Frankreich 1996 Regie: Yolande Zauberman |
90 min., 35mm, 1:1.37, Farbe, WP
Produktion: Madar Productions. Buch: Yolande Zauberman, Noëmie Lvovsky. Kamera: Denis Lenoir. Ton: Jean-Pierre Duret. Schnitt: François Gédigier. Musik: Philippe Cohen-Solal. Ausstattung: Olivier Radot. Kostüme: Pierre-Yves Gayraud. Produzent: Alain Massiot. Darsteller: Elodie Bouchez (Lola), Béatrice Dalle (Saïda), Roschdy Zem (Emir), Richard Courcet (Ismaël), Gérald Thomassin (Paul), Luc Lavandier (Pierre), Alex Descas (Mambo), Julie Bataille (Johanna). Uraufführung: 16.2.1997, Internationales Forum des Jungen Films. Weltvertrieb: Flach Pyramide International, 5, rue Richepanse 75008 Paris. Tel.: (33-1) 42 96 02 20, Fax: (33-1) 40 20 05 51. |
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So 16.02. 14:00 Kino 7 im Zoo Palast So 16.02. 22:15 Delphi Mo 17.02. 23:15 Arsenal Di 18.02. 22:30 Akademie der Künste |
Ganz in der Nähe befindet sich ein großer Nightclub.
Es geht kreuz und quer. Emir, ein Ex-Boxer, kann niemanden lieben. Sein Bruder sähe ihn gerne wieder in den Ring steigen, um seine Schulden zu bezahlen. Die Tänzerin Saïda liebt Emir, doch die Drogen haben ihre Liebe zur Einbahnstraße werden lassen. Lola kreuzt alle diese Flugbahnen; sie trifft Emir und findet die Liebe. Für sie gibt er die Drogen auf, steigt wieder in den Ring und lernt wieder zu lieben. Man muß diesen Film wie einen Traum betrachten.
Frage: Was in CLUBBED TO DEATH berührt, das ist die Begegnung zwischen der Sinnlichkeit der Personen, ihrer Nähe, ihren Beziehungen, und einem Gefühl der Einsamkeit, das auch in ihnen und zwischen ihnen spürbar wird. So wie Lolas Kleid, das eng an ihrem Körper anliegt und sie den anderen auf körperliche Weise nahebringt, gleichzeitig auch eine Isolierung, fast eine Verzweiflung signalisiert: sie zieht dieses Kleid niemals aus.
Yolande Zauberman: Dieses Kleid sollte die Evidenz der gelebten Dinge besitzen, von etwas, was spontan, ohne Überlegung, hervorbricht; der ganze Film sucht danach. Da CLUBBED TO DEATH überhaupt nicht auf Psychologie aufbaut, auf der Psychologie des Schauspielers, der sich der Psychologie der Personen bemächtigt, werden die Personen viel mehr durch konkrete Dinge beschrieben, und dabei gehören die Kostüme zum Evidentesten, was beschrieben werden kann. Wir haben uns gesagt, daß wir einen historischen Film drehen, einen Kostümfilm, aber daß die Epoche eben die Gegenwart ist. Wir mußten uns von jedem Naturalismus befreien, von allem, was der Mode eines Augenblicks angehört - niemand trägt seine eigene Kleidung im Film, nicht mal die Statisten -, um in das Gefühl einer Epoche einzutauchen, in eine Umgebung, die zugleich modern und tief archaisch ist.
Frage: Lolas schwarzes Kleid ist wie eine zweite Haut, die Schauspieler scheinen die Welt des Films in sich zu tragen. Es gibt sozusagen keine Grenze zwischen ihrem Inneren und Äußeren, und deshalb ist ihre Präsenz selbst schon die Geschichte des Films.
Y.Z.: Sie haben die ganze Zeit mitten in einer tanzenden Menge gespielt, für die es keinen Unterschied machte, ob wir drehten oder nicht. Mitten in einer Menge zu spielen, bedeutet für die Schauspieler, zugleich vor und hinter den Leuten zu sein, mit dem Raum, der sie umgibt. Sogar die Begegnung zwischen Lola und Emir, eine sehr schwierige Szene, wurde inmitten der Leute gedreht - sie sind außerhalb des Blickfeldes, aber man hört sie, und das ist keine Tonmontage.
Frage: Ich habe den Eindruck, daß die Personen schon vor dem Film existierten, daß nicht erst die Geschichte ihnen Leben verleiht: das Leben ist in ihnen schon auf eine tiefere Art, ferner in der Zeit.
