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Die Retrospektive meiner Filme bedeutet für mich so etwas wie ein Zurückgehen in die Jahrzehnte eines wishful thinking. Waren dies doch Jahre, wo sich wirksame, auch gefährliche Träume im Kino erfüllten. Und dabei war ich nicht allein. In dieser zuerst rein fiktiven Filmwelt, die ich seit meiner Kindheit und frühester Jugend nur illusionär bewohnt hatte, waren Menschen, die mich dann in meinen Unternehmungen in der realen Filmwelt begleiteten. Manche sind inzwischen nicht mehr unter uns oder gingen mir anders verloren. Das blitzte in mir auf wie ein Schock des Trauerns, als DARK SPRING (1970) vor zwei Jahren wieder aufgeführt wurde und man mich bat, möglichst mit der einen oder anderen Darstellerin zu erscheinen. Aber die beiden gewichtigsten, die meiner eigenen Generation angehörten, Katrin Seybold und Edda Köchl, waren da bereits tot. Und mit DARK SPRING war dies besonders schmerzhaft, weil dort gewissermaßen das Leben selbst sich abgebildet hatte. Ein Leben, in dem aus Arbeitsbeziehungen Liebesbeziehungen wurden, oder umgekehrt, oder beides gleichzeitig. Und diese Beziehungen griffen in das wirkliche Leben ein, waren das Leben selbst. Das gilt für die lebenslange Kooperation mit Gerhard Theuring, auch für die temporäre Zusammenarbeit mit Harun Farocki, der mit seinen Innovationen bis zu seinem Tod auf mich eingewirkt hat. Filme, die ich mit beiden machte, FLUCHTWEG NACH MARSEILLE (1977) mit Gerhard Theuring und ERZÄHLEN (1975) mit Harun Farocki, sind ebenso Teil der Retrospektive wie Filme, in denen ich als Darstellerin zu sehen bin: LEAVE ME ALONE (1970) von Gerhard Theuring und ZWISCHEN ZWEI KRIEGEN (1978) von Harun Farocki. Dazu der Film von Gerhard Theuring, den ich mit gigantischer Mühe in den 1980er Jahren produziert habe: NEUER ENGEL. WESTWÄRTS (1990).

Für mich war es so, dass ich nach den Anfangszeiten filmischer Radikalität und abenteuerlicher Forderungen mit meinen Spielfilmen eigenständige Wege gegangen bin, 1979 mit dem fiktiven Spiel um den Liebestod LETZTE LIEBE oder mit der Verfilmung des Exilromans von Klaus Mann, FLUCHT IN DEN NORDEN (1985) oder mit der obsessiven Autofiktion einer Schauspielerin in GINEVRA (1992). Aber Spuren ästhetischer oder politischer Überlegungen aus den früheren Co-Autoren-Filmen blieben in den Spielfilmen immer erhalten. Zum Beispiel tauchen Motive aus Anna Seghers' Roman »Transit« sowohl in dem FLUCHTWEG-Film auf als auch in LETZTE LIEBE. Und GINEVRA ist für mich auf vielerlei Weise eine Art Anschluss gewesen an das, was ich mit NEUER ENGEL. WESTWÄRTS thematisch verband. GINEVRA zentriert sich gewissermaßen um einen abwesend-anwesenden Mann, von dem die Hauptdarstellerin irgendwo sagt: »Er hat getan, was niemand sonst je tat. Und dafür liebe ich ihn.« Hier wird, wie schon in FLUCHTWEG NACH MARSEILLE, der benjaminsche neue Engel evoziert: Ein »Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.« (Walter Benjamin)

Auf den Spuren des Benjamin-Engels war ich mit GINEVRA auf meine Weise unterwegs, in denselben südfranzösischen Landschaften wie in der NEUE ENGEL. WESTWÄRTS, zum Teil mit denselben Darstellerinnen. Nach den »Blendungen« von GINEVRA kam MRS. KLEIN: ein Eintauchen in die Psychoanalyse. Die Theorien von Melanie Klein und D. W. Winnicott waren irgendwie schon in einem der früheren Filme enthalten, in KAMPF UM EIN KIND. In allen Filmen gibt es eine sichtbare Kontinuität. Das Wagnis der »Verbindung von Kinoschönheit und der neuen Politik«, was Harun Farocki an DARK SPRING so sehr gefiel (in »Fragmente einer Autobiographie«), ist tatsächlich immer mein innerstes Ziel gewesen. Auf andere Weise auch in FLUCHT IN DEN NORDEN. Der politische Auftrag einer flüchtenden Widerständlerin ist gefangen in der schönen Welt des Nordens. Erst am Ende kommt die Befreiung. Das hat mich an dem Roman von Klaus Mann am meisten beeindruckt, und es hätte mir eigentlich genügt, nur die letzte Seite des Romans zu verfilmen. Der therapeutische Auftrag der Ärztinnen auf der Geburtsstation in KAMPF UM EIN KIND und in der Psychiatrie in LETZTE LIEBE hat auch sozialpolitische Aspekte, die auf Recherchen und eigener Erfahrung basieren. Der Ansatz einer Heilfunktion spielt auch in GINEVRA eine Rolle, wenn man da genauer hinsieht.

