(Wiederaufnahme) Frankreich 1996 Regie: Hervé Le Roux |
192 min., 35mm, 1:1.66, Farbe und s/w, WP
Produktion: Les Films d'Ici. Kamera: Dominique Perrier. Ton: Frédéric Ullmann. Schnitt: Nadine Tarbouriech, Anne Seguin. Mischung: Gérard Rousseau. Kamera-Assistenz: Lionel Julien. Produktionsleitung: Francoise Buraux, Catherine Roux. Produzenten: Richard Copans, Serge Lalou. Uraufführung: 17.10.96, Festival Georges & Routa Sadoul, Paris. Weltvertrieb: Les Films d‘Ici, 12, rue Clavel, F-75019 Paris, Tel.: (33-1) 44522323, Fax: (33-1) 44522324. Mit Unterstützung des Centre National de la Cinématographie und des Ministère du Travail et des Affaires Sociales |
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Do 20.02. 13:00 Delphi Do 20.02. 20:15 Kino 7 im Zoo Palast Fr 21.02. 10:00 Arsenal Sa 22.02. 11:00 Akademie der Künste |
Ausgangspunkt des Films war tatsächlich ein Photo, das ich in einer Kinozeitschrift entdeckte. Und dann, eines Tages, habe ich den Film von '68 gesehen, der mich nie wieder losgelassen hat. Meine Gedanken kreisten um den Film, ich dachte sogar einen Moment daran, ihn in einen Spielfilm einzubauen. Schließlich habe ich mir dann gesagt, daß ich mich, statt aufs Geratewohl zu drehen, lieber direkt mit dem befassen sollte, was mir von diesem Film nicht aus dem Sinn ging, nämlich mit dieser jungen aufgebrachten Arbeiterin, und daß ich sie wiederfinden mußte, und daß das der einzige Film war, den ich machen konnte...
Darüber sprach ich dann mit Dominique Païni, der mich mit Richard Copans bekanntmachte. Zwischen uns war klar, daß die Untersuchung und der Film zusammengehörten, aber bevor die große Maschine angeworfen wurde, die zur Herstellung eines Films gehört, mußte abgeklärt werden, ob es überhaupt noch Spuren gab...
Ich habe dann eine kleine Recherche gemacht, die bereits etwas von einem Polizeifilm hatte: in dem Maße, in dem ich mit der Untersuchung vorankam, mußte ich mir eingestehen, daß mein Geldgeber, Richard, der 1968 Student an der IDHEC und einer der Initiatoren des Streiks gewesen war, darüber schon viel länger Bescheid wußte als ich... Das war Anfang 1992, das Drehbuch von Grand Bonheur hatte erste Einnahmen gebracht, und ich brach zu neuen Abenteuern auf... Zwei Jahre später erinnerten wir uns. Wir hatten beide immer noch die gleiche Lust, den Film zu machen, und mit einem kleinen Vorschuß des CNC und der Unterstützung des Arbeitsministeriums konnten wir recht bald mit dem Drehen beginnen.
Das Wort zu erteilen war mein eigentlicher Wunsch... mit der Zeit zu spielen. Was sagt zum Beispiel Pierre Guyot, der Mann mit der Krawatte in dem Film von '68? "Ich bin Kommunist" - "Man muß einen Streik beenden können." - "Harre aus und unterzeichne." Wobei das nicht manipuliert war - so denkt er wirklich. Aber dadurch, daß man ihn seine Geschichte erzählen läßt - über seine familiäre Situation, den Algerienkrieg - sieht man ihn auf einmal anders, man entfernt sich sozusagen von dem, was in der Fiktion 'Typage' wäre.
Die Dreharbeiten dauerten drei Monate, von Mai bis August 1995, mit Unterbrechungen und parallel zu den Nachforschungen. Das heißt, daß wir an einem Tag ein Interview machten, daß ich den nächsten Tag am Telefon verbrachte, um neue Spuren zu finden, die zu einer der gesuchten Personen führten, oder um eine weitere Verabredung für den nächsten oder übernächsten Tag zu ergattern.
Eine Spielregel hieß, zu versuchen, die Personen nicht vor dem Drehtermin zu treffen, sie also nur mit der Kamera zu sehen, um ein Maximum an Frische und Spontanität zu bewahren. Ich rief die Leute also an, erzählte ihnen meine kleine Geschichte - daß ich einen Film über Wonder machte, daß ich ihnen gern eine Video-Kassette zeigen würde - man verabredete sich, traf bei ihnen ein, installierte die Kamera, zeigte ihnen die Kassette, und dann wurde diskutiert.
