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Ein mobiles Labor zur Filmgeschichte Guinea-Bissaus

Das Projekt „Von Boé nach Berlin“ widmet sich dem kürzlich wieder erschlossenen und digitalisierten Archivbestand des nationalen Filminstituts von Guinea-Bissau (INCA – Instituto Nacional de Cinema e Audiovisual). Es dient dessen Wiedersichtbarmachung und experimentiert dabei mit verschiedenen Formaten: mobiles Kino, moderiertes Filmprogramm, Ausstellung und Workshop. Das Projekt bietet die Möglichkeit einer translokalen Case Study, in der auch die subsidiäre Rolle einer Institution wie das Arsenal bei der Sicherung und Sichtbarmachung eines afrikanischen Filmarchivs ins Blickfeld gelangt.

Im Rahmen ihres Langzeit-Projekts „Luta ca caba inda“ („Der Kampf ist nicht vorbei“) hat sich die in Berlin lebende portugiesische Künstlerin Filipa César um die Erschließung, Sicherung und Wiedersichtbarmachung eines einzigartigen Korpus von Filmen bemüht: dem nur noch zu Teilen erhaltenen Archivbestand des nationalen Filminstituts von Guinea-Bissau (s. a. „Animated Archive“), der eine intensive Phase dokumentarischer Film- und Kinoarbeit in den 1970er Jahren belegt, also im zeitlichen Kontext des anti-kolonialen Befreiungskampfes und der Dekolonisierung des Landes. Noch unter der Ägide des charismatischen Befreiungskämpfers Amílcar Cabral wurden hier die Anfänge des unabhängigen Kinos in Guinea-Bissau gemacht, was jedoch in der Filmgeschichtsschreibung bald wieder in Vergessenheit geriet – und das obwohl diese Arbeit seinerzeit prominente Unterstützung aus dem Ausland erfuhr und die damals beteiligten Filmemacher Flora Gomes und Sana na N'Hada später als Spielfilmregisseure zu internationalem Ansehen gelangten.

Während der Digitalisierung, bei der zu verschiedenen Zeitpunkten die Filmemacher Sana na N'Hada und Suleimane Biai sowie der Leiter des INCA, Carlos Vaz, zugegen waren, kam die Frage nach der weiteren Verwendung des gesicherten Materials auf. Zum einen bietet sich das Archiv einer geopolitischen Lektüre an, denn die vorgefundenen Filme verweisen auf eine solidarische Filmpraxis während einer Zeit massiver politischer Umbrüche. Sie machen Produktionsverhältnisse lesbar, erhellen die besondere Rolle Kubas und des Nachbarlandes Guinea-Conakry während der Dekolonisierungsphase und legen Spuren in die Biografien so unterschiedlicher Zeitzeugen wie die der Filmemacher Chris Marker, Sarah Maldoror und Jean Rouch, der schwedischen Journalisten Rudi Spee und Lennart Malmer, der Sängerin Miriam Makeba oder der Cutterin Anita Fernandez. Zum anderen drängt sich durch die zeitgeschichtliche Bedeutung des Materials und die Tatsache, dass es in der kollektiven Bildgeschichte Guinea-Bissaus eine Lücke füllt, ein klares Ziel auf: die Sichtbarmachung des Filmmaterials und seine Rückführung in den kulturellen Diskurs in Guinea-Bissau.

Mobile Cinema Revisited

Das Format des mobilen Kinos knüpft an eine bereits in kolonisierten afrikanischen Ländern eingeführte und dann im nach-kolonialen Kontext – auch in Guinea-Bissau – unter neuen Vorzeichen wieder aufgegriffene Praxis an. Sana na N'Hada war Ende der 1970er Jahre selber an dem Versuch beteiligt, mit den gerade entstehenden Filmen und Wochenschauformaten ein mobiles Kino in Guinea-Bissau zu organisieren. Das am kubanischen Vorbild des Departamento de Divulgación Cinematográfica orientierte Projekt sollte die durch die Landarbeit erzwungene Immobilität der Landbevölkerung überwinden und zu Kommunikation und Wissensproduktion innerhalb des heterogenen Staatsgebildes beitragen. Es scheiterte jedoch bald an fehlenden Mitteln.

In Guinea-Bissau finden Filmvorführungen heute meist an privaten und semi-öffentlichen Orten statt und speisen sich aus dem DVD-Markt. Filme kommen also auf informellen Wegen zu ihrem Publikum. Ein Wanderkino, das mit einer mobilen Technik ausgestattet ist und zum Publikum kommt, knüpft demnach sowohl an die einstige Praxis einer vermittelnden Kulturarbeit mit Filmen an, als auch an die heute gängigen Formate des gemeinsamen Filmschauens. Ausgerüstet mit dem Bild- und Tonbestand des INCA-Archivs wird das mobile Kino in der Region Boé starten, wo im September 1973, noch während des Befreiungskrieges, der unabhängige Staat Guinea-Bissau ausgerufen wurde – ein Ereignis von großer symbolischer Bedeutung, das auch den Beginn einer internationalen Bildproduktion über die sukzessive Befreiung Guinea-Bissaus markierte. Weitere Spielorte des mobilen Kinos sollen u.a. Bafatá sein, der Geburtsort Amílcar Cabrals, und die Insel Galinhas, auf der sich während der Kolonialzeit das größte Gefängnis für politische Gefangene befand.

