Argentinien 1996 Regie: Gustavo Mosquera R. |
88 min., 35mm, 1:1.66, Farbe
Produktion: Universidad del Cine, Buenos Aires. Buch: Arturo Onativia, Natalia Urruty, Gabriel Lifschitz, Pedro Cristiani, Maria Angeles Mira, Gustavo Mosquera R., nach dem Roman ,Ein Tunnel namens Moebius' von A.J. Deutsch. Gesamtleitung: Gustavo Mosquera R. Kamera: Abel Penalba, Federico Rivares. Ausstattung: Federico Ostrovsky, Lucia Leschinsky. Musik: Mariano Núñez West. Ton: Martin Grignaschi. Schnitt: Pablo Georgelli, Alejandro Brodersohn. Produktionsleitung: Veronica Cura. Darsteller: Guillermo Angelelli, Roberto Carnaghi, Jorge Petraglia, Anabella Levy. Uraufführung: 15.7.1996, Universidad del Cine, Buenos Aires. Weltvertrieb: Fama Films, San Juan Nr. 10, E 28200 San Lorenzo del Escorial/España. Tel.: (34-1) 890 5855, Fax: (34-1) 896 10 70. |
|
Mo 17.02. 18:30 Kino 7 im Zoo Palast Mo 17.02. 21:30 Delphi Di 18.02. 12:30 Arsenal Mi 19.02. 22:00 Akademie der Künste |
Der Film ist eine Metapher über die jüngste Geschichte, über Ängste und das Vergessen. Ein Zug mit mehr als dreißig Fahrgästen verschwindet im U-Bahnnetz von Buenos Aires. Eine beängstigende Suchaktion beginnt, um das unerklärliche Verschwinden aufzuklären. Mit der Untersuchung wird ein junger Topologe beauftragt, der nach und nach Karten und technische Daten zusammenträgt. Den Aufenthaltsort des alten Wissenschaftlers, der die komplizierte Anlage des U-Bahnnetzes entworfen hat, kann er nicht ausfindig machen. Dann aber erhält er unerwartet Hinweise von einem kleinen Mädchen. Doch alles scheint sinnlos. Erst ein Zufall, der ihn beinahe das Leben kostet, bringt die überraschende Lösung.
MOEBIUS, der erste abendfüllende Spielfilm der Universidad del Cine, entstand in einem Workshop für höhere Semester unter der Leitung der Professoren Gustavo Mosquera R. (Studiengang Regie) und María Angeles Mira (Studiengang Produktion). Hauptintention war es, den Studenten einen Arbeitsabschluß zu verschaffen und sie so auf direktem Wege in die Welt der Kreativität und der Filmindustrie eintreten zu lassen.
Fünfundvierzig Studenten schrieben sich für diesen Workshop ein. Die erste Aufgabe bestand darin, die Studenten nach ihren individuellen Interessen und Vorlieben für die verschiedenen Gebiete einzuteilen, aus denen die Herstellung eines Films besteht und die zusammen mit dem humanistischen Fachbereich den Studienplan der Universidad del Cine bilden.
Danach wurde die Wahl des Filmthemas besprochen. Auf Vorschlag von Prof. Mosquera R. wählten die Studenten eine Erzählung des nordamerikanischen Wissenschaftlers A.J. Deutsch, die 1950 unter dem Titel ,Ein Tunnel namens Moebius' erschienen ist, als Vorlage aus. Danach wurden die einzelnen Aufgaben an die Studenten verteilt, Adaptation und Drehbuch hergestellt.
Nachdem Drehbuch und Budget von der Universität bewilligt waren, begann das Casting. Man bestimmte die Schauspieler und begab sich auf die Suche nach den Drehorten, von denen einige speziell gebaut wurden. Die U-Bahngesellschaft von Buenos Aires erteilte die Erlaubnis zur Umgestaltung einiger Metrostationen, um so die thematisch bedingte Atmosphäre zu erzielen. Schließlich begannen die Dreharbeiten, die ungefähr drei Monate dauerten. Der Schnitt, die Synchronisation und die Tongestaltung entstanden in der Universität. Anfang 1996 wurde die Originalmusik aufgenommen, der Ton gemischt und die Endfertigung gemacht.
