(Ein kurzer Arbeitstag (Blick aus dem Fenster)) Polen 1981/96 Regie: Krzysztof Kieslowski |
73 min., 35mm, 1:1.37, Farbe
Produktion: Filmgruppe ,TOR' für das polnische Fernsehen, PolTel. Buch: Hanna Krall. Kamera: Krzysztof Pakulski. Ausstattung: Rafal Waltenberger. Musik: Jan Kanty Pawluskiewicz. Ton: Michal Zarnecki. Schnitt: Elzbieta Kurkowska. Darsteller: Waclaw Ulewicz (Parteisekretär), Lech Grzmocinski, Tadeusz Bartosik, Elzbieta Kijowska, Marek Kepinski, Pawel Nowisz, Barbara Dziekan, Marian Gancza u.a. Uraufführung: 26. Juni 1996, Telewizja Polska, S.A. Weltvertrieb: Telewizja Polska S.A., 17 Woronicza Str. 00-999 Warschau, Polen P-35, Tel.: (48-22) 6478189, Fax: (48-22) 440206 |
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Fr 14.02. 12:30 Arsenal Sa 15.02. 12:00 Akademie der Künste |
Der Film rekonstruiert das Schicksal eines polnischen Parteisekretärs und seine Laufbahn während der politischen Krisenjahre von 1968 bis 1981.
März 1968: Studentenunruhen in Polen. Der Sekretär verurteilt im üblichen Parteijargon die Studentenbewegung.
1975: Der Sekretär wird zum Ersten Parteisekretär der Wojewodschaft von Radom nominiert.
1981: Die Gewerkschaft ,Solidarnosz', seit einem Jahr legale Regierungsopposition, verlangt vom Sekretär eine Erklärung zu den gewalttätigen Ereignissen in Radom 1976. Er gibt eine öffentliche Erklärung im Fernsehen ab, die er mit folgenden Worten beginnt: "Es war am sonnigen Morgen des 25. Juni 1976..."
(...) Ministerpräsident Jaroszewicz hat drastische Preiserhöhungen für Lebensmittel angekündigt. Im Parteigebäude von Radom stehen die Telephone auf dem Schreibtisch des Sekretärs nicht still: In einigen Betrieben seien die Arbeiter in Streik getreten, in den Fabriken halten Arbeiter Protestversammlungen ab, Arbeiter seien auf die Straße gegangen, verlangen in Sprechchören die Aufhebung der Preiserhöhungen, eine Menschenmenge sei im Anmarsch auf das Parteigebäude...
Das Gebäude des Parteikomitees ist umstellt. Sprechchöre. Der Sekretär fühlt sich noch Herr der Lage, delegiert einen seiner ,Apparatschiks', um die Demonstranten zur Ordnung zu rufen. Dieser tritt im alten Parteistil den Arbeitern entgegen, schreit sie an, droht. Er wird verprügelt. Nun muß der Sekretär das Gesicht wahren und selbst vor die Arbeiter treten.
Er verspricht, ihre Forderungen per Telephon dem Zentralkomitee in Warschau zu übermitteln. Die Arbeiter trauen ihm nicht und schicken drei von ihnen zur Beobachtung mit.
Das ZK nimmt seine Mitteilung mit Staunen entgegen. Der Sekretär legt auf. Er hat sein Versprechen gehalten. Die Arbeiter gehen aber nicht auseinander. Sie wollen eine Antwort. Der Sekretär verspricht, sie ihnen in zwei Stunden zu geben.
Unter des Eskorte seines Freundes, eines in Zivil gekleideten Polizeioffiziers, der sich als Vertreter der Sicherheitsorgane abwartend verhält und über der Situation steht, verläßt der Sekretär schließlich das Parteigebäude - durch eine Hintertür. Eine Ambulanz wartet schon auf ihn. Er kann ungehindert passieren und die Stadt Radom verlassen.
