Deutschland 1997 Regie: Volker Koepp |
110 min., 35mm, 1:1.37, s/w, WP
Produktion: Kruschke Film- und Videoproduktion. Buch: Volker Koepp. Kamera: Christian Lehmann. Kameraassistenz: Michael Loewenberg. Ton: Uve Haußig. Schnitt: Angelika Arnold. Herstellungsleitung: Herbert Kruschke. Produktionsleitung: Fritz Hartthaler. Redaktion: Hubert von Spreti, Oskar Holl (BR), Barbara Frankenstein (SFB), Birgit Maehler (ORB). Uraufführung: 21.2.1997, Internationales Forum des Jungen Films. Weltvertrieb: Progress Filmverleih GmbH, Burgstr. 27, D-10178 Berlin. Tel.: (49-30) 2805110, Fax: (49-39) 280 7492. |
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Fr 21.02. 11:00 Kino 7 im Zoo Palast Fr 21.02. 16:30 Delphi Sa 22.02. 12:30 Arsenal Sa 22.02. 19:00 Babylon So 23.02. 19:30 Akademie der Künste |
Das Herstellen von Dokumenten / Gespräch mit Volker Koepp über Wittstock, Wittstock
Erika Richter: Volker, was führte dazu, daß du nach Neues in Wittstock (1992) noch einmal nach Wittstock gingst. Bist auch du fasziniert von dem Gedanken der ,Langzeitbeobachtung'?
Volker Koepp: Ein eigentlich nicht schönes Wort. Man kehrt doch gerne an Orte zurück, in denen man schon mal war und Menschen kennt. Wittstock, Wittstock ist definitiv der letzte Film dort. Ich sagte bereits 1984, als der erste lange Film, Leben in Wittstock, fertig war, daß wir aufhören. Die Situation war damals so, daß die drei Frauen, die immer im Mittelpunkt der Filme standen - Edith, Elsbeth und Renate - alles erreicht hatten, was man erreichen konnte: Sie hatten eine Neubauwohnung, sie waren verheiratet und glaubten, für immer in Wittstock und im Betrieb zu bleiben. Es war nicht abzusehen, daß sich noch einmal etwas bewegt. So ist auch die Stimmung am Schluß des Films. Alles ist irgendwie abgeschlossen. Es wird nichts mehr passieren. Dann kam 89/90, ich drehte im nahegelegenen Zehdenick an der Märkischen Trilogie. Da rief Renate aus Wittstock an und sagte in ihrem Sächsisch: Volker, warum kommt ihr denn jetzt nicht noch mal? Es passiert doch so viel.
V.K.: Ja. Natürlich gibt es bei so einer langen Bekanntschaft ,Höhen und Tiefen', wie Renate sagen würde. Aber wir hatten immer genügend Zeit verstreichen lassen, so daß jedes Mal ein Neuansatz möglich war. Ich habe nie Vollständigkeit angestrebt. Ich habe immer gewartet, bis ich wieder Lust hatte oder irgendetwas passiert war. So entstand also Neues in Wittstock, wo die Frauen ein wenig in den Hintergrund getreten sind. Wir drehten viel von dem, was ringsherum passierte, den Abzug der sowjetischen Soldaten, wie die Menschen die ständigen Veränderungen in jener Zeit erlebten. Gewissermaßen als Parallelmontage die Frauen in jenem großen Wittstocker Textilbetrieb, um den es in all den Jahren gegangen war. Immer mehr Arbeiterinnen wurden entlassen, auch Edith. Es war nicht genau abzusehen, was passieren würde. Klar war, daß von der Textilindustrie nicht viel übrigbleiben würde - wenn man die Entwicklung der Textilbetriebe in Westdeutschland verfolgt hatte, wußte man das.
1993 wurde der Betrieb dichtgemacht, der letzte Geschäftsführer, der uns nicht mehr hereingelassen hatte, versteigerte die Maschinen. Das übliche Ende. Als dann die Hallen leer waren, habe ich mit Christian Lehmann diesen Zustand festgehalten und auch, was die drei Frauen machten. Für einen neuen Film war das vielleicht der Ansatzpunkt: die Frauen ohne den Textilbetrieb, der lange Zeit im Zentrum ihres Lebens gestanden hatte, und eine neue Normalität des Lebens. Elsbeth versucht wieder mal, durch Umschulung etc. zu Arbeit zu kommen, Renate arbeitet schon wieder fast fünf Jahre als Zimmerfrau im Hotel, und Edith macht in der Nähe von Heilbronn ihre Arbeit. Als wir 1974 anfingen, wurde immer wieder gefragt: warum Wittstock? Die Lebenserfahrungen in Wittstock waren so wie überall in der DDR, etwas Besonderes war höchstens die Abgeschiedenheit in der märkischen Landschaft. Und jetzt sind die Lebenserfahrungen dort auch wieder so wie überall im deutschen Osten. Ein neuer Film: In Wittstock, Wittstock machen die alten Aufnahmen nur ein Viertel aus; alles andere ist neu gedreht. Die alten Aufnahmen sind trotzdem so wichtig: Es ist eben dieses Geschichtenerzählen vom Leben, das mit Lebensverlauf und Älterwerden zu tun hat und für mich den Reiz des Dokumentarfilms ausmacht.
