Deutschland 1996 Regie: Dietmar Hochmuth |
64 min., Video, Farbe
Produktion: SelbstFilm - hergestellt mit freundlicher Zurückhaltung des MDR, WDR, SDR, SR, SWF, ZDF u.v.a.m. Buch: Dietmar Hochmuth. Kamera: Dieter Chill. Schnitt: Regina Fischer. Kontakt: SelbstFilm, Lebuser Str. 13, D - 10243 Berlin. Tel./Fax: (49-30) 427 35 44. eMail: PotemkinPress@msn.com |
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Do 20.02. 17:30 Arsenal |
Torgau, jenes verschlafene Städtchen in "Nordsachsen" (früher "Südpreußen"), atmet heute, beim mittlerweile möglicher gewordenen Freilegen von Geschichte(n), Historie in einer Ballung wie selten ein Ort. Durch seine Lage vor den Endmoränen aus der Eiszeit war es in Zeiten klassischer Kriegführung geradezu prädestiniert als Festung (und damit Spielball) zwischen den Mächten: Preußen, Sachsen, Napoleon, Hitler - bis hin zum Übertritt des Kreises Torgau aus dem Bezirk Leipzig (und dem bisherigen Preußen) nach Sachsen, bei der letzten Volksabstimmung 1990.
So ist auch Torgau jener Ort, an dem sich Ende April '45 Amerikaner und Russen trafen - auf einer Brücke, die seit zwei Jahren nicht mehr steht. Einstweilen war diese symbolschwangere Begegnung überhaupt nicht von langer Hand geplant, zu ihr kam es eher zwangsläufig, als nämlich den obersten Feldherren im Kreml und im Weißen Haus plötzlich einfiel, daß sie ja spätestens seit Eröffnung der 2. Front beim Marsch auf Berlin von Ost und West irgendwann einmal aufeinanderstoßen müßten. Und so wurde die berühmte Begegnung vom 25.4.1945 eigentlich erst am 20.4., also ganze fünf Tage vorher, ins (strategische) Auge gefaßt - als unausweichlicher Vorfall sozusagen. Vorbehalte und Mißtrauen gab es - bei aller erwarteten Erleichterung - auf beiden Seiten mehr als genug, bis es zu jenem halbinszenierten Handschlag kam, der - freilich für das "historische Foto" nachgestellt - in der Vor-Medienwelt der vierziger Jahre innerhalb von achtundvierzig Stunden auf dem Titelblatt der New York Times landete und um die Welt ging.
Die Teilung Deutschlands als Folge des auf der Brücke von Torgau faktisch besiegelten Krieges hat diesem Umstand immer wieder eine besondere Würze verliehen: Die DDR-Behörden zelebrierten hier 40 Jahre lang den "Sieg der DDR-Bürger an der Seite der ruhmreichen Roten Armee über den Hitlerfaschismus" - den Amerikanern paßte die Brücke von Torgau fast noch weniger als den Russen ,ins Konzept': der Kalte Krieg folgte auf den heißen, und die Brücke geriet in Vergessenheit, das Ereignis wurde fortan eher privat von Veteranenverbänden begangen (Stichwort: Joe Polowsky - ein amerikanischer Träumer - fast ein Kauz, der sich 1983 in Torgau begraben ließ).
