USA / Kroatien 1996 Regie: Mandy Jacobson , Karmen Jelincic |
63 min., 16mm, 1:1.37, Farbe, EP
Produktion: Bowery Productions. Kamera: Mario Delic. Musik: Tony Adzinikolov. Berater-Team: Laura Flanders (Journalistin), Suzanna Fried (Global Center for Women's Leadership), Michelle Materre (Educational Video Center), Julie Mertus (Human Rights Watch), Judy Mayotte (Womens' Commission for Refugee Women and Children), Roger Rathman (Amnesty International), Milcho Manchewski (Regisseur), Jane McClung (Traumaspezialistin, Womankind Counseling Center), Dale Rosen (Produzent, Leiter des Jewish Film Festivals, Boston), Maria Olujic (Antropologin), Steve Weine (Direktor der Traumatic Stress Clinic). Ausführende Produzenten: Julia Ormond, Maury Solomon, Anita Saewitz. Produzent: Mandy Jacobson. Schnitt: Susanne Rostock. Uraufführung: 25. Juni 1996, New York. Weltvertrieb: Jane Balfour Films, Burghley House, 35 Fortress Rd, London NW5 1AD, Großbritannien. Tel.: (44-171) 267 5392, Fax: (44-171) 267 4241. |
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Fr 14.02. 11:00 Kino 7 im Zoo Palast Fr 14.02. 16:30 Delphi Sa 15.02. 22:30 Arsenal So 16.02. 19:30 Akademie der Künste Fr 21.02. 15:00 Babylon |
CALLING THE GHOSTS beschreibt die Veränderung, die in diesen Frauen vorgeht, als sich ihr persönliches Ringen ums Überleben in einen großangelegten Kampf für Gerechtigkeit ausweitet. Ihre Mission ist es, dafür zu sorgen, daß Vergewaltigung in das internationale Lexikon der Kriegsverbrechen aufgenommen wird. Dank ihrer mutigen Aktivitäten stehen ihre Folterer nun vor dem Internationalen Kriegsgericht.
Im Juni 1996 bestimmte das Internationale Tribunal der Vereinten Nationen zum ersten Mal in der Geschichte, daß Vergewaltigung nicht wie in vorangegangenen Nachkriegsgerichtsverhandlungen als eine Randerscheinung des Krieges toleriert wurde. Es wird sich noch herausstellen müssen, ob die, die der Vergewaltigung für schuldig befunden werden, auch wirklich verurteilt werden.
Die Frauen, mit denen wir über ihre Erfahrungen im Internierungslager von Omarska sprachen, erinnerten sich an die Momente, in denen Überleben hieß, bei Verstand zu bleiben: "Mit einigen Papierschnipseln formten wir einen Kreis und setzten uns an einen Tisch. Wir fanden eine Kerze in einer der Schubladen eines Tisches und begannen, die Geister anzurufen. Wir wollten uns nur ein wenig aufmuntern. Also setzten wir uns hin, aber irgendwie funktionierte es nicht. Diko und ich versuchten es noch einmal. Es herrschte Grabesstille. In diesem Moment kamen zwei Tschetniks herein. Ich raffte die Papierschnipsel und die brennende Kerze zusammen und steckte sie in meine Tasche. Sie fragten: ,Habt ihr die Geister beschworen?' Ich verneinte. Darauf fragten sie: ,Was brennt denn da?' Der einzige Rock, den ich besaß, stand in Flammen."
Jadrankas und Nusretas Kampf ist zu einer persönlichen und politischen Reise geworden, die das Ziel hat, ihre Freundinnen zu rächen, die im Konzentrationslager umgekommen sind. So sind die Geister der Freundinnen zur eigentlichen Quelle der Inspiration geworden, sich an die Öffentlichkeit zu wenden und sicherzustellen, daß das internationale Kriegsgericht effektiv arbeitet.
Auf ihrem Weg der Gerechtigkeit rufen sie die Geister der Tausenden von Frauen aus allen Zeitaltern, denen die Möglichkeit verwehrt war, Gerechtigkeit und Vergeltung zu erfahren.