E.R.: Die Arbeit in diesem Betrieb war und ist die Basis ihres Lebens. Außerdem sieht man, wie sich ihre Gesichter verändert haben.
V.K.: Als ich damals anfing, sah ich mich um, mit wem man drehen sollte. Das waren die drei: Edith, Elsbeth und Renate. Die Auswahl war Zufall und auch, daß sie im Betrieb blieben. Denn in den ersten Jahren, etwa 1974 - 1982, war die Fluktuation in diesem Betrieb riesig.
E.R.: Hast du alle Wittstock-Filme mit Christian Lehmann gedreht?
V.K.: Alle, bis auf den ersten, der mit Michael Zausch entstanden ist.
E.R.: An der Schönheit des neuen Films hat die Kamera, die gesamte bildliche Gestaltung einen großen Anteil. Der Film hat etwas Leichtes, er schwingt zwischen Trauer und Komik und hat edle Bilder. Die Arrangements von den Frauen, auch von den jungen Leuten prägen sich ein. Die Bildauffassung gibt den Menschen Gewicht, Würde, ist aber nie künstlich. Außerdem ist das Schwarzweiß schön.
V.K.: Ja. Alle Wittstock-Filme sind in Schwarzweiß gedreht. Zu Beginn ergab sich das ganz natürlich, denn das Farbmaterial, das wir zur Verfügung hatten, ORWO, war sehr unempfindlich. Hingegen war das Schwarzweiß-Material (27 DIN) in Ordnung, brauchte nur wenig Licht. Es war also keine Frage einer ,elitären Ästhetik', sondern ein praktischer Grund. Später wollte ich auch nicht mehr auf Farbe umsteigen. In einer Fabrikhalle, wo Pullover in oft merkwürdigen Farben produziert werden, wäre das störend gewesen. Es hätte von den Menschen abgelenkt. Das Schwarzweiß war ein Glücksumstand. Es ist auch so, daß Christian Lehmann mit den sanften Mitteln, die er anwendet, von der Fotografie herkommt, dadurch ergibt sich wohl der besondere optische Eindruck des Films.
Wenn man in einem solchen Film Bilder aus etwa 22 oder 23 Jahren der eigenen Filmarbeit zusammenbringt, gibt es natürlich Sachen, bei denen man heute zusammenzuckt. Zum Beispiel hatten wir am Anfang zum ersten Mal die Gummilinse, den Zoom, zur Verfügung. Es wurde teilweise mit einer stummen Kamera gedreht, die sehr laut war und von der man Abstand halten mußte. Wir versuchten das durch die Gummilinse auszugleichen.
V.K.: Früher bei der DEFA wünschten wir uns, bestimmte Sachen auf 16mm drehen zu können. Aber die Technik war nicht da. Und da meine Filme nie für das DDR-Fernsehen zugelassen wurden, habe ich also für das Kino gearbeitet, und dafür war 35mm-Film das Normale. Wenn es geht, versuchen wir auch weiter auf 35mm zu drehen.