Die Erfahrungen mit dem mobilen Kino werden von Filipa César, Suleimane Biai und Sana na N’Hada gemeinsam dokumentiert und zum Abschluss von Visionary Archive im Mai 2015 vorgestellt. Der eigentlichen Reise vorangehen wird ein Workshop, bei dem die Beteiligten sich gemeinsam über die Bedeutung des Projekts und die Formen seiner Dokumentation verständigen.

Regulado

Im Februar 2014 haben Filipa César und Suleimane Biai in Birbam, etwa drei Stunden nördlich der Hauptstadt Bissau, drei Wochen lang den Bau eines Hauses filmisch dokumentiert, das den umliegenden Dörfern als Versammlungsraum dienen soll. Das Vorhaben diente auch einem ersten Testlauf für das mobile Kino. Suleimane Biai ist neben seiner Arbeit als Filmemacher auch der Régulo in dieser Region und hat damit die Aufgaben eines Gemeindevorstands und Schlichters inne.

Die für den Neuen Berliner Kunstverein im Rahmen von Visionary Archive konzipierte Installation Regulado ist nach dem Wirkungsbereich des Régulo benannt, meist ein Verbund mehrerer Dörfer. Die Ausstellung rekurriert auf eine Konfrontation, die sich am Rande der Dreharbeiten in Birbam ereignete und durch die das filmische Handeln auf unvorhergesehene Weise in Anspruch genommen wurde. Eine in einer Einstellung gedrehte Auseinandersetzung um die illegale Rodung von Tropenholz wurde am folgenden Abend vor Ort auf einer mobilen Leinwand gezeigt und zur Diskussion gestellt. Das mobile Kino, das bereits am Vorabend mit Flora Gomes' MORTU NEGA (1987) begonnen hatte, hat damit sofort einen überraschend aktuellen Bezug bekommen. Nach Cuba (2012) ist Regulado (2014) Filipa Césars zweite künstlerische Zusammenarbeit mit Suleimane Biai.

Die Ausstellung „Regulado“ ist vom 27. Mai bis 25. Juli 2014 im Showroom des n.b.k. zu sehen.

Siehe auch Rezension von Marietta Kesting

„Von Boé nach Berlin“ ist ein Projekt von Filipa César, Sana na N'Hada und Suleimane Biai.

Biografien

Suleimane Biai (geb. 1968 in Farim, Guinea-Bissau) arbeitet als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor am Instituto Nacional de Cinema e Audiovisual (INCA) in Bissau und ist seit 2010 auch der Régulo für die Dörfer um seinen Geburtsort Farim. Er hat von 1986 bis 1991 Filmregie an der Escuela Internacional de Cine y Televisión (EICTV) in San António de los Baños (Kuba) studiert und neben der Realisierung eigener Spiel- und Dokumentarfilme (u.a. DJITU TEN KU TEN, 1997) als Assistent für Flora Gomes (u.a. PÓ DI SANGUI, 1995, NHA FALA, 2001) und Sana na N'Hada (XIME, 1993) gearbeitet.

Filipa César (geb. 1975 in Porto, lebt in Berlin) Arbeiten sind regelmäßig in Einzel- und Gruppenausstellungen, auf Biennalen und Filmfestivals repräsentiert, zuletzt u.a.: Kunstmuseum St. Gallen (2013), Jeu de Paume, Paris (2012), Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2011), Manifesta 8, Cartagena (2010), 29. São Paulo Biennale (2010), Berlinale (2013), Internationales Filmfestival Rotterdam (2010 und 2013), KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2013). Unter dem Titel „Luta ca caba inda“ hat sie zuletzt mehrere Arbeiten und Präsentationsformate erarbeitet, die sich mit einem im nationalen Filminstitut INCA in Bissau wieder aufgetauchten Konvolut von Filmmaterial aus den 1970er Jahren auseinander setzen.

Sana na N'Hada (geb. 1950) zählt zu den Pionieren des guineischen Kinos, dessen Geschichte während des elf Jahre dauernden Unabhängigkeitskrieges gegen das portugiesische Kolonialregime begann. Er war einer von vier Guineern, die 1967 von Amílcar Cabral an das kubanische Filminstitut ICAIC (Instituto Cubano de Arte e Industria Cinematográficos) geschickt wurden, um das Filmemachen zu lernen und anschließend den Unabhängigkeitskampf zu dokumentieren. Er führte Regie bei folgenden Filmen: O REGRESSO DE AMÍLCAR CABRAL (1976), ANÓS NÔ OSSÁ LUTÁ (1976), LES JOURS D'ANCONO (1978), FANADO (1979), XIME (Spielfilm, 1994), BISSAU D'ISABEL (2005), KADJIK (2012). Darüber hinaus hat er mit anderen Regisseuren zusammengearbeitet, u. a. mit Anita Fernandez, Chris Marker, Sarah Maldoror, Joop van Wijk, Leyla Assaf-Tengroth und nicht zuletzt mit seinem guineischen Kollegen Flora Gomes. 2012 und 2013 entwickelte Sana na NʼHada in Zusammenarbeit mit Tobias Hering und Filipa César eine Serie öffentlicher Sichtungen des zuvor digitalisierten Filmarchivs aus Guinea-Bissau in Berlin, Paris, London, Lissabon und Bissau.

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