(...) Der Film basiert auf einer Erzählung, die den Zuschauer in eine phantastische Welt entführt. Im U-Bahnnetz von Buenos Aires ist ein ganzer Zug mit ungefähr dreißig Passagieren verlorengegangen. Niemand weiß, wo er ist. Nur gelegentlich hört man die Geräusche eines mit unvorstellbarer Geschwindigkeit dahinjagenden Zuges. Ein Topologe wird damit beauftragt, das Mysterium aufzuklären, aber seine Erklärungen überzeugen niemanden, obwohl sie die einzig möglichen sind. Ein Mädchen von kindlicher Unschuld hilft dem jungen Mann, ohne es zu wissen, bei der Aufgabe, den Fahrplan des Zuges Nr. 86 zu rekonstruieren.
MOEBIUS ist ein Film von eigenwilliger Schönheit. Seine literarischen Bezugspunkte sind Jorge Luis Borges und Franz Kafka, erkennbar an der ästhetischen Struktur des Films, an den reichlich vorhandenen Labyrinthen und den bis obenhin mit Akten angefüllten Bücherregalen. Die Tunnel und die geheimnisvolle U-Bahn, die mit hoher Geschwindigkeit durch das U-Bahnnetz rast, finden ihr menschliches Äquivalent im Inneren der Figuren. Die Tunnel sind eine Verlängerung ihrer inneren Labyrinthe; sie sind Metaphern des Unbewußten, all dessen, was der Mensch von sich nicht weiß, aber möglicherweise erahnt in seinen Phantasien oder in dem Gefühl seiner Entfremdung angesichts der essentiellen Probleme des Seins.
MOEBIUS, technisch einwandfrei gemacht, ist auch eine Reflexion über Geschichte und Erinnerung. Eine Geschichte, in der all das Verschwundene im Raum schwebt, ohne einen Platz auf Erden zu finden. Eine Geschichte, in der ,die Abwesenheit' nicht durch Schmerz und Reflexion aufgearbeitet werden kann. Schließlich eine Geschichte, die der Erinnerung sehr viel schuldet.
Aber die Verdienste von MOEBIUS gehen weit über jede vorläufige Analyse hinaus. Die Vieldeutigkeit der Bilder, die Sorgfalt bei der Ausarbeitung jeder Figur, die stil- und formbewußte Kamera, wie man sie lange nicht im argentinischen Kino gesehen hat, und eine gewisse poetische Kraft sind unverkennbare Zeichen großer Kunstwerke. All dies macht den Film zu einer ästhetischen Erfahrung mit unendlich vielen Bedeutungen und starker emotionaler Wirkung. MOEBIUS versetzt den Zuschauer in ein erkennbares Vakuum. Vielleicht ist es dieser zeitgenössische Raum, in dem niemand zuhört, weil er befürchtet, daß es nichts zum Zuhören gibt. Der gleiche Raum, in dem man den Pakt mit dem Wort gebrochen hat. Das Gesagte erscheint demnach als sinnlos, als unerwiderte Geste, die die Erfahrung des Seins in einen Weg von abgründiger Leere verwandelt.
Die exzellente Darstellung von Guillermo Angelelli, die Sensibilität von Roberto Carnaghi und die interpretatorische Sorgfalt von Jorge Petraglia sind die Grundpfeiler von MOEBIUS. Aber die bewundernswerte Leistung liegt in der Arbeit eines Teams, das außerhalb des Systems operierte, ohne einen Pfennig dafür zu erhalten, aber davon überzeugt war, daß die Anstrengung sich lohnen würde.
Das Resultat konnte nicht vielversprechender sein. Die Schule von Manuel Antin hat bewiesen, daß man mit weniger als 300.000 Dollar einen großen Film machen kann. Mosquera und sein Team sind bereits jetzt eine unbestreitbare Hoffnung für unser Kino.