Y.Z.: Vielleicht kommt das daher, daß wir nicht versucht haben, wahrhaftige Personen zu konstruieren: wir haben nur versucht, etwas von ihren Gefühlen zur Darstellung zu bringen. Die Schauspieler haben keine sehr genaue Kenntnis der psychologischen Identität der Personen, die sie spielen, aber sie kennen die Gefühle, die in diesen Personen lebendig sind. Sonst würde der Film nicht funktionieren, denn sie spielen Personen, über die nichts gesagt wird, Personen, die nur Gefühle verkörpern; in diesem Sinne sind sie nicht angepaßt, Außenseiter. Ich wollte, daß die Schauspieler total ihre Rollen verkörpern und gleichzeitig total sie selbst sind. Was man von ihnen sieht, das ist eine Art Synthese von dem, was sie selbst sind und was die Personen sind.
Frage: Die Musik, die man überall im Film hört, gibt einem das Gefühl, daß die Orte ebenso wie die Personen und die Gefühle transparent sind. Da gibt es eine Offenheit, aber auch den Ansatz einer Gefahr.
Y.Z.: Wir haben nicht versucht, das jeweilige Vorkommen der Musik an den verschiedenen Orten zu rechtfertigen oder zu begründen. Die Musik, das ist der Bauch des Films, das Zentrum, in dem er sich installiert hat. Wie die Dekors oder das Licht erzählt auch die Musik eine Geschichte, die in dem Film nicht wirklich erzählt wird, die jedoch den Film konstituiert, in der er sich festhält oder wiederfindet. Alles erzählt eine Geschichte, aber es gibt keine Geschichte, die alles zusammenfaßt. Wir ließen uns von einem Verlangen leiten. Davon sind alle Angelpunkte des Films bestimmt. Und die Musik hat uns immer wieder neue Energie gegeben. Selbst wenn wir Szenen ohne Musik drehten, haben wir sie in den Drehpausen immer wieder mit voller Lautstärke angestellt, um uns in ihr zu verlieren. Die Musik hat uns nicht nach außen versetzt, sondern vielmehr in unser Inneres. Ich hatte den Eindruck, daß niemand genau verstand, was passierte, und daß alle es doch verstanden. Niemand war überdreht vom Spielen oder phlegmatisch oder auch im Phlegma - es war etwas sehr Sinnliches, das alle von innen heraus verstanden. Wir suchten nach Bewegungen, die vom Körper selbst hervorgebracht waren. Ich suchte nach Personen, die instinktiv reagieren, die sich mit ihrem ganzen Körper bewegen. Die Personen des Films haben die Sprache verloren, aber sie haben auch die falsche Sprache verloren, alle Worte, die für sie falsch waren. Es gibt wenig Sprache in dem Film, wenige Worte werden gesprochen, aber er ist deswegen nicht autistisch. Die Personen kommunizieren durch ihre Körper. Man spürt, daß die Personen in sich ein weit größeres und umfassenderes Leben enthalten, ihr Zusammenbruch hätte deshalb Auswirkungen, die weit über sie selbst hinausgingen. (...)
Frage: Als Lola begreift, daß Emir Drogen nimmt, daß die Droge zwischen ihr und ihm steht, weist sie ihn zurück und versucht nicht, zu verstehen, was sie nicht gesehen hat: ist es ihr kindlicher Idealismus, der sie zu dieser Reaktion veranlaßt?
