Im nationalen Filminstitut von Guinea-Bissau (INCA – Instituto Nacional de Cinema e Audiovisual) lagert bedeutendes dokumentarisches Material aus der Zeit des Befreiungskampfes (1963–1974) und der ersten Jahre der Unabhängigkeit des Landes. Darüberhinaus finden sich dort ausländische Filmproduktion, die insbesondere die solidaritäts- und geopolitischen Beziehungen zu anderen Ländern in den 1970er Jahren widerspiegelt.
Das historische Filmmaterial aus der Zeit des militanten Kinos in Guinea-Bissau wurde im Bürgerkrieg 1998/99 fast vollständig vernichtet. Nur ein kleiner Teil überstand die Zerstörung. Im Rahmen des Projektes „Animated Archive“ konnte der Filmbestand mit der Unterstützung durch das Auswärtige Amt im Kulturerhalt-Programm digitalisiert werden.
Die Geschichte des guineischen Films beginnt während des 11 Jahre andauernden Unabhängigkeitskrieges mit Portugal. Amílcar Cabral, der Führer der PAIGC (Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit von Guinea und Kap Verde) schickte vier junge Guineer – Flora Gomes, Sana na N'Hada, Josefina Crato und José Bolama Cobumba – an das kubanische Filminstitut (ICAIC). Mit Unterstützung des Kinos wollte Cabral seinem Volk und der Welt den andauernden Kampf bewusst machen. Die Macht der Bilder nutzte er zur Bildung einer neuen nationalen Identität auf visueller Ebene. Film war ein politisches Instrument, eine Möglichkeit, die Säulen eines kollektiven Gedächtnisses zu errichten und damit den Aufbruch des gerade befreiten Guineas zu fördern.
Das Kino in Guinea-Bissau blühte für einige Jahre nach der Unabhängigkeit. Nach dem Putsch im Jahre 1980 hatte die Filmproduktion keine staatliche Priorität mehr (mit Ausnahme einer der wichtigsten guineischen Produktionen, MORTU NEGA (1988) von Flora Gomes). Mit Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 1998 kam die nationale Filmproduktion fast vollständig zum Erliegen.
Heute existiert aus der ersten Produktionsära nur ein Archiv mit Filmen sowie ungeschnittenem Filmmaterial aus der Zeit zwischen 1972 und 1980. Es wird in Bissau beim INCA gelagert. Unter den Archivbeständen finden sich außerdem Filme und Wochenschauen aus Ländern, die den Kampf unterstützt haben (Kuba, Schweden, DDR, Senegal, UdSSR, Holland, Frankreich, Indien und Algerien) und Filme von portugiesischen Filmemachern, die sich gegen die Kolonialpolitik gewehrt haben, sowie mehrere Kopien von Filmen von Chris Marker, die er bei seinen Besuchen in Guinea-Bissau im Jahr 1979 zurückgelassen hat.
Zum Archivbestand des INCA zählen 16mm und 35mm Filmrollen, darunter ungeschnittenes Material, sowie Magnettonbänder. Aufgrund der schlechten Lagerbedingungen ist das gesamte Material vom "Essig-Syndrom" befallen. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung im Sommer 2012 befand es sich bereits in einem sehr fortgeschrittenen Zustand der Zersetzung. Vor Ort gibt es keine technischen Möglichkeiten, diese Filme zu sichten und zu projizieren, um sie einem Publikum zugänglich zu machen. Das primäre Ziel von „Animated Archive" war daher der Erhalt dieses kollektiven, filmischen Gedächtnisses.
In einem ersten Schritt wurde in Bissau eine Auflistung des existierenden Materials vorgenommen. Andreas Sollacher (ARRI München) konstruierte dafür ein manuell bedienbares Sichtungsgerät, das zum Herstellen einzelner Stills aus den Filmrollen diente. Anhand dessen konnte das Material katalogisiert sowie der Zustand des Materials festgestellt werden. Die Sichtung der Filmrollen wurde von Filipa César und den Filmemachern Flora Gomes und Sana na N’Hada begleitet. Im zweiten Schritt konnte das Filmmaterial nach Berlin transportiert, gereinigt und digitalisiert werden.
Die Digitalisierung durch das Projekt „Animated Archive“ bietet den Ausgangspunkt für zukünftige Projekte, die sich der inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesem Filmerbe widmen können.
„Animated Archive“ ist ein Projekt des Arsenal – Institut für Film und Videokunst, konzipiert und durchgeführt von Filipa César in Zusammenarbeit mit den Filmemachern Suleimane Biai, Flora Gomes und Sana na N’Hada sowie dem Leiter des INCA Carlos Vaz.
Projektbeteiligte Reiner Meyer (Kornmanufaktur, Berlin), Nuno da Luz (Assistenz), Marta Leite (Assistenz), Andreas Sollacher (ARRI München), Marian Stefanowski (Filmvorbereitung, Arsenal), Suleimane Biai, Onélio Cardoso, Joaquim Gomes, Fátima Silva, Felismina Tavares, Carlos Vaz (INCA, Bissau)
Das Projekt wurde ermöglicht durch die Förderung im Kulturerhalt-Programm des Auswärtigen Amtes und durch die Unterstützung des Goethe-Instituts in Dakar.
Dank an Jaime Azinheira, Jorge Biague, Suleimane Biai, João Botelho, Elsa César, Rosa César Waschke, Natxo Checa, Manuel da Costa Cabral, Renata Diack, Antje Ehmann, Rita Fabiana, Harun Farocki, Diogo Ferreira, Gonçalo Galvão Teles, Gorka Gamarra, Flora Gomes, Cristina Guerra, Doris Hegner, Tobias Hering, Tanja Horstmann, Marta Leite, Mónica Lima, Victor Lopes, Policarpo Marcos Lopes, Nuno da Luz, Colin MacCabe, Chris Marker, Diana McCarty, Doreen Mende, Philip Metz, Reiner Meyer, Avi Mograbi, Eglantina Monteiro, Sara Moreira, Christian Ndombi, Sana Na N’Hada, Silvia Nissen-Hülse, Filipa Oliveira, Júlio Pereira, Stefan Pethke, Alexandra Pinho, Angela Reedwisch, Uwe Rieken, Markus Ruff, David Rych, Silvia Scharf, Stefanie Schulte Strathaus, Carlos Schwarz Silva, Maria João Seixas, Catarina Simão, Valerie Smith, Andreas Sollacher, Fábio Sousa, Inês Teixeira, Guillaume Thiériot, Carlos Vaz, Mark Waschke, Carsten Wille und Guilherme Zeverino.
Weitere Projekte von Filipa César: Luta ca caba inda, Von Boé nach Berlin – Ein mobiles Labor zur Filmgeschichte Guinea-Bissaus