Das Team war auf ein Minimum reduziert: für den Ton war Frédéric Ullmann zuständig und für die Kamera Dominique Perrier. Wir hatten bereits früher zusammengearbeitet (Frédéric hatte den Ton von Grand Bonheur gemacht, und Dominique war beim gleichen Film die Regie-Assistentin gewesen). Wir mußten sehr schnell arbeiten, um unseren Gastgebern nicht das Gefühl zu geben, von einem Filmteam überfallen zu werden. Kaum war die Kamera aus dem Auto geholt - man kannte also weder den Ort noch die Leute -, mußte man eine geeignete Ecke finden, ein Minimum an Ausstattung, Blickachsen, Bildrahmen, und eine Art vorweggenommener Montage, die man schnell zwischen die Aufnahmen schob. Das war wirklich Teamarbeit: man mußte sich nicht nur untereinander verstehen, sich mit einer Geste oder einem Blick mit den anderen verständigen, sondern gleichzeitig durfte man nicht nachlässig beim Zuhören werden. Ohne dieses stillschweigende Einverständnis oder, mehr noch, die besondere Aufmerksamkeit von Dominique und Frédéric wäre der Film nicht möglich gewesen. Es gibt übrigens Momente im Film, in denen sich die Interviewten nicht an mich, sondern an sie wenden - das sieht man an der Richtung ihrer Blicke - und das sind Momente, die ich sehr mag.
Die Interviews betreffend könnte man mir vorwerfen, daß ich sie nicht wie ein ,Journalist' führe, daß ich selten widerspreche, daß ich die Themen teilweise nicht weiterverfolge. Ich nehme aber für mich in Anspruch, daß ich schließlich keine Kriminellen aus dem bosnisch-serbischen Krieg interviewe. Dazu wäre ich im übrigen gar nicht in der Lage. Wenn ich eine Fiktion inszeniere, muß ich jede Figur lieben. In einem Dokumentarfilm, in dem die Personen zugleich die Figuren sind, ist das viel schwieriger. Es ist unabdingbar, daß jeder seine Chance bekommt und über seine Gründe sprechen kann. Das hält den Zuschauer oder die Zuschauerin ja noch nicht davon ab, seine oder ihre Vorlieben zu entwickeln.
Außerdem habe ich keine Doktorarbeit über ,Wonder' geschrieben. Was mich interessiert, ist weniger das genaue Datum des Tages, an dem die streikenden Frauen sich ihre Dusch-Erlaubnis erkämpft hatten, als vielmehr, mit Hilfe des Erinnerungsvermögens der Vorarbeiter festzustellen, daß das weit vor '68 lag - auch wenn Thérèse beteuert, daß es '70 war. Die Konfrontation führt zu gar nichts, jeder paßt auf, was er sagt; der Schnitt des Films begnügt sich damit, der wahrscheinlichsten Version den Vorzug zu geben - in diesem Falle der von Marie-Thérèse, die in den Frauenwerkstätten gearbeitet hat, und darüberhinaus, weil sie erst im September 1968 eingestellt worden war, vielleicht präzisere chronologische Anhaltspunkte als die Vorarbeiter hatten, die dort vierzig Jahre waren.
Im Bild bin ein paarmal auch ich selbst zu sehen. Am Schluß war das wie eine Art moralischer Verpflichtung: ich konnte nicht einerseits die Leute bitten, vor der Kamera zu sprechen, sich auszustellen, und mich selbst währenddessen im geschützten Off verstecken. Das entstand dann ganz schnell wie eine dramaturgische Notwendigkeit. Sagen wir, es gibt in diesem Film einen etwas seltsamen Typen, der die Leute zu Hause mit einem tragbaren Fernseher, einem Videorecorder und einer Video-Kassette belästigt und eine fixe Idee hat: eine Frau wiederzufinden, die am 10. Juni 1968 am Eingang der Fabrik Wonder gefilmt wurde; dieser Person, die ich da inkarnieren mußte, gebe ich den Körper und eine Stimme.
Der Film von 68 taucht in Fragmenten immer wieder im Film auf, sei es im Gegenschnitt zur Betrachtung des Videos, sei es um die Aussagen der Interviewten - in normaler Geschwindigkeit oder in Zeitlupe - zu illustrieren. Als zum Beispiel Willemont am Bildrand auftaucht, oder wenn Joubert, der Gewerkschaftsdelegierte, über die massive Präsenz der Betriebsleitung zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme spricht, dann sieht man das. Andere Bilder tauchen eher wie fixe Ideen auf, ganz spielerisch - die Arbeiterin, die sagt, daß sie es äbis hier" satt hat, der Personalchef, der an die Arbeiter appelliert, zurückzukommen, so, wie man das Signal zum Ende einer Arbeitspause gibt; die Arbeiterinnen, die durch eine kleine Pforte die Fabrik betreten, mit gesenktem Kopf.
