Japan 1996 Regie: Satoshi Isaka |
73 min., 35mm, 1:1.37, Farbe
Produktion: The Seiyu, Ltd. und Ace Pictures, Tokyo. Buch: Kazuo Shin. Kamera: Tetsuro Sano. Ausstattung: Tomoyuki Haruo. Musik: Hiroshi Mizuide. Schnitt: Satoshi Isaka. Ton: Yoshitaka Imai. Ausführende Produzenten: Masato Hara, Kazuo Kuroi. Produzenten: Junji Akai, Nobutsugu Tsubomi. Darsteller: Tadanobu Asano (Kanemura), Keiko Unno (Yoko), Akira Shirai (Iwai), Tetsuro Sano (Sano). Uraufführung: 30.9.1996, Tokyo International Film Festival Weltvertrieb: Ace Pictures, 5-24-5 Hongo, Bunkyo-ku, Tokyo 113, Japan. Tel.: (81-3) 3817 6717, Fax: (81-3) 3817 6718. |
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Fr 14.02. 16:00 Kino 7 im Zoo Palast Fr 14.02. 19:00 Delphi Sa 15.02. 10:30 Arsenal Sa 15.02. 17:00 Akademie der Künste |
Vielleicht, weil auch er von der chronischen Krankheit seines Berufes befallen ist, legt Iwai ungeniert die für den Medienbetrieb typische, fast obszöne Neugier an den Tag. Er ignoriert Kanemuras Rechte und versucht ihn in den Interviews bloßzustellen, in sein Privatleben einzudringen, es zu interpretieren und zu sezieren. Iwai bemüht sich, eine klischeehafte Geschichte über diesen jungen Mann zu konstruieren, der vom Lauschen besessen ist.
Kanemura hat sich beispielsweise übers Telefon verliebt, ganz naiv und wahrscheinlich platonisch. Als Iwai das mitbekommt, macht er daraus eine Art von Voyeurismus. Kanemura verwandelt sich vom Introvertierten zum Perversen. Vielleicht ist er ja wirklich pervers; auf jeden Fall ist es ein Triumph für den Interpreten. Kanemura zieht sich immer tiefer in sein Schneckenhaus zurück.
Dann nimmt die Geschichte plötzlich eine seltsame Wendung. Während der Reportage stolpert Iwai zufällig über ein Handy-Telefonat, bei dem es um Waffenschmuggel geht. Iwai hat damit ein perfektes kleines Instrument in der Hand, um eine gestellte Szene (japanisch ,yarase') zu inszenieren. Mehrfach provoziert er Kanemura. Währenddessen demoliert eine Gruppe arroganter junger Schläger Kanemuras Auto - was für ihn so ist, als hätte man ihn selbst verwundet. Er beginnt sich zu wehren.
Waffen und Fernsehkameras. Klassische Instrumente der Macht und moderne Instrumente der Macht. Gefilmte und montierte Bilder werden für ,wahr' gehalten. Kanemura wird Interpretation mit ,Wahrheit' bekämpfen. Er wird die Geschichte noch einmal aufrollen. Der junge Mann hatte sich von jeglicher normalen Kommunikation mit der Gesellschaft abgeschnitten; er hatte sein Innerstes eingemauert, weil er schwach war. Jetzt beginnt seine Rache. Aber diese Rache eines Opfers steigert sich allmählich ins Exzessive.
Fernsehkameras und Waffen. In einer kleinen Gruppe ein atemberaubendes Machtspiel. Hier hat ein grausiges ,yarase' begonnen, das jeder fürchtet und keiner beenden kann.
Der Film begann als Drehbuch mit dem Titel ,Kisho Tenten' von Kazuo Shin; dieses war 1994 zum Sapporo Image Seminar eingereicht worden. Nun ist ein Film daraus geworden.
Mit seiner Geschichte zeigt FOCUS in einem quasi dokumentarischen Stil, wie eine Persönlichkeit sich radikal verändern kann durch die Besessenheit von einer Macht - sei dies nun eine Fernsehkamera, ein Abhörgerät oder eine Waffe. Der Titel des Films lehnt sich an den medizinischen Fachterminus für den Bereich eines Körpers an, in dem eine Infektion am aktivsten ist; so weitet sich das Thema des Films auf die Krankheiten der modernen Gesellschaft aus.
Daneben untersucht FOCUS sehr kritisch den problematischen Zustand der Fernsehanstalten, in denen dem Versuch, Wahrheit zu vermitteln, ständig die Möglichkeit von gestellten Szenen (‘yarase' auf japanisch) entgegensteht.
Ein Prinzip des Films lautete: kein Schnitt innerhalb einer Szene. Der Regisseur wendete die sehr ungewöhnliche Methode an, die Bilder einzeln im subjektiven Auge der Kamera zusammenzusetzen. So erhält der Zuschauer Eindrücke nicht nur durch die Bilder im Sucher, sondern auch von der Welt um den Sucher herum. Eine besondere Steigerung der Lebendigkeit der Bilder erzielte der Regisseur durch das Überspielen des Betacam-Originals auf 35mm-Format.
