Österreich 1996 Regie: Ruth Beckermann |
117 min., 35mm, 1:1.66, Farbe
Produktion: Josef Aichholzer Filmproduktion. Konzept: Ruth Beckermann. Kamera und Mitarbeit: Peter Roehsler. Schnitt: Gertraud Luschützky. MAZ-Schnitt: Manfred Neuwirth. Uraufführung: 20. Oktober 1996, Viennale. Weltvertrieb: Aichholzer Filmproduktion, Mariahilfer Str. 58/3, 1070 Wien, Österreich. Tel.: (43-1) 523 40 81, Fax: (43-1) 526 34 58. Der Film wurde hergestellt mit Unterstützung des BMWVK und des Hamburger Instituts für Sozialforschung. |
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Mi 19.02. 14:00 Delphi Mi 19.02. 21:00 Kino 7 im Zoo Palast Do 20.02. 20:00 Arsenal Fr 21.02. 12:00 Akademie der Künste |
Weißgekachelte Räume, Neonlicht; an den Wänden Schwarzweißphotographien der Ausstellung ,Vernichtungskrieg' über die Verbrechen der Wehrmacht an der Ostfront. Vor diesem Hintergrund drehen Ruth Beckermann und Kameramann Peter Roehsler eine Anhörung ehemaliger Soldaten über ihre Erfahrungen und Erlebnisse jenseits des ,normalen' Krieges. In einer Mischung aus Hilflosigkeit, Ohnmacht, Scham, Opportunismus und ungebrochenem Fanatismus berichten die Zeugen dieser Zeit von Verbrechen wie den Erschießungen russischer Kriegsgefangener, der Ermordung der Juden und der Mißhandlung von Frauen. Die verschiedenen Versionen der Ereignisse zeigen, wie selektiv Wahrnehmung selbst im grausamsten Umfeld war.
Mit diesem Film wird nicht allein die Zerstörung des Mythos von der anständigen Wehrmacht vorangetrieben, sondern die Gründungsphase der Zweiten Republik erhellt und eine Diagnose der Gegenwart gestellt. Es werden Väter gezeigt, die den Wiederaufbau des Landes geleistet, die unsere heutige Gesellschaft geformt und die nicht zuletzt ihre Vorstellungen an ihre Söhne und Töchter weitergegeben haben - und die nach mehr als fünfzig Jahren endlich zu sprechen versuchen.
Die Bilder dieses Krieges in den ,talking heads' - sie entstehen so eindringlich wie selten in historischen Dokumenten oder Spielszenen.
Constantin Wulff: Dein Film JENSEITS DES KRIEGES ist während der Ausstellung ,Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944' in Wien im letzten Herbst gedreht worden. Wie ist es dazu gekommen, die Besucher der Ausstellung vor Ort mit Kamera und Tonband zu befragen?
Ruth Beckermann: Ich hatte schon seit längerem den Wunsch - nach meinen Filmen über das Schicksal von Juden oder Widerstandskämpfern - einmal etwas über ,die andere Seite' zu drehen. Ich bin in den vergangenen zehn Jahren immer wieder zu jüdischen Themen befragt worden, aber ich habe meinen Gesprächspartnern geantwortet, daß ich es im Gegenteil als einen Mangel empfinde, daß so wenig über ,die andere Seite' gemacht wird. Daß man so wenig von der ,Täterseite' oder der ,Mitläuferseite' erfährt. Ich habe also schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, in diese Richtung zu arbeiten. Kurzfristig war dann der Auslöser für den Film die Ankündigung, daß die ,Wehrmachtsausstellung' nach Wien kommen würde. Ich entschloß mich spontan zu drehen, ohne Geld und auf Hi-8. Glücklicherweise habe ich dann Peter Roehsler gefunden, den Kameramann, der sich auf die Sache eingelassen hat. (...)
C.W.: Die Entscheidung, den Film zu machen, ist spontan gefällt worden - wie hast Du Dich konkret vorbereitet auf die Dreharbeiten? Gab es ein Drehkonzept?
