(Der schlafende Mann) Japan 1996 Regie: Kohei Oguri |
103 min., 35mm, 1:1.66, Farbe
Produktion: Space Co. Ltd. Buch: Kohei Oguri, Kiyoshi Kenmochi. Kamera: Kiyoshi Kenmochi. Ausstattung: Yoshinaga Yokoo. Musik: Toshio Hosokawa; Orchester: Gunma Symphony Orchestra unter der Leitung von Ken Takazeki. Ton: Soichi Inoue. Special Effects: Art Durinsky. Schnitt: Nobuo Ogawa. Produzenten: Munashi Masuzawa, Hiroshi Fuji-kura, Hiroyuki Kodera. Darsteller: Sung-ki Ahn (Takuji, der schlafende Mann), Christine Hakim (Tia, Barfrau aus Südostasien), Koji Yakusho (Kamimura, Takujis Jugendfreund), Masaso Imafuku (Kiyoji, Takujis Vater), Masako Yagi (Omani, Besitzer des Fahrradparks), Fumiyo Kohinata (Wataru, geistig behinderter junger Mann), Takahiro Tamura (Denji-bei, alter Mann an der Wassermühle). Uraufführung: 3. Februar 1996, Tokyo. Weltvertrieb: Gold View Co. Ltd. 1-17-3 #306 Fujimidai Nerima-Ku Tokyo 177. Tel: (81-3) 3825 8612, Fax: (81-3) 3825 8611. |
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Fr 14.02. 19:00 Babylon Mo 17.02. 16:00 Kino 7 im Zoo Palast Mo 17.02. 19:00 Delphi Di 18.02. 10:00 Arsenal Mi 19.02. 12:00 Akademie der Künste |
Mehrere Frauen aus Südostasien arbeiten in einer Bar. Eine davon ist Tia, deren Sohn bei einer durch Rodung verursachten Flutkatastrophe ums Leben kam.
Kamimura ist Takujis Schulfreund. Während eines Besuches bei dem Schlafenden erinnert er sich an die gemeinsamen Spiele in der Kinderzeit und an die Besuche in einer tief im Wald versteckten Hütte. Die Jahreszeiten lösen einander ab, und die Dorfbewohner lernen Tia kennen. Sie erfährt von Takuji. Im Sommer ändert sich Takujis Zustand. Seine Familie und einige Dorfbewohner versammeln sich um ihn. Seine Mutter bemerkt einen Wirbelwind und erklärt, daß Takujis Seele seinen Körper verlassen hat. Sie versuchen, seine Seele zurückzurufen, jedoch ohne Erfolg. Takuji ist tot. Nach der Aufführung eines Nô-Theaterstücks geht Tia alleine in den Wald. Sie verbringt eine Nacht in der unbewohnten Hütte. In der Zwischenzeit betrachtet Kamimura den Vollmond und fühlt, daß Takuji in die Berge zurückgekehrt ist.
Bei Sonnenaufgang geht Kamimura in die Berge, zur Hütte. Dort findet er Tia, und sie hören Wasser in dem Brunnen, der angeblich schon lange versiegt ist.
Anläßlich der Überschreitung der Zwei-Millionen-Einwohner-Grenze erhielt Oguri von der japanischen Gunma-Präfektur den Auftrag zu diesem Film. Es ist das erste Mal, daß eine regionale Regierung in Japan ein Spielfilmprojekt unterstützt. In Hitosuji, einem fiktiven Dorf auf dem Land, das in ganz Japan liegen könnte, nimmt das tägliche Leben seinen normalen Lauf, und zwar um einen Mann herum, der nichts anderes tut als zu schlafen. Es gibt Berge, Wälder, Flüsse, Felder; die Jahreszeiten wechseln einander ab, aber das Leben, der Tod, die Menschheit und die Natur werden als Einheit dargestellt, nicht wie sonst als gegensätzliche Pole.
NEMURU OTOKO basiert auf der traditionellen japanischen Einstellung zur Natur, zum Leben, zum Tod. Das Land ist in diesem Jahrhundert einer radikalen Modernisierung unterzogen worden, außerdem hat seit dem Zweiten Weltkrieg eine starke Orientierung der Japaner in Richtung Europa und Nordamerika stattgefunden. Die Japaner haben allerdings einen hohen Preis dafür bezahlt, denn sie haben ihr ,Innenleben' verloren, ohne das sie nun die Zukunft meistern müssen. In diesem Film versucht Oguri, das verlorene Leben nachzuzeichnen. Als Oguri die Filmrollen besetzte, erfüllte er sich den langgehegten Traum, die nationalen Grenzen Asiens zu überschreiten.
