Deutschland 1997 Regie: Pepe Danquart , Mirjam Quinte |
125 min., 35mm, 1:1.37, s/w, WP
Produktion: ARTE, Quinte Filmproduktion, Blueberry Films, Goethe Institut. Kamera: Michael Hammon. Musik: Michel Seigner. Montage: Mona Bräuer. Kommentartext: Klaus Theweleit. Produzentin: Mirjam Quinte. Postproduktion: Thomas Kufus. Uraufführung: 16.2.1997, Internationales Forum des Jungen Films. Verleih BRD: Ventura Film, Rosenthaler Straße 38, D-10178 Berlin. Tel: (49-30) 283 65 30, Fax: (49-30) 283 65 33. Weltvertrieb: Quinte Filmproduktion, Konradstr. 20, D-79100 Freiburg, Tel: (49-761)702 563, Fax: (49-761) 701 796. |
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So 16.02. 16:00 Kino 7 im Zoo Palast So 16.02. 19:30 Delphi Mo 17.02. 10:00 Arsenal Di 18.02. 17:00 Akademie der Künste |
Die Spuren des Krieges sind allgegenwärtig. Ruinen, ausgeweidete Gebäude, endlose Eisenbahnzüge, die verendet im Regen liegen. Die fahrigen Bewegungen der jungen Männer, wenn sie an ihren Zigaretten saugen, die Augen huschen hin und her, die Körper so angespannt, als würde immer noch mit Granaten auf sie geschossen. Die Frau, die in ihren verbrannten Büchern steht und nach Romanen sucht, die den Krieg überstanden haben; eine Situation, der sie zuerst mit einem harten, schwarzen Humor begegnet, um ein halbes Jahr später in Depression zu verfallen. Kriegserinnerungen schlagen manchmal erst nach Monaten ein, Zeitzünder, gelegt von Männern, die jetzt im Café eines kroatischen Invalidenheims sitzen und vor sich hinstarren. Jedem Muslim, der auf ihre Seite der Grenze kommen will, drohen sie mit dem Tod.
Mostar, Sommer 1994. Zwei Bürgerkriege in drei Jahren haben die Stadt zerstört und zerrissen. Zuerst verteidigten Kroaten und Muslime die Stadt gegen die Serben, dann schossen die Kroaten auf die Muslime. Jetzt ist der Westen kroatisch, die Muslime leben eingeschlossen im Osten. Zwischen ihnen eine unsichtbare Mauer mit einem Grenzübergang, den die Leute Checkpoint Charlie nennen.
Die Ruhe an der Grenze ist trügerisch, der Friede brüchig und nur internationalem Druck zu verdanken. Als Administrator der Stadt wurde von der Europäischen Union der deutsche Sozialdemokrat Hans Koschnick eingesetzt. Zwei Jahre soll er bleiben, um ein zerstörtes Gemeinwesen wieder in Gang zu bringen. Es geht um Wasser, Licht, Strom, neue Brücken über die Neretva, um eine Stadt, in der sich die Menschen frei bewegen können, in der man sie nicht fragt, ob sie Serben sind, Muslime oder Kroaten.
Begleitet wurde Koschnick während seiner Zeit in Mostar von Mirjam Quinte und Pepe Danquart. Ihr Dokumentarfilm Nach Saison berichtet von dem Versuch, eine Stadt wiederzubeleben, in Schwarzweiß, in der Farbe und im Format der Wochenschauen. Man meint Bilder und Photos zu sehen, die über fünfzig Jahre alt sind, aus denen aber HipHop-Musik kommt, und die Scharfschützen heißen ,Sniper' wie in den Filmen aus Hollywood.
Das alte, unversehrte Mostar kommt in Nach Saison nur als Geschichte vor, die ewige Zeiten zurückliegt. An das Symbol der Stadt, an die vierhundert Jahre alte Brücke Stari Most, die die Stadthälften und die Menschen miteinander verband, erinnern sich die Leute mit einem schmerzlichen Lächeln, das sagt: damals wußten wir noch nicht, was Krieg ist. Geblieben sind von der alten Brücke die beiden Turmruinen an jeder Seite des Flusses, dazwischen eine labile Hängekonstruktion, um die man fürchten muß.