Und dann sind da die Passagen, die man anders sieht, wenn sie zum zweiten Mal zitiert werden: Man sieht Pierre Guyot, den ,Mann mit der Krawatte', ganz unterschiedlich, vor und nach seiner persönlichen Lebensgeschichte.
Ganz allgemein gesagt: je mehr man fortschreitet, um so mehr weiß man von den Protagonisten, und umso besser kann man die Bilder dieses Films von ,68 entziffern.
Ein Extremfall ist die Zeitlupen-Passage, die in das Interview mit Bruneau eingefügt wurde, als er gerade sagt, daß ihm die Studenten vom IDHEC vorgekommen seien wie Voyeure. Die Verlangsamung scheint zunächst seine These zu bestätigen, aber allmählich verschiebt sich die Einstellung und man erkennt in der Menge alle Protagonisten, die da einen ,Auftrag' erfüllen - Poulou, den Bärtigen aus Chaix, Willemont, die Leute von der CGT, Bruneau, der das Mädchen begleitet, Guyot, der ihr die Hand auf die Schulter legt, bevor sie das Bild verläßt, und Adler als Schlußlicht - sie alle bilden eine Art Spinnennetz um sie herum, die sich mit viel Grazie einen Weg durch die Menge bahnt und dabei an Anna Karina erinnert...
Am Ende wird der alte Film von 68 - eine kurze Einstellung auf die Fabrik, gefolgt von einer 8 Minuten langen Plansequenz - Fragment für Fragment, vollständig zitiert. Es fehlt kein einziges Photogramm.
Sie: Der rote Faden ist natürlich ,Sie‘, und die Nachforschungen, die ihr näherkommen oder sich von ihr entfernen. Es gab seit Beginn der Dreharbeiten diese Spannung, die darin bestand, daß jeder uns fragte: "Und, habt Ihr sie gefunden?" Nach einer öffentlichen Vorführung des Films lernte ich einen Zuschauer kennen, der nicht bis zum Schluß bleiben konnte und mir dieselbe Frage stellte: "Und, wird sie gefunden?" Bis jetzt hat keiner der Journalisten, die über den Film geschrieben haben, das Ende verraten. Ich hoffe, daß das so bleibt, und daß niemand den Namen des Mörders weitersagen wird...
Dokumentarfilm versus Spielfilm: Ich bin kein ,Dokumentarfilmer' (ich habe einen Horror vor diesem Wort). REPRISE ist ein ganz normaler Film, er wurde inszeniert, wenn inszenieren heißt, eine Ausstattung, Blickachsen, Bildausschnitte zu finden, zu schneiden, zu montieren, zu mischen. Der Umstand, daß ich manchmal selbst im Bild war, half mir bei der ,Schauspielerführung' (...) Innerhalb des Ensembles aber, glaube ich, gab es keinen bedeutenden Unterschied zwischen einem Dokumentarfilm und einem Spielfilm, in dem die Schauspieler einen großen Spielraum für Improvisationen haben. (...)
Resonanz: Als wir im Sommer 1995 mit den Leuten in Kontakt traten und ihnen das Projekt erklärten, meinten die meisten - die Gewerkschaftskämpfer eingeschlossen: "Wir äußern uns gerne dazu, aber wer interessiert sich für diese alten Geschichten?" Im Herbst '95 fingen wir an, und im Dezember kam es dann zu den Streiks. Um zu unserem Schneideraum zu gelangen, mußten wir die Place de la République überqueren, auf der wir unter ihren Transparenten die gleichen Menschen sahen, die noch einige Monate vorher nicht viel von der sozialen Bewegung gehalten hatten. Es war übrigens sehr seltsam, sie im Film zu sehen, auf dem Schneidetisch, und dann - ,Anschluß' - beim Weggehen auf der Straße wieder. Das hatte ein bißchen was von The Purple Rose of Cairo, das war, als kämen sie von der Leinwand herunter.