Takuji, der schlafende Japaner, wird von dem koreanischen Schauspieler Sung-ki Ahn gespielt. Tia, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Japan gekommen ist, wird von einer indonesischen Schauspielerin gespielt, Christine Hakim, dem Star des Films Tjoet Nja' Dhien. Koji Yakusho, der den Elektriker Kamimura spielt - Takujis Freund -, ist ein in der japanischen Filmindustrie sehr bekannter Schauspieler. In der Nô-Szene des Films erscheinen Tessenkai und Akio Kanze, die beide auf diesem Gebiet sehr bekannt sind.
Endlich gibt es einmal ein Meisterwerk des japanischen Films mit reichem Inhalt und wunderschönen Bildern. (...) Die Natur, der Fluß, die Wälder und die Berge - alles ist in seiner vollen Präsenz dargestellt, im Gegensatz zu den Kleinigkeiten des Alltags.
Der Film betont die natürlichen Kreisläufe und die Verbindung zwischen Mensch und Natur, die durch ein Wiederhinwenden zur Natur auflebt.
In seiner tiefsten Dimension handelt der Film vom Leben und vom Tod. Der schlafende Mann selbst kann nichts anderes als die Seele darstellen, die auf das Panorama von Leben und Tod blickt.
Der Regisseur Oguri hat mit seiner ruhigen Darstellung eines kleinen Dorfs eine Lichtquelle geschaffen, die das Land Japan in seiner Ganzheit beleuchtet. Mit einem präzisen Gefühl für den Zeitgeist betrachtet der Film die Menschheit und die Welt. Er erreicht dies durch seine Bilder und seine Technik. Nicht zu vergessen die Poesie, die durch diese Bilder heraufbeschworen wird, wie auch die Umsicht, mit der die Rollen besetzt wurden. Es ist ein sehr beachtlicher Film, der einen starken, spirituellen Eindruck auf den Zuschauer macht.
(Noboru Akiyama, in: Asahi Shinbun, 1. Februar 1996)
SLEEPING MAN ist ein merkwürdiger Film. Ein Badehaus aus Holz an einer heißen Quelle, eine Mühle mit einem großen Rad, ein winziges Restaurant in der entfernten Ecke eines Parkplatzes für Fahrräder: diese Orte werden gezeigt, ohne daß ein roter Faden sie verbindet. Die Protagonisten sprechen über Dinge, die ebenfalls nichts miteinander zu tun haben. Die Barsängerin Tia, die ,Frau von der südlichen Insel', singt gerade ein Karaoke-Lied in einer Bar, wo sie arbeitet, als der Strom ausgeht. Ein paar Tage später kommt der Elektriker Kamimura, um Reparaturen vorzunehmen. Doch das Gespräch zwischen ihnen hat keine Bedeutung. Und Takuji, der ,schlafende Mann', ist von einem Berg gestürzt, bevor der Film beginnt, und ist seitdem bewußtlos.
"Manche Leute, die den Film gesehen haben - nicht viele, aber doch manche - können damit nichts anfangen," sagt der Regisseur Kohei Oguri. "Ich wußte natürlich, daß der Film Elemente enthält, die Verwirrung stiften. Die meisten Filme versteht man durch den Dialog, daran sind die Zuschauer gewöhnt."
Aber er sagt, daß die Kommunikation im wirklichen Leben nicht immer aufhört, wenn der Dialog zu Ende ist. Wenn man sich in die weiten, offenen Räume der Wälder und Flüsse begibt, hört auch die dominierende Kraft des Gesprächs auf. "Ich glaube nicht, daß unser Einfühlungsvermögen nur von menschlichen Einflüssen geprägt wird," sagt er, "wir lernen als Kinder nicht nur das Sprechen, sondern hören auch auf das Geräusch des Wassers, des Windes, und unsere Fähigkeit, die Dinge schätzen zu lernen, entwickelt sich lange, bevor die Bilder überhaupt in Erscheinung treten.
Der Film wurde vor etwa hundert Jahren in Europa geboren und basierte vor allem auf den Traditionen der westlichen Kultur. Er bezog sich auf den modernen Rationalismus und Humanismus, die damals den Zeitgeist bestimmten. Der Film wurde also den menschlichen Verhältnissen entsprechend konzipiert.