Der Bericht des Sekretärs wird mit kurzen Szenen verwoben, die über die den Arbeitern gemachten Prozesse berichten und über die Aktionen der Sicherheitsorgane, die mit Knüppeln auf Arbeiter losgingen; über Hilfeleistungen an Familien der Verfolgten, in Haft gehaltene Arbeiter, über die gewalttätige Politik von Gierek gegen die Streikenden von Radom und schließlich über die Zulassung von ,Solidarnosz' 1980, mit Lech Walesa an der Spitze.
Zurück ins Jahr 1981: Der Sekretär beendet seinen Bericht. Er hat sich nichts vorzuwerfen. Er ist überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Er weist die Vorwürfe von ,Solidarnosz' zurück, denn er hat ja saubere Hände...
Krzysztof Kieslowski hat diesen Film ein paar Monate vor Ausrufung des Kriegszustandes 1981 in Polen gedreht. Der Film ist bisher noch nirgends - auch nicht in Polen - gezeigt worden.
In allen seinen Filmen war Kieslowski ein Chronist seiner Zeit, in der seine Filme spielten; seine Helden waren Produkt dieser Zeit. Bereits in seinen Kurzfilmen wie Fabrik, Spital, Das Amt u.a. war Kieslowski ein wacher Beobachter des Verhaltens von Prototypen der in Polen praktizierten gesellschaftlichen und politischen Erziehung. Dieser Faden zieht sich auch durch alle seine Spielfilme und ist vielleicht besonders stark ausgeprägt im Dekalog und in der Beobachtung von Menschen, die er als Vertreter oder Opfer gesellschaftlicher und moralischer Strukturen zeichnete.
In WIDOK Z OKNA / KRÓTKI DZIEN PRACY beobachtet Kieslowski eine Person, die ein Produkt ihrer Zeit und ein Prototyp des politischen Regierungsbeamten ist: den KP-Sekretär der Stadt Radom.
Kieslowski beobachtet ihn mit einem distanzierten Blick durch die ,Glasscheibe' der Kamera und läßt ihn nach und nach die Hüllen seiner äußeren Stärke abwerfen. Dieser Mann, dessen Name im Film kein einziges Mal genannt wird, ist der Prototyp eines politischen Regierungsbeamten, weil er sich in der ihm verliehenen Position stark fühlt und gleichzeitig Angst hat, diese Macht zu verlieren. Er ist weder heldenhaft mutig noch feige. Er ist nicht besonders klug, aber auch nicht dumm. Er arbeitet, handelt und denkt nach erlernten Kriterien. Er ist ein Produkt einer Zeitpolitik und durchaus imstande, seine Ansichten einer anderen Zeitpolitik anzupassen. Er ist weder abstoßend noch besonders sympathisch. Er ist ein Mensch wie viele andere.
Kieslowski gab dem Film den Arbeitstitel Widok z okna (Blick aus dem Fenster). Es ist ein treffender Titel, denn er beinhaltet die ganze Situation des KP-Sekretärs, der einen Rundblick auf ,seine' Stadt durch die Scheiben seiner Bürofenster hat, Fenster, die ihn gleichzeitig einzwängen, vergleichbar mit dem Aquarium, in dem er Goldfische hält.
Es ist verständlich, daß der Film während des Kriegszustandes in Polen auf die Verbotsliste kam, denn er ist ein Stück Zeitgeschichte. Kieslowski ließ im Vorspann schreiben, daß der Film auf authentischen Ereignissen beruhe, die Personen aber fiktiv seien. In Wahrheit hatte Kieslowski lange Zeit recherchiert, bevor er 1981 diesen Film drehte. Dieser namentlich nicht erwähnte Parteisekretär existierte wirklich und ist möglichwerweise heute noch in irgendeiner Funktion tätig.
Während der Regierungsära von Walesa hätte der Film auch keinen besonderen Zuspruch gefunden. Die Zentralfigur ist nicht negativ genug gezeichnet.
Kieslowski selbst war nicht sonderlich daran gelegen, daß der Film aufgeführt wird. Er hatte einen Höhepunkt seines Filmschaffens erreicht und war mehr an tieferer Problematik interessiert als an einem Chronikfragment vergangener Zeiten. Vielleicht wollte er auch Diskussionen vermeiden, die dieser Film in Polen sicherlich ausgelöst hätte, denn der von der Weltpresse als Vorbote notierte und folgenschwer niedergeschlagene Aufstand des 25. Juni 1976 liegt erst zwanzig Jahre zurück.