R.B.: Ich ging davon aus, daß ehemalige Wehrmachts-Soldaten zur Ausstellung kommen würden. Ich hatte die Ausstellung vorher gesehen und viele Bücher zum Thema gelesen. Mir war aber von vornherein klar, daß ich niemals eine Militärfachfrau werden würde - und auch nicht werden wollte, weil ich mich auf diese Form der Argumentation, auf die übliche Taktik der ehemaligen Frontsoldaten, wo man wann nichts gesehen haben konnte, einlassen wollte. Ich wußte, daß die Ausstellung ein idealer Hintergrund für den Film sein würde, ein öffentlicher Ort, an dem mittels Photos und anderem zeitgeschichtlichem Material die Verbrechen der Wehrmacht an der Ostfront dokumentiert waren.
Was die Vorbereitung der Gesprächssituationen betrifft: Es ist natürlich sehr schwierig, Menschen zu filmen, zu denen man eine gewisse Distanz hat - aber trotzdem diese Komplizenschaft eingehen muß, die Filmen ja bedeutet. Ob man will oder nicht, man tritt in ein enges Verhältnis mit den Menschen vor der Kamera, wenn auch nur für kurze Zeit. Natürlich hatte ich aber zu ihnen ein ganz anderes Verhältnis als zu Franz West oder den Menschen, die ich in Rumänien gefilmt habe. Ich mußte mir also die Frage stellen: Wie filme ich diese Menschen, ohne sie zu denunzieren und ohne mit ihnen in eine falsche, verlogene Komplizenschaft zu treten? Dies waren die Fragen, die ich mir permanent gestellt habe. Und es ist kein Zufall, daß ich noch nie während eines Drehs solche Alpträume hatte: Fünf Wochen lang täglich an diesen Ort zu fahren, in eine Atmosphäre, die natürlich passend war für den Film, die kahlen Räume, das Neonlicht, die weißgekachelten Wände, täglich inmitten dieser Photos zu sein, das war nicht leicht zu ertragen.
C.W.: Der Film ist im wesentlichen auf Gespräche und Beobachtungen reduziert - wie hat die Arbeit vor Ort ausgesehen, und wie sind die Begegnungen mit den Besuchern der Ausstellung verlaufen?
R.B.: Wir haben insgesamt mehr als zweihundert Interviews geführt; zum Schluß hatte ich sechsundvierzig Stunden gefilmtes Material. (...) Wenn zur Sache gesprochen wurde, habe ich so wenig wie möglich interveniert. Aber natürlich mußte ich viele immer wieder zum Thema zurückbringen, denn meistens wurde versucht, von der Kriegsgefangenschaft zu erzählen, vom eigenen Opfertum etc.
Es gab keine Vorgespräche mit den Interviewten, das heißt, ich wußte vorher nie, wo jemand während des Krieges war. Wir sind einfach in der Ausstellung herumgegangen, haben geschaut, wer vom Alter her paßte, und ihn dann angesprochen. Wenn jemand nicht im Krieg war, habe ich das meist gleich abgebrochen. Später habe ich dann auch Interviews mit jüngeren Leuten gemacht oder Leuten, die zu Hause geblieben sind - um das Spektrum zu erweitern. Je länger wir drehten, umso spannender wurde es für uns, weil nach und nach klar wurde, wieviele verschiedene Biographien an diesem einen Ort zusammenkamen. (...)
C.W.: Wo siehst du den wesentlichen Unterschied zwischen den Intentionen der Ausstellung und denen Deines Films?
R.B.: (...) Der wichtigste Unterschied zwischen Ausstellung und Film ist, daß der Film nicht unbedingt von der Kriegszeit handelt, obwohl er das natürlich ganz explizit tut. Implizit geht es doch viel eher um die Menschen, die dieses Land in den letzten 50 Jahren, die Zweite Republik, gestaltet haben. Die aus dem Krieg zurückgekommen sind und um die sich niemand gekümmert hat. Die man zwar medizinisch versorgt, aber sonst nur umworben und oberflächlich umerzogen hat. Sie kamen zurück und haben Wiederaufbau geleistet und Familien gegründet. Interessant war für mich zu überlegen: Was haben sie ihren Kindern mitgegeben? Im Film findet eine Frau, die mit einem Offizier diskutiert, dafür einen schönen Ausdruck, wenn sie in diesem Zusammenhang das Wort ,Herzensbildung' verwendet. Das sagt sehr viel.
