Tuwa / Hong Kong / Deutschland 1996/97 Regie: Gerd Conradt , Daniela Schulz |
45 min., Video, WP
Produktion: Gerd Conradt Videoproduktion. Buch: Gerd Conradt, Daniela Schulz. Kamera: Gerd Conradt. Ton: Daniela Schulz. Musik: Yat-Kha. Avid-Schnitt, Tonbearbeitung: Uli Peschke, Tommi Schütze. Schnitt Clip: Dieter Jaufmann. Organisation Tuwa: Lu Edmonds. Titelgraphik: Annette Wetzel. Darsteller: Albert Kuvezin und Familie, Alexei Saaia und Familie, Jevgenij Tkachov, Lu Edmonds, Olar Makarol Sewionowitsch, Gena Tchamzyrin, Familie Badi-Sagaan, Dina Oiun und Bewohner Kyzyls und Schagonars. Uraufführung: 18.2.97, Internationales Forum des Jungen Films. Weltvertrieb: Videoproduktion Gerd Conradt, Westfälischestr. 54, D-10711 Berlin. Tel.: (49-30) 893 25 22. Fax: (49-30) 893 25 98. |
|
Di 18.02. 17:30 Arsenal |
Das Zentrum Asiens liegt in Kyzyl, der Hauptstadt der autonomen Republik Tuwa. Hier am Obelisk, der den geographischen Mittelpunkt Asiens markiert, treffen wir den jungen Musiker Albert Kuvezin. Albert ist ein ,Khomeizi' - ein Kehlkopfsänger. Mit seiner Band ,Yat-Kha' setzt er die jahrhundertealte Technik des Kehlkopfgesangs in zeitgemäße Rockmusik um. Die traditionellen tuwinischen Ober- und Untertonlieder, bei denen Albert zwei bis drei Töne gleichzeitig intoniert, werden bei ,Yat-Kha' mit tanzbaren Rhythmen kombiniert. Für ,Yat-Kha' ist im Herbst 1996 die größte Herausforderung das Konzert auf dem ,Festival of Asian Arts' in Hongkong. Bei diesem größten asiatischen Kunst-und Musikfestival im Wirtschaftszentrum Asiens vertritt ,Yat-Kha' das ,Zentrum Asiens'.
In der Vorbereitungszeit zu diesem Konzert und der Produktion eines Musikvideos dazu begleiten wir den tuwinischen Musiker bei seiner Reise durch die Heimat. Ob bei Alberts Eltern, die ein Schaf für uns schlachten, bei seiner Tante aus Tscherkessien, die am größten Stausee der Russischen Föderation wohnt, bei den Ziegen- und Pferdehirten, die in Jurten leben, oder am Nationalfeiertag, wo neben traditionellen Reiterspielen und Ringkämpfen ebenso Breakdance vor dem Lenindenkmal stattfindet - ganz gleich wo wir sind, ob zu Hause bei dem ältesten Nationalschauspieler Tuwas, ob wir auf der Straße einen alten Schamanen treffen oder den buddhistischen Tempel aufsuchen: die Reise ist jedesmal Reise zu Alberts musikalischen Wurzeln. Der Film erzählt, wie Albert Kuvezin und die Band ,Yat-Kha' die Eindrücke verarbeiten und die Lieder und Melodien weitertragen in die moderne, schillernde Welt Hongkongs, die so ganz konträr zu der weiten Ruhe Tuwas ist. Wiederholt sehen wir - clipartig - die Bandmitglieder, wie sie das Lied ,Dyngyldai' für das Musikvideo proben. Am Ende steht der Auftritt in Hongkong, der zum Symbol der Verbindung von Tradition und Moderne wird, die Albert Kuvezin schafft.