Eine Geschichte entwickelte sich mit Hilfe der Dialoge, die zwischen den Protagonisten stattfinden. Oguri zeigt uns nun, daß es für Japan, das ganz andere kulturelle Ursprünge hat, eine andere Vorgehensweise geben könnte. Wenn man sich an andere Filmemacher erinnert, die einen neuen Weg beschreiten wollten, kommen einem die Namen Yasujiro Ozu und Kenji Mizoguchi in den Sinn.
In Ozus Filmen trägt der Dialog die Geschichte, sagt Oguri, doch ergibt sich daraus wenig emotionale Bewegung oder Befreiung. Der Dialog bleibt an der Oberfläche, während die Beteiligten in ihren verschiedenen Welten verharren. Auf diese Weise hat Ozu einen Film nach dem anderen gedreht, eigentlich immer mit derselben Geschichte. Worauf es ankommt, ist die Art der kontemplativen Welt, die erschaffen wird.
Andererseits hat Mizoguchi durch die Kameraarbeit etwas Einzigartiges in Japan erschaffen. Seine Technik - mit einer Drehung der Kamera gleitet der Blick aus einem Haus, in die Landschaft hinein und wieder zurück - wäre europäischen Filmemachern nie in den Sinn gekommen, denn für sie sind Innenraum und Außenraum zwei verschiedene Welten. Oguri erklärt, daß Mizoguchi aufgrund dieser Technik die Gefühle der klassischen japanischen Heldinnen so wunderbar einfangen konnte.
"Ausländische Filmemacher sind durch diesen Stil beeinflußt worden," sagt er. "Man kann das bei Leuten wie dem griechischen Regisseur Theo Angelopoulos beobachten, der mit einem langen Kameraschwenk die Zeit um hundert Jahre verändert. Der Grund, weshalb er Mizoguchis Umgang mit dem Innen- und Außenraum nicht nachahmt, ist durch die moderne griechische Geschichte bedingt. Ich glaube, es ist Aufgabe jedes einzelnen Filmemachers, sich einen Stil zu erarbeiten."
Abgesehen von Ozus und Mizoguchis Suche nach Möglichkeiten, ergibt sich die Frage, wie man unsere Zeit, das Japan des späten 20. Jahrhunderts, darstellen könnte. Oguri ist seinen eigenen Weg gegangen, und das Ergebnis ist NEMURU OTOKO/ SLEEPING MAN, in dem der Dialog in keine bestimmte Richtung fließt, und in dem die Kamera nicht die ,menschliche Perspektive' einnimmt.
"Seit dem Zweiten Weltkrieg sind fünfzig Jahre vergangen," sagt Oguri. "Das Leben hat im letzten Jahrhundert an Geschwindigkeit zugenommen, und die Menschen kommen außer Atem, um Schritt halten zu können. Nach dem Krieg hat Japan der wirtschaftlichen Entwicklung den Vorrang gegeben, um mit anderen Ländern mithalten und die überholen zu können. Jetzt aber scheinen wir wirtschaftlich und politisch einen Status quo erreicht zu haben. Um eine Zeit wie die gegenwärtige darzustellen, kann man nicht mit konventionellen Mitteln arbeiten. Ich weiß nicht, wohin dieser Film führen wird, aber ich glaube, daß er ein erster, wichtiger Schritt ist."
Der Höhepunkt des Films, eine Nô-Theatervorstellung, findet in einem Hain belaubter Bäume statt. Das Stück, in dem die Toten mit den Lebenden sprechen, symbolisiert das asiatische Lebensgefühl für Leben und Tod und ist zugleich einzigartiger Ausdruck japanischen Abstraktionsvermögens und einer Stilisierung, die Teil einer sechshundertjährigen Geschichte ist.
"Man sagt, daß Japaner heutzutage von jedem Gefühl für Leben und Tod abgeschnitten sind, von dem Gefühl für Natur, Elemente, die das Nô geprägt haben, aber das stimmt nicht," sagt er. "Auch wenn Nô vom realen Leben weiter entfernt ist als zum Beispiel der Film, hat es doch seine Daseinsberechtigung."
