(Der Blinde, der nach Licht schrie) Brasilien 1996 Regie: João Batista de Andrade |
74 min., 35mm, 1:1.66, Farbe
Produktion: Raiz Produções Cinematogrßficas. Buch: João Batista de Andrade. Kamera: Jorge Monclar. Musik: Fernando Andrade. Ausstattung: Vinicius Andrade. Schnitt: Cristina Amaral. Ton: José Luiz Sasso. Darsteller: Tonico Pereira, Roberto Bomtempo, Carmen Moretzsohn, Luciano Porto, Murilo Grossi. Uraufführung: 30.9. 1996, Festival de Brasilia. Weltvertrieb: Grupo Novo de Cinema, Rua Marechal Niemeyer 24, Rio de Janeiro. Tel. (55-21) 539 15 38, Fax: (55-21) 537 2898. |
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Do 20.02. 11:00 Delphi Do 20.02. 18:30 Kino 7 im Zoo Palast |
Dieser Mord muß etwas mit der blutigen Auseinandersetzung zwischen zwei Grundstücksmaklern zu tun gehabt haben, die sich um das Land am See streiten. Einer der beiden hatte vor einiger Zeit Obdachlose am Seeufer angesiedelt, um dadurch seinen Anspruch auf freie Flächen zu sichern. Ihr Anführer Pedro konnte die Rivalitäten der beiden so lange im Interesse seiner Leute nutzen, bis es zu einer Explosion kam, bei der sein Sohn Olavo das Augenlicht verlor. Der Blinde verliebte sich in Helena, die Freundin seiner Schwester. Eines Tages werden beide Mädchen am Seeufer erschlagen. Nur der Blinde war Zeuge.
João Batista de Andrade: Es war, als käme man nach einem langen Tauchen wieder nach oben, um Luft zu holen. Nachdem ich so viele Jahre schon keinen Film gemacht hatte, dachte ich, daß ich nie wieder einen Film machen und daß O Pais dos Tenentes (Das Land des Leutnants) mein letzter Spielfilm gewesen sein würde. Natürlich hörte ich nicht auf, mir neue Filme auszudenken und neue Drehbücher zu schreiben, aber in mir wuchs der Unglaube, jemals wieder einen Film zu realisisieren, vielleicht proportional zu dem Verlust, den ich erlebte, als ich 1990 meinen Film Vlado verlor, eine Co-Produktion mit Spanien und Portugal. Der Film scheiterte, weil die Collor-Regierung die finanziellen Mittel stoppte. Deshalb mußte ich mich wohl vorantasten, wie jemand, der versucht, im brasilianischen Kino wieder Fuß zu fassen. Es ist sehr schön, so viele neue Leute zu sehen, die Filme machen; auf der anderen Seite ist es aber auch merkwürdig, als ob ich lange Winterschlaf gehalten hätte und nun in der Zukunft aufgewacht wäre, wie man es manchmal in Filmen sieht. Mein neuer Film O CEGO QUE GRITAVA LUZ sollte das widerspiegeln. Es ist ein einfacher Film, der den Geschichtenerzähler in mir betont. Ich suche nach dem aufrichtigen Erzähler, eine Suche, die sich im Protagonisten fortsetzt: der alte Geschichtenerzähler scheint Geschichten anderer Menschen zu erzählen, als ob es seine eigenen wären.
Frage: Warum haben Sie gerade diese Geschichte verfilmt? Und warum haben Sie Brasilia als Ort des Geschehens ausgesucht?
J.B.d.A.: Die Idee war zuerst nur ein Gefühl: Eine Figur, die einen Sinn, das Augenlicht, eingebüßt hatte, kennt die Wahrheit über eine wichtige Sache und kann sie nicht weitergeben. (...) Beim Schreiben des Drehbuchs merkte ich, daß es noch eine weitere Figur geben mußte, einen Protagonisten, der von der Geschichte des blinden Mannes fasziniert ist. Zu Beginn dachte ich, daß sich die Geschichte an einem unheimlichen See abspielen sollte, an dem mächtige Grundstücksmakler sich um die Grundstücke streiten und ein Junge bei einer Bombenexplosion während einer Invasion von Landbesetzern das Augenlicht verliert. Aber in Wahrheit habe ich immer über Brasilia nachgedacht und über den See, so nah an der Macht und gleichzeitig so weit entfernt, den kleinen und großen Konflikten ausgeliefert, wo die Armen und Mächtigen sich um Land und Macht streiten.