Tatsache ist, daß Kieslowski mit viel Mut ein Zeitdokument geschaffen hat, in welchem er sich nicht nur als Chronist bewährt, sondern auch als Humanist, der die Vielschichtigkeit der menschlichen Psyche erkennt und akzeptiert. (Elisabeth Scotti)
Krzysztof Kieslowski wurde am 27. Juni 1941 in Warschau geboren. Er absolvierte 1969 die Polnische Film- und Theaterhochschule (PWSTiF) in Lódz. Bereits als Student drehte er Dokumentarfilme für das polnische Fernsehen. Nach Beendigung des Studiums ging er als Regisseur zum Dokumentarfilmstudio Warschau, in dessen Studios er seine Spielfilme drehte. Von 1979 bis 1982 arbeitete er als Dozent an der Fakultät für Radio und Fernsehen der Schlesischen Universität in Katowice. Von 1978 bis 1981 war er Vizepräsident des Polnischen Filmverbandes. Kieslowski erhielt 1975 den Preis des Vorsitzenden des Komitees für Radio und Fernsehen, 1976 den ,Don Quichotte'-Preis des Präsidiums der Polnischen Filmclub-Vereinigung für sein Gesamtschaffen, 1977 wurde er in einer Umfrage der Zeitung ,Sztandar Mlodych' zu den zwanzig bedeutendsten Polen gerechnet. 1981 erhielt er ein Diplom des Polnischen Außenministeriums für seine Verdienste um die polnische Kultur im Ausland. 1988 wurde er für Krótki film o zabijaniu (Kurzer Film über das Töten) mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Krzysztof Kieslowski starb am 13.3.1996 in Warschau.
1967: Urzad (Das Amt), Hochschulfilm. 1968: Zdjecie (Die Filmaufnahme). 1969: Z miasta Lodzi (Aus der Stadt Lodz).1970: Bylem zolnierem (Ich war Soldat); Przed rajdem (Vor dem Rennen); Fabryka (Die Fabrik). 1971: Gospodarze (Die Herren), Co-Regie. 1972: Miedzy Wroclawiem a Zielona Góra (Zwischen Wroclaw und Zielona Góra); Podstawy BHP w kopalni miedzi (Die Hygiene- und Arbeitsschutzbasis in einer Kupfermine); Refren (Der Refrain); Robotnicy 71 - nic o nas bez nas (Arbeiter 71 - Nichts über uns ohne uns), 2. Fassung von Gospodarze (Die Herren). 1973: Murarz (Die Maurer); Dziecko (Das Kind); Przeswietenie (Durchleuchtung). 1974: Pierwsza milósc (Die erste Liebe); Przejscie podziemne (unterirdischer Durchgang). 1975: Zyciorys (Lebensbeschreibung); Personel (Personal). 1976: Klaps (Der Klaps); Szpital (Das Krankenhaus); Spokój (Die Ruhe, Forum 1981); BLizna (Die Narbe, Forum 1978). 1977: Nie wiem (Ich weiß nicht); Z punktu widzenia nocnego portiera (Aus der Sicht eines Nachtwächters). 1978: Siedem kobiet w róznym wieku (Sieben Frauen unterschiedlichenAlters). 1979: Amator (Der Amateur, Forum 1980). 1980: Dworzec (Der Bahnhof); Gadajace glowy (Redende Köpfe). 1981: Przypadek (Der Zufall). 1982: KROTKI DZIEN PRACY (Ein kurzer Arbeitstag). 1985: Bez konca (Ohne Ende).1988: Krótki film o zabijaniu (Kurzer Film über das Töten); Krótki film o milosci (Kurzer Film über die Liebe, Forum 1989); Dekalog. 1991: La double vie de Véronique (Die zwei Leben der Veronika). 1993: Trois couleurs: bleue (Die drei Farben: blau); Trois couleurs: blanc (Die drei Farben: weiß). 1994: Trois couleurs: rouge (Die drei Farben: rot).
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