Österreich 1997 Regie: Michael Haneke |
123 min., 35mm, 1:1.66, Farbe, WP
Produktion: WEGA-Filmproduktion Wien in Zusammenarbeit mit ORF, BR und Arte. Buch: Michael Haneke, nach dem Roman von Franz Kafka. Kamera: Jiri Stibr. Ausstattung: Christoph Kanter. Ton: Marc Parisotto. Produzent: Veit Heiduschka. Schnitt: Andreas Prochaska. Darsteller: Ulrich Mühe (K.), Susanne Lothar (Frieda), Frank Giering (Artur), Felix Eitner (Jeremias), Dörte Lyssewski (Olga), Inga Busch (Amalia), Birgit Linauer (Pepi), Nikolaus Paryla (Vorsteher), Norbert Schwientek (Bürgel), Hans Diehl (Erlanger), Ortrud Beginnen (Brückenwirtin), Otto Grünmandl (Brückenwirt), Branko Samarowski (Herrenhofwirt), Johannes Silberschneider (Lehrer), André Eisermann (Barnabas), Paulus Manker (Momus), Monika Bleibtreu (Lehrerin) u.a. Uraufführung: 23.2.1997, Internationales Forum des Jungen Films. Weltvertrieb: WEGA-Filmproduktion GmbH, Hägelingasse 13, A-1140 Wien, Tel. (43-1) 9825742, Fax: (43-1) 9825833 |
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Sa 15.02. 19:30 Akademie der Künste So 23.02. 11:00 Kino 7 im Zoo Palast So 23.02. 16:30 Delphi Mo 24.02. 20:00 Arsenal |
Die Kälte wird mir tatsächlich immer mehr zum Thema, das Verstummen der Menschen, die Kommunikationsunfähigkeit, die eigentlich von Anfang an ein Thema bei mir war, wird zu einer immer stärkeren Erfahrung. (...)
Wenn es eine Utopie geben sollte, die man ernstnehmen kann, dann kann das nur eine negative Utopie sein. Und die wiederum kann es nur geben, wenn man genau analysiert, meinetwegen auch übertreibt, wenn man eine präzise Bestandsaufnahme des Gegebenen bietet. Wenn ich das, was ist, wirklich radikal zu Ende formuliere, dann kann aus den Einsichten, die der Zuschauer gewinnt, eine Form von Hoffnung, Utopie, von Kampfwillen entstehen. Die Zeiten naiver Utopien in der Kunst sind - ganz allgemein gesprochen - vorbei. Wenn es eine Utopie gibt, dann ist es nur die Utopie des Schrecklichen und der Zerstörung, die so weit geht, daß sie Widerstandskräfte mobilisiert. Ich kenne keinen einzigen ernstzunehmenden Autor oder Filmer, der heute noch wagen würde, Utopien als realisierbare Lebenshilfe anzubieten.
Man kann keinen Zuschauer zu seinem Glück zwingen. Man kann ihm ein Angebot machen. Wenn er es annimmt, ist es gut. Wenn er es nicht annimmt, dann ist es auch gut, ich bin kein Sozialarbeiter.
Das Angebot besteht darin, daß ich als Zuschauer möglicherweise zu der Erkenntnis komme, daß es in meiner Lebensbahn Schienen gibt, die ähnlich verlaufen wie die des Films. Je schrecklicher und auswegloser ich eine Existenz mit hohem Identifikationswert zeige, umso eher fühlt der Zuschauer die Notwendigkeit, seine Kräfte zu aktivieren. Wenn der Schock groß genug ist, wird es vielleicht ein bißchen Veränderung in seinem Leben geben können. Das Anliegen wie die Wirkung der griechischen Tragödie basiert auf dem gleichen Effekt: Durch Erschütterung - die Schilderung eines vernichtenden Schicksals - entsteht ein kathartischer Effekt.
