(Der Tag, an dem ein Schwein in den Brunnen fiel) Korea 1996 Regie: Hong Sang-soo |
115 min., 35mm, 1:1.85, Farbe
Produktion: Dong-A Export Co. Ltd. Buch: Koo Hyo-seo. Kamera: Cho Dong-kwan. Ausstattung: Cho Yoong-sam. Kostüme: Kwun Jung Hyun. Musik: Ok Kil-sung. Schnitt: Park Gok-ji. Produzent: Lee Woo-seok. Darsteller: Kim Eui-sung (Hyo-sop), Lee Eung-kyung (Bo-gyung), Cho Eun-sook (Min-jae), Park Jin-sung (Tong-woo). Uraufführung: 4. Mai 1996, Seoul. Weltvertrieb: Dong-A Export Co., Ltd., 814-6 Dong-A Bldg., Yeoksam-dong, Kangnam-ku, Seoul, Korea 135-080 Seocho, P.O. Box 166, Tel.: (82-2) 3451 4735, Fax: (82-2) 273 0131. |
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Sa 15.02. 13:30 Kino 7 im Zoo Palast Sa 15.02. 21:30 Delphi So 16.02. 12:30 Arsenal Mo 17.02. 22:15 Akademie der Künste |
Seoul, Korea, 1996. Hyo-sop, ein nicht besonders vielversprechender Schriftsteller, liebt Bo-gyung, eine verheiratete Frau. Min-jae, die an der Kasse eines Kinos arbeitet, liebt Hyo-sop. Neben ihrer Arbeit nimmt sie alle möglichen Jobs an, um Hyo-sop, den sie für einen großartigen Autor hält, finanziell zu unterstützen. Bo-gyung ist mit Tong-woo verheiratet, liebt jedoch Hyo-sop, den sie trotz seines Mißerfolgs akzeptiert. Tong-woo arbeitet für ein Klärwerk und scheint recht erfolgreich zu sein. Er zweifelt allerdings an der Treue seiner Frau. - Der Film begleitet die vier Hauptpersonen und beschreibt ihren teils mondänen, teils banalen Alltag.
Ich bin kein Geschichtenerzähler. Eine sogenannte Geschichte besteht aus klarumrissenen Figuren, jedenfalls teilweise. Ich beschäftige mich jedoch mit den Verhaltensweisen der Figuren. Je nach Situation nehmen die Figuren unterschiedliche Verhaltensweisen an. Ihr Verhalten zusammen mit meinen Ansichten machen den Film aus. Und genau das ist auch ein Thema meiner Filme.
Der Regisseur bat vier Drehbuchautoren, einen Tag im Leben der vier Hauptpersonen zu schreiben. Wie Detektive hefteten sich die Autoren auf die Fersen der Figuren auf ihrem Weg durch Seoul. Zum Schluß brachte Hong die vier verschiedenen Geschichten zusammen und verknüpfte sie zu einer geschlossenen Erzählstruktur.
Neunzig Prozent der Dialoge entstanden aus Improvisationen während der Dreharbeiten. Das Resultat ist ein Film von fast vollkommenen Realismus mit einer raffinierten Erzählweise.
Der Brunnen, in dem das Schwein ertrinkt, ist eine treffende Metapher für Seoul im Jahre 1996. Seit Anfang der sechziger Jahre wurden die Hauptstadt Seoul und ihre Bewohner durch die Militärdiktatur unterdrückt. In den achtziger Jahren, als alle Hauptfiguren des Films außer Min-jae die Universität besuchten, zogen demonstrierende Studenten durch die Straßen von Seoul und beinahe täglich hing der Geruch von Tränengas über der Stadt. Wie die Studenten, die 1968 in Paris auf die Straße gingen oder die, die in den sechziger Jahren in den USA demonstrierten, gehören auch die Figuren des Films zu der Generation von Koreanern, die an die Möglichkeit von sozialen Veränderungen glaubten und ihre Jugend verschiedenen sozialen Aktivitäten opferten, anstatt persönliche Erfüllung durch materiellen Luxus zu erlangen.
Mit der Einrichtung der sogenannten zivilen Regierung Anfang der neunziger Jahre, die mit dem Beginn der Ära von zehntausend Dollar Nationaleinkommen pro Kopf zusammenfiel, veränderte sich Seoul zusehends. Die Menschen kümmerten sich mehr und mehr um ihren persönlichen Wohlstand, und der allseits gehegte Traum einer demokratischen Gesellschaft erwies sich als nützlich. Dieses individuelle Streben, das in den Zeiten der politischen Repression und Armut leichter gezügelt werden konnte, entwickelte sich zu einem überwältigendem Phänomen innerhalb der koreanischen Gesellschaft. Eine derart deutliche Veränderung hinterließ bei der Generation der achtziger Jahre ein Gefühl der Desillusionierung und Entwurzelung. Und obwohl ihre Ansichten und Aktionen in den achtziger Jahren Anerkennung und Respekt ernteten, werden diese Aktivisten und Intellektuellen um die dreißig heutzutage für mittelalte Dickköpfe gehalten, die an ihren zu nichts zu gebrauchenden Ideologien festhalten.