Wenn die Menschen beginnen, ihr Leben zurückzugewinnen, hängt immer ein Schatten über dem Glück. Ein Fest, die Leute tanzen, drei Mädchen flanieren zur Neretva, der Krieg ist kurz vergessen, um mit einem Wort, einer Geste und einem Schnitt in den Alltag zurückzukehren und sich dort festzukrallen. Während die Trümmer zur Seite geräumt werden, halten die ethnischen Säuberungen in den Stadtvierteln an, wird die Teilung Mostars zementiert. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.
Die Politiker haben Verträge unterzeichnet - es ist ,nach dem Krieg' in Bosnien. Eine Zeit, in der Kriegskorrespondenten abziehen und das Interesse der Weltöffentlichkeit schwindet. Eine Zeit, in der die Menschen vorsichtig aus einem Alptraum erwachen und anfangen wollen zu begreifen, die Trümmer beiseite räumen und mit dem Wiederaufbau Schritte in Richtung ,früheres Leben' gehen. In Mostar sollte dieser Prozeß durch finanzielle und politische Hilfe der Europäischen Union (EU) unterstützt werden. Hans Koschnick wurde EU-Administrator auf Zeit. Seine Arbeit, die Stadt und vor allem die Menschen auf diesem Weg zur ,Normalität' wollten wir filmisch begleiten und gaben unserem Projekt den Arbeitstitel 'Nach dem Krieg'.
Er traf nicht zu. Die Opfer hatten die Hoffnung verloren, die Täter waren nicht bereit aufzugeben. In einer aufgeladenen Atmosphäre, der ständigen Kriegsgefahr, erfährt das Leben eine ungeheure Verdichtung. Angst, Freude, Haß, Hoffnung und Verzweiflung - Emotionen auf engstem Raum und zur selben Zeit. Es ist schwer für die Menschen, Worte zu finden, wenn der Verstand keine Grundlage mehr hat zu begreifen. "Filmt doch, was Ihr seht", sagen sie uns. Doch Bilder dafür zu finden ist genauso schwer wie Worte. Wir hatten zwei Jahre Zeit dafür. Eine wertvolle Voraussetzung, um diesen Film zu machen.
Auch Hans Koschnick hatte zwei Jahre Zeit - zuwenig. Zuwenig jedenfalls, um nationalistische Träume in West-Mostar einzudämmen. Denn Koschnick verband mit dem Modell Mostar auch eine Hoffnung: Politik nicht nur mit Militär und Diplomatie zu betreiben, sondern mit ökonomischen und humanitären Mitteln. Vieles ist ihm geglückt, doch Wesentliches nicht. Dafür fehlte es am Willen der europäischen Diplomatie, diesen Weg konsequent bis zum Ende mitzugehen.
(Mirjam Quinte, Pepe Danquart, Januar 1997)
Thomas Heise: Wenn man Euren Film ansieht, hat man den Eindruck: der nächste Krieg ist in Mostar nicht weit. Hattet ihr diesen Eindruck auch, als ihr 1994 das erstemal die Stadt betreten habt?
Mirjam Quinte, Pepe Danquart: Im Gegenteil. Als die Europäische Union kam, waren alle sehr euphorisch. Sie dachten, jetzt würde es anders werden, aufwärts gehen, und wir dachten, wir könnten den Wiederaufbau Mostars begleiten. Der Haken war, daß jede Seite glaubte, nun würden ihre Entwürfe durchgesetzt. Die Kroaten dachten an ihr kroatisches Mostar, die Muslime glaubten an eine Wiedervereinigung der Stadt, und die Welt glaubte, Mostar könnte Vorbild und Garant für den Frieden in Bosnien sein. Aber all das hat nicht stattgefunden. Die Unsicherheit über das, was geschehen sollte, wurde größer anstatt kleiner. Viele begriffen plötzlich: es wird nie wieder, wie es vor dem Krieg war. Dabei muß man sehen, daß es einen großen Unterschied zwischen Krieg und Bürgerkrieg gibt. Die Wunden, die in einem Bürgerkrieg geschlagen werden, sind ganz andere, weil der Krieg durch die Familien, durch die Schlafzimmer geht. Für die Zeit nach den Kämpfen heißt Bürgerkrieg: jeder weiß, wer wann wo was gemacht hat. Welcher Nachbar den Bruder, welcher Schulkamerad die Mutter umgebracht hat. Solches Wissen ist nicht einfach von der Tagesordnung zu wischen. Ein Verzeihen gibt es kaum - und auch darum sind in Mostar zwei Jahre lang alle Versuche eines Zueinanderzukommens grandios gescheitert.