Das Bild der Medien im Film ist selten negativer - oder oberflächlicher - gewesen als heute. Anstelle der innovativen Witzeleien von The Front Page oder den smarten Journalisten in All the President's Men sind wir heute mit dem Klischee des rasenden Fernseh-Reporters (aus irgendwelchen Gründen meistens einer Frau) konfrontiert, die dem Helden eine hirnverbrannte Frage stellt und ihm ein Mikrophon vor die Nase hält - worauf der Held sie verächtlich abblitzen läßt. Man fragt sich, wie diese unbedarften Reporter ihre Stories zusammenkriegen?
Das Faktum, daß Medienmacher auch Biß haben können, schafft es selten bis auf die Leinwand. Angesichts der Tatsache, daß japanische Medienprofis zu den sensationsgierigsten der Welt gehören, fällt dieser Mangel im japanischen Film besonders deutlich auf. Man erinnert sich an kaum einen Film aus den letzten Jahren, der das Verhältnis zwischen den Medien und ihren Opfern in irgendeiner Form untersucht hat.
Nun aber hat der frischgebackene Regisseur Satoshi Isaka diese Lücke brillant mit dem Film FOCUS geschlossen, in dessen Zentrum ein skrupelloser Fernsehregisseur und seine Tagesbeute stehen. (...)
Mit seiner simplen ,Ein-Tag-im-Leben'-Struktur kommentiert der Film nicht nur treffend die Krankheiten der japanischen Gesellschaft von heute, von der Leere der Jugend bis zur Manipulierbarkeit der Medien, sondern führt obendrein unwiderstehlich ihre schockierende Auflösung vor. Während er die Figuren bis auf ihr emotionales Mark entblößt, sinkt er doch niemals auf das Niveau der Selbstbedienungs-Moral oder voyeuristischen Sensationslust jener Medien ab, mit denen er sich beschäftigt. Stattdessen überläßt er uns den erbarmungslos beobachtenden - und selbstentblößenden - Blick der Kamera.
Diese Kamera gehört einem dreiköpfigen Team, das den Auftrag hat, einen jungen Mann namens Kanemura zu interviewen, der ein ungewöhnliches Hobby hat: er belauscht Telefon- und Funkgespräche. Iwai, der Regisseur des Teams, ist ein erfahrenes Exemplar des bekannten Typus: aalglatt, gewieft und immer auf der Suche nach der großen Chance. Außerdem gehört zum Team eine ehrgeizige Regie-Assistentin und ein unsichtbarer Kameramann.
Dieses Interview ist - das merken wir schnell, als Iwai den nervösen Kanemura auf einer benachbarten Parkbank plaziert - nur ein weiteres Treppchen auf seiner Karriereleiter. (...)
Akira Shirai liefert eine mehr als perfekte Darstellung des Iwai, die mehr als einem Medienprofi Krämpfe der Selbsterkenntnis verursachen wird (obwohl natürlich die meisten, wie es in der Natur des Biestes liegt, grinsen und die Achseln zucken und ansonsten weiter das tun werden, was sie immer getan haben).
Tadanobu Asano beweist als Kanemura eine Differenziertheit, die in seinen Blank-Generation-Filmen der letzen Zeit, Helpless und Picnic, nicht immer zu spüren ist. Er macht den plötzlichen Übergang vom mißbrauchten Schwächling zum ausgeflippten Tobsüchtigen nachvollziehbar. Wenn der vermeintliche Idiot sich verwandelt, realisieren wir, daß Kanemuras Wut schon immer unter der Oberfläche gebrodelt hatte, und daß sein Mithören nicht so unschuldig war, wie er es darzustellen versucht hat. Obwohl Iwais Opfer, war er, auf eine Art, die er selbst nicht verstand, auch dessen Kollege.
Mit nur einem Schnitt pro Szene und dem Kunstgriff, die Geschehnisse des Films mit der Kamera des Fernsehteams zu filmen, erzeugt FOCUS beim Zuschauer die Illusion, dabeizusein. Mehr als nur eine Taktik, um uns in die Handlung einzubeziehen, liefert der Blickwinkel des Films einen unausgesprochenen, aber wirkungsvollen Kommentar zur Komplizenschaft des Publikums mit den Medien. Iwai und Kanemura sind unsere Geschöpfe, meint Satoshi; ihre einzigen Rollen sind die des Benutzers und des Benutzten, in einem Film, dessen letzte Steigerung spirituelle Erniedrigung und Tod ist. Mark Schilling, in: The Japan Times, 22. Oktober 1996
Satoshi Isaka studierte nach seinem Abschluß an der Universität Tokyo bei Shoji Segawa und Yoichi Higashi. Als Regie-Assistent wirkte er bei der Produktion zahlreicher Fernseh- und Kinofilme mit. FOCUS ist sein Regiedebut.
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