(Ausdauer) USA 1997 Regie: Daniel Eisenberg |
86 min., 16mm, Farbe, WP
Produktion: Daniel Eisenberg Films. Kamera, Schnitt: Daniel Eisenberg. Zweite Kamera: Ingo Kratisch. Ton: Ellen Rothenberg, Ingo Kratisch. Tonschnitt: Bonnie Daley. Musik: Ferrucio Busoni ('Dr. Faustus'), Franco Donatoni ('Argot'), Luigi Nono ('La Iontananza nostalgica utopica futura'), Giacinto Scelsi ('L'âme ailée', 'L'âme ouverte'). Schnitt-Assistenz: Erin Sax, Jennifer Stefanisko. Text: Stig Dagerman, Daniel Eisenberg, Janet Flanner, Max Frisch. Erzähler: John DiStefano. Uraufführung: 21.2.1997, Internationales Forum des Jungen Films. Weltvertrieb: Daniel Eisenberg, 1411 West Edgewater Ave., Chicago, IL 60660, USA. Tel.: (1-773) 506 0065. Fax: (1-312) 541 8063. Mit finanzieller Unterstützung von: D.A.A.D. (Berliner Künstlerprogramm), The National Endowment for the Arts, The Massachusetts Culturel Council, The School of the Art Institute of Chicago. Dank an Alexandra Anthony, Ute Braukmeier, Tag Gallagher, Ernie Gehr, Erika Gregor, Ulrich Gregor, Ingo Kratisch, Carsten Krüger, Katherine Rabinowitz, Barbara Richter, Ellen Rothenberg, Joachim Sartorius, Jutta Sartory, Mark Simon, Irwin Young, A.S.T.A.K., Nationalgalerie SMPK, Neue Synagoge Berlin, U.S. Dept. of Defense Motion Media Records Center, Norton Air Force Base, CA. |
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Fr 21.02. 14:00 Delphi Fr 21.02. 18:45 Kino 7 im Zoo Palast Sa 22.02. 10:00 Arsenal So 23.02. 22:15 Akademie der Künste |
PERSISTENCE wurde 1991 bis 1992 in Berlin gedreht und mit Filmaufnahmen der Kameraleute des amerikanischen Signal Corps aus den Jahren 1945 bis 1946 zusammengeschnitten, die vom Archiv des Verteidigungsministeriums zur Verfügung gestellt wurden. In dieses Material eingefügt sind Zitate aus Rossellinis ebenfalls 1946 gedrehtem Film Germania: Anno Zero (Deutschland im Jahre Null).
PERSISTENCE ist eine Meditation über die Zeit nach einem großen historischen Ereignis, darüber, was diesen Momenten gemeinsam ist, über kontinuierliche und diskontinuierliche Geschichtsverläufe.
Der Film handelt auch von verschiedenen Arten filmischer Beobachtung: der persönlichen, der dokumentarischen und der fiktionalen. Er handelt von der Abhängigkeit von diesen traditionellen Beobachtungsmodellen, die notwendigerweise unserer Sicht der Ereignisse Form geben.
Die Texte stammen aus den Notizbüchern von Max Frisch, Stig Dagerman und Janet Flanner aus der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sowie aus meinen Tagebüchern von meinem Berlinaufentalt von 1991 bis 1992. Jene Tagebucheintragungen erscheinen meist zu aktuellem Filmmaterial, meine eigenen Eintragungen oft zu Archivmaterial. Manchmal macht ein Datum den Zuschauer auf die Verschiebung aufmerksam, ein andermal nicht.
Von Stig Dagerman stammt die Äußerung: "Ich bin kein Journalist geworden, und es sieht auch nicht so aus, als würde ich jemals einer werden. Ich habe gar keine Lust, mir all die erbärmlichen Attribute zuzulegen, die einen perfekten Journalisten ausmachen. Es fällt mir schwer, die Menschen zu begreifen, die ich im Allied Press Hotel treffe - sie meinen, ein kleiner Hungerstreik sei von größerem Interesse als der Hunger von vielen. Während Hungerstreiks sensationell sind, ist der Hunger selbst es nicht, und was die in Armut lebenden und verbitterten Menschen hier denken, wird nur dann interessant, wenn Armut und Verbitterung in eine Katastrophe münden. Journalismus ist die Kunst, so früh wie möglich zu spät zu kommen... Ich werde das nie können."