C.W.: Hat sich mit der Arbeit am Film Deine Perspektive auf die Beteiligten des Krieges und die Beteiligten der Verbrechen an der Ostfront verändert?
R.B.: Es klingt so banal, aber ich habe wirklich sehr viel über die Menschen gelernt. Das Spannende ist ja, daß man es dem einzelnen nicht ansieht, wie er denkt. (...) Und daß es ganz verschiedene Karrieren gab unter den Soldaten, daß aber die meisten zu den Mitläufern gehört haben, zu den Opportunisten. Und die sind ja so jämmerlich - die damals eins auf den Deckel bekommen haben und seither nur noch kleintreten. Während jene, die noch immer die gleiche Haltung haben wie damals, die wirklichen Nazis, die sind ja in einem gewissen Sinne authentisch, weil sie etwas zu vertreten haben. Und dann gibt es die wenigen, die wirklich reflektiert haben, die das nicht irgendwo abgelegt, sondern sich damit auseinandergesetzt haben.
Was mir oft aufgefallen ist - und mich im Zusammenhang mit der Goldhagen-Debatte und der Frage, die dabei immer im Raum steht: warum waren es die Deutschen und die Österreicher? - was mich immer wieder beschäftig hat, war dieser Mangel an Empathie, an der Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Es gibt nur wenige, auch im Film, die sich fragen, wie es eigentlich den Polen, den Russen und den Juden gegangen ist, die diesen Sprung schaffen, den ja auch der Waldheim nie geschafft hat, mit diesem Mangel an Herzensbildung. (...)
C.W.: Es gibt im Film keine zentralen Protagonisten: Du hast bewußt keine einzelnen Figuren hervorgehoben, sondern läßt den Film als polyphone Erzählung wirken. Steckt dahinter die Idee, daß du eine Art kollektives Bewußtsein sprechen lassen wolltest?
R.B.: Die Konzeption, an einem öffentlichen Ort zu drehen, war ja bereits eine Entscheidung gegen Einzelporträts. Die einzig mögliche Form dieses Films war für mich die einer Serie, einer Anhörung. Ich habe den Film immer als eine Serie von Berichten gesehen, als eine Folge von Auf- und Abtritten. Es gab einige ehemalige Soldaten, die uns zu sich nach Hause eingeladen haben, um in ihren Wohnungen weiterzusprechen, ihre Fotoalben zu zeigen. Ich habe das aber nicht gemacht, denn es ging mir ja nicht um den einzelnen, was für ein Mensch ist das, sondern es ging mir um die Struktur, um die Menge von Menschen mit all ihren Widersprüchen, die in dieser Organisation waren und sich in den Rahmen dieser Organisation, der Wehrmacht, eingefügt haben.
Ich glaube, daß es falsch ist, den Nationalsozialismus lediglich vom Individuum her begreifen zu wollen. Es ist unmöglich, die Geschichte der Deutschen und der Österreicher während des Dritten Reichs als individuelle Schicksale zu beschreiben. Man kann dies mit den Opfern machen, mit den Emigranten, mit den Juden, weil diese ja gezwungen waren, sich aus dem System hinauszubewegen oder daran zugrunde gegangen sind. (...) Mir ging es darum zu zeigen, was innerhalb der vom Nationalsozialismus gesteckten Grenzen oder der Grenzen der Wehrmacht möglich war. Denn es wäre falsch zu sagen, alle waren gleich. Es haben sich zwar alle im System befunden, aber da drinnen waren natürlich individuelle Verhaltensweisen möglich, sonst hätte das System ja nicht funktioniert. (...)
