USA 1995 Regie: Ken Jacobs |
70 min.
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Mo 17.02. 17:00 Akademie der Künste |
THE MARRIAGE OF HEAVEN AND HELL (A FLICKER OF LIFE) basiert auf Filmaufnahmen eines Mardi Gras-Umzugs, der 1905 in Philadelphia stattfand. Zwei Einstellungen (beide aus derselben Kameraposition) mit Festwagen und vorübertanzenden, kostümierten Menschen. Das Original ist natürlich in schwarzweiß, jedoch verlagert sich das im Laufe der Performance von wärmeren und kälteren gebrochenen Schwarzweiß-Tönen (als eingebildete, oder optisch-chromatische Farbeindrücke im Gehirn, obwohl sich auf dem Filmmaterial keine eigentlichen Farben befinden) hin zu immer extremeren, im Kopierlabor mit Hilfe verschiedener Kombinationen von Farbfiltern hergestellten Farbfeldern. Durch die in der Doppel-Projektion verschiedenartig kombinierten Positiv- und Negativ-Kopien werden gewisse Solarisationseffekte und ein flächiger Eindruck der ins Bild gerückten Objekte erzielt.
Eine spezielle, vor und zwischen den beiden analytischen 16mm Stop-Motion-Projektoren angebrachte Außenblende beginnt sich nach zehn Minuten für weitere zwanzig Minuten zu drehen. Hierin liegt die zentrale Technik von The Nervous System, die ein Spektrum von im Leben und normalerweise auch auf der Leinwand unmöglichen Bewegungen in Tiefe und Zeit erzeugt. In ganz besonderer Weise sind hier die Resultate einzigartig für jedes einzelne der ausgewählten Filmbilder. Tiefenwirkungen ziehen sich zusammen und expandieren in ungeheurem Umfang, desorientierend ändert sich der Blickwinkel; die Geschwindigkeit, mit der sich die dargestellten Objekte bewegen, beschleunigt sich von eisiger Langsamkeit zu turbinenartiger Unaufhaltsamkeit. Der visuelle Höhepunkt ist hier der sich nähernde, die Leinwand ausfüllende, und schließlich an unserem Blick vorüberziehende Wagenzug; Männer in KKK-artigen Totenhemden umgeben und unterstützen die Bühne der Festwagen.
Das Alternieren und Flimmern der Bilder durch die Außenblende hört auf, sobald die zweite Einstellung der Parade erscheint, in der vorwiegend wild auf der Straße tanzende Menschen zu sehen sind. Wie zu Beginn der Performance werden Positiv- und Negativ-Filmstreifen auf der Leinwand in variierender Synchronisation überblendet, hier allerdings haben wir sie zerlegt in ein intensives Farbenspiel zwischen einem satten Gelb und einem Blau, das sich in seinen veränderlichen Reaktionen auf das dominante Gelb nie so recht entscheiden kann, welche Farbe es nun selbst ist. Verschiedene Grüntöne werden erzeugt, Zinnoberrot und Pinktöne tauchen auf, die tatsächlich nie auf den Film kopiert worden sind.
Der letzte Teil. Eine Rekapitulation des bisher Gesehenen, diesmal jedoch teilen und verschieben sich die beiden gleichzeitig projizierten Kopien in einer Spiegelung gegeneinander nach rechts und links, wobei sie sich im Zentrum leicht überlagern. Das gleiche schwer definierbare Blau wird nun einem spektralen Rot gegenübergestellt. Die Grundfarbe auf der linken Seite ist rot, auf der rechten blau. Der sich in der Mitte überlagernde Streifen erscheint weiß-pink. Fröhliche, hallende Klänge begleiten diesen letzten Umzug. Die tanzenden Figuren, die ihre farblichen Entsprechungen im pinkfarbenen Zentrum treffen - und in ihm verschwinden -, können ebenso als flächige, den Farbhintergrund konturierende Farbfiguren betrachtet werden, wie auch als ausgeschnittene, den Farbhintergrund perforierende Löcher.
THE MARRIAGE OF HEAVEN AND HELL erinnert an Toulouse-Lautrec, Seurat, Winsor McCay. Der Lärm einer Menschenmenge, Geräuschemacher, unheimliche (das Bild ist sehr oft gespenstisch) wie auch festliche Musik füllen das Kino während der gesamten Vorführung.