Th.H.: Was bedeutet das für die Bewohner der Stadt?
M.Q., P.D..: Es bedeutet, daß die Mauer zwischen den Nationalitäten und Religionen heute so stark ist wie nie zuvor. Die ethnischen Säuberungen sind ja auch die ganze Zeit weitergegangen. Es gibt bis heute jeden Tag neue Fälle - und fast ausschließlich Fälle von Muslims, die aus dem kroatischen Westen der Stadt vertrieben werden. Fakt ist also: die ethnische Teilung ist durch den Frieden nicht rückgängig gemacht, sondern nach dem Krieg zementiert worden.
Th.H.: Diese Teilung in Osten und Westen hat dem heutigen Mostar den Vergleich mit Berlin eingebracht. Aber die Gründe für die Teilung sind doch sehr unterschiedlich: In Berlin wurde die Bevölkerung ungefragt von zwei Weltmachten geteilt, in Mostar hat die Bevölkerung dieses Geschäft selbst besorgt.
M.Q., P.D..: Stimmt, es ist eine umgekehrte Situation. Es gibt auch keine sichtbare Mauer in Mostar, sondern eine unsichtbare - aber die ist mittlerweile genauso hermetisch, wie es die Mauer in Berlin war. Und der Übergang zwischen den zwei Teilen wurde Checkpoint Charly genannt. Das scheint ein Wandergespenst Kalter Kriege zu werden: Checkpoint Charly.
Th.H.: Früher war das Wahrzeichen von Mostar kein Checkpoint, sondern die vierhundert Jahre alte Brücke Stari Most, die mitten in der Stadt über die Neretva führte. Warum habt ihr diese Hängebrücke zu einem zentralen Motiv in Eurem Film gemacht?
M.Q., P.D..: Brücken verbinden ja - und wo Brücken zerstört, wo aus Flüssen Grenzen werden, da ist Krieg. Sieben Brücken hatte Mostar, und alle sieben Brücken sind zerstört worden. Früher war die alte Brücke ein Zeichen für das Zusammenleben der Nationalitäten, jetzt ist ihre Zerstörung, ihre Abwesenheit ein Zeichen für den Krieg geworden. Eine der zentralen Fragen im ersten Jahr von Koschnicks Amtszeit war auch: baut er diese alte Brücke wieder auf? Er hat es nicht getan, andere Dinge waren wichtiger. Aber selbst wenn er es getan hatte, wäre es eine andere Brücke geworden, die nicht die emotionale, verbindende Kraft der alten Brücke gehabt hätte.
Th.H.: Zu Anfang Eures Filmes ist Koschnick eine deutsche, eine sozialdemokratische Wiederaufbaumaschine - Ärmel hochkrempeln, Dinge bewegen, wie eine Lokomotive, die viele Waggons ziehen kann, optimistisch fast bis zur Naivität. Als die EU ihn dann fallenläßt und seine Vision von einem offenen Mostar scheitert, sackt er in sich zusammen. In seiner letzten Szene hat man den Einruck, als sei sein Herz gebrochen.
M.Q., P.D..: Er war zutiefst getroffen von der Entwicklung und ist bis heute nicht über diese Enttäuschung hinweggekommen. Dabei hatten am Anfang viele gesagt: wenn einer den Job machen kann, dann ist es Koschnick. Er ist ein sehr menschlicher Politiker, der immer sehr nah an den Leuten dran ist. Er hatte den Auftrag in Mostar als Herausforderung genommen und nicht als Karrieresprung. Die Vereinigung der Stadt war mit der Zeit seine persönliche Sache geworden. Am meisten hat ihn nicht das Attentat verletzt, sondern daß die Diplomaten ihr Versprechen gebrochen haben. Sie hatten ihm freie Hand gegeben - und dann ließen sie ihn fallen, als er nicht mehr nur die Stadt reparieren wollte, sondern erste Schritte unternahm in Richtung eines demokratischen, ungeteilten Mostar, in dem sich die Menschen frei bewegen können.