J.B.d.A.: Es hat etwas damit zu tun, daß ich zuerst den Einfall mit dem blinden Mann hatte. Ich habe den Eindruck, daß ich den alten Mann an meiner Stelle in den Film gebracht habe; er sollte der Erzähler sein, um mir ein Minimum an Distanz zu ermöglichen. Der alte Dimas nahm die Situation in die Hand und ließ mich etwas Wichtiges erkennen: welches Vergnügen es bereitet, eine Geschichte zu erzählen, eine Cleverness zu verstärken, von der ich weiß, daß ich sie habe und die ich außerordentlich genieße. Das Hauptcharakteristikum des Films ist die Freude am Erzählen. Der Erzähler ist gerissen, weise, verfügt über die Fähigkeit, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, zu verführen, sich zurückzuziehen, falsche Fährten zu legen, Dinge zu verbergen, kurzum: die Neugier und die Phantasie seiner Zuhörer zu wecken.
Frage: War es in diesem Zusammenhang wichtig, daß Tonico Pereira diese Rolle spielt?
J.B.d.A.: Absolut. Meiner Meinung nach haben alle Schauspieler sehr gut gespielt, aber natürlich ist der Geschichtenerzähler die Hauptperson des Films, und Tonico Pereira ist großartig in dieser Rolle - was ein Glück ist für mich, den Film und die Zuschauer, die an seiner vielschichtigen Darstellungsweise Freude haben werden. Der Film brauchte eine solche Herangehensweise, weil Tonicos Figur, abgesehen davon, daß es sich bei ihm um einen Geschichtenerzähler handelt, eine Figur ist, die etwas zu verbergen hat, eine Vergangenheit, deren Enthüllung Teil des Films ist.(...)
Frage: Der Film beschäftigt sich mit sozialen Problemen. Glauben Sie daran, daß Filme Menschen verändern können?
J.B.d.A.: Es ist schwer, nicht daran zu glauben. Ich glaube, daß alles, was man im Leben tut, einem dabei hilft, sein Leben vorwärts zu bringen. Ich bin kein militanter Kämpfer und auch kein revolutionärer Anführer im Bereich des Films. Ich würde niemals einen Film machen, in dem Ideen formuliert werden, mit denen ich mich nicht identifizieren kann, und jeder kennt meine politische Einstellung. Wichtig für mich ist, daß mein Film weniger meine Überzeugungen vermittelt, als meine Zweifel und Schwächen. Deshalb ist die Geschichte, die Dimas erzählt, die des politischen Scheiterns; aber er beschreibt auch seine persönlichen Schwächen und das Scheitern vieler seiner Träume.
João Batista de Andrade wurde am 1. Dezember 1939 in Ituiutaba/Minas Gerais geboren. Vierjähriges Ingenieur-Studium am Polytechnikum in São Paulo, danach schriftstellerische und filmische Arbeiten. Sein erster Kurzfilm, O lixo, entstand 1963. 1966 drehte er einen Dokumentarfilm über die Pressefreiheit: Libertade de Imprensa. In den siebziger Jahren entstanden unter seiner Regie sozial engagierte Reportagen und Dokumentarfilme für ,O Globo', die größte Fernsehanstalt Brasiliens. Danach drehte er Dokumentarfilme für die Metallarbeiter-Gewerkschaft in São Paulo.
1969: Gamal, o Delírio do Sexo (Beitrag zum ,schmutzigen Kino'). 1970: Paulicéia Fantßstica (ebenfalls ,schmutziges Kino'). 1978: Doramundo. 1978: Wilsinho Galiléia. 1980: O Homem Que Virou Suco. 1983: A Próxima Vítima (Forum 1985). 1985 Céu Aberto (langer Dokumentarfilm). 1987: O País dos Tenentes. 1996: O CEGO QUE GRITAVA LUZ.
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