(Osvaldo Quiroga, in: El Cronista, Buenos Aires, 17. Oktober 1996)
MOEBIUS ist der erste abendfüllende Spielfilm der Universidad del Cine. Aber das ist nicht der einzige und nicht der wichtigste Vorzug des Films. MOEBIUS ist so etwas wie das ursprüngliche Kino der neuen Zeit; oder besser gesagt ein Teil jenes ursprünglichen Kinos, das sich rasch in der Welt vermehrt, Übergänge und Eckpunkte bildet und sich auf der Suche nach dem verlorenen Zuschauer befindet. Verloren, weil es selbst nicht einfach zu finden ist, und verloren, weil der Zuschauer noch nicht in der Verfassung ist, es anzuerkennen. Deshalb gibt es ein sehr deutliches Mißverhältnis, das wir z. B. auch hier in dieser Keimzelle, die die Universidad del Cine für uns darstellt, beobachten können, in dieser Keimzelle, die immer mehr zu einem Gewebe, einem Teil des kinematographischen Corpus in der Welt wird - weit über ihre erzieherische Funktion, ihre Funktion als Filmproduzent und als Produzent von Reflexion über das Kino hinaus. (...)
Aus meiner Sicht enthält MOEBIUS einen Diskurs, und er ist das Zentrum, seine These, das eigentlich Befreiende des Films. Die innere Suche führt zu einem anderen Raum und in eine andere Zeit und scheint seine Prämisse zu sein. Aber interessanter wird dieser Diskurs, wenn man davon ausgeht, daß er eigentlich verloren ist und es demnach notwendig ist, ihm nachzuspüren, ihn zu suchen, ihn zu erforschen, dort in der Tiefe des Seins, im Unbewußten jedes Einzelnen. Es ist der Ort, durch den wir alle hindurchgehen, an dem wir uns aber kaum damit aufhalten, zu beobachten (uns selbst zu beobachten) oder zu fühlen. Einige Ältere, einige Greise, einige von ihnen kennen das Geheimnis, und wenige hören ihnen zu. Man braucht sich nur umzusehen in Argentinien, wo unsere Rentner mit Fußtritten hinausgeworfen und durch die Barbarei der modernen Zivilisation als unnütz abgestempelt werden. Viele unserer älteren Menschen sind so jung, so vital, ähnlich jenem unentbehrlichen Kind, das wir alle in uns bewahren und mit all der Fülle ihrer Intelligenz und ihrer umfassenden Wahrnehmung nähren sollten. Ihre Weisheit und Imagination schafft neue Träume, neue Utopien und neue Welten - vielleicht sind sie deshalb nicht an der Macht.
MOEBIUS gelingt es nur, darauf aufmerksam zu machen, aber das reicht. Vielleicht liegt es am Drehbuch, an seinem schwachen Konflikt - trotzdem ist es vortrefflich, notwendig und schön, auch wenn es nicht bis an die Wurzeln geht. Das ist sein Vorzug und sein Nachteil. Ein Schritt auf dem langen, schwierigen Wege zu einem neuen argentinischen Kino. MOEBIUS ist eine Geburt, zu der jeder Einzelne seinen kleinen Beitrag geleistet hat. MOEBIUS ist eine Kollektivarbeit und trotz mancher Einwände das erfolgreiche Ergebnis eines Weges, der nur ein wenig in unnötige Feierlichkeit gehüllt erscheint. Vor allem ist er eine Stellungnahme zur Freiheit des Menschen. Die audiovisuelle Sprache, die er benutzt, hat eine Kraft, die aus dem tiefen Tunnel unserer Existenz kommt.
(Marcel Gonzélez, in: Universidad del Cine, Nr. 16, Oktober 1996)
Die erste Filmuniversität Lateinamerikas in Buenos Aires-San Telmo liegt in einem besonderen Viertel. Früher, als Argentinien noch prosperierte, zogen die Bonarenser dorthin, wenn sie eine vornehme Adresse brauchten. Als der Niedergang des Landes unaufhaltbar wurde, suchten sie hier bevorzugt ihre Psychiater auf. Inzwischen werden in zahlreichen Antiquitätenläden die Reste des einstigen Wohlstands feilgeboten und ein längst berühmter Flohmarkt zieht sonntags die Touristen in Scharen an. Daneben hat sich die Bohème eingenistet, befinden sich Graphikwerkstätten und Ateliers, führt ein städtisches Museum für moderne Kunst eine gefährdete Existenz, wird Theater gespielt und lukullischen Genüssen gefrönt. Und manchmal verwandelt sich eine Bühne in ein Filmzentrum, wie in der schmalen Seitenstraße Giuffra 330, wo aus ,La Gran Aldea' der Hauptsitz der FUC wurde, der Fundación Universidad del Cine, der Stiftung Universität des Films.