Ich wollte keinen ,rückwärts gewandten' oder ,nostalgischen' Film machen (auch wenn er natürlich ,eine Menge' bei den Älteren bzw. denen auslösen kann, die '68 erlebt haben). Die Zwanzigjährigen betrachten ihn auf eine Art als ,historischen' Film. Er beschreibt eine verschwundene Welt: die großen Industriebetriebe in den roten Vorstädten, eine bestimmte Form von Unternehmenskultur - ein Gefühl von ,Zugehörigkeit', das heute weitgehend all den Formen von ,Unsicherheit' der Arbeit gewichen ist. Aber gleichzeitig dauert die Situation der Arbeiter an - entgegen allen offiziellen Darstellungen, die das Verschwinden der Arbeiter prophezeien wie andere den Tod des Kinos. Während der Dreharbeiten hörten wir von einer Industrieschlachterei, ,Bigard' in Quimperlé, deren Direktion feste Zeiten für die Pinkelpausen der Arbeitnehmer ansetzen wollte - das wird im Film erwähnt.
So etwas kommt in den Diskussionen nach dem Film sehr oft zur Sprache. In Belfort erzählte man von den Arbeiterinnen von Epée in Besançon, deren Verhältnis zur Arbeit und zu ihrer Firma, selbst wenn sie sehr qualifiziert sind, kaum anders ist als das ihrer Kolleginnen bei ,Wonder'.
Am 16. Mai 1968 traten die Studenten der Pariser Filmhochschule IDHEC in den Streik und beschlossen die Besetzung der Schule. Am nächsten Tag bildeten sich in der Rue de Vaugirard die ,Etats Généraux du Cinéma Français' (Generalstände des Films), die den Eintritt der Filmbranche in den unbefristeten Streik beschlossen. Am 20. Mai bildeten die ,Etats Généraux' einen außerordentlichen Streik-Ausschuß (commission de dérogation), der das Drehen von Filmen erlaubte, "sofern sie mit der Studenten- und Arbeiterbewegung bzw. mit den Verhandlungen im Vietnam-Krieg zu tun haben."
Zur gleichen Zeit schlossen sich die streikenden Studenten des IDHEC zu einem Verband zusammen, um sich die nötige Ausrüstung aus den Beständen der Schule (16mm-Kameras, Tonmaterial) mit einer gerichtlichen Verfügung zugänglich zu machen. Die Filmprojekte sollten der vorherigen Prüfung der ,Assemblée Générale des élèves' unterliegen.
Einige Projekte wurden genehmigt: das von Azimi über die Besetzung der Sorbonne, und das von Jacques Willemont über die verschiedenen politischen Organisationen, die sich an der ,Bewegung' beteiligten. Man kam überein, diesen zweiten Film mit der ,Organisation Communiste Internationaliste' (L'OCI)zu beginnen und wählte - aus Gründen der Benzinknappheit - Fabriken aus, die nicht weit von der Porte des Ternes entfernt lagen, wo sich die Schule befand. Erste Dreharbeiten fanden bei ,SIDI' in Levallois statt. ,L'OCI' schlägt daraufhin vor, ein Treffen in der Firma ,Wonder' in Saint-Ouen am 10. Juni zu filmen. Das Film-Team traf in dem Augenblick ein, als die Wiederaufnahme der Arbeit gerade beschlossen worden war, und begann zu drehen. Pierre Bonneau war der Kameramann, Jacques Willemont hielt das Mikrophon, Liane Estiez war an der Nagra; Maurice Portiche war als eine Art Assistent dabei.
Das Team hatte nur eine Filmrolle zur Verfügung und drehte, ohne zu unterbrechen, eine Sequenz von etwa zehn Minuten. Der entwickelte Film wurde der ,Assemblée générale' gezeigt; man beschloß, ihn autonom zu vertreiben, ohne von der - angesichts der Konjunktur Mitte Juni ungewissen - Realisierung des ursprünglich geplanten Gesamt-Projekts auszugehen.
Der Film Wonder wurde seit seinen ersten Vorführungen als ein bedeutendes Dokument gewürdigt. Unmittelbar nach seiner Aufführung auf dem Festival von Hyères im Sommer 1968 wurde er durch Kollektive wie z.B. Cinélutte verliehen. 1970 vervollständigte er das Programm des Films Camarades von Marin Karmitz. Seine auszugsweise Verbreitung in Filmen zum Jahrestag der Revolte (Histoire de Mai von Pierre-André Boutang und André Frossard von 1978, Mai 68, quinze ans après von Jean Labib von 1983 und Génération von Daniel Edinger, Hervé Hamon und Patrick Rotman von 1988) bestätigten nur seinen Status als Kultfilm unter den 68er-Filmen. Außerdem wird Wonder in dem von Arte produzierten Spielfilm von Eric Barbier aus der Reihe ,Die Schuljahre' zitiert.