Y.Z.: Sie bringt es nicht fertig, Komplizin seiner Zerstörung zu werden. Sie hat nichts gesehen, weil sie diesen Teil von Emirs Leben total ablehnt, wie es Leute oft im Verhältnis zu Drogenabhängigen tun. Lola möchte, daß das Leben ihrem Traum gleicht, einem etwas kindlichen Traum. Auch ihr fehlt etwas, aber sie möchte, daß dieser Mangel Träume produziert, für sie gibt es keine Substanz, die diesen Mangel überdecken, ihn ausgleichen könnte. Sie ist keine Moralistin, sondern lebt aus ihrer Vitalität. Und in ihrem Elan wird sie von Leuten angezogen, die auch so einen Mangel haben wie sie. Dieser Mangel ist nicht nur etwas, das fehlt, sondern auch eine Verbindung zur Welt, das Bedürfnis nach Welt, nach Traum, nach Sanftheit. Lange Zeit habe ich mich gefragt, warum ich eine Geschichte von Leuten erzähle, die größtenteils Drogen nehmen; mit welchem Recht ich also davon sprechen kann, wo ich doch selbst ein solches Risiko nicht eingegangen bin. Dann habe ich verstanden, daß die Drogenabhängigen, die an etwas Allzumenschlichem kranken, mich zu dem Schrei geführt haben, der hinter der Droge liegt und durch sie erstickt wird. Dieser Schrei ist für mich die Basis des ganzen Lebens, er macht uns zu Menschen, und wenn wir weiter Menschen sein wollen, dürfen wir diesen Schrei nicht unterdrücken. Ich habe immer nach der Kraft im Menschen gesucht, die sich dem Zugriff entzieht und den Menschen, selbst wenn sie durch das Leben oder die Geschichte zerstört werden, etwas Lebendiges bewahrt. CLUBBED TO DEATH liegt außerhalb eines historischen Bezuges; ich hatte überhaupt keine Lust, etwas Soziologisches über die Vororte oder die Härte eines Universums zu machen. Deshalb war es sehr wichtig für mich, mit Leuten umzugehen, die wirklich einen Körper haben, so als ob dieser Körper eben das ist, was sich dem Zugriff entzieht. Das einzige, von dem aus sich etwas konstruieren und erzählen läßt.
Frage: In dem Film gibt es sehr viel Zärtlichkeit, aber auch eine Härte des Lebens, wie zwei untrennbare Dinge, von denen man nicht sagen kann, welches am Ende stärker ist. Die beiden Elemente bekämpfen sich wie zwei Brüder, sie sind vom gleichen Blut.
Y.Z.: Der ganze Film sagt: es ist schwer, ein Mensch zu sein; aber die Personen haben sich doch die Fähigkeit bewahrt, Freude zu empfinden, mitten in einer Welt, in der es eigentlich für solche Freude keinen Platz gibt. Jeder versucht, mit möglichst einfachen Dingen zu leben. Die Frage, die ich mir stellte und die ich implizit auch den Personen und den Schauspielern stellte, ist die: Wie soll man leben? Die Geschichte der beiden Brüder handelt davon, was man aufgeben muß, um Mensch zu sein; die von Lola handelt davon, was man sich als Traum bewahren muß, um Dinge zu tun, die man für unmöglich hielt; und Saïda, das ist die Menschlichkeit, eine tiefe Menschlichkeit wider Willen, eine Großzügigkeit wider Willen - wie weit kann man in der Liebe gehen, wenn man nicht zu lieben gelernt hat? Im Lauf der Zeit ist mir klargeworden, daß alle sich diese Frage stellen, die hinter der Frustration steht: wie soll man leben? Wie kann man Freude empfinden ? Wie kann man das Leben genießen? Für viele Leute ist dies der Einstieg in den Film. Vielleicht ganz zufällig fängt der Film etwas von heute ein. Etwas, das vielen Leuten gemeinsam ist. Zufällig, denn selbst die Tonspur des Films, an der Philippe Cohen-Solal ein ganzes Jahr gearbeitet hat, war nicht als ein Effekt der Verführung geplant. Die Tonspur war ganz einfach zur inneren Sprache des Films geworden. Wir hatten uns nicht klargemacht, daß der Ton, die Musik vielleicht die Gefühle vieler Leute ansprechen konnten, die in einer ähnlichen Richtung suchten - ohne daß man den Umweg über eine Geschichte gehen muß. Und wenn uns das gelungen ist, wäre das großartig.
(Produktionsmitteilung)
Yolande Zaubermans zweiter Spielfilm könnte sich von Moi Ivan, toi Abraham nicht grundlegender unterscheiden. Viele werden sich an ihr Filmdebüt erinnern, den bemerkenswerten jiddischen Schwarzweiß-Film, in dem sie das Leben in einem polnischen ,Schtetl' in den dreißiger Jahren nachzeichnete. CLUBBED TO DEATH ist von ganz anderem Temperament: der Film spielt in einem Vorort von Paris, einem verarmten Bezirk, in dem vor allem Immigranten, Drogenhändler und Diebe hausen; die Stimmung ist rauh, losgelöst, befreiend, spontan.