Selbst nach dem Fall der Mauer gab es für das ,offizielle Washington' immer wieder, und zwar jedes Jahr, einen anderen Grund, die Präsenz auf höherer militärischer oder diplomatischer Ebene abzusagen, während zusammen mit der DDR auch die Regelmäßigkeit der Subventionierung aller einschlägig in den Dienst der offiziellen Geschichtsschreibung gestellten Feierlichkeiten einschlief, so daß hier durch die Gründung von gleich mehreren Geschichts- und Traditionsvereinen die Erinnerungsinitiative in umtriebige private Hände überging, auf die niemand recht vorbereitet war. Sponsoren mußten gefunden werden, um die Elbwiesen mit Coca Cola und Jazz fluten können, denn der Freistaat Sachsen sieht die Unternehmung als reine Kulturveranstaltung, glänzt mit Abwesenheit bzw. der Entsendung drittrangiger Politiker und bezahlt bestenfalls anreisende Jazzbands - anreisende Veteranen hingegen nicht. Eine russische Bank ermöglichte in letzter Sekunde 50 ganz privat von Torgauern eingeladenen Veteranen die Fahrt nach Torgau, wahrscheinlich die letzte in ihrem Leben. Die Amerikaner waren mit 184 Veteranen, etlichen Bussen via Amsterdam, einer Traditionseinheit aus Colmar und einem Militärorchester präsent - gemeinsame Fotos mit Russen oder vor russischer Militärtechnik hingegen wurden den aktiv diensttuenden Militärangehörigen ausdrücklich untersagt. Indessen war für die Brauereien der Umgebung jeder Anlaß willkommen genug, die Fässer rollen zu lassen, und so gab es inmitten der Feierlichkeiten einen ,Tag des deutschen Bieres', mit Aerobic und dem Verramschen von allerhand NVA-Militaria. Für die Jugendlichen, die es anboten, waren es ,Klamotten aus dem Krieg'. So sehr entrücken kann Geschichte. Immer wieder nur als Krieg.
Im 50. April seit Kriegsende kam auch jener Leutnant Robertson, heute angesehener und betuchter Neurochirurg in L. A., nach Torgau, um die Patrouille von einst noch einmal - zusammen mit Alexander Silwaschko, seinem damaligen Gegenüber auf der Brücke und dem Foto - abzufahren. Hunderte Autos, Jeep-Klubs aus ganz Deutschland, Busse haben sich ihr angeschlossen, auf weitläufig abgesperrter Route zwischen Wurzen und Torgau - wobei kaum einer von den Fahrern wußte, was hier ,gefeiert' wurde, aber ein bißchen Cowboyspielen macht immer Spaß... Der Ukrainer Silwaschko lebt derweil in Belorußland, quasi im Ausland, bekommt eine Rente von umgerechnet ca. $ 15, von der er kaum überleben könnte, wäre da nicht der Veteranentourismus, während Robertson die aufwendige ,Show' bestimmt selbst finanzieren könnte.
Das Fest, genannt ,Down by the Riverside', ist ein Riesenspektakel geworden, für manchen ,alten Torgauer' (etwa einen Teil der abgewickelten Intelligenz) nicht nur ersehnte Abwechslung in der Windstille des Vorruhestands, sondern auch buchstäbliche Existenzsicherung - via ABM und Aufschwung Ost. Dietmar Hochmuth, Februar 1997
Dietmar Hochmuth wurde 1954 in Berlin/DDR geboren. Von 1973 bis 1979 studierte er Spielfilmregie bei Georgi Danelia am Staatlichen Allunionsinstitut für Kinematographie (WGIK) in Moskau. Danach arbeitete er als Regieassistent, später Regisseur im DEFA-Studio für Spielfilme Babelsberg.
Daneben auch tätig als Autor, Übersetzer und Herausgeber (zus. mit Oksana Bulgakowa), 1992/93 Mitarbeit bei den Freunden der Deutschen Kinemathek (Publikationen und Filmreihen). 1996 Gründung des Verlages PotemkinPress (für Filmliteratur und neue Medien). 1996 Lehrauftrag an der dffb.
1979: heute abend morgen früh. 1983: Mein Vater ist ein Dieb. 1988: In einem Atem. 1989: Motivsuche. 1992: In der Fremde Zuhause; Unser Berlin hat keinen Vornamen. 1993: Versprengte Szene. 1994: Unser Berlin hat immer noch einen Vornamen; 1995: Deutsch-Südwest in Moskau; Motivsuche - Schlußklappe '95. 1996: Das Medium ist die Botschaft
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