SI-GUERIKI, LA REINE-MÈRE. Wir haben für den Film eine kleine Förderung vom Filmbüro NRW bekommen, aber der Großteil der Förderung kam aus Frankreich. Das Projekt war Teil der Eurodoc-Auswahl und konnte dadurch auch von Sendeanstalten in anderen Ländern gesichtet werden. Ein deutscher Produzent hatte sich zwar entschlossen, den Film zu koproduzieren, aber wie sich herausstellte, schwebte ihm ein völlig anderer Film vor. Er wollte mein Material benutzen, um aus seinem Afrika-Bild einen ethnografischen Film zu machen. Das ist nicht die Geschichte, die ich erzählen will, habe ich gesagt, und mich geweigert, auf ihn einzugehen. Also hat er beschlossen, unseren Film nicht in Deutschland zu promoten. Selbst wenn man in Deutschland Fördergelder bekommt, gibt es immer einen Kampf darum, welche Geschichten man erzählen darf.

Kommen wir noch mal zu den Filmfestivals zurück: Hat die Hochschule Sie dabei unterstützt, Ihren Film als deutschen Film bei deutschen Festivals wie der Berlinale oder Oberhausen einzureichen?

IMK: Ich weiß nicht, ob mein Film eingereicht wurde. Es gab an der Hochschule damals ein Festivalbüro, das sich darum gekümmert hat. Wenn man ausgewählt wurde, hat man das erfahren. Aber keiner meiner beiden Kurzfilme hat es auf ein deutsches Kurzfilmfestival geschafft. Die Festivals waren an solchen Geschichten – Schwarzen Geschichten – nicht interessiert.

Sie haben zwar in Potsdam studiert, in der ehemaligen DDR also, aber gewohnt haben Sie in West-Berlin. Das heißt, Sie haben kurz nach dem Fall der Mauer die beiden Deutschlands erlebt. War die politische Situation für Sie denn offensichtlich? Wie wichtig waren Ihnen die politischen Verhältnisse zu jener Zeit?

IMK: Anfang der neunziger Jahre nahm der Rassismus in Deutschland drastisch zu. In West-Berlin ging es, aber als Schwarzer Mann außerhalb von Berlin unterwegs zu sein, war beängstigend. Meine Freundin war immer besorgt, wenn ich spät in der Nacht arbeiten oder meinen Film schneiden musste und mit dem Zug von Potsdam nach Berlin fuhr. Mir ist nichts wirklich Schlimmes passiert. Ich bin im Zug zwar Skinheads begegnet, habe aber nur verbale Auseinandersetzungen erlebt und das N-Wort gehört. Man hat versucht, diese Leute nicht zu provozieren, den Mund zu halten, so kam man unversehrt nach Hause. Es gab diese Begegnungen sehr oft. Nicht nur nachts. Wenn man tagsüber nach Potsdam fuhr, haben sich die Leute über einen lustig gemacht. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Das passierte sehr oft.

An der Filmhochschule habe ich diese Art von Rassismus nie erlebt. Die meisten der Student*innen und Professor*innen waren freundlich und hilfsbereit. Ich hatte vor allem Probleme mit der Verwaltung. Student*innen aus dem Ausland ohne Stipendium hatten es nicht leicht. Man musste die ganze Zeit arbeiten, um über die Runden zu kommen. Ich hatte oft Schwierigkeiten, die Versicherungen zu bezahlen. Es gab da diese Frau in der Verwaltung, die mich nicht mochte. Sie hat versucht, mich zu exmatrikulieren. Als Student brauchte man diese Versicherung, und wenn man seine Zahlungen versäumte, konnte das die Semesterrückmeldung gefährden. Die Probleme, die ich an der Schule hatte, waren also eher finanzieller Art. Die Leute dort waren völlig ahnungslos, wie sehr man zu kämpfen hatte, mit was für Schwierigkeiten Student*innen aus Ländern der Dritten Welt konfrontiert waren, die kein Stipendium hatten. Viele von uns konnten ihr Studium deshalb nie beenden.

Schwarzes Filmschaffen in Deutschland wird oft mit Deutsch-Türkischem Filmschaffen verglichen, dabei machen Schwarze Migrant*innen in Deutschland ganz andere Erfahrungen. Menschen wie Sie sind ohne Familie nach Deutschland gekommen, Sie haben erst vor Ort eine Familie gegründet. Sie sprachen vorhin darüber, dass Sie versucht haben, so etwas wie einen familiären Zusammenhang herzustellen, mit Leuten wie Wanjuiri Kinyanjui und Tsitsi Dangaremba etwa, auf Grundlage Ihrer geteilten Erfahrung Schwarz zu sein, dabei kamen Sie aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen Sprachen nach Deutschland.

IMK: Unsere Situation ist strukturell tatsächlich eine andere. Wir kommen nicht als Gemeinschaft. Wir kommen als Individuen, aus unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen und oft unter völlig verschiedenen Umständen. Aber in Deutschland werden wir trotzdem als eine einzige Gruppe angesehen. Also versuchen wir, zu einer Gruppe zu werden und sind solidarisch, über unsere ethnischen und nationalen Hintergründe hinaus Das ist wichtig für unser Überleben. Denn wir sind sichtbarer, exponierter und damit verletzlicher.

Sie haben damals in Berlin angefangen, Amerikanistik zu studieren und leben jetzt in den USA. Der Kreis hat sich geschlossen. Sie unterrichten und machen noch immer Filme. Sie sagten, Sie sind zum Filmemachen gekommen, weil Ihnen soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt.

IMK: Eigentlich war ich ans John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität gegangen, weil ich mich für Afroamerikanistik interessierte. Als ich nach Berlin kam, gab es in der Stadt zahlreiche amerikanische Stützpunkte und afroamerikanische Soldaten. Einige von ihnen lernte ich auch kennen. Als Migrant begann ich zu verstehen, was das eigentlich ist – eine Diaspora. Ich las damals afroamerikanische Literatur: Richard Wright, James Baldwin, die Autobiografie von Frederick Douglas usw. Von diesen Autoren hatte ich in Benin nie gehört. Am John-F.-Kennedy-Institut machte ich mich mit der afroamerikanischen Kultur vertraut, dazu gehörte auch das Kino. Spike Lee begann damals mit dem Filmemachen. Es war aufschlussreich zu sehen, wie in den USA Schwarze Menschen dargestellt wurden. Filme schienen mir ein interessantes Mittel zu sein, um unsere ganz eigenen Geschichten zu erzählen und gegen Ungerechtigkeit anzukämpfen. Wie Martin Luther King Jr. sagte: „Ungerechtigkeit ist, egal wo sie sich ereignet, überall eine Bedrohung für die Gerechtigkeit.“

Aus dem Englischen von Gregor Runge

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