Deutschland 1997 Regie: Mariola Brillowska , Charles Kisssing |
100 min., 35mm, 1:1.66, Farbe, WP
Produktion: Interpol Studios, Hamburg. Buch: Mariola Brillowska, Charles Kissing. Kamera: Jenni Tietze, Eric Schmidt. Hauptzeichner: Mariola Brillowski. Musik: Felix Knoth. Ton: Charles Kissing. Ausstattung, Schnitt: Mariola Brillowska. Sprecher: Marko Lakobrija, Max Goldt, Ditterich von Euler-Donnersperg, Gerd Stein, Gabrielle Leidloff. Uraufführung: 27. Internationales Forum des Jungen Films Weltvertrieb: Interpol Studios, Mariola Brillowska/Charles Kissing, Ifflandstr. 69, 22087 Hamburg. Tel.: (49-40) 227 8662. |
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Sa 15.02. 18:30 Kino 7 im Zoo Palast Sa 15.02. 00:15 Delphi So 16.02. 15:00 Arsenal |
Mit dem Untergang der Kunst will sich aber die Galeristenmafia nicht geschlagen geben. Sie inszeniert die letzte Kunstausstellung der Welt, eine Retrospektive der Werke des vierundfünfzigjährigen Bildhauers F.C. Hansel in den Hamburger Deichtorhallen, die über Nacht ausgeraubt wird. So taucht das bereits tabuisierte Thema der Kunst wieder in den Medien auf. Man spricht von Kunst wie von einer neuen Mode für eine Jugend, die ihre Ideale verloren hat; dieser Jugend sollen die im Grunde überholten Formen der Kunst nahegebracht werden, was wiederum Geld für die leeren Portemonnaies der arbeitslosen Kunstprofessoren, Museumsdirektoren und Galeristen bedeutet. Gleichzeitig läßt der Raub der Werke F.C. Hansels den Wert des Künstlers um das Zehnfache ansteigen. So wird er auf einmal zum teuersten Künstler der Welt, und der Raub zum größten aller Epochen stilisiert. Die Versicherung der Deichtorhallen setzt horrendes Kopfgeld auf die Diebe aus. Außerdem beauftragt sie zwei der besten Agenten von Interpol, den Diebstahl zu klären. Dafür sollen sie sich als Künstler in die Szene einklinken. Sie heißen Katharina und Witt.
KATHARINA & WITT, FICTION & REALITY, der erste abendfüllende Zeichentrickfilm der Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten Mariola Brillowska und Charles Kissing, wurde in ihrem Hamburger Trickfilmstudio in über fünf Jahren hergestellt. Getarnt als Abenteuer und Romanze zweier Interpol-Agenten, die den größten Kunstdiebstahl aller Zeiten aufklären sollen, entlarvt der Film den gegenwärtigen Kunstbetrieb als ein tumorartiges Gebilde im Bauch der zu Grunde gehenden Kultur.
KATHARINA & WITT, FICTION & REALITY ist die Umsetzung Mariola Brillowskas und Charles Kissings jahrelanger Erfahrung, die sie als Maler im Kunstbetrieb gesammelt haben. Der Film verrät die nackte Wahrheit aus erster Hand. Im Kampf gegen die häßlichen Verfilzungen in der Welt der schönen Künste starten die Regisseure die Offensive, um Wichtigtuer, Funktionäre und einige Professoren an den Kunstakademien, in Galerien und ähnlichen Institutionen lächerlich zu machen.
Wie schon Tama Janowitz, die in ihrem Roman ,Die Großstadtsklaven' humorvoll erkannte, daß sich in der Kulturmetropole New York die meisten Copyshopmitarbeiter für Schriftsteller, Kellner für Schauspieler, Ausstellungshelfer für Maler und Taxifahrer für Photographen halten, so amüsieren sich auch Mariola Brillowska und Charles Kissing in ihrem Film insbesondere über den naiven Satz von Joseph Beuys: "Jeder ist ein Künstler".
Der ästhetisch an die Subkultur angelehnte Zeichentrickfilm ist scheinbar ein böses Märchen für erwachsene Kinder, die schon immer davon geträumt haben, Künstler oder Agenten zu werden. Im Spiel mit jenem aus der Literatur- und Filmgeschichte bekannten Kult der Berufe verläßt der Film die Ebene der Erzählung. Die unberechenbare Agentin Katharina nimmt spiritistische Verbindungen zu verstorbenen Meistern aus der Kunstgeschichte auf. In poetischen Versen kommuniziert sie mit dem fiktiven Jenseits, während ihr Partner Witt sich mit der harten Realität befaßt, indem er sich als Puffbesitzer ausgibt oder sich als Künstler selber fälschen läßt.
Eine Identifikation mit den Protagonisten ist nicht möglich, da sie in ihrer Sprache kein Blatt vor den Mund nehmen, um sich beim Zuschauer einzuschmeicheln. Die Handlung selbst ist eine humoristische Befürwortung bekannter Spielfilmplots des Sex and Crime-Genres, allerdings mit unerwarteten Abweichungen von der bereits langweilenden herkömmlichen Dramaturgie im Kino.
Gleichzeitig ist sie auch eine Verführung zur narrativen Welt, die aber die Filmbilder nicht illustriert. Sie überlistet die Handlung, indem sie ihr zuvorkommt, nacheifert, entflieht. Damit wird der Verstand an die Grenzen der Logik geführt, wo er entweder genüßlich verharren oder verzweifelt kollaborieren kann. Statt linearer Erzähltechnik variiert der Film eine suggestive Sprache: munter und unbefugt wandert er in den Höhen der Assoziationen und Anekdoten.
Den extrem reduzierten, schablonenartigen Figuren, deren sprunghafte Gestik, Animationsart und Farbgebung aus früheren Kurzfilmen Mariola Brillowskas und Charles Kissings als Markenzeichen bekannt sind, bleibt nichts anderes übrig, als sich in der Welt der vorgefertigten Charakter- und Zeichentrickfilmklischees individualistisch durchzukämpfen.
Im wilden szenischen Wechsel von Rationalität zu Irrationalität, von Fiktion zur Realität, wachsamer Wahrnehmung zu surrealen Traumzuständen werden in KATHARINA & WITT, FICTION & REALITY die Möglichkeiten des Zeichentrickfilms exzessiv ausgeschöpft.
Mariola Brillowska (1961 in Sopot/Danzig, Polen geboren) und Charles Kissing (1947 in Gütersloh, Deutschland geboren) studierten in den achtziger Jahren Freie Kunst an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Seit ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung im Jahr 1985 arbeiten Mariola Brillowska und Charles Kissing zusammen im Bereich Malerei, Installation und Zeichentrickfilm.
Sie stellten bereits im Kunstmuseum Malmö in Schweden, in den Staatlichen Kunstgalerien Lodz und Czestochowa in Polen, sowie im Kunsthaus, Künstlerhaus und in der Internationalen Kulturfabrik Kampnagel/K 3 in Hamburg aus. Für ihre Arbeit erhielten sie Arbeitsstipendien des Hamburger Senats und des Kunstfonds Bonn. Seit 1991 ist Mariola Brillowska Dozentin und Gastprofessorin an den Kunsthochschulen in Hamburg und Offenbach.
1990: Grabowski, Haus des Lebens. 1992: Der Mann geht in den Krieg. 1993: Eryk im Sexil. 1994: Fifi; Visa Vú. 1995: Man Comes Home; Man in Action. 1996: Flash Fairy. 1997: Der falsche Spieler; Die Contr-Contras; KATHARINA & WITT, FICTION & REALITY.
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