,Khomei' ist die Bezeichnung für jenen Kehlkopfgesang, der von den Tuwinern im Laufe der Jahrhunderte zu höchster Meisterschaft entwickelt wurde. Es ist die Musik der Nomaden, Hirten und Jäger. Sie ahmt Tierlaute und Naturphänomene nach: Das Pfeifen des Windes, das Sirren der Grashüpfer, die Schreie der Rentiere, den mehrstimmigen Gesang der Kamele... Man kann sagen, daß der ,Khomei' ein essentieller Bestandteil der nationalen Kultur Tuwas ist. Die Natur schenkte den Nomaden Zentral-Asiens eine besondere Begabung; sie können simultan eine Melodie mit zwei oder drei Tönen singen: ein Grundton (Sprache oder Gesang) wird überlagert von einem hohen melodischen Ton, dem Oberton. Das ergibt den besonderen Effekt des ,Kehlkopfgesanges'. Ich glaube, für einen Tuwiner ist der ,Khomei' nicht einfach ein musikalisches Genre oder die spezielle Begabung eines einzelnen Sängers, sondern vielmehr eine besondere Form des Denkens, des Wahrnehmens und Wiedergebens der uns umgebenden Dinge, ein Ausdruck seines tiefsten Inneren. Ein Bewußtseinszustand. Die Schamanen benutzen das ,Khomei' in ihren Anrufungen, ihren Dialogen mit den Geistern, den äRepräsentanten der anderen Welt". Ich glaube allmählich, daß der Kehlkopfgesang die Verbindung des Menschen zum Kosmos ist. (Kaadyr-Ool Bicheldey, Vorsitzender des Großen Khurals)
Der Deutsche Otto Mänchen-Helfen war der erste nichtrussische Besucher der Republik Tuwa (TAR) im Jahre 1929. Er erzählt in seinem Buch ,Reise ins asiatische Tuwa': "Ein spleeniger Engländer bereiste einst die Welt zu dem einzigen Zwecke, im Mittelpunkt eines jeden Erdteils einen Gedenkstein aufzurichten. Afrika, Nord-und Südamerika hatten schon ihre Steine, als er auszog, dem Herzen Asiens ein Denkmal zu setzen. Nach seinen Berechnungen lag es an den Ufern des oberen Jenissei. Ich sah den Stein im Sommer 1929. Er steht in Tuwa, in der Hirtenrepublik, die zwischen Sibirien, dem Altaigebirge und der Wüste Gobi liegt, dem für Europäer unzugänglichsten Land Asiens."
Republik innerhalb der Russischen Föderation, an der mongolischen Grenze, das Quellgebiet des Jenissei; 170.500 km2, 306. 000 Einwohner; 64,3% Tuwiner, 32,0% Russen, 0,7% Tscherkessen, 0,7% Ukrainer u.a.; Religion: Buddhisten, Schamanisten; Hauptstadt: Kyzyl (90.000 Einwohner), mit dem Obelisk geographisches ,Zentrum Asiens'; von den Hochgebirgen Sajan und Tannu-Ola umschlossene Beckenlandschaft; intensive Viehwirtschaft auf den Steppen und Gebirgsweiden, in der Taiga Pelztierjagd und Rentierzucht; reich an Bodenschätzen: Gold, Steinkohle, Eisen, Kupfer, Asbest, Steinsalz. Bis 1912 chinesisch, zwischen 1912 und 1914 und 1921 bis 1944 formell unabhängige Republik Tannu-Tuwa, danach als Tuwin. Unterzeichnung des Föderationsvertrags mit Rußland am 31.3.1992; Regierungschef: Scherig-Ool Orschak.
Gerd Conradt ist 1941 geboren, in Thüringen aufgewachsen und lebt seit 1955 in Berlin. Von 1966 bis 1968 studierte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Seit 1973 arbeitet er als Lehrer für praktische und theoretische Videoarbeit an verschiedenen Hochschulen. Seit 1982 ist er freiberuflich als Regisseur und Produzent tätig.
1984: Der Videopionier. 1986: Fernsehgrüße von West nach Ost. 1987: EinBlick. 1991: Allegorie des Fernsehens. 1992: Blau-beerWald. 1995: Hold Me - Love Me - Irene Moessinger und das Tempodrom.
Daniela Schulz, 1968 geboren, ist Diplom-Kulturpädagogin und lebt in Berlin. Von 1988 bis 1992 studierte sie an der Universität Hildesheim. Seit 1991 ist sie in den Bereichen Performance und Dokumentarfilm tätig.
1991: La Plaque Tournante - Mythologie VI - Wheel of Fortune. 1994: Der Zeitzeuge und die Schattenwerferin.
© 1997 Internationales Forum des Jungen Films. Alle Rechte vorbehalten. |