Die Figuren des Films repräsentieren verschiedene Typen der koreanischen Gesellschaft, die diese sozial unruhigen Zeiten überstanden haben. Konfrontiert mit der plötzlichen Erkenntnis, daß ihre jugendlichen Träume und Hoffnungen nicht zu realisieren sind, schleppen sie sich in einer tödlichen Routine von einem Tag zum nächsten, nur ihre Sehnsucht und die eigenen Interessen im Sinn.
Vielleicht war Hyo-sop während seiner Studienzeit ein junger Aktivist, der als ernsthafter und vielversprechender Schriftsteller eine große Karriere vor sich hatte. In den achtziger Jahren schätzte die lesende Bevölkerung die wahren Schriftsteller noch oder tat zumindest so, als könne sie die echten Autoren von den Schwindlern unterscheiden. Und auch die Dichter konnten stolz sein auf sich und ihre Arbeit, unabhängig davon, wieviele ihrer Bücher verkauft worden waren. In den Neunzigern muß der Schriftsteller Hyo-sop verschiedene Frustrationen und Erniedrigungen ertragen, die sein Selbstbewußtsein immer wieder auf eine harte Probe stellen.
Auch bei Bo-gyung haben die Veränderungen der Stadt Seoul und ihrer Bewohner Spuren hinterlassen. Mit einem Mann verheiratet, den sie nicht lieben kann, verletzt sie bereitwillig die traditionelle koreanische Moralvorstellung, daß Treue und Keuschheit einer Frau von äußerster Wichtigkeit sind, und beginnt eine Affäre mit Hyo-sop. Aber obwohl sie wegen dieses Ehebruchs keine Schuld empfindet, hält sie diese kalte und lieblose Ehe unverständlicherweise aufrecht.
Die detaillierte Schilderung des eintönigen Alltagseinerleis an sich ständig ändernden Orten verleiht dem Film THE DAY A PIG FELL INTO A WELL den Charakter einer soziologischen Studie über das Leben in Seoul im Jahre 1996. Anstatt sich auf eine einzelne Figur zu konzentrieren, verläuft die Geschichte des Films auf vier verschiedenen, jedoch miteinander verbundenen Erzählebenen. Mit vielen Aufnahmen, die bei Tageslicht gedreht wurden, und einer Kamera, die sich in Augenhöhe bewegt, dokumentiert der Regisseur das zusammengewürfelte und schäbige Stadtbild und die Lebensart im heutigen Seoul. Der Zuschauer übernimmt so die Perspektive der Menschen, die tatsächlich in Seoul wohnen, und durchlebt damit die verunsichernde Vision eines Alltagslebens, dessen vertraute Routine immer ungewöhnlichere und erschreckendere Züge annimmt.
THE DAY A PIG FELL INTO A WELL ist ein Kunstwerk, das mit allen bisherigen Konventionen des koreanischen Films bricht. Er untergräbt die Idee des Genres und begründet einen neuen Stil und eine neue Art des Filmemachens für die koreanische Filmindustrie. Im Film werden keine Werturteile gefällt, genauso wenig wie Moralvorstellungen vertreten werden. Allerdings stellt man mit dem Erforschen von menschlichen Gefühlen und Zwiespälten das Leben, sich selbst und die Moral in Frage.
(Produktionsmitteilung)
THE DAY A PIG FELL INTO A WELL wurde von einigen Kritikern aus Seoul als eines der besten Spielfilmdebüts in der koreanischen Filmgeschichte gepriesen, auch wenn der Film von Hong Sang-soo keine offensichtlichen Parallelen zum koreanischen Kino aufweist. Der Film beginnt mit einer Reihe von - auf den ersten Blick - unzusammenhängenden Szenen aus dem Leben einiger Bewohner Seouls. Nur allmählich wird deutlich, wie das Leben der einzelnen Figuren miteinander verbunden ist. Die Verbindungen werden ohne jede melodramatischen Schnörkel beschrieben. Die schauspielerische Darstellung ist durch und durch naturalistisch, die Kameraführung und der Schnitt sind kühl modernistisch. Wenn der Film in Taiwan entstanden wäre, hätte man vermuten können, daß Edward Yang an der Produktion beteiligt gewesen ist. (...)
Alles in allem wird hier der Ausschnitt einer urbanen Gesellschaft im Jahre 1996 entworfen: die Gefühle, die Verzweiflung, der Ärger, die Leidenschaft und die Ängste junger Erwachsener des Mittelstands. Der Film ist oft ironisch und immer erschreckend genau. Tony Rayns
Hong Sang-soo wurde 1961 in Seoul geboren und studierte Film an der Chungang Universität in Seoul. Er besuchte außerdem das California College of Arts and Crafts, Abteilung Film, und beschäftigte sich mit experimenteller Filmgestaltung an der School of Art Institute in Chicago. Nach seiner Rückkehr arbeitete er für die Seoul Broadcasting Station (SBS). Die dort unter seiner Regie entstandene Serie ,Writers and their Bestsellers' wurde mit dem koreanischen Preis für die beste Auftragsarbeit ausgezeichnet. Hong unterrichtet zur Zeit an der Hanyang Universität in Seoul. THE DAY A PIG FELL INTO THE WELL ist sein erster abendfüllender Spielfilm.
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