Die Beschwörung der Vergangenheit, die Anrufung der Geister, bringt die Zuschauer dazu, ihre Rolle als Zeugen der über die Mattscheiben flimmernden Völkermorde in Frage zu stellen. Wie können wir als Zuschauer Zeuge dieser Vorfälle sein und dabei einen Heilungsprozeß fördern? Welche Verantwortung bringt das mit sich?
Der Krieg auf dem Balkan unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von anderen Kriegen: zum ersten Mal wird Vergewaltigung als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft, werden die Schuldigen vom Internationalen Kriegsgericht in Den Haag verfolgt. Wenn sie überhaupt vor Gericht gebracht werden können. Obwohl etwa 20.000 überwiegend Muslimfrauen in dem fünf Jahre dauernden Konflikt vergewaltigt wurden, stellte es sich als schwierig heraus, die Schuldigen zu bestrafen.
In der Hoffnung, Aufmerksamkeit auf das Elend der weiblichen Kriegsopfer zu lenken, drehten die südafrikanische Soziologin Mandy Jacobson und die kroatisch-amerikanische Filmemacherin Karmen Jelincic einen fesselnden Dokumentarfilm: CALLING THE GHOSTS, der belegt, daß die bosnischen Serben Massenvergewaltigung als Kriegstaktik bewußt eingesetzt haben. Der Film konzentriert sich auf die Überlebenden des Konzentrationslagers Omarska in Bosnien-Herzegowina, wo Kroaten und Moslems routinemäßig von ihren serbischen Bewachern im August 1992 ermordet wurden.
Anhand einer Reihe von Interviews mit Frauen, die in Omarska interniert waren, geht der Film auf ihre - der Angst vor öffentlicher Demütigung und vor Vergeltung entstammende - Abneigung ein, in Den Haag auszusagen. Obwohl der Film sehr schmerzlich ist, sollte man ihn nicht einfach abtun, erklärt die Frauenrechtlerin Nusreta Sivac, auch sie ein Opfer von Vergewaltigung im Lager von Omarska und eine der Hauptpersonen des Films: "Wenn diese Geschichten nicht erzählt werden, wer wird dann von ihnen wissen?" p> (Aus: Time, New York, 29. Juli 1996)
Frage: Wie haben Sie den Kontakt zu den Frauen hergestellt, die in ihrem Film vorkommen?
Mandy Jacobson: Karmen Jelincic (die Co-Regisseurin) kam in dem Moment in Ex-Jugoslawien an, als die Opfer von Kriegsverbrechen von den Medien erneut schikaniert wurden. Die Frauen wurden hereingelegt und manipuliert. Die Stimmung unter ihnen war: "Warum haben wir überhaupt den Mund aufgemacht? Was wollen diese Geier hier? Gibt es keine vergewaltigten Frauen, die englisch sprechen?"
Wir mußten uns also mit der Frage herumschlagen: "Wie unterscheiden wir uns von den anderen Film- und Fernsehleuten?" Die Antwort darauf lautete "Gar nicht." Wir behaupteten, einen fundierten Dokumentarfilm zu machen, was jedoch angesichts dieser bitteren Tragödie schwer zu rechtfertigen war. Den Frauen, die sich zu Wort meldeten, ging es weniger um die Rechte der Frau an sich, sie wollten vielmehr den Krieg beenden. Wir beschlossen also - und hier liegt der Grund für die Stärke unseres gefilmten Materials - nicht einfach sieben Monate lang die Kamera laufen zu lassen. Wir konzentrierten uns darauf, Vertrauen zu schaffen. Wir gingen nicht davon aus, daß die Frauen uns vertrauen würden. Im Gegenteil, ihr Mißtrauen war sehr gesund.
Ich glaube, daß wir nur aufgrund dieses Vertrauens Einblick in das Leben der Frauen bekamen. Wir sagten ihnen: "Erzählt uns nicht, was war, sondern wie ihr damit umgeht. Wie sehen Eure Pläne aus? Wie werdet Ihr Euer Leben wieder zusammensetzen?" Mit Jadranka (Cigelji) und Nusreta (Sivac) hatten wir ungeheures Glück, da sie einen Weg gefunden haben, ihre Schmerzen, ihren Haß und ihr Verlangen nach Rache in Arbeit umzusetzen und aus ihren Gefühlen eine Frage der Gerechtigkeit zu machen.