Dann ist da auch die verhaltene Schönheit im Spiel der Schauspielerinnen. Das Spröde-Zarte von Lisa Kreuzer in KAMPF UM EIN KIND. Die dunkle Romantik von Angela Winkler, die ihre natürliche Wildfangart mit der depressiven Gestik ihrer Rolle in LETZTE LIEBE so gut zu verbinden wusste. Die wunderbare Klarheit und Präzision im Spiel von Katharina Thalbach in FLUCHT IN DEN NORDEN, die Präsenz der gefühlsamen Schwedin Lena Olin mit ihrer da schon hollywoodreifen Attraktivität. Und die Tränen des Engels in dem sich selbst aufgebenden Spiel von Amanda Ooms in GINEVRA, die Hanns Zischler in einem Brief an mich evozierte als »die ungewöhnliche Schauspielerin, die für Augenblicke die Zuschauer in den Bann eines Stummfilms zurückzuversetzen vermochte«. Bei GINEVRA denke ich ganz besonders an den überaus kooperativen und kommunikativen Gérard Vandenberg an der Kamera, der leider lange schon nicht mehr unter uns ist. GINEVRA ist gleichsam eine Art Zeitenwende: Die beiden für Licht und Materialassistenz Zuständigen wurden danach zu sehr bekannten Kameraleuten. Und Axel Block, Weggefährte seit den 1970er Jahren, Kameramann bei vier meiner Filme, hat sich gerade dankenswerterweise bei der Lichtbestimmung für die digitale Filmkopie von FLUCHTWEG NACH MARSEILLE eingebracht.

Über die Filme lasse ich weiter andere sprechen. In dem von mir besorgten und mit »die bilder der frauen & die herrschaft der männer« betitelten Filmkritik-Heft vom März 1976 habe ich unter dem Titel »Etwas über Schlußbilder und meine Liebe zum Kontinent« über die Entstehung meiner frühen Filme geschrieben. In dem Filmkritik-Heft vom Februar 1978 die Entstehungsgeschichte von FLUCHTWEG NACH MARSEILLE zusammen mit Gerhard Theuring. Über die anderen Filme gibt es verstreut lange Texte und Gespräche mit mir.

Über den etwas verwitterten Begriff der Autorenproduzentin möchte ich sagen, dass mir diese Organisationsform – mit der ihr innewohnenden Möglichkeit einer mir inhärenten Freiheitssucht und Selbstbestimmung – immer sehr gefallen hat. Es war damals so, dass uns die Türen z.B. des WDR und ZDF offenstanden, und dass auch sonst die Geldvergabe transparenter war als jetzt. Es gab gewissermaßen noch Feuerseelen, die die neue Filmpolitik vorantrieben. Konzentriert habe ich mich stets auf das einzelne Projekt und so lange gekämpft, bis ich die Finanzierung hatte. Das bedeutete lange Wartezeiten und zeitweise Verarmung. Aber die Euphorie war immer da, sobald die Dreharbeiten beginnen konnten, auch wenn die Erschöpfung manchmal groß war bei gleichzeitiger Regieführung und Produktion, dies besonders bei FLUCHT IN DEN NORDEN, einer deutsch-finnischen Koproduktion. In einem langen Gespräch mit frauen und film (Nr. 22/1980) habe ich die existenzielle Situation bei Dreharbeiten so beschrieben: »dieses gefühl von ohnmacht und allmacht beim drehen, diese kindliche allmacht, die da entsteht. das gefühl der allmacht, daß es meine bilder sind, die da ent-stehen. ich habe die macht, die fiktion in bewegung zu setzen, und gleichzeitig weiß ich, daß ich ohnmächtig bin ohne die hilfe der anderen, also eine allmacht ohne wirkliche macht. ... bei gewissen sachen kann man in der reduktion seine handlungsfähigkeit und freie bewegung behalten. wenn man mit film ohne aufwand forschungsreisen unternimmt, ist es möglich. aber bei einer produktion wie LETZTE LIEBE ist es nicht möglich. da entstehen abhängigkeiten. wo du dich nur retten kannst durch vollkommene beharrlichkeit, durch konzentration auf das, was du dir vorgestellt hast.« Es gibt also durchaus einen Widerspruch zwischen Phantasietätigkeit und sozialem Handeln, oft an der Grenze zum Unversöhnlichen.

Es ist sicher so, dass ich in meinem Film-Leben viele männliche Vorbilder habe, von Bresson über Godard bis Mizoguchi und Cassavetes und viele, viele mehr, und dass es auch überwiegend Männer waren, die über meine Filme geschrieben haben. Thematisch und auf der reinen Arbeitsebene war ich aber immer eng mit Frauen verbunden, hätte auch gerne einige von ihnen, die für mich eine Bedeutung hatten und die in der letzten Zeit fortgegangen sind, durch eine carte blanche geehrt. Zum Beispiel die unermüdlich experimentierende Chantal Akerman oder auch Anne Wiazemsky als Darstellerin bei Bresson, Godard und Pasolini, oder die unvergleichliche Alexandra Kluge mit GELEGENHEITSARBEIT EINER SKLAVIN. Mit dieser Retrospektive ist für mich die Erinnerung an mir lieb gewonnene Landschaften verwoben, die meine Filme prägen. Wie etwa die Rheinlandschaften in LETZTE LIEBE oder die südlichen Landschaften der Résistance in der Drôme bis hinunter an die südfranzösische Küste, von FLUCHTWEG NACH MARSEILLE bis GINEVRA, die ich bis heute bewohne. Unversöhnt blicke ich in die Zukunft mit neuen Projekten. Das gefährliche Träumen geht weiter. (Ingemo Engström)

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