"Der Augenblick danach..." Wenn man Stig Dagerman zuhört, beginnt man zu glauben, daß es tiefere Schichten, vielleicht Wichtigeres und Essentielles gibt, wonach man bei diesem 'Augenblick danach' suchen sollte.
Im Jahr 1991 war das Danach offensichtlich, die tieferen Schichten davon jedoch keineswegs. Mit dem Abriß der Berliner Mauer beginnt die Generation der Beteiligten und Zuschauer des letzten Weltkriegs sich auf seltsam obsessive Weise mit ihrem Platz in der Geschichte und mit ihrer eigenen Sterblichkeit zu beschäftigen.
PERSISTENCE versucht, diese unheimliche berlagerung (oder ist es der Zusammenbruch?) von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu rekonstruiren.
Was löst dieser besondere Moment des Jahres 1991 aus? Die offizielle nationale Einheit macht es vielen möglich, die von ihrem Status als 'post-histoire' befreite Geschichte wieder als Ganzes zu betrachten, obwohl auch diese Linearität und Kontinuität eine bequeme Illusion ist. Vielleicht könnte man diesen Moment vielmehr als einen Bruch oder einen Riß betrachten, als eine seismische Umstrukturierung der sozialen, historischen und politischen Kräfte, wodurch unbewußt unterdrückte Erinnerungen - sowohl historische als auch persönliche - an die Oberfläche gelangt sind. Ist es nur Zufall, daß es in der Bundesrepublik Deutschland 1991 ein überwältigendes Interesse am Judentum gibt? Geschichte war in Deutschland jedenfalls immer mehr ein Thema als anderswo, vielleicht, weil es mehr zu verlieren gab, weil mehr auf dem Spiel stand.
(...) Die Bilder in PERSISTENCE wurden in dem vollem Bewußtsein gefilmt, daß eine Veränderung der äußeren Stadtlandschaft bevorstand und vorhersehbar war. Die Gründe hierfür sind eher ökonomischer als historischer Natur, doch auch die Geschichte zeigt uns an Beispielen, daß die Stadtlandschaft in Zeiten des Umbruchs zum Ort der sozialen und historischen Einschreibung wird.
Der Augenblick danach wird auch zum Zeitpunkt, an dem Dokumente und Orte eine Veränderung und Neudefinition erfahren: Unterlagen werden wieder in die Geschichtsschreibung aufgenommen, Orte anders genutzt; das zufällige Photo oder Stück Papier wird zum Dokument, die Dokumentensammlung wird zum Archiv, das Archiv wird zum neuen Museum, das frühere Museum zum Ort der Geschichtsverarbeitung und -revision, manche Dokumente werden ausgemustert - manche Orte ebenfalls.
Ein Großteil des für PERSISTENCE ausgewählten Archivmaterials des Verteidigungsministerums war für den Abfall bestimmt: es war nicht innerhalb eines vorgeschriebenen Zeitraums benutzt worden, und das Archiv selbst sollte in kleinere Räumlichkeiten umziehen.
Die Benutzung des Bildmaterials sichert diesem ein gewisses Fortbestehen in der Geschichtsschreibung. Die scheinbar belanglosen Aufnahmen der Kameramänner des Signal Corps, die vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben mit Farbfilm arbeiten, werden als nutzlos für eine Geschichtsschreibung erachtet, von der sie selbst ausgeschlossen sind. Dennoch benutzen diese Bilder den ästhetischen Code der westlichen Malerei und der Perspektive der Renaissance und verraten viel davon, was die Kameramänner über die Bilder dachten.
Viele der in PERSISTENCE 1991 und 1992 gefilmten Orte waren historische Bauwerke, die bald darauf verändert, renoviert oder abgerissen wurden. Ein Teil des filmischen Arbeitsprozesses bestand darin, vorauszuahnen, welche Orte unmittelbar betroffen sein und welche sich über einen längeren geschichtlichen Bogen hinweg verwandeln würden.
Jede Beobachtung kennt ihre Regeln, jedes Kunstwerk und Dokument den Kontext und die Bedingungen seiner Entstehung.
