(Fremde Zeit) Aserbaidshan 1996 Regie: Husseyn Mekhtiev |
85 min., 35mm, 1:1.37, Farbe, WP
Produktion: Aserkinovideo Company. Buch: Ramiz Rovshan, Husseyn Mekhtiev. Kamera: Amin Novruzov, Nadir Mekhtiev. Ton: Natasha Nurieva. Musik: Azer Dadashev. Ausstattung: Mais Agabekov. Schnitt: Guishan Salimova. Produzent: Ogtay Mirkasimov. Darsteller: Ayan Mirkasimova, Aladdin Abbasov. Uraufführung: 27. September 1996, Baku. Weltvertrieb: Aserbaidshan-Film, Bul Bul Avenue 20, 370014 Baku, Aserbaidshan. Tel.: (994-12) 933164. Fax: (994-12) 939296. |
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Sa 22.02. 13:15 Kino 7 im Zoo Palast So 23.02. 13:30 Delphi So 23.02. 22:30 Arsenal Mo 24.02. 19:30 Akademie der Künste |
Der gelähmte Vater, der im Rollstuhl sitzt und häufig verwirrt ist, hat nur eine einzige Leidenschaft - das Füttern von Tauben. Er quält sie jedoch eher als daß er sie füttert. Je gieriger die Vögel sich auf das Futter stürzen, desto fröhlicher wird der Vater. Er bestimmt den Zeitpunkt der Fütterung und läßt die Vögel tagelang hungern. Der Tochter gestattet er nicht, die Tauben zu füttern. Von Zeit zu Zeit wird ihm bewußt, welchen Kummer er seiner Tochter bereitet. Einmal versucht er, sich das Leben zu nehmen. Doktor Rsajew rettet ihn, erkennt jedoch auch, daß er damit der Tochter das Leben zur Hölle macht. Deshalb verlangt er, daß der Alte in ein Altersheim zieht. Die Tochter will davon nichts wissen und stellt sich dieser Möglichkeit kategorisch entgegen. Der Nachbar ist Lejla sehr zugetan. Zynisch beobachtet er die Beziehung zwischen Vater und Tochter. Wie ein Raubtier wartet er auf sein Opfer.
Ganz unbewußt verändert Lejla ihre Art zu leben. Sie gleitet immer mehr in die ,Vaterzeit' und verliert dabei völlig das Bewußtsein für Raum und Zeit. Obwohl sie dem Vater ihr Leben geopfert hat, läßt das traurige Los der hungernden Vögel sie nicht gleichgültig.
Eines Tages hält sie die sadistischen Spiele des Vaters mit den Vögeln nicht mehr aus und entschließt sich, ihn zu verraten. Sie bricht ihre moralischen Prinzipien und schläft mit dem aufdringlichen Nachbarn.
Die Tauben, die die Quälereien des Vaters nicht mehr ertragen, fliegen von allen Seiten auf ihn zu. Sie fliegen ihm ins Gesicht, hacken auf ihn ein, auf den Nacken und die Hände. Der Vater wehrt sich, ringt nach Luft und stirbt. Die Hand mit dem Korn öffnet er nicht.
Das ursprüngliche, natürliche Wesen des Menschen bleibt immer konstant, das Bewußtsein aber verändert sich unter dem Einfluß der Gesellschaft, der Umgebung. Das Bewußtsein wiederum formt die ethischen Normen. Sehr oft kommt es vor, daß das Bewußtsein des Menschen, seine Moralvorstellungen in Widerspruch zu seinem eigentlichen Wesen geraten. Das führt letzten Endes zur Disharmonie und Tragödie.
Eine harmonische Gesellschaft zeichnet sich vor allem durch die Übereinstimmung der herrschenden Moralvorstellungen mit dem inneren Wesen des Menschen aus.
Frage: Bereits dem Titel des Films kann man eine philosophische Aufgabenstellung ablesen. Welches Problem behandelt der Film?