Ein Film, der sich bewußt auf eine kleine Episode beschränkt, aber zu den filmisch hervorragendsten Zeugnissen des Mai '68 gehört.
Der Film besteht praktisch aus einer einzigen, kontinuierlich gedrehten Einstellung mit direktem Ton und ohne Kommentar. Er zeigt, wie vor dem Eingang der Batterie-Fabrik ,Wonder' im Pariser Vorort Saint-Ouen eine junge Arbeiterin sich weigert, ihre Arbeit wiederaufzunehmen, obwohl die Gewerkschaften den Streik abgeblasen haben, wie sie ihre ganze Verzweiflung herausschreit und wie gleichzeitig zwei Gewerkschaftsfunktionäre beruhigend auf sie einreden, um ihr klarzumachen, daß die Arbeiterklasse einen großen Sieg errungen hätte und daß es "niemals wieder sein wird wie vorher." Ulrich Gregor: Geschichte des Films ab 1960, Bd. 3, München 1978
Der einzige interessante Film über die Ereignisse, der einzig wirklich starke Film, den ich gesehen habe, ist der, den Studenten des IDHEC über die Wiederaufnahme der Arbeit in der Fabrik ,Wonder' gedreht haben, denn er ist erschreckend und tut weh. Es ist der einzige wirklich revolutionäre Film, vielleicht, weil er einen Zeitpunkt festhält, an dem sich die Realität dergestalt verwandelt hat, daß sie eine politische Situation binnen zwei Minuten zu einer wahnsinnigen dramatischen Intensität zu verdichten imstande ist. Jacques Rivette, 27. Juli 1968
Ein primitiver Film, ein Film des Ursprungs. Im Mai ,68 beginnt die Arbeit wieder, die Gewerkschaften rufen zum Schein den Sieg aus. Auch in der Fabrik Wonder kehrt alles wieder zur alten Ordnung zurück. Plötzlich wagt eine Frau die Revolte, sie sagt, daß sie nicht zur Arbeit zurückkehren will, daß es zu schrecklich sei. Ein Student vom IDHEC ist da mit einer Kamera und einer Filmrolle von 12 Minuten. Er nimmt die Szene auf. Dieser kleine Film enthält den gesamten Ursprung des militanten Kinos, La sortie des usines Lumière, nur umgedreht. Das ist ein mirakulöser Augenblick in der Geschichte des ,cinéma direct'. Die spontane Revolte, hautnah gefilmt, das ist es, was das militante Kino wieder und wieder darzustellen, aufzufinden versucht hat. Vergebens. Serge Daney, Serge Le Peron, in: Les Cahiers du Cinéma, Mai 1981
Am 3., 6. und 9. Mai häuften sich im Quartier Latin die Auseinandersetzungen zwischen demonstrierenden Studenten und der Polizei. In der Nacht vom 10. zum 11. Mai stellten sich 40.000 Studenten den Ordnungskräften entgegen. In dieser ,Nacht der Barrikaden' gab es nach offiziellen Angaben sechshundert Verletzte. Am 13. Mai 1968 riefen die Gewerkschaften zum Generalstreik und zu einer Großkundgebung gegen die Repression und als Solidaritätserklärung mit den Studenten auf. Am 14. und 15. Mai wurden die Firmengebäude von ,Sud Aviation' und ,Renault' besetzt. Am 27. Mai wurden die Verträge von Grenelle zwischen den Gewerkschaften und der Arbeitgeberschaft unterzeichnet, denen Verhandlungen mit sämtlichen Branchen folgten. Diese Verträge wurden zu großen Teilen von der Basis abgelehnt; der Streik ging weiter. Am 30. Mai erklärte De Gaulle die Auflösung des Nationalkonvents. Auf den Champs-Elysées fand eine gaullistische Kundgebung statt. Anfang Juni gab es die ersten Anzeichen der Wiederaufnahme der Arbeit, die sich zwischen dem 10. und 12. Juni noch verstärkten. Am 23. und 30. Juni fanden Parlamentswahlen statt, die mit einem überwältigenden Sieg der ,Union de démocrates pour la Ve République' (UDR) endeten.
Es war im Sommer 1916, als Estelle Courtecuisse im achtzehnten Bezirk von Paris eine kleine Fabrik zur Herstellung von Batterien und elektrischen Akkumulatoren gründete. Die allgemein herrschende Anglophilie, der Wille, sich mit den kriegsführenden britischen Alliierten zu solidarisieren, und die - übrigens sehr bald erfüllte - Hoffnung, die englische Armee als Kunden zu gewinnen, bildeten den Hintergrund für die Wahl des Namens ,Wonder'.