Als man Bresson einmal zu seinem angeblichen Pessimismus befragt hat, antwortete er: "Sie verwechseln Pessimismus mit Klarheit." Dem ist wenig hinzuzufügen. Seit Manns ,Doktor Faustus' sollte es sich herumgesprochen haben, daß in der Kultur, als der letzten Bastion der Utopien, nichts mehr bleibt als die eigene Zurücknahme. Was von der Kultur im Vernichtungsszenario unseres Jahrhunderts übrigbleibt, ist der Schrei der Angst und der Verzweiflung; die Kunst beschäftigt sich höchstens noch mit den unterschiedlichen Graden und Modulationen seines Verstummens. Nur hat sich das bis in die Niederungen der Filmemacher und Journalisten noch nicht herumgesprochen.
Ich weiß, daß es heute eine Tendenz gibt, die alles, was mit Verantwortung zu tun hat, verachtet. Ich muß dazu sagen, daß ich das erstmal sehr gut verstehen kann, denn wir sind alle dermaßen überfüttert mit Botschaften aller nur möglichen Ideologien, daß eine Skepsis gegenüber ,messages' angebracht ist. Dennoch, ich denke, man schüttet heute sehr oft das Kind mit dem Bade aus: Ein Kunstwerk, das über formale Meisterschaft hinaus noch so etwas wie ein humanistisches Anliegen hat, ist bereits a priori verdächtig bzw. sehr herablassend zu behandeln, Kunstwerke, die auch nur irgendetwas transportieren, Sinnfragen stellen, um es vorsichtig auszudrücken, werden vor allem von der jüngeren, durch die amerikanische Massenkultur geprägten Generation gerne mit gönnerhafter Verachtung angesehen.
Ich frage mich, warum sich Menschen, denen Kunst nur formaler Selbstzweck ist, überhaupt damit beschäftigen. Ich bin zutiefst der Überzeugung, daß Kunst eine moralische Kategorie ist und Moral ohne Ästhetik zu schlechter Pädagogik verkommt. Die Dinge sind nicht voneinander zu trennen. Moral will ich hier übrigens nicht mit ,Moralismus' oder ,Moralinsaurem' verwechselt sehen. Wenn ich als Künstler nicht wirklich am Menschen, an seiner Existenz, am Du interessiert bin, wenn ich nicht glaube, daß es sich lohnt, dafür etwas zu tun, müßte ich mich doch fragen, warum ich überhaupt arbeite. Die Kunst ist der einzige Raum heute, der das, was früher die Religion aufgefangen hat, noch bieten kann: Der Mensch will seine Existenz transzendieren, will aus der Empfindung des Verloren-Seins, aus Verzweiflung, aus Sehnsucht heraus Stellung beziehen, kreativ werden, suchen und finden dürfen. In einer Situation, die so fatal ist wie die unsere, kann man natürlich nicht mit Botschaften, mit dem naiven Aufklärungs- und Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts kommen. Aber der innere Motor für alles, was ich künstlerisch tue, muß aus dem Wunsch nach Vermittlung von Sinn resultieren.
Ein in sich homogenes Ordnungsgefüge kann auch - mal ins Unreine formuliert - eine transzendentale Provokation darstellen. Kunst trotzt dem Chaos ein bißchen Form ab. Die exakte Beschreibung der Situation, in der wir leben, ist, wenn sie genau ist, immer mehr als blanker Nihilismus. Der wahre Nihilismus ist, den Zuschauer für so blöd und unwichtig zu halten, daß man ihn, um möglichst viel Geld von ihm zu bekommen, mit dem zukleistert, was er angeblich will: Zerstreuung.
Obwohl mich Chabrols Filme nicht völlig für sich einnehmen, gefällt mir an ihnen die Kälte des Stils, die nie die Figuren verrät. Er läßt sie zwar in einer Versuchsanordnung zappeln, nach guter alter französischer Tradition, wie in Marivaux-Stücken, aber er macht sich nie über sie lustig. Verrat an seinen Figuren ist etwas anderes. In manchen österreichischen Filmen zum Beispiel findet man einen Ton, der vorgibt, so viel klüger zu sein als die behandelten Figuren. Die Autoren scheinen jedesmal ganz genau zu wissen, wie es geht, nur ihre ,Helden' sind bedauerlicherweise so dumm. Das ärgert mich maßlos, da fühle ich mich als Zuschauer für blöd verkauft. Wenn ich die Figur nicht ernstnehmen kann, warum schau ich mir den Film überhaupt an? Mit ,Identifikation' hat das alles übrigens nichts zu tun: Ich kann einer Figur ganz kalt zusehen, wenn nur das Geschehen interessant genug ist. Ich mag keine Filme, die mir vorschreiben, wie ich die Charaktere zu sehen habe. Ich mag weder die typisch österreichische Häme gegenüber den Figuren noch die verlogen mitleidheischende Art der Charakterisierung, diesen besserwisserischen sozialdemokratischen Sentimentalismus.