Was ich versucht habe, ist, eine Poesie der Bewegung zu formen, Zeit- und Bewegungsstudien von fühlbaren Dingen herzustellen, neue Gebiete zu erschließen für Entdeckungen der Sinne; aus dem Abfall der Zeit ein Schauspiel zu schaffen, mich über die intendierte Botschaft hinaus in die Dinge zu vertiefen und daraus zu lernen, wieviel Geschichte gerettet werden kann, wenn man den Film den bequemen 24 Bildern pro Sekunde entreißt. Avanciertes Filmemachen führt zu Muybridge.
(Ken Jacobs)
Ken Jacobs, geboren am 25. Mai 1933 in Williamsburg, Brooklyn. Besuchte die High School of Industrial Arts und frequentierte die Filmvorführungen des Museum of Modern Art in New York. Bekanntschaft mkit George Grosz. Ersatzdienst bei der US Coast Guard. 1955 Fortsetzung des Studiums der Malerei in New York, ab 1956 bei Hans Hoffmann. 1956 Freundschaft mit dem Filmemacher Jack Smith. Erste Filme und Versuche im Schattentheater. Begründung des Millenium Film Workshop in New York. Filmunterricht an der St. Johns University. 1969 Begründung des Film Departments an der State University of New York in Binghamton zusammen mit Larry Gottheim. Ab 1971 eigene Filmprofessur in Binghamton (bis heute). 1986 Aufenthalt in Berlin als Gast des D.A.A.D. (Berliner Künstlerprogramm). 1996 Umfassende Filmretrospektive im Museum of Modern Art in New York.
1956: Orchard Street. 1957: Saturday Afternoon Blood Sacrifice; T.V. Plug; Little Cobra Dance. 1958-60: Little Stabs at Happiness; Star Spangled to Death (unvollendet). 1960-63: Blonde Cobra. 1963: Baud'larian Capers. 1964: Window. 1964/85: The Winter Footage (8mm/16mm). 1965: Lisa and Joey in Connecticut, January '65; ,You've Come Back' ,You're Still Here'. 1964-66/88: The Sky Socialist (8mm/16mm). 1967: Air Shaft. 1968: Soft Rain. 1969: Tom, Tom the Piper's Son; Nissan Ariana Window; Globe. 1975: Urban Peasants. 1978: The Doctor's Dream. 1985: Perfect Film. 1986: The Alps and the Jews (work-in-progress). 1987: Jerry Takes a Back Seat, Then Passes Out of the Picture. 1989: Opening the Nineteenth Century: 1896. 1991: Keaton's Cops. 1995: The Georgetown Loop; Disorient Express
Theaterarbeiten mit Schattentheater oder Filmen/Theater Works, all involving shadowplay or film)
1965: The Big Blackout of '65: Chapter One "Thirties Man" . 1970: Restful Moments (2- and 3-dimensional shadowplay). 1972: A Good Night for the Movies: 4th of July by Charles Ives by Ken Jacobs. 1974: A Man's Home is His Castle Film: The European Theater of Operations; "Slow is Beauty"-Rodin (2- and 3-dimensional shadowplay). 1975: The Boxer Rebellion (2- and 3-dimensional shadowplay). 1976: Flop: 4th of July. 1977: Air of Inconsequence (3-dimensional shadowplay). 1979: Ken Jacobs at the console performing Stick to your Carpentry and You Won't Get Nailed. 1994: Audio-Visual Vaudeville (2- and 3-dimensional shadowplay, Univ. of Colorado at Boulder); Audio-Visual Vaudeville (2- and 3-dimensional shadowplay, Cleveland Institute for the Arts, Ohio)
(The Nervous System, a unique double-analysis projector set-up, deriving 3-D from standard 2-D film, most often archival and other found footage)
1975: The Impossible: Chapter One "Southwark Fair" . 1979: The Impossible: Chapter Two "1896". 1980: The Impossible: Chapter Three "Hell Breaks Loose"; The Impossible: Chapter Four "Schilling"; The Impossible: Chapter Five "The Wrong Laurel"; XCXHXEXRXRXIXEXS. 1981: Ken Jacobs Theater of Unconscionable Stupidity Presents Camera Thrills of the War. 1982: The Whole Shebang. 1983: Making Light of History: The Philippines Adventure. 1989: Two Wrenching Departures. 1990: The Subcinema. 1993: New York Ghetto Fish Market 1903. 1994: Bitemporal Vision: The Sea. 1995: The Marriage of Heaven and Hell (A Flicker of Life). 1996: Loco Motion; From Muybridge to Brooklyn Bridge
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