Th.H.: Neben Koschnick habt ihr eine Reihe anderer Protagonisten , die ihr über die zwei Jahre immer wieder aufgesucht habt. Fast alle machen eine Entwicklung durch. Ich denke vor allem an Enisa, die einen sehr schwarzen, sehr harten Humor hat; plötzlich, nach einem halben Jahr, sackt sie zusammen, die Erinnerung kommt zurück - als hätten die Sniper verspätet getroffen.
M.Q., P.D..: Der Gewöhnungsgrad an den Krieg war sehr hoch. Man lebte mit den Granaten, dem Tod, diese Erfahrungen waren Alltag. Aber nach einem halben Jahr Frieden wurden manche Leute von diesen Erlebnissen noch einmal mit voller Wucht getroffen. Als könnte man erst in der Erinnerung begreifen, was einem angetan wurde. Bei Enisa wurde dieser Prozeß noch verstärkt, weil sie begriff, daß sie in Mostar nie wieder ein normales Leben würde führen können. Ihr Mann ist Serbe, sie ist Muslimin, ihre Tochter hat einen Kroaten geheiratet - wie kann man da ein normales Leben führen in einer Stadt, die ethnisch gesäubert wird? Wenn man im Ostteil von Mostar lebt, kommt noch ein anderer Faktor hinzu. Dieser Teil der Stadt ist abgeschnitten, isoliert, ein Gefängnis. Ein Tag verläuft wie der andere, ohne daß man Zukunftsentwürfe machen konnte.
Th.H.: Obwohl ihr große Teile Eures Filmes auf Video gedreht habt, ist der fertige Film durchgängig im 35mm-Format und schwarzweiß. Wieso schwarzweiß?
M.Q., P.D..: Es sollte in unserem Film keine bunten Bilder vom Krieg geben. Die Gefahr, Urlaubsbilder aus der Trümmerlandschaft mitzubringen, war sehr hoch. Mostar hat trotz aller Zerstörung noch einen Charme, der alles nicht so schlimm aussehen läßt, wie es ist. Der zweite Grund war: wir wollten an die Bilder der Wochenschauen anschließen und sagen: auch wenn es aussieht, als wäre es vor fünfzig oder sechzig Jahren gefilmt worden - es ist heute, Ende des 20ten Jahrhunderts. Es sieht nach Zweitem Weltkrieg aus, aber die Leute hören HipHop-Musik und tragen Jeans. Wir wollten damit auch eine Brücke schlagen in die Geschichte, denn wir hatten immer öfter das traurige Gefühl, daß sich die Geschichte wiederholt, die Menschen nicht lernen. Wir haben sogar überlegt, ob wir den Film nicht ,Piaffe' nennen nach einer Bewegung bei der Pferdedressur. Da tritt das Pferd auf der Stelle. Es geht einfach nicht vorwärts.
Mirjam Quinte wurde 1952 geboren. Sie studierte Kommunikationswissenschaften in Freiburg und war 1978 Mitbegründerin der Medienwerkstatt Freiburg. Seitdem arbeitet sie als Regisseurin, Kamerafrau und Produzentin für Dokumentarfilme. Sie lebt und arbeitet in Freiburg.
1981: Paßt bloß auf. 1983: Die Bankrotterklärung. 1984: Ein Wort kann eine Karikatur sein - Friede. 1986: Geisterfahrer - eine utopische Kolportage. 1988: Schatila - auf dem Weg nach Palästina. 1991: ... und andere Ergüsse. 1993: Phoolan Devi - Rebellion einer Banditin. 1994 - 97: Nach Saison.
Pepe Danquart, geboren 1955, studierte Kommunikationswissenschaften in Freiburg/Breisgau und war wie Mirjam Quinte Mitbegründer der Medienwerkstatt Freiburg. Seit 1978 arbeitet er als Regisseur und Autor für Dokumentarfilme, ,Dokudramen' und Spielfilme. Seit 1991 lebt und arbeitet er in Berlin. Für seinen Kurzfilm Schwarzfahrer erhielt Danquart 1994 einen Oscar.
1981: Paßt bloß auf. 1982: S' Weschpennäscht. 1983: Die lange Hoffnung (Forum). 1984: Ein Wort kann eine Karikatur sein - Friede. 1986: Geisterfahrer. 1987: Schatila. 1988: Borinage - Das verratene Land. 1989/90: Daedalus. 1993: Schwarzfahrer. 1993/94: Phoolan Devi. 1995: Old Indians never Die. 1996: Elsaß - Streifzüge. 1994 - 97: Nach Saison
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