Ist es, generell gesagt, nicht so, daß jede gute Geschichte ein Ende trägt, das sich selbst transzendiert? Das Über-das-Ende-Hinausweisen gehört zum künstlerischen Gelingen. Man sollte dem Zuschauer ein Sprungbrett nach vorne bieten. Man kann ihm eines anbieten, oder - was mir symphatischer ist, weil es den Zuschauer ernster nimmt - man kann eine Geschichte so radikal zu Ende führen, daß er selbst etwas mit der Geschichte unternehmen muß. Das ,Beliefern' des Zuschauers ist die eigentliche Verachtung des Zuschauers. (...) Man sollte dem Zuschauer ein bißchen dabei helfen, sich auf seine eigene Urteilskraft, seine Sehnsüchte und Utopien zu besinnen.
Auszüge aus einem Interview von Stefan Grissemann und Michael Omasta.
(...) Eines meiner grundsätzlichen Prinzipien (ist es), möglichst wenig direkt, sondern über Umwege mitzuteilen. Wesen einer künstlerischen Äußerung ist ja, daß man eine Idee, ein Bild, ein Imago im Kopf hat, für die jeweilige Situation. Die Krux bei heimischen Filmen ist meistens, daß sie dieser gräßlichen deutschen Fernsehdramaturgie aufsitzen, wo alles eins zu eins ausgesprochen und auch noch gezeigt wird. Diese Erklärungswut, die keinen Freiraum mehr zuläßt, in dem die Phantasie des Zuschauers Zeit und Raum hätte, sondern sofort die nächste Information nachreicht, damit nur ja alles verstanden wird, die führt letztendlich dazu, daß man natürlich gar nichts wirklich versteht; weil nur nachempfunden werden darf, was vorgesagt wurde. Allgemeiner könnte man sagen, daß die Verflachung der Dialogästhetik bei uns aus der Erklärungswut der TV-Geschichten kommt. Und das wird immer noch schlimmer. (...)
Fernseharbeit läßt sich zumeist nur gegen die Institutionen durchsetzen. Alles, was nur ein bißchen über das Herkömmliche hinausgeht, ist immer nur mit unglaublicher Hartnäckigkeit und nach langem Kampf machbar. Ausnahmen sind vielleicht Literaturverfilmungen, weil die wenigstens politisch unverfänglich erscheinen. Da kann man sich ästhetisch ein bißchen etwas leisten. (...) Natürlich habe ich mich auch schon bei früheren Arbeiten gefragt, warum ich die nicht fürs Kino gemacht habe. Das Problem ist einfach, daß es nicht so leicht ist, einen Film zu finanzieren. Beim Fernsehen geht man hin und sagt, was man machen will. Die Antwort lautet entweder ja oder nein, und im Falle eines Ja liegt dann das Geld auf dem Tisch - über die Beträge läßt sich verhandeln - während das Ja beim Film noch überhaupt nichts nützt. Da muß man das gesamte Geld erst auftreiben. (...)
Franz Kafka (1883 bis 1924) schrieb den Roman ,Das Schloß' 1924, die Erstausgabe erschien 1926. (...)
Wie die Romanfigur K., so versucht auch die Forschung angestrengt zu ergründen, was es mit dem Schloß auf sich hat. Anfangs dominierte die theologische Deutung, für die vor allem Max Brod verantwortlich zeichnet: Das Schloß sei Gleichnis der göttlichen Gnade. (...) Robert Rochefort (1947) sieht "im Erleben des Nichts" und der "Gottferne" eine änotwendige Voraussetzung für ein neues und tieferes Glaubensverständnis". Kafkas "Experiment der totalen Verneinung" sei, ähnlich wie der Kampf des Helden K., nur Zeichen dafür, daß der Mensch von heute Gott "nur mehr als Abwesenden zu begreifen vermag, den er in seiner Not und bis in die Überzeugung, daß alles absurd ist, verspürt". Diesen ,deus absconditus' stürzten existentialistische Deutungen vom Thron. Albert Camus etwa sah im Schloß die Krise des zeitgenössischen Menschen gestaltet, des isolierten Menschen, der die Welt nur als Projektion eigener Tendenzen und Triebe, nie die Welt äan sich" gewahrt, darum immer nur sich selber findet. (...)