Nach dem Ende des Krieges ließ ,Wonder' sich in Saint-Ouen nieder. Unter der Leitung von Monsieur Victor Courtecuisse, der bis 1970 an der Spitze des Unternehmens stand, nahm der Betrieb daraufhin einen durch nichts zu bremsenden Aufschwung.
Die fünfziger und sechziger Jahre wurden für ,Wonder' die ,zwanzig glorreichen Jahre': Im Zusammenhang mit der Erfindung und der Entwicklung des Transistorradios boomte die Nachfrage aus Frankreich selbst, der Absatz auf dem afrikanischen Markt erhöhte sich, und dazu kamen, wie zu Beginn, wichtige Militäraufträge, die mit dem Krieg in Indochina und Algerien zu tun hatten. (...)
Im Rahmen der Expansion wurden neue Niederlassungen in Vernon, Louviers, Lisieux, Pontchateau etc. gegründet.
1966 entfielen auf ,Wonder' mehr als 37% des französischen Batterien-Marktes, mit weitem Vorsprung vor zwei anderen französischen Unternehmen, ,Leclanché' und ,Mazda'. (...)
Am Ende der sechziger Jahre verschlechterte sich die Situation. Die Militäraufträge gingen zurück, die Entstehung von Einkaufszentren erleichterte ausländischen Marken den Zutritt zum französischen Markt.
Zu Beginn der siebziger Jahre zog die Erfindung von alkalihaltigen Batterien das Erscheinen der amerikanischen Marke ,Duracell' sowie japanischer Fabrikate auf dem französischen Markt nach sich. Die französischen und europäischen Unternehmen waren auf diese technische Revolution kaum vorbereitet. Für ,Wonder' tauchte das Problem im ungünstigsten Moment auf, da sich der Betrieb gerade auf kostenintensive, wenig rentable Joint-ventures in Afrika eingelassen hatte. (...).
1984 war die Familie Courtecuisse entschlossen zu verkaufen. Schließlich übernahm Bernard Tapie - nach einem unschönen Streit mit der Worms-Bank - die Firma ,Wonder'. Auf Anordnung Tapies sollte als erstes die Produktion gesteigert werden: ,Duracell' produzierte pro Arbeiter im Jahr 500.000 Batterien, ,Wonder' nur 120.000. (...)
Ende 1986 wurde das historische Firmengelände von Saint-Ouen geschlossen. 1988 verkaufte die Gruppe Bernard Tapie das Unternehmen ,Saft-Mazda-Wonder' an die amerikanische Gruppe ,Ralston', die ihr Produkt ,Energizer' auf dem französischen Markt unterbringen wollte.
Ende 1994 wurde die letzte ,Wonder'-Fabrik, die noch in Betrieb war, in Louviers geschlossen. Die Gruppe ,Ralston' behielt eine Fabrik in Frankreich, nämlich das ehemalige Werk von Saft in Caudebec-les-Elbeuf, in dem noch ,Wonder'-Batterien hergestellt werden, die sich besonders in Schwarzafrika und bei ,Domtom' großer Nachfrage erfreuen, wo der Bekanntheitsgrad der Marke noch sehr hoch ist.
Die ehemalige Fabrik in Saint-Ouen überließ Bernard Tapie nach einem langen Rechtsstreit - ,Ralston' dachte, den Besitz der Firma eworben zu haben - einem seiner Antiquitätenhändler-Freunde, Monsieur Steinitz, dem sie heute als Lager dient.
Pierre Bonneau, Kameramann des Films von '68. Erinnert sich an das Eintreffen des Teams in einem 2CV. Kann der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal eine Runde in der Nähe der Fabrik zu drehen.
Jacques Willemont, am Anfang des Films von '68. Während der Dreharbeiten war er für den Ton verantwortlich. Hat niemals wieder Kontakt mit den Leuten von ,Wonder' gehabt.
Der örtliche Gewerkschaftsbund von Saint-Ouen. Die derzeitigen Verantwortlichen der Gewerkschaft haben sich die Video-Kassette in Gesellschaft von ehemaligen Aktivisten und Aktivistinnen angesehen, die heute im Ruhestand leben. Eine von ihnen, Ida, erzählt von einer Arbeitskollegin, die zur Zeit von Tapie sehr aktiv war, und identifiziert zwei Personen im Film: Edmond Adler und Pierre Guyot.
