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Das Hauptprogramm des 55. Forum trifft mit 30 Filmen aus fünf Kontinenten – darunter sieben Spielfilm-Debüts – auf eine Welt und ihre Menschen in schlechter Verfassung. „Die Diversität filmischer Formen auslotend, zeigt das Forum das Kino der Gegenwart jenseits von Kult und Kommerz – als Aufflammen des Humanen, als Befragung des Status Quo und als Seismograph unserer Zeit“, so Sektionsleiterin Barbara Wurm.

Filmtitel werden dabei zu Zeitindikatoren: In dem Film 2024 (2023) rückt Stefan Hayn das politische Berlin und das private Bayern in jeweils zwei Rahmen, jenen der filmischen Einstellung und jenen des darin repräsentierten Bildes, das er sich als Maler von seiner Umwelt macht. Ebenfalls essayistisch und von Bildern gestützt – diesmal jedoch von den Bildern vieler, destilliert durch KI – fragt die Fantasy-Visual-Metamorphose der chinesischen Künstlerin Cao Yiwen mit Blick aufs Morgen: WHAT’S NEXT? An exzentrischer Kreativität steht diese philosophische Dystopie um nichts der Spektakel-Persiflage THE TRIO HALL des Taiwanesen Su Hui-Yu nach, wo roller-skating Hitler mit Stalin und Mao mit Chiang Kai-shek tanzt. Diktatoren im Bund mit der Entertainment-Industrie – da läuten weltweit die Glocken.

Dokumentarische Formen

Das Heute über den Blick in die Vergangenheit zu reflektieren markiert die Qualität der dokumentarischen Formen im Forum, die rund die Hälfte des Gesamtprogramms ausmachen und in enger Korrespondenz mit der Auswahl des Forum Special 2025 „Offene Wunden, offene Worte“ stehen. Der peruanische Found-Footage-Film LA MEMORIA DE LAS MARIPOSAS (The Memory of Butterflies) von Tatiana Fuentes Sadowski etwa rekonstruiert indigene Sklav*innenarbeit und Kolonialverbrechen und hinterfragt die eigenen familiären Verflechtungen. Zentral wird dieses Verfahren in Lee Ann Schmitts EVIDENCE, einer Meditation über ‚dark money‘, Familie und neokonservative Ideologie ‚made in USA‘ sowie in COLOSAL von Nayibe Tavares-Abel, die die politische Geschichte der Dominikanischen Republik über die Rolle des Großvaters im Wahlbetrug von 1990 aufschlüsselt und ihren eigenen Kampf für Demokratie zeigt – und dabei den Karibikstaat zum Exempel der aktuellen Weltlage statuiert.

Die Spielarten des Politischen offenbaren sich in einem weiten geografischen Spektrum, das von James Bennings LITTLE BOY, Kaori Odas UNDERGROUND und dem südkoreanischen THE SENSE OF VIOLENCE, einer auch filmhistorisch erkenntnisreichen Analyse von Film-, Frauen- und Feindbild im Kontext antikommunistischer Ideologie, über die bewegende vierstündige Berliner Institutionsstudie PALLIATIVSTATION, die malaysisch-indonesische Co-Produktion QUEER AS PUNK, die wunderbare Reise in den italienischen Untergrund lokaler Gesangskulturen mit CANONE EFFIMERO bis hin zum Beziehungsporträt eines gambisch-österreichischen Paars in UNSERE ZEIT WIRD KOMMEN reicht. CHAS PIDLOTU (Time to the Target) heißt Vitaly Manskys nüchterner Blick auf einen Soldatenfriedhof in L’viv, dem mit Eva Neymanns zartem Odesa-Porträt ein zweiter Film über die Ukraine im Krieg gegenübersteht. Kriege reißen gesellschaftliche Gräben, was Brandon Kramers HOLDING LIAT schmerzlich bewusst macht, der eine von der Geiselnahme der Hamas betroffene US-israelische Familie bei der Kampagne für die Freilassung ihrer Angehörigen zeigt.

Wunde Seelen

„2025 ist ohnehin das Jahr der wunden Seelen. Sie reiben sich zwischen eiskalten Systemen und knallharten Regimen auf, suchen Nähe und ahnen Wesensverwandtschaften – ob queer, hetero, trans oder merfolk“, konstatiert Barbara Wurm. Neben AFTER DREAMING, einem verblüffend bildgewaltigen US-armenischen Debüt, steht mit SIRENS CALL von Lina Sieckmann und Miri Ian Gossing ein künstlerisch avancierter Hybridfilm, ein intimer Blick in die Welt von ‚Real Life Mermaids‘. Auch weitere Spielfilm-Debüts zeugen von dem starken Wunsch nach zwischenmenschlichen Verbindungen: melancholisch in MINIMALS IN A TITANIC WORLD von Philbert Aimé Mbabazi Sharangabo aus Ruanda, nachdenklich in BATIM (Houses), female-buddy-esk im Melbourne-Mumblecore FWENDS oder stark musikgeladen und mit jeder Menge jugendlichem Esprit in den begeisternden Filmdebüts von Marie-Luise Lehner und Yuri Semashko.

Vielleicht lässt sich ein Hauch Optimismus im gesamten Spielfilm-Spektrum aufspüren, so schwer die erzählten Schicksale im Einzelnen auch sind. Ob semi-autobiographisch (JANINE ZIEHT AUFS LAND), hybrid (PUNKU) oder surreal (DER KUSS DES GRASHÜPFERS), ob real-brachialer Genre-Horror aus Kasachstan (CADET), Downbeat-Existenzialismus aus Korea (BOMBAM, Spring Night), indische, stilistische Prägnanz (VAGHACHIPANI, Tiger's Pond) oder schließlich Eighty Plus des ewig jungen, einstigen Gewinners des Goldenen Bären Želimir Žilnik: Das Forum 2025 kontert offensiv dem Verdruss.

Auf der Arsenal-Webseite werden in den kommenden Wochen Interviews mit allen im Programm vertretenen Regisseur*innen veröffentlicht. Neben dem Caligari-Preis für den besten Forumsfilm kehrt dieses Jahr auch der Preis der Tagesspiegel-Leser*innen-Jury zum Forum zurück.

Alle Filme des Forum & des Forum Special auf der Berlinale-Seite

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