In Farbe und fast ausschließlich mit Handkamera gedreht, sieht der Film die fremde Welt durch die Augen einer Zwanzigjährigen. Eines Abends schläft Lola auf dem Weg von der Arbeit im Bus ein und wacht erst an der Endstation der Buslinie wieder auf, in einem der öden Vororte ihrer Stadt. Da bis zum nächsten Morgen kein Bus mehr in die Stadt fährt, schlendert sie auf einen riesigen, wilden Nightclub in der Nähe zu. Techno erschüttert die Räume, schwitzende Körper tanzen, und die wunderber exotische Saïda führt die Show an. Ein Fremder bietet Lola eine Tablette an, und das nächste, was sie mitbekommt, ist, daß sie in den Armen eines temperamentvollen französischen Arabers liegt.
So beginnt Lolas merkwürdiges, an Henry Miller erinnerndes Abenteuer. Fasziniert von der Energie und der Andersartigkeit des höhlenartigen Clubs, kehrt sie am nächsten Tag auf der Suche nach Emir wieder zurück. Emir, der Freund der dekadenten Saïda, fühlt sich von der ,kleinen' Lola angezogen, aber seine Welt unterscheidet sich grundlegend von Lolas, wie sie bald herausfindet.
Die Story steht bei Zaubermans Filmen jedoch nie wirklich im Mittelpunkt. Sie dient eher als Entschuldigung, um all die fremden Gebiete zu erforschen, in die die meisten von uns sich nicht wagen. Zauberman wirft einen surrealen Schleier über den Film, was die unterirdische Landschaft unterstreicht, in die Lola hineingestolpert ist. Zaubermans Besetzung ist vorbildlich, vor allem die hypnotisierende Béatrice Dalle als blendende Saïda. CLUBBED TO DEATH ist eine moderne Fassung von ,Alice im Wunderland' und bestätigt, wie vielversprechend diese französische Filmemacherin ist.
(Piers Handling, aus dem Katalog des Toronto Film Festivals)
Yolande kam im August 1995 zu mir. Sie wußte schon, welche Art von Musik ihr gefiel, aber keines der Beispiele von ,techno'-Musik, die man ihr vorgespielt hatte, ließ sie spüren, was sie in den Clubs oder bei Rave-Parties empfunden hatte. Ich habe ihr vorgespielt, was für mich die wahre techno-Musik ist, eine Art techno mit einem Anteil von ,soul', oft mit etwas mehr Melodie oder mehr Stimme. Ich sollte erst nur für die Szenen im Club arbeiten, aber dann dehnte sich die Arbeit aus und dauerte anderthalb Jahre.
Ganz allmählich wurde die Musik zu einem der Darsteller des Films. Ich fand bei Yolande eine wunderbare Offenheit für meine Arbeit. Ich hatte schon mit einigen französischen Filmemachern zusammengearbeitet, aber sie hatten eine ziemlich passive Art, die Musik auszuwählen, orientierten sich an einer alten Musikkultur und brauchten immer Referenzen. Bei Yolande gab es gar keine Referenzen, sondern nur die Emotionen, die die Musik hervorruft, und eine große Neugier. Fast ein Jahr, bevor ich Yolande traf, hörte ich das Stück von Robdy, ,Clubbed to Death', eine Mischung aus klassischer Musik und elektronischem ,groove', in einem Londoner Club. James Lavell, ein DJ (er lancierte den ,trip hop'), mixte gerade einige Platten, und er legte ,Clubbed to Death' auf. Ich war von dieser Musik fasziniert. Als ich sie bei den Dreharbeiten spielte, war das Team genauso von ihr gefangengenommen, und das Stück wurde zur emblematischen Musik des ganzen Films und gab ihm schließlich sogar den Titel. (...)
Es gibt eine enorme Produktion in der techno-Bewegung, neue Aufnahmen kommen ständig überall in der Welt heraus. (...) Da diese Musik meistens instrumental ist, wurde sie in vielen Ländern aufgenommen und hat heute praktisch keine Grenzen mehr. Man hört praktisch die gleiche Musik in London, New York, Tokyo, Paris oder Beijing. Alle Leute kommunizieren durch Musik, das ist der positive Aspekt der Verschmelzung der Welt. Und das entspricht auch dem Film, in dem man nicht genau weiß, wo man sich befindet, und der auf seiner musikalischen Ebene alle möglichen geographischen Situationen suggerieren kann. (...)
(Philippe Cohen-Solal)
Yolande Zauberman wurde in Paris geboren. Sie studierte Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaft und drehte zwei Dokumentarfilme, bevor sie sich 1993 dem Spielfilm zuwandte.
1987: Classified People. 1989: Caste criminelle. 1993: Moi Ivan, Toi Abraham. 1996: CLUBBED TO DEATH.
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