(Das Gespräch führte Constantin Wulff)
(...) Wir hatten einen Nerv getroffen, an einem gesellschaftlichen Tabu gerührt. Erstmals wurde eine breitere Öffentlichkeit damit konfrontiert, daß die nationalsozialistische Vernichtungspolititk gegen Juden, Sinti und Roma und die radikale Dezimierung der äslawischen Untermenschen" nicht klammheimlich von äSonderorganisationen" wie der SS oder den Einsatzgruppen vollzogen wurde, sondern ein Gesamtprojekt gewesen ist, an dem alle gesellschaftlichen Institutionen - auch die Wehrmacht - aktiv teilgenommen haben. Die Ausstellung zeigt, daß es sich bei den Verbrechen der Wehrmacht im Osten und Südosten Europas nicht um einzelne Exzeßtaten handelte, sondern um geplante und systematisch umgesetzte Kriegsziele - sie waren spätestens ab 1941 Teil des Kriegsalltags, und sie wurden von Soldaten ausgeführt, die aus der Mitte der Gesellschaft kamen - von ganz normalen Männern. Nach 1945 wurde in den Nachfolgestaaten des Großdeutschen Reiches diese Tatsache ausgeblendet und an der Legende von der ,sauberen' Wehrmacht gestrickt. Die Verleugnung war hermetisch: Niemand hatte Interesse daran, die Wahrheit zu thematisieren. Entsprechend sind auch die Reaktionen auf die Ausstellung in Österreich.
Ruth Beckermann und ihr Kameramann Peter Roehsler haben die ganze Bandbreite an Reaktionen in Wien festgehalten. Fünf Wochen lang waren sie nahezu täglich mit der Kamera in der Ausstellung, um oft stundenlange Interviews mit den Besuchern zu führen. Als Produkt dieser physisch und psychisch extrem belastenden Dreharbeit ist ein Film entstanden, der eindrucksvoll den unterschiedlichen Umgang der Besucher mit den Inhalten der Ausstellung dokumentiert: Von aggressiver Leugnung der Verbrechen über gepanzerte Abwehr bis hin zum kathartischen Durcharbeiten des Gesehenen und Geschehenen reicht die Palette an emotionalen Reaktionen. Beckermanns Film macht bildlich und begreiflich, warum diese Ausstellung so heftige Diskussionen auslöst: Es ist Vergangenes, das nicht vergehen will.
(Dr. Walter Manoschek ist Universitäts-Assistent am Institut für Staats- und Politikwissenschaft an der Universität Wien, Projektleiter der Ausstellung ,Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944' in Österreich.)
(...) In der Ausstellung ,Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944', die im Frühjahr vergangenen Jahres in Hamburg erstmals zu sehen war, wird der Blutspur der deutschen Truppen, vor allem im Osten und Südosten Europas, nachgegangen. Die Dokumentation, die von vornherein als Wanderausstellung konzipiert war, hat im In- und Ausland ein enormes Echo ausgelöst. Und so wurde sie im Anschluß an die Premiere in Hamburg inzwischen in dreizehn weiteren deutschen und österreichischen Städten gezeigt und von über hunderttausend Menschen besucht: Bis Jahresende ist sie in der Hochschule für Gestaltung in Linz zu sehen. Auch für 1997 liegen dem veranstaltenden Hamburger Institut für Sozialforschung zahlreiche Einladungen vor. So kann die Dokumentation vom 10. Januar bis zum 16. Februar im Badischen Kunstverein in Karlsruhe, vom 24. Februar bis zum 6. April im Münchner Rathaus, vom 11. April bis zum 22. Mai in der Frankfurter Paulskirche und vom 28. Mai bis zum 3. Juli im Bremer Rathaus besichtigt werden.
Als die Ausstellung in Wien gezeigt wurde, hat die österreichische Autorin und Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann einen Film gedreht, hat Besucher, darunter auch ehemalige Soldaten, nach der Besichtigung vor ihre Kamera gebeten. Das Ergebnis, gerade ausgezeichnet mit dem Filmpreis der Viennale, ist eine nüchterne Studie über die Macht der Erinnerung und die Kraft der Verdrängung. B.E., in: Die Zeit, Hamburg, 22. November 1996
Ruth Beckermann wurde in Wien geboren; sie ist Autorin und Filmschaffende. Von ihr stammen u.a. folgende Publikationen: ,Die Mazzesinsel' (1984), ,Unzugehörig' (1989), ,Ohne Untertitel. Fragmente einer Geschichte des österreichischen Kinos.' (Hg. gem. mit Christa Blümlinger, 1996)
1984: Wien retour. 1987. Die Papierene Brücke. 1990: Nach Jerusalem (Forum 1991). 1996: JENSEITS DES KRIEGES.
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