Edmond Adler, Informatiker bei ,Wonder' zu Beginn der sechziger Jahre. Wurde 1964 entlassen, kurz nachdem er eine Gewerkschaftssektion gegründet hatte. Heute ist er Direktor der ,Semiso', der Gesellschaft für verschiedene Wirtschaftszweige der Stadt Saint-Ouen. Er taucht in dem Film von '68 auf, die Augen versteckt hinter einer großen schwarzen Sonnenbrille. Er beschreibt die Arbeitsbedingungen der Fließbandarbeiterinnen und den vom Personalchef organisierten Druck gegen die Gewerkschaft.
Georges Abbachi, ehemaliger Sekretär des örtlichen Gewerkschaftsverbandes und ehemaliger stellvertretender Bürgermeister von Saint-Ouen. Beschäftigt sich heute mit den früheren Aktivisten. Kannte den Personalchef von Wonder "recht gut". Beschreibt die Ent-Industrialisierung, die in der Gemeinde während der letzten zwanzig Jahre stattgefunden hat.
Jean-Louis Blanc, seit 1972 bei Wonder als Anstreicher beschäftigt. War Gewerkschaftsabgeordneter bis zur Schließung der Fabrik. Besteht auf der Anmeldung der Fabrik im Quartier des Puces und auf der familiären Atmosphäre bei ,Wonder', daher die Konflikte... Darüberhinaus auf Raubtierfang spezialisiert.
Monsieur Meunier und Monsieur Parenti, 1948 als Facharbeiter in die Fabrikation gekommen. Wurden aufgrund interner Förderung zuerst Meister, danach gelangten sie in leitende Positionen. 1968 Vorarbeiter. Identifizieren im Film Madame Campin. Erinnern sich an die Härte der Arbeitsbedingungen, an die ,schwarze Werkstatt' - das Kohlenlager - und die Arbeiterinnen dort mit ihren ,Rimmel'-Augen... Ziemlich verbittert über die Zeit unter Tapie.
Pierre Guyot, der Mann mit der Krawatte in dem Film von '68. Ehemaliger Sekretär der Zelle ,des Puces'. Sohn von Raymond Guyot, einem wichtigen Funktionär der Kommunistischen Partei Frankreichs. Erzählt seine ,Abenteuer' während des Algerienkrieges.
Louis Morin war bei ,Wonder' von 1957 bis zur Schließung der Fabrik als Mechaniker beschäftigt (seine Frau arbeitete am Ende der fünfziger Jahre als angelernte Arbeiterin ebenfalls dort). Erzählt von der Gründung des Bundes der französischen Gewerkschaften zusammen mit einigen Freunden - und über ihre erste Forderung, nämlich Seife - über den Streik '68 und die Ankunft von Tapie, der Anfang der achtziger Jahre wie ein Gott empfangen wurde.
Gérard Renoux, Sekretär des örtlichen Gewerkschaftsbundes von Louviers. Arbeitet in der Fabrik ,Ralston' in Caudebec-les-Elbeuf, die heute die letzten Batterien der Marke Wonder produziert. Veranlaßt uns, sämtliche Werke der heute geschlossenen Firmengruppe in Louviers und der Umgebung zu besichtigen.
Jacques Joubert, 1968 Gewerkschaftsbeauftragter von ,Wonder'. Heute Ständiger Vertreter bei der ,Confédération Nationale du logement'. Schildert die Verhandlungen mit der Firmenleitung, die Ungewißheit über die Wiederaufnahme der Arbeit, und die ,Normalisierung' nach dem Streik. Stellt ,Wonder' als ein Unternehmen mit ,hohen Risiken' hinsichtlich der Arbeitsbedingungen dar.
Liliane Singer, heute Krankenschwester. 1968 arbeitete sie bei Wonder als Stenotypistin. Als Aktivistin bei L'OCI war sie es, die den Kontakt zu den Studenten der Pariser Filmhochschule herstellte. Erinnert sich an die Hoffnung und die Enttäuschung der Arbeiterinnen, wie auch an ihre Streitereien mit dem örtlichen Gewerkschaftsbund.
Poulou, der ,Chaot' in dem Film von '68. Damals Gymnasiast, sechzehn Jahre alt und ,Maoist'. Ist nie wieder bei ,Wonder' aufgetaucht. Hat am langen Marsch Frankreichs teilgenommen. Lebt heute auf der Île d'Oléron, wo er jeden Sommer den ,Club des Allassins' betreibt.
Marie-Thérèse, Arbeitskollegin, im September 1968 als angelernte Arbeiterin bei ,Wonder' eingestellt. Beschreibt die Arbeitsbedingungen für die Frauen und den Aufschwung der gewerkschaftlichen Aktivitäten nach '68, die Erfüllung der ersten Forderungen 1972 und den Tapie'schen Stil.