Frage: Wie kam es dazu, daß Ihr Euch auf Jadranka und Nusreta konzentriert habt?
Mandy Jacobson: Als wir nach Bosnien kamen, wollte ich eine ganze Reihe von Frauen aus verschiedenen Teilen des Landes zusammenbringen und eine Collage aus den verschiedenen Berichten zusammenstellen. Wir kamen mit Frauen in Kontakt, die in mehreren Lagern gewesen waren und danach in Kroatien Zuflucht suchten. Aber vielen von ihnen fiel es schwer, bei uns zu bleiben. Wir mußten ständig mit dem Paradoxon zurechtkommen: "Ich sitze Dir gegenüber, weil Du vergewaltigt wurdest. Und auch wenn ich versuche, nicht mit Dir über die Vergewaltigung zu sprechen, erinnere ich Dich pausenlos daran."
Jadranka und Nusreta gaben uns sehr tiefgehenden Einblick in ihr Leben. Wir hatten außerdem noch Kontakt zu einer dritten Frau, die jedoch mit der Situation nicht fertig wurde und uns schließlich bat, das Material, welches wir mit ihr gedreht hatten, nicht zu benutzen.
Frage: Es muß sehr schwierig gewesen sein, sich während der Dreharbeiten vorzustellen, wie der fertige Film aussehen wird.
Mandy Jacobson: Die Geschichte veränderte sich ständig. Ich führte Interviews mit Frauengruppen, Ärzten, Sozialarbeitern, Parteiideologen, ohne eine wirkliche Linie zu haben. Während des Drehens versucht man vor allem Nähe zu der Person herzustellen, die man interviewt. Die Struktur des Films entstand eigentlich erst beim Schnitt des Films. Nachdem wir Susanne Rostock gefunden hatten, die eine unglaubliche Cutterin ist, verbrachten wir ein Jahr im Schneideraum. (...)
Frage: Tendenziell wird die Frau in jeder Gesellschaft nicht so sehr als Individuum angesehen, sondern als ein Symbol für Tradition, Kultur, Familie, alles Werte, die - wenn ein Krieg ausbricht - die gegnerische Seite ausradieren will.
Mandy Jacobson: Die Frage, die nie jemand stellt, ist die nach dem Hintergrund der Gewalt (‘culture of violence'), der dieses Benehmen der Männer in Kriegszeiten erlaubt. Natürlich war Vergewaltigung ein Mittel für die ,ethnischen Säuberungen' in diesem Krieg, aber das ist kein Einzelfall. In jedem Krieg werden Vergewaltigungen als eine Art der politischen Kontrolle benutzt.
Als ich mit diesem Projekt begann, hörte ich mir die Geschichten der sogenannten ,comfort-women' aus Korea an, und es lief mir kalt den Rücken herunter beim Anblick dieser Frauen, die nach fünfzig Jahren über ihre Verfolgung sprechen, weil all die Jahre zuvor niemand ihnen zuhören wollte. Wenn es um den Vorwurf der Vergewaltigung geht, zeigen die Antworten immer wieder, daß diese Vergehen nur unter sexuellen statt unter menschenrechtlichen Aspekten gesehen werden: "Ich habe sie nicht vergewaltigt, sie ist so häßlich" anstatt "Ich habe sie nicht vergewaltigt, weil es sich bei Vergewaltigungen um etwas handelt, was unsere Soldaten nicht tun dürfen."
Frage: Nusreta erzählt von einer Frau, deren Mann sich scheiden ließ, als er hörte, was seiner Frau passiert war. Außerdem hört man oft von Kindern aus Vergewaltigungen. Welche Auswirkung werden die Kriegserfahrungen der Frauen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Stellung der Frau in Bosnien haben?