Die Ruinenromantik, die der König in Sanssouci erschafft, bildet eine Parallele zum Berliner Ruinen-Modell, mit dem Hitler seine Architekten beauftragt: eine tausendjährige Sicht in die Zukunft führt uns in einem vollen Zirkelschlag zurück zu einer Sicht in die Vergangenheit, die Friedrich der Große zu seiner persönlichen Inspiration erbauen läßt.
In Germania: Anno Zero erforscht Rossellini die Idee eines nichtfiktionalen Films bis zu seiner logischen Konsequenz - die in dem Film entstandene Fiktion ist realer als viele der realistischen Gesten, welche eher wie Metaphern des Realen wirken denn als Realität selbst.
Mit dem Gebrauch von relativ tragbarem Equipment und beschränkten Mitteln führt Rossellini in Hollywood die Standardpraxis für Spielfilmaußenaufnahmen ein, die uns heute eine Selbstverständlichkeit ist. Gleichzeitig begründet der Film einige Basisregeln des 'cinéma vérité': arbeite schnell, arbeite rationell, blick nicht zurück.
Rossellinis neorealistische Spielfilme bedeuten für die Geschichte, was seine späteren historischen Filme für die Fiktion bedeuten: sie verlängern und erweitern unsere Definition vom Wesen der Ereignisse und ihrer Dokumentation.
Die Darstellung historischer Zeit in bequemen linearen Beziehungen wie Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft ist hinderlich und altmodisch. Diese Bezeichnungen sind für das Verständnis oder die Darstellung der Kontinuität oder Diskontinuität von Geschichte unzureichend geworden, sie tragen zu unserer Vorstellung von 'gelebter Zeit' und ihres Gehalts nichts mehr bei. Das Gegenwärtige ist vielleicht auch früher gegenwärtig gewesen. Das Abwesende kann morgen zurückkehren.
Wenn wir dazu verurteilt sind, Santayanas Diktum auf den Kopf stellend, die Geschichte zu wiederholen, nicht weil wir sie nicht kennen, sondern weil wir sie kennen, weil es das Modell für alle zukünftige Geschichte darstellt, dann blicken wir in einen Spiegelsaal, der es uns unmöglich macht zu wissen, was wirklich vergangen, was Gegenwart, was dauerhaft, was abwesend, was unmittelbar ist, welche Aspekte des Augenblicks einzigartig sind und welche sich wiederholen.
Aus meiner persönlichen Perspektive erscheint es mir nicht so sehr die Frage, wie man ein historisches Trauma 'überwinden' kann, sondern eher, wie man es wirklich integrieren kann. Es geht nicht darum, daß die nach dem Krieg geborenen Generationen schuldlos bleiben, vielmehr müssen diese Söhne und Töchter wie auch die Generationen der Söhne und Töchter der Opfer gegenüber der Geschichte, in die hinein sie geboren worden sind, verantwortlich bleiben.
Es stimmt vielleicht, daß Deutschland die einzige Nation ist, die der Opfer ihrer eigenen Kriege gedenkt, doch das Leben eines 'Außenseiters' in Deutschland heute kann für diesen dieselbe Problematik beinhalten wie in den vergangenen zweihundert Jahren. Das Problem ist nicht legaler, sondern psychologischer Natur, und ob die nationale Vorstellung, 'deutsch' zu sein, als Bürger, als Nation, einen neuen Stellenwert einnehmen kann - vielleicht ist das in letzter Konsequenz ein europäisches Problem, bei dem Deutschland aus historischer Notwendigkeit vorangehen muß.
Daniel Eisenberg wurde 1954 in Israel geboren und emigrierte Ende der fünfziger Jahre mit seiner Familie in die USA. Er studierte Film an der State University of New York in Binghamton u.a. bei Ernie Gehr, Larry Gottheim, Klaus Wyborny, Saul Levine und Ken Jacobs. 1975 begann Dan Eisenberg mit der Arbeit an seinem ersten Film Matrice. 1991/92 hielt er sich als Stipendiat des DAAD (Berliner Künstlerprogramm) in Berlin auf. Dan Eisenberg unterrichtet im Moment an der School of the Art Institute in Chicago.
1975/79: Matrice. 1979: Design and Brebis. 1980/81: Displaced Persons. 1984: To A Brother in Asia. 1980: Mexican Sketches. 1981: Two Motion Studies. 1984: Native Shore. 1987: Cooperation of Parts. 1980-91: A Short Note about Representation. 1997: PERSISTENCE.
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