(Glaube mir) Brasilien 1996 Regie: Bia Lessa , Dany Roland |
75 min., 35mm, 1:1.66, Farbe
Produktion: Bia Lessa Produçäes Artísticas. Buch: Bia Lessa, nach dem Roman 'Der Erwählte' von Thomas Mann. Kamera: Bia Lessa. Schnitt: Sérgio Mekler. Ton: Dany Roland. Blow-up: Four Media, Burbank/California. Uraufführung: 24. September 1996. Weltvertrieb: RioFilms, Praça Floriano 19/14., 20.031-050 Rio de Janeiro. Tel.: (55-21) 220 70 90, Fax: (55-21) 220 89 49. |
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Fr 14.02. 15:00 Arsenal Mo 17.02. 20:45 Kino 7 im Zoo Palast Di 18.02. 11:00 Delphi |
Kultur ist in unserer heutigen 'Einen Welt' nicht mehr nur ein nationaler Besitz. Es ist zu einer Selbstverständlichkeit im Zusammenleben der Völker geworden, daß die Begegnung zwischen verschiedenen Kulturen eine Bereicherung darstellt, Lernprozesse in Gang setzt und gegenseitige Achtung und Toleranz fördert.
Bia Lessas und Dany Rolands Filmwerk CREDE-MI geht einen entscheidenden Schritt weiter. Bia gibt sich mit einer Begegnung zwischen brasilianischer und nichtbrasilianischer Kultur im Sinn eines bloßen Kulturaustausches nicht zufrieden. Sie will kulturverbindend wirken. Aber Kulturverbindung heißt bei ihr nicht kulturelle Promiskuität. Bia versucht vielmehr, das alltägliche kulturelle Leben bestimmter brasilianischer Volksgruppen mittels ausgewählter Werke der klassischen, vor allem der europäischen Literatur aktivierend 'anzureichern', indem sie die Menschen diese Werke mit ihren ganz eigenen Erfahrungen, Einstellungen und Empfindungen, dem spezifischen Kolorit ihrer Sprache und ihres szenischen Ausdrucks 'nachspielen' läßt. Damit wird nicht eine Kulturform der anderen aufgezwungen, keine Kultur der anderen geopfert. Verschiedene Kulturformen inspirieren sich vielmehr gegenseitig, ohne sich selbst aufzugeben.
In ihrem neuesten Werk CREDE-MI ist dies Bia und Dany in höchst eindrucksvoller Weise gelungen. Der Film beruht auf einer Inspiration durch Thomas Manns 'Der Erwählte', der seinerseits auf die höfische Verslegende 'Gregorius vom Steine' von Hartmann von Aue aus dem 12. Jahrhundert auf der Grundlage einer noch früheren, anonymen französischen Fassung zurückgeht. Es ist die Legende von einem durch Inzest gezeugten Ritter, der später unwissentlich seine Mutter heiratet und nach siebzehnjähriger Verbannung auf einem Felsen von Gott zum Papst bestimmt wird. Der Film ist eine expressionistische, überwiegend spontane 'Nacherzählung' des 'Erwählten' durch Bewohner von Ceará mittels ihrer besonderen Sprachmelodik, der Welt ihrer Lieder und Instrumentalmusik, ihres religiösen Lebens und des natürlichen Ausdrucks ureigenen moralischen und religiösen Empfindens. Paradoxerweise kommt in der scheinbaren Unvereinbarkeit der beiden Kulturwelten das Gemeinsame und das unverwechselbar Eigene sowie das durch Jahrhunderte berdauernde viel überzeugender zur Geltung und kann viel intensiver ausgelebt werden, als dies in irgendwelchen künstlichen Synthesenversuchen möglich gewesen wäre: Dies betrifft besonders den Reichtum der Sprache und das in beiden Kulturen verankerte Wissen um das Unvermögen und Ungenügen des Menschen, der gerade in seiner Armut und Jämmerlichkeit nicht vom Leben ausgeschlossen bleibt.