Kafkas Epik, seine Briefe und sein Tagebuch legen es nahe, die entleerte göttliche Autorität sich als weltliche vorzustellen: als väterliche und politische Autorität. Schon Walter Benjamin notierte das "uralte Vater-Sohn-Verhältnis" als eine Konstante im Werk Kafkas: "Viel deutet darauf hin, daß die Beamtenwelt und die Welt der Väter für Kafka die gleiche ist." (...)
Kafka hat den Charakter der heraufziehenden Gesellschaft wirklich wahrgenommen. "Der Kapitalismus", so sagt er einmal, "ist ein System von Abhängigkeiten, die von außen nach innen, von oben nach unten gehen. Alles ist abhängig, alles ist gefesselt, Kapitalismus ist ein Zustand der Welt und der Seele." (...) Von diesem System der Abhängigkeiten erzählt der Roman. Davon zeugen Stil und Struktur. Aus welcher Perspektive immer man Kafka betrachtet - jede Betrachtung muß sich von Kafkas Erzählweise leiten lassen. (...) Den ersten Gang, den K. zum Schloß unternimmt, beschreibt Kafka wie folgt: "So ging er wieder vorwärts, aber es war ein langer Weg. Die Straße nämlich, die Hauptstraße des Dorfes, führte nicht zum Schloßberg, sie führte nur nahe heran, dann aber, wie absichtlich, bog sie ab, und wenn sie sich auch vom Schloß nicht entfernte, so kam sie ihm doch auch nicht näher." Aus: Kindlers Literaturlexikon, München 1986
Michael Haneke wurde am 23. März 1942 in München geboren. Er ist der Sohn der österreichischen Schauspielerin Beatrix von Degenschild und des Düsseldorfer Regisseurs/Schauspielers Fritz Haneke. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Wiener Neustadt (Niederösterreich). Nachdem der Plan, zur Schauspielausbildung ans Wiener Max-Reinhard-Seminar zu gehen, ebenso fehlschlug wie jener, Konzertpianist zu werden, belegte Haneke an der Wiener Universität die Fächer Psychologie und Philosophie. Er versuchte sich als Autor (,Persephone', eine Erzählung) und arbeitete neben dem Studium als Film- und Literaturkritiker.
Von 1967 bis 1971 war er als Redakteur und Fernsehspieldramaturg beim Südwestfunk in Baden-Baden beschäftigt. Am Stadttheater Baden-Baden debütierte er Anfang der siebziger Jahre mit Marguerite Duras' ,Ganze Tage in den Bäumen' als Bühnenregisseur. Es folgten Regiearbeiten in Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Berlin, Hamburg, München und Wien; Haneke inszenierte Stücke von Strindberg, Goethe, Hebbel, Enquist, Bruckner, Kleist u.a.
1974: Und was kommt danach? (After Liverpool) (Buch und Regie, nach einem Hörspiel von James Saunders; TV-Film). 1975: Sperrmüll (Regie; TV-Film). 1976: Drei Wege zum See (Buch und Regie, nach der Erzählung von Ingeborg Bachmann; TV-Film). 1979: Lemminge (Idee, Buch, Regie; TV-Film). 1982: Variation (Idee, Buch, Regie; TV-Film). 1984: Wer war Edgar Allan? (Buch mit Hans Broseynei nach dem gleichnamigen Roman von Peter Rosei; TV-Film). 1985: Fräulein (Buch nach einer Idee von Bernd Schroeder, Regie; TV-Film). 1989: Der siebente Kontinent. 1991: Nachruf für einen Mörder (Buch, Regie; TV-Film). 1992: Die Rebellion (TV-Film); Benny's Video. 1994: 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls. 1995: Lumière et compagnie. 1997: DAS SCHLOSS.
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