Der Ort und der Name der Institution sind bewußt gewählt: in einem Ambiente vielfältiger Kultur, nicht in irgendeinem anonymen Bürohaus, soll Film als kulturelle Darstellungsform und nicht als bloße Technik oder als Kunstgewerbe gelehrt werden.
Das ist das Anliegen von Manuel Antín, der diese Filmhochschule 1991 gegründet hat. Bereits in den sechziger Jahren versuchte er zusammen mit einigen anderen Regisseuren seiner Generation, die argentinische Kinematographie zu erneuern und mit Beiträgen wie La cifra impar (1961), Circe (1963) oder Intimidad en los parques (1964) eine intelligente Beziehung zwischen Film und Literatur (in seinem Fall dem Werk Julio Cortßzars) herzustellen. Zwei Jahrzehnte später, von 1984 bis 1989, unternahm er es als Direktor des Nationalen Filminstituts, das von der Militärdiktatur zerrüttete Kino durch eine entschiedene Förderungspolitik wieder aufzubauen und verschaffte so der wiedergewonnenen Demokratie einen weltweit beachteten bildhaften Ausdruck.
Die Universidad del Cine ist sein dritter Anlauf, verändernd in die erneut verflachte Kinokultur am Rio de la Plata einzugreifen. Ihre Ursache sieht er u.a. "in der allgemeinen kulturellen Leere und in dem besonderen Mangel an Bildung in unserem Land". Deshalb will er mit seiner Institution "jenen humanistischen Raum bieten, in dem eine andere Form von Film geschaffen werden kann und sich ein anderer Typ von Filmemacher entwickelt". Und so gehört zu seinem Konzept neben der Vermittlung filmischer Kenntnisse ein allgemeinbildendes Angebot an Kursen, u.a. für das Erlernen einer zweiten Fremdsprache (englisch oder französisch). Diese Film-Hochschule will also auch einige Defizite des mangelhaften Schulsystems beseitigen helfen. (...)
Öffentliche Mittel erhält die Hochschule in Menems neoliberalem Staat keine, sie muß sich also ausschließlich aus ihren Einkünften, d.h. den Studiengebühren, finanzieren. Und die sind so bemessen, daß es hier eine ausreichende technische Ausstattung gibt und nicht nur das Allernötigste wie an den wenigen öffentlichen Ausbildungsstätten oder bei den zahlreich angebotenen privaten Film- und Videokursen, zu denen man oft noch seine Ausrüstung mitbringen muß. Auch wird hier vom zweiten Studienjahr an bevorzugt auf 16mm und 35mm und nicht wie sonst fast überall nur auf Video gedreht. Sogar die Dozenten werden angemessen bezahlt, weshalb sich im Lehrkörper viele bedeutende Vertreter der argentinischen Filmkultur finden. Überschüsse, die die Universität erwirtschaftet, müssen investiert werden, so schreibt es das Stiftungsstatut vor. Und weil die FUC auch als Unternehmen gut funktioniert, konnte sie 1995 zum zweitenmal zu einem internationalen Festival der Filmschulen einladen und es sich sogar leisten, zur Produktion von langen Spielfilmen überzugehen.
Die konzeptionellen und technischen Voraussetzungen für einen kreativen Lernprozeß sind hier so günstig wie an kaum einer anderen filmischen Ausbildungsstätte in Lateinamerika. Natürlich läßt sich noch vieles verbessern, auch die Schule muß aus Erfahrung lernen, denn sie kann von keiner eigenen Tradition zehren.
(Peter B. Schumann)
Gustavo Mosquera R. wurde 1959 in Buenos Aires geboren. 1980-1985 studierte er am CERC, der Filmschule des Nationalen Filminstituts.
1981 Grillos. 1982 Las garras del tiempo. 1984 Mma...; Manzana de las luces. 1985 Arden los juegos. 1988 Lo que vendrß (erster Spielfilm). 1996 MOEBIUS.
© 1997 Internationales Forum des Jungen Films. Alle Rechte vorbehalten. |