Der mit minimalen technischen und finanziellen Mitteln gedrehte Film (nur eine kleine Hi-8-Handkamera!) zeigt mittels künstlerisch hochwertiger, bewegter, bunter, reicher und lebendiger Aufnahmen die nie nachlassende Begeisterung aller Teilnehmer. Von Anfang bis Ende beeindruckt die Kraft und Anmut ihres Ausdrucks. Hier bezaubernde Augenblicke natürlicher Verlegenheit von Rezitierenden, dort das ergreifende Violinspiel eines Kinderorchesters, immer wieder monumentale Kirchengottesdienste und Prozessionen, Hochzeiten und Beerdigungen, leidenschaftliche Liebe und elementare Geburtsszenen. Es ist ein grandioser Reigen, in dem die für die nordestinische Bevölkerung charakteristische Untrennbarkeit von Alltäglichkeit und exklusiver Tiefe zum Ausdruck kommt, in dem Gott, Leben und Natur stets eins bleiben.
Bia Lessa hat erfolgreich realisiert, was sie wollte: "Quero levar o universo de Mann para onde houver povo". Ich möchte das Universum von Mann in jedes Volk hineintragen.
(Frido Mann)
Vom Theater zum Films - Gespräch mit Bia Lessa u. Dany Roland
Bia: Wir arbeiten seit einigen Jahren auf dem Theater mit den Klassikern der Literatur. Dieses Mal, als wir uns dazu entschlossen, Thomas Mann auf die Bühne zu bringen, wollten wir - im Gegensatz zu sonst - erst Nachforschungen anstellen. Es ist schon eine Tradition bei uns, für jedes Projekt eine andere Forschungsmethode auszuarbeiten.
Als ich Thomas Manns 'Der Erwählte' las, fand ich, daß alle Geschichten der Welt darin enthalten sind: die Geschichte der Natur, des Menschen und Gottes. (...)
Dany: Am Anfang des Buches steht sinngemäß: die Glocke läutet..., und es ist der Geist der Tradition, der die Glocke läutet. Dieser Satz veranlaßte uns, über das Thema 'Tradition' zu forschen. Wir dachten, daß wir die Entstehungsgeschichte dieser Traditionen in Menschen wiederfinden würden, in der Erinnerung und in individuellen Erfahrungen. Unsere erste Erfahrung bestand darin, daß wir in Petropolis einen Theater-Workshop gründeten und mit Hausfrauen, Studenten der verschiedensten Fächer, Bürojungen und Bäckern arbeiteten... Tagsüber studierten wir, und abends leiteten wir den Workshop. Diese Art von Workshop waren wir eigentlich gar nicht gewöhnt. Wir fingen an, uns für das Leben dieser Leute zu interessieren und benutzten Thomas Manns Text als Ausgangspunkt. Am letzten Tag hat uns jemand ganz zufällig eine Kamera ausgeliehen, und Bia hat diese Erfahrungen aufgezeichnet. Als wir später den Film sahen, fanden wir, daß es kurze Momente darin gab, die man als 'den Geist der Tradition' bezeichnen könnte. (...)
Dany: Wir wollten vermeiden, daß eine Crew mit großer Ausrüstung Verlegenheit hervorruft. Und wir wollten alleine sein, nur wir zwei, und über die Schwierigkeiten nachdenken, die uns diese Realität bescherte. Sowieso hätten wir gar keine Crew mitnehmen können, wir hatten keinen festgelegten Arbeitsplan, wußten nicht genau, wo wir als nächstes sein oder was wir vorfinden würden. Es war uns nicht von vornherein klar, daß sich daraus ein Film entwickeln würde. Wir hatten überhaupt nicht die Absicht, einen abendfüllenden Film zu drehen. Wir wollten etwas ausprobieren, wollten es dokumentieren. Von unserem Standpunkt aus kam es auf den Inhalt an, nicht auf die Mittel. (...)
(Aus einem Gespräch von Henri und Violeta Arraes Gervaiseau)
Bia Lessa wurde am 10.6.1958 in SÆo Paulo geboren und arbeitet als Theater- und Opernregisseurin. CREDE-MI ist ihre erste Filmregie.
Dany Roland wurde am 9.2.1962 in Buenos Aires geboren. Er spielte als Musiker und Schauspieler in folgenden Inszenierungen von Bia Lessa mit: Orlando von Virginia Woolf, Reise zum Mittelpunkt der Erde von Jules Verne, Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil. CREDE-MI ist seine erste Filmarbeit.
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