Yvette hat mit vierzehn Jahren angefangen, am Fließband zu arbeiten. Die einzige angelernte Arbeiterin und einzige Frau, die sich dem Generalstreik bei ,Wonder' am 13. Mai 1968 anschloß. Lernte ihren Mann Guy beim örtlichen Gewerkschaftsbund während der Ereignisse kennen.
Mademoiselle Marguerite hat bei ,Wonder' alle Ränge durchlaufen: Arbeiterin, dann Vorarbeiterin, schließlich Werkstattleiterin... Besteht auf der Problematik ihrer Kaderfunktion, besonders in den siebziger Jahren, beim Auftauchen der ,Maoisten' und angesichts der zahlreichen portugiesischen Arbeiterinnen. Ist sehr kritisch in bezug auf die Direktoren, die in den letzten Jahren an der Fimenspitze aufeinanderfolgten, und sehr sentimental beim Gedanken an die Zeiten von Monsieur Victor und Monsieur Lemasson. Will nicht über Tapie sprechen. Heldin der berühmten Episode mit dem Regenschirm.
Denise hat mit zahlreichen anderen bis zur Schließung der Fabrik in den Werkstätten gearbeitet. Sie erinnert sich sehr gut, vor allem daran, wie hart die Arbeit war. Führt uns noch einmal detailliert den Herstellungsprozeß vom Ausgangsmaterial bis zur Auslieferung vor.
Lucienne, Schwester von Denise, auch sie kam vierzehnjährig zu ,Wonder'. Wollte eigentlich Volksschullehrerin werden. Ihre Freundin Jacqueline blieb Arbeiterin bei ,Wonder', um nicht Hausangestellte werden zu müssen. Zusammen mit Alain, dem ebenfalls bei ,Wonder' beschäftigten Mann von Lucienne, erinnern sie sich an Madame Campin, Chefin der ,schwarzen Werkstatt'.
Maurice Bruneau, ein weiterer Gewerkschaftler aus dem Film von '68. Heute Rentner. 1968 Verantwortlicher der Metallgewerkschaft von Saint-Ouen. War in dieser Eigenschaft auch in den Streik bei ,Wonder' involviert. Erzählt von den Anfängen. Erinnert sich gut an das Mädchen. Verärgert über die Anwesenheit des Filmteams zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Arbeit. Und andere...
Hervé Le Roux scheint selbst überrascht zu sein von dieser lebendigen Erinnerung, die nichts will als sich in die Leinwand einzuschreiben, in einer Weise, die so gar nichts mit Fernsehen zu tun hat in ihrer übersprudelnden Lustigkeit und teilweisen Bitterkeit. Der Filmemacher muß das Gesicht der empörten Frau geliebt haben, und den Kerl am Ende des Films (...). In diesen Bildern lebt eine tragische Dimension und ein unglaubliches Engagement, das oft überfließt vor Nostalgie und sich teilweise hinter einem eher mitleidigen als spöttischen Humor verbirgt. Was sich 1968 auf den Gehsteigen abgespielt hat, war mehr als die Wiederaufnahme der Arbeit; es war die radikale, unumkehrbare Enteignung des Individuums von jeglicher Macht über das ,Soziale'.
Hier arbeitet das Kino in jedem Augenblick: REPRISE ist ein schwieriger Film im ergötzlichsten Sinne des Wortes. Keine schicke, distanzierte Trauer-Arbeit für Geschichts-Ästheten, sondern ein solider und gründlicher Film, (...) in dem Le Roux ohne jede Affektiertheit sein handwerkliches Können zeigt. Vincent Dieutre, in: La Lettre du Cinéma, Spécial Sadoul
Hervé Le Roux, geboren 1956, ist Journalist und Kritiker, schreibt u.a. für die ,Cahiers du Cinéma', wirkte 1984 und 1988 an der Programmgestaltung des ,Festival d'Automne' in Paris mit. Er war Regie-Assistent bei Incognito (Regie: Alain Bergala) und wirkte bei der Herstellung der beiden Kurzfilme L'Ourse bleue (1988, Regie: Marc Chevrie) und Tu m'as dit (1990, Regie: Renée Falson) mit. Er ist Drehbuchautor und Regisseur von Grand Bonheur, der 1993 die Sektion französischer Filme beim Festival in Cannes eröffnete. Daneben schrieb er 1995 zusammen mit Gilles Cornec und Patrick Leboutte ,Cinégénie de la bicyclette'.
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