Mandy Jacobson: Interessant für mich war es, die vorgefertigte Meinung, alle Männer seien schlecht und alle Frauen gut, zu zerstören. Wir haben alle möglichen Reaktionen gesehen. Ein Mann hat sich von seiner Frau geschieden, Nusretas Mann wiederum ist wunderbar. Man kann hier einfach nicht verallgemeinern.
Die bosnische Führung hat natürlich versucht, die Frauen nicht noch einmal zu Opfern zu machen und sie nicht zu isolieren. Wir haben die schrecklichsten Geschichten von Isolation gehört, Geschichten von Frauen, die ihre Babies alleinlassen, aber auch von Frauen, die die Kinder aus Vergewaltigungen behalten haben oder auch von Frauen, die solche Kinder adoptiert haben. Die Reaktionen sind völlig unterschiedlich.
Ich möchte nur ungern Prognosen abgeben, was das für die Zukunft bedeutet, aber es sind vor allem geflohene Frauen, die das politische Leben und das Leben zu Hause organisieren. Frauen bauen die Gemeinschaft wieder auf, das Land, den Staat. Vielleicht verändert sich ihre Rolle soweit, daß auch Männer ein anderes Bild der Frau bekommen. Natürlich haben Frauen diese Dinge immer getan, aber jetzt bemerkt man ihre Präsenz, weil die Männer entweder kämpfen oder arbeitslos sind und deshalb viel trinken, um ihr Kriegstrauma zu überwinden.
Es gibt bestimmt noch einige schlimme Probleme, die Gewalt innerhalb der Familien in Serbien zum Beispiel ist schlimmer geworden, nachdem die Soldaten zurückgekehrt sind. Was mich an der Szene überrascht hat, in der die Frauen von Omarska sprechen, ist, daß sie derartig viel Aufwand und Zeit investiert haben, um sich über ihre Männer Sorgen zu machen. Und nachts mußten sie Angst haben, rausgeholt und vergewaltigt zu werden. Das ist typisch für die Stellung der Frau. (...)
Männer haben mir gesagt: "Wenn sie wußten, daß Krieg ausbricht, warum haben sie dann nicht einfach ihre Sachen gepackt und sind geflohen?" Tatsache ist jedoch, daß die kleinen Ortschaften eigentlich nicht angegriffen werden sollten. Die Statistiken über den Zweiten Weltkrieg zeigen, daß damals nur 10% der Zivilbevölkerung Opfer der Kämpfe wurden. Heutzutage sind es 80 bis 90%, das heißt vor allem Frauen und Kinder.
Und darum sind Filme wie dieser wichtig. Es geht nicht darum zu bestimmen, ob die Serben gut oder schlecht sind. Ich möchte nicht, daß irgend jemand aus diesem Film kommt und den Eindruck hat, wir würden sie dämonisieren. Die beste Art, die Wahrheit zu beschreiben, schien uns darin zu bestehen, nicht einen weiteren Teil des Zusammenbruchs Jugoslawiens zu beleuchten, sondern eine persönliche Geschichte zu erzählen, die es dem Publikum erlauben würden, die Frauen als Individuen zu sehen und nicht als Teil einer ethnischen Gruppe.
(Die Fragen stellte Katherine Lewis, Film Nation)
Aus: http://homearts.com/depts/pl/movie/10jabobs.htm
Mandy Jacobson wurde in Südafrika geboren und wuchs dort auf. Seit 1991 produziert sie Kurzfilme und Musikvideos. Außerdem stellt sie ein wöchentliches Kulturprogramm für das Südafrikanische Fernsehen her. CALLING THE GHOSTS ist ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm, Pilotprojekt für eine längere Serie, die sich mit dem Thema Frauen und Gewalt in Kriegs- und Friedenszeiten beschäftigt.
Karmen Jelincic wurde in Kroatien geboren und wuchs in den USA auf. Sie studierte Film und hat außerdem einen Abschluß in dem Fach ,Internationales Menschenrecht' (Advocacy for Human Rights). Seit 1991 kämpft sie aktiv gegen Menschenrechtsverletzungen in den USA, in Ex-Jugoslawien und im übrigen Ausland. Vor CALLING ALL STARS entstand unter ihrer Regie der Dokumentarfilm Someone stole my baby (1990).
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