Deutschland 1996 Regie: Cheol-Mean Whang |
88 min., 16mm, 1:1.37, s/w
Produktion: Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin. Buch: Cheol-Mean Whang. Kamera: Roland Bertram. Schnitt: Yvonne Loquens. Ausstattung: Isabel Ott. Ton: Jörg Höhne. Darsteller: Till Sarrach, Marion Bordat, Oliver Marlo. Uraufführung: 28. September 1996, Filmkunst 66, Berlin. Weltvertrieb: Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin GmbH, Heerstr. 18-20, 14052 Berlin. Tel. (49-30) 300 90 40. Fax (49-30) 300 90 461. |
|
Fr 14.02. 22:15 Akademie der Künste |
Der arbeitslose Schauspieler Till steht vor Sonnenaufgang auf und wiederholt täglich das gleiche Ritual: Auf dem Dach trägt er Hamlets Monolog vor. Wird seine allmorgendliche Zeremonie ihm helfen, ein Engagement zu bekommen?
Ich habe mich immer gewundert, daß es so wenige neue Filme gibt, die die Stadt Berlin wirklich zum Schauplatz machen. Dabei ist Berlin, die Sinfonie der Großstadt von heute so interessant und attrakiv, daß es viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Natürlich gibt es viele Filme, die in Berlin gedreht wurden, aber darin ist die Stadt nicht viel mehr als eben ein Drehort. Ihre charakteristische Atmosphäre kommt kaum zum Vorschein. Deshalb sollte Berlin in meinem Film die Gelegenheit erhalten, sich selbst darzustellen.
Berlin war die letzte Station meines Aufenthalts in Deutschland. Mit dem Film wollte ich mich von diesem Land und zugleich von einem wichtigen Abschnitt meines Lebens verabschieden.
So ist das Berlin meines Films überlagert von vielen anderen, persönlichen Deutschlandbildern, die ich in fünfzehn Jahren gesammelt habe. Ich lebte in drei Städten, jobbte an fünf Orten und erlebte zwei Wenden. Von einer Wende zur nächsten änderten sich auch die Bilder das Alltags. Mit der ersten Wende kam die deutsche Nationalhymne ins Fernsehen, zu sehen vor Sendebeginn und nach Sendeschluß. Die zweite Wende erlebte ich hier in Berlin, und zwar auf dem Alexanderplatz: Ich erinnere mich noch deutlich an den haßerfüllten Blick, den ein Passant mir zuwarf, nachdem er mir einen plötzlichen Stoß gegeben hatte. Meine Berlin-Bilder sind aber ebenso überlagert von den Geschichten meiner Freunde und netter Nachbarn, von denen ich mich verabschieden wollte.
Als ich diesen Film drehte, war ich nicht nur am Ende meiner Zeit in Deutschland angekommen, sondern auch am Ende meiner Kraft. Das wird dem aufmerksamen Zuschauer sicher nicht entgehen. Freunde sagten mir oft, daß ich ziemlich deutsch geworden sei. Es stimmt schon, daß die Jahre in Deutschland Spuren in mir hinterlassen haben. Aber der deutsche Perfektionismus ist mir auch in diesem Film nicht gelungen. (Cheol-Mean Whang)
In ihrem Alltäglichen zeigt sich, wie es um die betreffende Welt bestellt ist, und durch nichts läßt so vom Alltäglichen Zeugnis sich geben wie durch die Kinematographie.
Doch das Alltägliche verliert seine Alltäglichkeit zuerst, indem es gefilmt wird, und um durch ebendenselben Film sie neu herzustellen, als Rivettes 'verworrene Evidenz des Zeichens', dazu braucht es: Handwerk, Verletzbarkeit, Entschiedenheit, Sehvermögen (nicht beim Drehorte-Suchen, sondern immer), Gedächtnis, Gehör, Erfahrung, Kunst.
Beim Autor dieses Films ist der Blick noch weiter geschärft, die Empfindlichkeit noch erhöht durch das Bewußtsein, bald wegzugehen aus diesem fremden Land - das vorübergehend ein eigenes geworden, gewesen war? - so daß in diesem seinem Film in allen den Lebensaugenblicken der einzelnen Menschen wie in denen der Stadt und in den Stadtbildern ihre Vergangenheit, kürzere oder längere Geschichte, Vorgeschichte, und zugleich schon ihre Nachgeschichte, ihr Vorbeisein enthalten ist - und zu sehen, davon zu erfahren, wie Menschen in diesem Land sich selbst fremd werden, und einander fremd, ohne es recht zu merken. Und daß, nach den Worten von Rosa Luxemburg, der Gang der Geschichte, selbst die Revolution gerade genau dasselbe Gewicht hat wie das Leben eines einzigen Schmetterlings im fernsten China.
Dem Autor, der nicht umsonst mit Peter Nestler gearbeitet hat und mit Michael Klier, ist zudem etwas gelungen, was schwer zu machen ist, selten gelingt: aus seinem Wahrnehmen des Alltäglichen eine Geschichte zu erzählen, lehrstückgenau und zugleich so unscheinbar fast wie das, was sie umgibt und woraus sie besteht. Es ist, aus der DDR kommend, aus einem Dorf bei Leipzig, eine deutsche Künstlergeschichte, wie die von Anton Reiser, Wilhelm Meister, Büchners Lenz und die vom armen B.B. Es ist, wird, etwas wie eine Zurücknahme des deutschen Bildungsromanes - oder ein Versuch, ihn weiterzuerzählen? In dem Land, das, vereinigt, sich keinen gemeinsamen Namen gegeben hat.
Für eine Weile bewegt der Film und bewegt seine Erzählung sich in Berlin, durch Straßen, in Zügen, auf Plätzen, unter Menschen mit jener Leichtheit fast, mit der die Filme der Nouvelle Vague sich bewegten in ihrer Stadt - und würde vielleicht gern selber sich so weiter bewegt haben - doch ist Berlin von 1996 nicht Paris von 1960, und jeder Film wirklich über dieses Land hier, 'seit Lang und Murnau', hat es zu tun mit den Gespenstern, unsichtbar gegenwärtig in den leeren, neuen, verfallenen Räumen, sichtbar für einen Augenblick im Spiegel.
Die Baustellengeräusche immer, Preßluftbohrer, Kreissägen, Kransurren, Stahlhämmern. (Ein Gewaltiger einmal hat für Baugeräusche gehalten, was Geräusch von anderem gewesen ist.)
Die Filme in Deutschland, über Deutschland, in Berlin, von Autoren nicht aus Deutschland, das ist eine lange denkwürdige Tradition.
(Helmut Färber, Berlin, Februar 1997)
Cheol-Mean Whang wurde 1960 in Seoul, Korea geboren. An der Osnabrücker Universität machte er 1989 seinen M.A. in Soziologie und Medienwissenschaft. Von 1990 bis 1996 studierte er an der dffb. FUCK HAMLET ist sein Abschlußfilm.
1991: Liebe 91 oder Wir sind das Volk. 1992: Golfkrieg; Der Freund. 1993: Hundestreifen. 1994: Fete; Der letzte Zug. 1995: Lieber Vater. 1996: FUCK HAMLET.
© 1997 Internationales Forum des Jungen Films. Alle Rechte vorbehalten. |