(In: Sankei Shinbun, 14. Februar 1996, Abendausgabe)
Ich gehöre zu denen, die dem Regisseur Kohei Oguri zu seinem Film NEMURU OTOKO gratulieren wollen, für den er schon mehrfach von Kritikern und Bewunderern gelobt worden ist (...). Der Film zeigt einen Lebensstil, bei dem es nicht auf Wettbewerb und Leistung ankommt, sondern bei dem es nur um das bloße Sein geht, in dem der Wind und die Bäume, das Mondlicht und das Fließen des Wassers Teil eines großen Ganzen sind.
Keiner der Protagonisten im Film ,tut' irgendetwas Außergewöhnliches. Das ,Da-Sein' und die Natur sind hier gleichwertig. Alles, was existiert, ist Teil eines Kreislaufs, der von der Geburt bis zum Tod und wieder zur Geburt geht. Der Mond nimmt zu und ab, als wäre er ein Bild, das das Verhältnis von Leben und Tod widerspiegelt.
(...) Takuji liegt nur still da, ein Lebewesen, das von allem Handeln und jeder Funktion befreit ist. Sein Schulfreund, der Elektriker Kamimura, besucht ihn und erzählt dem schlafenden Takuji, daß äes da einen Mann gab, der mitten auf dem Fluß, einen langen Stab in der Hand, spazierenging... und ich frage mich, ob das nicht wunderbar wäre, so wie er zu sein? So eine Arbeit wäre herrlich, nicht wahr..." In den wenigsten Szenen sitzen sich zwei Menschen gegenüber und reden miteinander. Die Sprechenden sind nebeneinander plaziert, oder in verschiedenen Räumen, und ihre Worte scheinen hinaufzuschweben zu einer Ebene der Stille. Die Lautstärke ihres Sprechens entspricht ihrer Entfernung zur Kamera. Das Tempo ist langsam, nur wenig entfernt von der Dimension des Alltäglichen. Alle diese Elemente zusammen ergeben eine Szene, die Symbolcharakter hat.
Um die Worte der Natur und des Geistes hörbar zu machen, bedurfte es eines Raumes, und es ist darauf geachtet worden, daß weder die Protagonisten noch der Dialog dominierten und die Landschaft und die Stille in den Hintergrund drängten.
Nach Takujis Tod kommt eine Barsängerin namens Tia zu der Freiluftvorstellung des Nô-Theaterstücks ,Matsukaze'; dort fordert sein Geist sie auf, in die Wälder zu gehen, wo ihr daraufhin seine Gestalt erscheint. "Wo komme ich denn hin, wenn ich weiter geradeaus gehe?" fragt sie, und er antwortet: "Auf der anderen Seite des Waldes gibt es ein weiteres Dorf."
(...) Die Stilisierheit dieses Films hat einen ästhetischen Grund: er zielt auf eine Schönheit, die für sich selbst existiert. Der ästhetische Sinn für Vergänglichkeit hat in Japan eine jahrhundertelange Tradition in der Tanka-Literatur und Haiku-Poesie, und er wird hier im Film durch Bilder dargestellt, die als wichtige Werte erinnert werden sollten. Oguri scheint durch uns die Rollenbesetzung und den Stil des Films zu suggerieren, daß wir realisieren, daß andere Menschen und die Natur gleichermaßen das ,Da-Sein' teilen, daß dieser geistige Wert den Menschen in ganz Asien eigen ist und daß er uns vielleicht zur Einigkeit inspirieren könnte.
(Kohei Hanasaki, in: Asahi Shinbun, 5. März 1995, Abendausgabe)
Kohei Oguri ist in Maebashi (Präfektur Gunma) geboren und hat ein Theaterstudium am Literaturinstitut der Waseda-Universität abgeschlossen. Danach arbeitete er als freiberuflicher Regieassistent und wirkte an Filmen von Masahiro Shinoda und Kiriro Urayama mit.
Seinen ersten Film Muddy River (nach einem Roman von Teru Miyamoto) drehte er 1981. 1984 entstand unter seiner Regie For Kayako (nach dem Roman von Hue-Song Lee). 1990 gewann sein Film Sting of Death (nach dem Roman von Toshio Shimao) den ,Grand Prix 1990' und den ,International Critics Prize' beim Film Festival von Cannes. 1993 drehte er zusammen mit Slamet Rahardjo Djarot aus Indonesien Correspondence by Film. NEMURU OTOKO ist sein vierter Film.
1981: Muddy River. 1984: For Kanako (Forum 1984). 1990: Sting of Death. 1993: Correspondence by Film. 1996: NEMURU OTOKO.
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