Ich habe die Auffassung, daß durch die Art von Arbeit, die wir machen, Dokumente im eigentlichen Sinne des Wortes entstehen sollen. Dokumentarfilme als Dokumente. Sonst hätte man schon in der DDR damit aufhören können. Denn der Film wurde manchmal zwar zugelassen, aber es wurde dann nur eine Kopie gezogen. Das bedeutete, es gab den Film, man konnte mit ihm herumfahren, aber Zuschauerzahlen spielten sozusagen überhaupt keine Rolle. Das sogenannte Massenpublikum fehlte. Da haben wir uns damit getröstet, daß wir drehen, damit Bilder bleiben. Es zeigt sich ja nun auch, daß es Interesse an diesen Dokumentarfilmen gibt, die versuchten, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Das hat sich, wenn man so will, gelohnt. Und zum Dokument gehört Haltbarkeit. Dafür ist die Lagerfähigkeit von Film eine gute Voraussetzung. Die Filmbilder bleiben. Schon mit den Farbfilmen ist es schwieriger. Und bei Video ist die Lagerfähigkeit bis jetzt nicht geklärt. Es ist noch etwas anderes. Es wird uns immer nachgesagt, daß wir so stur auf Film bestehen. Aber ich finde, daß Dokumentarfilm, der ja immer etwas Subversives hat, ein gewisses Beharrungsvermögen beweisen muß, um überhaupt zu zeigen, daß so etwas möglich ist und daß es so etwas gibt. Auch wenn er totgesagt wird, sollte man die Möglichkeit, so etwas als Lichtspiel im wahrsten Sinne auf die Leinwand zu bringen, erhalten. Das ist auch eine Verpflichtung. Es wäre viel zu früh, das einfach aufzugeben. Es wird gesagt, es geht nicht mehr, aber wir machen es eben. Jedes Jahr entstehen neue Dokumentarfilme.
V.K.: Nein. Dadurch, daß die Fernsehanstalten beteiligt sind, wird gewissermaßen mein alter Streit mit dem DDR-Fernsehen wieder gutgemacht. Wittstock, Wittstock wäre nicht entstanden, wenn nicht drei Fernsehanstalten das Geld dafür gegeben hätten. Es ist auch so, daß Kalte Heimat seit Sommer vorigen Jahres fünfmal ausgestrahlt wurde, vom WDR, vom MDR, und es gab unglaubliche Zuschauerzahlen. Beim WDR waren es etwa 7%, also Hunderttausende, mehr als alle Filme zusammen, die jemals von mir im Kino angesehen wurden. Ich finde, daß die Ausstrahlung im Fernsehen für uns eine neue Möglichkeit ist.
E.R.: Was machst du als nächstes?
V.K.: Zunächst einen Kurzfilm, der Alle meine Frauen heißt. Da möchte ich in 15 Minuten - das ist eine Kurzfilmförderung - alle Frauen aus meinen Filmen vorstellen. Ich rechne mir aus, wenn jede Frau eine Minute Zeit bekommt, wären das dann 15. Mit manchen Frauen aus den anderen Filmen hatte ich immer mal wieder Kontakt. Aber bei anderen weiß ich gar nicht, was sie jetzt tun. Man geht, wenn man Dokumentarfilme macht, ziemlich intensive Bindungen ein. Das liegt einfach daran, daß man ernsthaft am Leben des anderen interessiert ist. Es geht aber manchmal über die Kräfte. Man verspricht sich: Wir halten Verbindung, aber man schafft es auch vom Empfinden her auf Dauer nicht. Insofern ist es interessant, nachzuschauen, was aus den Frauen geworden ist.
E.R.: Ich wünsche mir, daß es weitergeht mit der Herstellung von Dokumenten über die Realität, die auch die meine ist. Ich hoffe, Du hast die Kraft und vor allem auch das Geld dazu. (Das Gespräch wurde am 27.1.1997 in Berlin geführt.)
Volker Koepp wurde 1944 in Stettin geboren. Nach dem Abitur 1962 machte er eine Ausbildung als Maschinenschlosser und arbeitete als Facharbeiter. Von 1963 bis 1965 studierte er an der Technischen Universität in Dresden, dann an der Hochschule für Filmkunst in Babelsberg. Von 1970 bis 1990 war Volker Koepp Regisseur am DEFA Studio für Dokumentarfilm.
1971: Schuldner. 1972: Grüße aus Sarmatien. 1973: Gustav J.. 1974: Slatan Dudow. 1975: Mädchen in Wittstock. 1976: Das weite Feld; Wieder in Wittstock. 1977: Hütes-Film. 1978: Am Fluß; Wittstock III. 1979: Tag für Tag. 1980: Haus und Hof. 1981: Leben und Weben. 1982: In Rheinsberg. 1983: Alle Tiere sind schon da. 1983/85: Afghanistan 1362: Erinnerung an eine Reise. 1984: Leben in Wittstock. 1985: An der Unstrut. 1986: Die F96. 1987: Feuerland. 1988/89: Märkische Ziegel. 1989/90: Arkona-Rethra-Vineta. 1990: Märkischen Heide, Märkischer Sand. 1991: Märkische Gesellschaft; In Karlshorst, In Grüneberg. 1992: Neues in Wittstock; Sammelsurium - Ein Ostelbischer Kulturfilm.1993: Die Wismut. 1995: Kalte Heimat. 1996: Fremde Ufer. 1997: WITTSTOCK, WITTSTOCK.
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