H.M.: Das Bewußtsein des Menschen ist unbeständig. Es ist von der Gesellschaft, der Umgebung beeinflußt. Die Natur des Menschen ist dagegen konstant. Die Diskrepanz zwischen dem Bewußtsein und dem ursprünglichen menschlichen Wesen führt oft zur Tragödie. Ein Mensch, der zum Sklaven eigener Moralvorstellungen wird und damit seine eigene biologische Programmierung durcheinanderbringt, gerät in andauernde Disharmonie mit seiner Natur. Das heißt, er ist innerlich unfrei. Er befindet sich in totaler Abhängigkeit von der Moral der Gesellschaft und von den Lebensvorstellungen anderer Menschen, die sein Benehmen, seine Taten, seine privaten Beziehungen wesentlich beeinträchtigen. In unserem Film verliert die Protagonistin, die ihr privates Leben zugunsten des kranken Vaters aufgibt, alles: die Arbeit, die Liebe, die Freunde, die Verwandten und sogar ihr Leben. Sie lebt nicht ihre, sondern eine fremde Zeit - die Zeit ihres Vaters. Es dauert sehr lange, bis sie endlich begreift: Der Untergang wird unvermeidlich, wenn sie sich von den Fesseln der fremden Zeit, der fremden Moral nicht befreit.
Frage: Im Drehbuch gibt es eine Reihe von philosophisch- metaphorischen Episoden, die mit der Transformierung der räumlich-zeitlichen Grenzen zusammenhängen. Es muß recht schwierig sein, sie ohne erstklassige technische Ausrüstung zu gestalten.
H.M.: Das ist nicht ganz so. Die Inszenierung dieser Episoden machten wir vom seelischen Zustand der Protagonistin und der daraus sich ergebenden Assoziationsebene abhängig. Nur so entsteht letztendlich die notwendige Atmosphäre und Stimmung.
Frage: Die Hauptrolle wurde von Ajan Mir-Kassimowa, einer Schauspielerin des russischen dramatischen Theaters übernommen. War das Ihre erste Begegnung mit ihr?
H.M.: Nein. Sie lernte ich kennen, als sie erst 6 Jahre alt war, bei den Dreharbeiten zu dem Film Nur die Insel kannst du nicht mitnehmen. Ich war Kameramann. Schon damals war ich von ihrer Souveränität vor der Kamera angetan. Die Kleine spielte ihre Rolle meisterhaft.
Frage: Und jetzt?
Frage: Jetzt ist schon Mitte März. Sie sind mit dem Film fertig. Haben Sie vor, noch in diesem Jahr ein neues Projekt anzufangen?
H.M.: Nein. Das Budget wurde gekürzt. Das heißt, wir bekamen genauso viel, wie nötig war, die 1995 angefangenen Filme zu beenden. Das bedeutet, daß wir 1996 keinen neuen Film drehen können. Nicht nur von Spielfilmen ist hier die Rede, sondern auch von allen anderen. Alle in den letzten 3 Jahren unternommenen Maßnahmen zum Wiederaufbau der Filmproduktion werden umsonst gewesen sein.
Frage: Daraus folgt, daß viele Regisseure bis zum neuen Jahr ohne Arbeit sind?
H.M.: Nicht nur sie, sondern auch Kameraleute, Bühnenbildner, Schauspieler und natürlich die technischen Mitarbeiter, die jahrelang ausgebildet wurden, alles echte Professionelle von höchstem Rang. Ihre Lage wird tragisch sein.
Husseyn Mekhtiev wurde 1945 in Scheki, Aserbaidshan, geboren. Von 1972 bis 1977 studierte er an der Moskauer Filmschule WGIK. Bevor er 1984 seinen ersten Film, Das Märchen von der alten Eiche, drehte, arbeitete er sechs Jahre lang als Kameramann.
1984: Skaska starogo duba (Das Märchen von der alten Eiche). 1985: Gorodskije kosari (Die städtischen Schnitter). 1988: Bolj Molotschnogo suba (Milchzahnschmerzen). 1990: Swidetelniza (Die Zeugin). 1996: ÖSGE VACHT (Fremde Zeit).
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