USA 1996 Regie: Yvonne Rainer |
113 min., 16mm, Farbe
Produktion: MURDER and murder Production. Buch, Produzentin, Schnitt: Yvonne Rainer. Kamera: Stephen Kazmierski. Ausstattung: Cathy Cook. Bauten: Stephen McCabe. Kostüme: Linda Gui. Requisite: Chris de Marais. Musik: Frank London, Aretha Franklin, Etta James, Lotte Lenya, Bob Dylan. Ton : David Powers. Tonschnitt: Leo Trombetta. Line Producer: Stephen Schmidt. 1. Regie-Assistenz: Christine LeGoff. 2. Regie-Assistenz: Melina Jochum. 1. Kamera-Assistenz: Mia Barker. 2. Kamera-Assistenz: Eileen Schrieber. Darsteller: Joanna Merlin, Kathleen Chalfant, Catherine Kellner, Isa Thomas, Yvonne Rainer, Alice Playten, Kendal Thomas, Rod MacLachlan, Jennie Moreau, Sasha Martin, Barbara Haas, Rainn Wilson. Uraufführung: 10. September 1996, Toronto Film Festival. Weltvertrieb: Zeitgeist Films Ltd., 247 Centre St. 2nd fl. New York, NY 10013. Tel.: (1-212) 274 1989. Fax: (1-212) 274 1644. |
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Sa 15.02. 19:00 Babylon Do 20.02. 11:00 Kino 7 im Zoo Palast Do 20.02. 17:00 Delphi Fr 21.02. 22:30 Arsenal Sa 22.02. 19:30 Akademie der Künste |
Mildred kauft bei Barney's ein; Doris plündert Kataloge und Billigläden. Überwiegend aus der Perspektive von Doris erzählt, handelt der Film von der Freude, den Ungewißheiten und Zwiespältigkeiten in emotionalen Bindungen im fortgeschrittenen Alter und von lesbischer Identität in einer Kultur, die Jugend und heterosexuelle Romantik glorifiziert. Über den eingesprochenen Kommentar und das Auftauchen von drei weiteren Figuren entfaltet sich eine Parallelhandlung. Die Regisseurin selbst taucht gelegentlich im Film auf, um den Gang der Handlung durch die Asymmetrie ihres brustamputierten Oberkörpers und Fragen über die politische Dimension von Brustkrebs zu unterbrechen. Ihre Rolle entspricht genau der von Doris, der ebenfalls eine Brust amputiert wird. Jenny, die Mutter von Doris, und die junge Mildred, d.h. Mildred im Alter von achtzehn Jahren, sind Geister aus der Vergangenheit, die, unsichtbar für die Protagonisten, durch den Film spuken.
MURDER and murder setzt mit der Thematisierung von lesbischer Sexualität, weiblichem Altern und Brustkrebs eine unheilige Anordnung in Bewegung, in der sich gängige Mißverständnisse und medizinische Vorurteile über Krankheit spiegeln; dabei beschreibt der Film diese kulturell und wissenschaftlich bestimmten Vorstellungen und kritisiert sie gleichzeitig. Mit Humor, Slapstick, visuellen Metaphern, Dramatik, Zitaten, Kommentaren und Rainers charakteristischem Wechsel zwischen formalem und diskursivem Vorgehen werden die Vorstellungen von Pathologie nach und nach beschworen und demontiert. Manchmal unbequem, immer emotional mutig und intellektuell herausfordernd, ist MURDER and murder zugleich Seifenoper, schwarze Komödie, Liebesgeschichte und politische Meditation.
Rainer ist die wichtigste Avantgarde-Filmemacherin seit Maya Deren... mehr noch: sie ist die einflußreichste amerikanische Avantgarde-Filmemacherin der vergangenen zwölf Jahre, mit einem Wirkungskreis von London über Berlin bis New York. Daß ihre Arbeit auf die von Godard und Brakhage, den beiden definitiv größten Filmemachern der letzten dreißig Jahre, bezogen ist, ist ein weiterer Beweis ihrer zentralen Bedeutung. Aber angesichts ihrer Leidenschaft für das Leben in der Gegenwart scheint es pervers, sie in die Avantgarde-Ecke zu stellen. Die Beziehung zwischen Psychodrama und den Filmen von Schauspieler-Autoren wie Charlie Chaplin oder Barbra Streisand ist ein völlig brachliegendes Forschungsthema. Nichtsdestotrotz ist es offensichtlich, daß Rainer vieles mit ihrem sich abrackernden Kollegen in den Weingärten urbaner Dekadenz, Woody Allen, gemeinsam hat. Jim Hoberman, in: Village Voice, New York, 8. April 1986
(...) Es ist das erste Mal, daß die ehemalige Choreographin Yvonne Rainer - nachdem sie sich 1972 zum erstenmal in die Produktion von Experimentalfilmen gestürzt hatte - wirkliche Charaktere inszeniert, und zwar ohne ihre Radikalität oder ihren Sinn für Humor zu verlieren. Die Filmemacherin taucht hier, zerbrechlich und zweideutig, in einem Smoking auf und öffnet schließlich ihr Jacket, um die Stelle zu zeigen, an der ihr eine Brust amputiert wurde: eine wunderbare Geste, die, jenseits von Schamlosigkeit oder Pathos, beweist, daß Yvonne Rainer selbst in einem zugänglicheren Film Kino weiterhin an ihrem eigenen Körper festmacht, der schon immer, seit ihren Anfängen im Experimentalfilm, ein Skandalon war. Daß dieser vom Alter gezeichnete, vom Krebstod bedrohte Körper es wagt zu lieben, und auch noch jenseits aller Normen, das ist der konstruktive Skandal von MURDER and murder. Bérénice Reynaud, in: Cahiers du cinéma, Nr. 509, Paris 1996
Yvonne Rainer wurde 1934 in San Francisco geboren. Ab 1957 unterrichtete sie modernen Tanz in New York, 1960 begann sie mit der Choreographie eigener Arbeiten. Sie gehörte zu den Gründern des Judson Dance Theaters, das sich zu einem starken Einfluß im Modern Dance entwickelte. 1968 begann sie, Kurzfilme in ihre Live-Aufführungen einzubauen, und etwa 1975 wechselte sie dann ganz zum Film über. Ihren ersten Spielfilm, Lives of Performers, hatte sie bereits 1972 fertiggestellt. Sechs weitere folgten, die alle in den USA und darüberhinaus bekannt wurden. Yvonne Rainer ist nicht nur als Autorin sehr aktiv (ihre Artikel erscheinen in ,Camera Obscura', ,Afterimage', ,Wide Angle' und ,Screen'); seit 1974 ist sie Dozentin für das ,Independent Study Program' am Whitney Museum in New York. Von 1980 bis 1991 war sie Mitglied des ,Board of Directors of the Collective for Living Cinema'. 1988 organisierten sie und Bérénice Reynaud ein zweiwöchiges Event mit dem Titel ,Sexismus, Kolonialismus, falsche Darstellung' im ,Collective for Living Cinema'. Rainers Arbeit verbindet einen postmodernen Ansatz mit Intertextualität, sie kombiniert Teile aus vielen verschiedenen Medien und Kunstformen. Ihre Filme sind dicht und vielschichtig, verbinden Ironie, Leidenschaft, Selbstbefragung und Intellekt.
1972: Lives of Performers. 1974: Film About a Woman Who... (Forum 1975). 1976: Kristina Talking Pictures. 1980: Journeys From Berlin/1971 (Forum 1980). 1985: The Man Who Envied Women. 1990: Privilege (Forum 1991). 1996: MURDER and murder.
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